Stand der Dinge
Derzeit werden nur 50–75 % der Patienten im Stadium IV getestet, u. a. wegen Erstattungsproblemen
aus dem stationären Bereich, aber auch, weil in Deutschland eine Testung auf Biomarker
derzeit nur bei unmittelbarer therapeutischer Konsequenz erfolgt. Im März 2019 fand
unter Schirmherrschaft der Deutschen Krebsgesellschaft eine Konferenz mit Vertretern
von Fachgesellschaften statt, die Lungenkrebs diagnostizieren oder behandeln (Teilnehmer*innen:
s. Addendum). Wir fassen die Ergebnisse zusammen und diskutieren Wege zur effizienten
Biomarker-Analyse beim NSCLC.
Eine Biomarker-basierte Stratifikation zur Therapiesteuerung gewinnt beim NSCLC zunehmend
an Bedeutung. Die Testung wird in allen Leitlinien auf deutscher, europäischer und
internationaler Ebene empfohlen [1]
[2]
[3]
[4]. Um eine leitliniengerechte Therapieentscheidung treffen zu können, müssen beim
metastasierten NSCLC nichtplattenepithelaler Histologie und bei Plattenepithelkarzinomen
von Nie-/Leicht-Rauchern vor Beginn einer Erstlinientherapie Mutationen in den Genen
EGFR und BRAF sowie Translokationen in den Genen ALK, ROS1 und NTRK geprüft werden
[1]. Des Weiteren gewinnen cMET Exon 14-, HER2- und KRAS-Mutationen sowie RET-Translokationen
an Bedeutung. Die aktuellste Onkopedia-Leitlinie (Oktober 2019) empfiehlt sogar bereits
die Testung bei allen Patienten im Stadium IV unabhängig von der Tumorhistologie.
Patienten können gegebenenfalls Off-Label-Therapien oder klinische Studien angeboten
werden (z. B. bei c-MET Exon 14 skipping-Mutationen, RET-Translokationen, HER2- und
KRAS-Mutationen) [1]
[2]. Es ist bereits jetzt absehbar, dass molekulare Alterationen auch in den frühen
Stadien eine Rolle spielen werden, z. B. basierend auf den Daten der ADAURA-Studie,
die den Dritt-Generations-TKI Osimertinib bei EGFR-mutierten Patienten nach Operation
und ggf. Chemotherapie in der Adjuvanz gegen Placebo geprüft hat mit einem signifikanten
krankheitsfreien Intervallvorteil [5].
Beim metastasierten NSCLC ohne Treibermutationen kommt eine Immuncheckpoint-Inhibitor
(ICI)-Therapie mit monoklonalen anti-PD-L1/PD-1-Antikörpern in Betracht. Daher wird
empfohlen, alle Patienten auch auf die Expression von PD-L1 zu untersuchen. Liegt
diese bei ≥ 50 % der Tumorzellen, kann eine ICI-Monotherapie in der Erstlinie mit
dem PD-1-Antikörper Pembrolizumab erfolgen [1]
[2]. Patienten im Stadium III sollten den PD-L1-Antikörper Durvalumab nach Ansprache
auf eine platinbasierte Radiochemotherapie (RCT) erhalten, wenn der Tumor auf die
RCT angesprochen hat, keine Pneumonitis vorliegt und die PD-L1 Expression ≥ 1 % ist
[2]. Eine Reihe von Studien prüft jetzt den Einsatz der PD-1- und PD-L1-Inhibitoren
in der adjuvanten und neoadjuvanten Therapie der frühen Stadien II–III. Die ersten
Studien zeigen bereits signifikant Vorteile für das pathologische Ansprechen nach
Induktionstherapie und generieren vielversprechende Signale für das krankheitsfreie
Überleben [6]. Daher ist abzusehen, dass die PD-L1-Testung auch in den frühen Stadien zu einer
Therapiestratifizierung führen könnte.
Der Einsatz von zielgerichteten und Biomarker-stratifizierten Therapien beim fortgeschrittenen
NSCLC hat die Behandlungsergebnisse der Patienten in den vergangenen 11 Jahren stetig
verbessert. Vor der Erstlinientherapie müssen dafür die entsprechenden molekularen
bzw. immunhistochemischen Analysen durchgeführt werden.
PD-L1-Analyse beim NSCLC – Reflextestung ja oder nein?
Der Begriff Reflextestung bedeutet, dass Biomarker unabhängig vom Tumorstadium bei
Diagnose eines Lungenkarzinoms bestimmt werden. Es handelt sich also um eine automatische
Testung, die als integraler Bestandteil der Diagnose keiner zusätzlichen Beauftragung
durch den Einsender bedarf, wie sie beim Mammakarzinom bereits umgesetzt ist oder
wie es auch in Österreich oder in Norwegen die Strategie des dortigen Gesundheitssystems
ist. Beim NSCLC sind die o. g. Biomarker jedoch nur in bestimmten Stadien therapiestratifizierend.
In einer von der Deutschen Krebsgesellschaft organisierten Konferenz unter dem Titel:
„Frühe Testung beim NSCLC: Konsensusfindung vor dem Hintergrund neuer COmpanion Diagnostics-basierter
Therapieoptionen“ am 28. 3. 2019 in Berlin wurde die Testung nur bei therapeutischer
Konsequenz nochmals ausführlich diskutiert mit dem Ergebnis, dass eine Reflextestung
nicht konsensfähig war (Prof. Aslaug Helland, Oslo University Hospital: persönliche
Kommunikation). Diese konsensuelle Haltung ist auch 2021 weiterhin gegeben.
Beim NSCLC stehen wirksame Immuntherapien für Patienten im Stadium III und IV zur
Verfügung. Die Analyse des PD-L1-Status kann hierfür die Therapiesteuerung sein, daher
sollte diese Untersuchung zum frühestmöglichen Zeitpunkt in diesen Stadien vorliegen.
Praktische Umsetzung der frühen Testung
Für eine umfassende Biomarker-Analyse beim NSCLC muss genügend Gewebe vorhanden sein.
Das Zentrum sollte daher mit dem zuständigen Pathologen eine Teststrategie festlegen,
wodurch mit dem Anlegen von Leerschnitten ausreichend Material für die molekulare
Testung und PD-L1-Analyse behalten wird. Auch können an bestehenden Schnitten Doppelfärbungen
durchgeführt werden. Bei etwa 20–30 % der Fälle ist das Material für eine umfassende
genetische Testung nicht ausreichend. Hier sollte vor einer möglichen Rebiopsie eine
Liquid Biopsy erwogen werden.
Um alle relevanten Biomarker beim NSCLC analysieren zu können, ist ein möglichst gewebesparendes
Vorgehen von größter Bedeutung.
Optimierung durch mehr Zusammenarbeit
Bereits heute ist eine integrierte kombinierte DNA- und RNA-Analytik mit FFPE-Material
möglich, die alle oben angesprochenen Marker in einem Ansatz umfassend auslesen kann,
und dies mit einer Rücklaufzeit von i. d. R. nicht mehr als 10 Arbeitstagen und mit
einem maximal effizienten Einsatz des Gewebes. Um NSCLC-Patienten eine umfassende
Diagnostik anbieten zu können, müssen Änderungen in der Biomarker-Analyse national
abgestimmt, neue Marker in konsentierte Panel eingepflegt und qualitätsgesichert getestet
werden. Besonders wichtig ist der Kontakt zwischen den Fachdisziplinen. Eine systematische
Interaktion einer solchen Gruppe mit den Gremien, die über die Finanzierung der Biomarker-Testung
entscheiden, wäre ausgesprochen hilfreich. Die Erhebung von biometrischen Daten in
der Versorgungsrealität ist im Registerkontext möglich, z. B. CRISP (Publikation).
Zudem ist zu empfehlen, dass bei seltenen Alterationen, die im Off-Label-Kontext behandelt
werden, solche Entscheidungen in einem molekularen Tumorboard getroffen werden und
in diesem strukturellen Kontext auch Verlaufsdaten erhoben werden.
Die moderne Biomarker-gesteuerte Therapie des NSCLC bedarf einer weitreichenden interdisziplinären
Zusammenarbeit, um für die Patienten bestmögliche Ergebnisse zu erzielen und die Diagnostik
schnellstmöglich auf den neuesten Stand anpassen zu können.
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Für eine leitliniengerechte NSCLC-Therapie müssen Patienten im Stadium IV auf EGFR-,
ALK-, ROS-, BRAF- und NTRK-Mutationen und Patienten im Stadium III und IV auf die
Expression von PD-L1 getestet werden. Zudem werden zeitnah die Ergebnisse der c-MET-Alterationen
und RET-Translokationen an Bedeutung gewinnen.
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Auch wenn derzeit keine „Reflextestung“ praktiziert wird, ist es bedeutsam, dass in
den relevanten Krankheitsstadien die gebotene Analyse zeitnah und umfassend erfolgt;
dies auch dynamisch angepasst an das Erfordernis der sich veränderten Therapieoptionen
(„dynamische Testung“).
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Eine Strategie für einen sparsamen Verbrauch von Gewebematerial mit dem Ziel einer
umfassenden Biomarker-Analyse sollte von jeder Pathologie erarbeitet werden.
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Die longitudinale Erfassung von krankheitsbezogenen Daten im Verlauf sollte im Registerkontext
angestrebt werden, um die Versorgungsrealität abzubilden.
Addendum
* Teilnehmer/innen der Konferenz „Frühe Testung beim NSCLC: Konsensusfindung vor dem
Hintergrund neuer COmpanion Diagnostics-basierter Therapieoptionen“ am 28. 3. 2019
in Berlin:
Prof. Dr. Clemens Aigner (Thoraxchirurgie; Prof. Dr. Gustavo Baretton (Pathologie);
Prof. Dr. Wilfried Budach (Strahlentherapie); Prof. Dr.Karl-Friedrich Bürrig (Präsident
BDP); Dr. Nicolas J. Dickgreber (Thoraxchirurgie); Prof. Dr. Frank Griesinger (Onkologie);
Prof. Dr. Christian Grohé (Pneumologie); Anita Günther (DKG); Prof. Dr. Arndt Hartmann
(Pathologie); Dr. Christoph Henkenberens (Strahlentherapie); Gisela Kempny (GF BDP);
Prof. Dr. Hans Kreipe (Pathologie); Dr. Gunda Leschber (Thoraxchirurgie); Dr. Anja
Schäfer (Medical Writing); Prof. Dr. Peter Schirmacher (Pathologie); Prof. Dr. Christian
Schumann (Pneumologie); Dr. Martin Sebastian (Onkologie); Prof. Dr. Albrecht Stenzinger
(Pathologie); Prof. Dr. Michael Thomas (Onkologie); Dr. Markus Tiemann (Pathologie);
Prof. Dr. Jürgen Wolf (Onkologie)