PiD - Psychotherapie im Dialog 2022; 23(01): 113
DOI: 10.1055/a-1483-1069
Lesenswert

Oyinkan Braithwaite: Meine Schwester die Serienmörderin

Irgendwo im modernen Afrika
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Aufbau TB 2021, ISBN: 9783746638539, 10,00 €, 240 Seiten

Wozu könnte es gut sein, hier über ein Buch zu schreiben, das inzwischen mehrfach aufgelegt wurde? Ist es notwendig, etwas, das sich gut verkauft, noch bekannter zu machen?

„Meine Schwester, die Serienmörderin“ ist ein afrikanisches Buch. Das allein macht es vielleicht ungewöhnlich, aber deshalb nicht automatisch gut oder die Geschichte besonders spannend. „Meine Schwester, die Serienmörderin“ spielt in Lagos, einem der gefährlichsten Orte dieser Welt, und es wurde geschrieben von einer jungen Afrikanerin, die genau dort lebt: in der Hauptstadt Nigerias. Und es kommt aus ohne die uns Europäern so gewohnt gewordenen Stereotype, die wir immer noch allzu oft über diesen Kontinent wiederholen: Gibt es dort eigentlich Literatur? Menschen, die von dort sind und schreiben? Menschen, die dort leben und schreiben? Menschen, die damit Geld verdienen?

Offensichtlich schon.

In kurzen, wenige Seiten umfassenden Kapiteln, die mit ebenso kurzen wie griffigen Überschriften versehen sind, werden die Leser*innen in das Leben der Protagonistin eingeladen: Sie arbeitet in einem Krankenhaus als Krankenschwester. Sie fährt täglich zur Arbeit, steht oft im Stau und erlebt am Arbeitsplatz unterschiedliche Konflikte mit unterschiedlichen Menschen: weiblichen Kolleginnen, männlichen Ärzten … Also eher der Plot für ein dem deutschen Publikum gut bekanntes Vorabend-Daily-Soap-Format im Fernsehen – nur eben nicht in Sachsen spielend, sondern irgendwo auf diesem riesigen schwarzen Kontinent?

„Meine Schwester, die Serienmörderin“ mutet beim Lesen immer mal wieder an, das eine oder andere dieser Art zu sein, und ist es schließlich doch nicht. Es ist eine Geschichte über drei Frauen, die versuchen, mit den Erinnerungen und Bildern zu leben, die sie anhand eines ausgesprochen negativen Modells von Männern in sich tragen. Die Erfahrung mit dem gewalttätigen und missbrauchenden Ehemann und Vater wird von den zwei Schwestern und ihrer Mutter sehr unterschiedlich verarbeitet, ohne dass der Zusammenhalt familiärer Bezüge in Frage gestellt erscheint: Vergessend, umgedeutet in die Normalität familienkultureller Rituale einerseits. Sorgend, säubernd, putzend und ordnend andererseits. Und … Psychotherapeut*innen werden wohl schnell Worte wie „dissoziierend“, „borderline-ig“ oder ähnliche finden …

Aber keine Sorge vor zu viel „Psycho“: Es kommt zu ordentlichen, krimiwürdigen Straftaten und durchaus komischen Szenen, die allen Afrikareisenden bekannt vorkommen werden. Der alltagstaugliche Umgang mit Bestechungswünschen gemischt mit der Erinnerung an alte Yoruba Bräuche, lässt so manches Unaussprechliche auch beim Vorlesen erträglicher werden. Und so unwirtlich und allumfassend gefährlich scheint dieses Lagos am Ende auch nicht zu sein, sondern irgendwie auch normal, wie z. B. Berlin oder Paris. Allerdings werden die meisten Leser*innen vermutlich hoffen, dass die Täterin irgendwie davonkommt (auch wenn sie schon ziemlich schräg wirkt), und so ein richtiges Mitgefühl mit den Opfern mag sich nicht wirklich einstellen. Dabei erinnert das Buch entfernt an Hannibal Lecter – aber eben nur sehr entfernt. Denn es geht eben nicht um einen angloamerikanischen Psychiater jenseits der 50, sondern um eine wunderschöne junge afrikanische Frau, die mit den Männern, die sie kennenlernt, leicht in ganz spezielle Situationen zu geraten scheint.

Dr. Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
18 February 2022

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