Hebamme 2021; 34(04): 4-7
DOI: 10.1055/a-1515-1226
Profession
Kurz berichtet

Individuelle und frauenzentrierte Geburtshilfe

„Watchful attendance“

Wenn über die Begleitung während einer Geburt gesprochen wird, so kommen in erster Linie aktive Tätigkeiten zur Sprache: Weheneinleitung, Schmerzbekämpfung oder instrumentelle Unterstützung der Geburt. In der Dokumentation finden sich CTG-Interpretationen, vaginale Untersuchungen und Erhebung der Vitalwerte. Doch das wichtigste Element der Hebammenbetreuung ist nicht vertreten: sich Zeit nehmen.

In einem gemeinsamen Statement kritisieren das die drei Professorinnen der Hebammenwissenschaft Ank de Jonge aus den Niederlanden, Hannah Dahlen aus Australien und Soo Downe aus Großbritannien. Sie regen an, den Begriff „Watchful attendance“ („Wachsame Anwesenheit“) zu etablieren. Er beschreibt die Fähigkeit der Hebamme, die Gebärende aufmerksam zu beobachten und ihr gleichzeitig Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln.

Die Hebammenwissenschaftlerinnen plädieren dafür, Frauen in ihrem eigenen Tempo gebären zu lassen. Dafür sollen Hebammen bei den Frauen sein und nicht Dinge mit ihnen tun. Auf dem Weg hin zu einer individuellen, frauenzentrierten Geburtshilfe ist die Erkenntnis wichtig, dass jede Geburt ihren eigenen Rhythmus und ihre eigene Zeit hat. Obwohl der englische Begriff „Midwife“ seinen Ursprung in „mit der Frau sein“ hat, sieht die Realität häufig so aus, dass Hebammenbetreuung durch den Faktor Zeit geprägt ist und eine Geburt festgelegten Regeln folgen muss. Dabei sprach sich schon 2018 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür aus, dass die Entscheidung für geburtshilfliche Interventionen nicht aus zeitlichen Gründen getroffen werden sollte.

Um „Watchful attendance“ als zentrales Element von professionellem Hebammenhandeln zu etablieren, empfehlen die Autorinnen diesen Aspekt weiter zu erforschen und zu definieren. Sie sehen darin einen wichtigen Schritt hin zu einer nachhaltigen, frauenzentrierten Geburtshilfe, in der jeder Geburtsverlauf durch wachsame Anwesenheit geprägt sein sollte.

Quelle: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1877575621000240?via%253Dihub

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Schwangerenvorsorge in Deutschland: An 11,3 Untersuchungen der Schwangerenvorsorge nahmen Schwangere 2017 durchschnittlich teil. 1,7% der Schwangeren nutzten weniger als 5 Vorsorgeuntersuchungen und gelten damit als unterversorgt. 37,7% der Schwangeren nahmen mehr als 12 Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch, was auf eine Überversorgung hindeutet. (Quelle: Gesundheitliche Lage der Frauen, Robert Koch-Institut 2020, © Sondem/stock.adobe.com – Stock Photo. Posed by a model)

Weibliche Genitalverstümmelung



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Article published online:
02 September 2021

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