Einleitung
Die global verbreitete Tuberkulose zählt zu den häufigsten 10 Todesursachen weltweit
und ist die ursächlich am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit, noch vor
HIV/AIDS [1]. Nachdem die Anzahl der Tuberkulosefälle in Deutschland von 2014 (4529 Fälle) auf
2015 (5837 Fälle) deutlich gestiegen war und sich auch 2016 (5926 Fälle) auf vergleichbar
hohem Level hielt, sanken die Fallzahlen ab 2017 (5495 Fälle) wieder [2]. 2018 betrug die Inzidenz in Deutschland laut Robert-Koch Institut (RKI) 6,5/100 000
Einwohner (5429 Fälle) [2]. 2019 lag die Inzidenz bei 5,8/100 000 Einwohner (4791 Fälle) [3].
Die Übertragung der Tuberkulose findet meist aerogen über das Einatmen erregerhaltiger
Aerosole in der Raumluft von Mensch zu Mensch statt [1]
[4]. Hierbei ist Husten der hauptsächliche Mechanismus, bei dem Erreger freigesetzt
werden [5]
[6]. Das Transmissionsrisiko ist u. a. von der Erregerkonzentration in der Luft [5], der Intensität und Dauer des Kontaktes mit dem Patienten sowie von der Umgebung,
in der der Kontakt stattfindet, abhängig [7]. Das größte Risiko für ihre Umgebung stellen Patienten mit einer ansteckungsfähigen
Tuberkulose der Atmungsorgane dar, bei denen die Erkrankung noch nicht diagnostiziert
wurde und daher noch nicht therapiert wird [8]. Die Erstinfektion verläuft meist asymptomatisch und kann ohne Krankheitswert als
latente Tuberkulose (LTBI) über lange Jahre fortbestehen [5]
[9].
Bei aktiver Tuberkulose ist das am häufigsten betroffene Organ die Lunge. Die Tuberkulose
kann aber auch in jedem anderen Organ oder disseminiert auftreten.
Zu den klinischen Zeichen einer aktiven Lungentuberkulose gehören Symptome wie Husten,
Hämoptysen, Dyspnoe, subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, Gewichtsverlust [4] sowie eine im Röntgen-Thorax sichtbare Veränderung der Lunge. Die primäre Tuberkulose
zeigt hierbei häufig eine hiläre oder mediastinale Lymphadenopathie und pulmonale
Konsolidierung, während Aktivitätszeichen einer postprimären Tuberkulose Kavernen,
zentrilobuläre Noduli oder Konsolidierungen sein können [10].
Die LTBI wird durch ein positives Testergebnis im Interferon-gamma Release Assay (IGRA)
und klinisch sowie bildmorphologisch fehlenden Zeichen einer aktiven Tuberkulose definiert
[4]
[5]
[11]
[12] und ist eine nicht infektiöse Form der Tuberkulose [9].
Im Laufe des Lebens können bei bestehender LTBI Tuberkulose-Bakterien reaktiviert
werden und eine postprimäre, aktive Tuberkulose auslösen [4]. Risikofaktoren hierfür sind bspw. Diabetes mellitus, Alkohol- und Drogenabhängigkeit,
Mangelernährung, HIV-Infektion, immunsuppressive Therapie oder chronisches Nierenversagen
[1]
[5]
[13]. Nach Schätzungen erkranken ca. 5–10 % der nicht-therapierten Personen mit LTBI
zu Lebzeiten an aktiver Tuberkulose [1]
[4]
[14]. Das Progressionsrisiko ist hierbei im ersten Jahr nach der initialen Infektion
am höchsten [5] und bleibt für die ersten 5 Jahre nach der Erstinfektion erhöht [7]
[15].
Im Rahmen der End-TB-Strategie der WHO ist es für Niedrig-Inzidenz-Länder wie Deutschland
besonders wichtig, das Vorkommen der LTBI zu reduzieren, um zukünftige Fälle aktiver,
postprimärer Erkrankungen vermeiden zu können [16]. In Deutschland wird dies als Aufgabe der Gesundheitsämter im Rahmen der Umgebungsuntersuchung
[17] oder anderweitiger aktiver Fallfindung, wie bspw. Screeningmaßnahmen nach § 36 des
Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bei Asylbewerbern und Flüchtlingen, umgesetzt [2].
Das Hauptziel der systematisch durchgeführten, zentrifugalen Umgebungsuntersuchung
(Kontaktuntersuchung) ist es, unter den Kontaktpersonen eines Indexpatienten mit offener
Lungentuberkulose die Personen zu diagnostizieren, die sich mit Tuberkulose latent
oder aktiv infiziert haben [2]
[7]
[18]. So können Infektionsketten früh erkannt und unterbrochen werden [19]. Die Gesundheitsämter folgen bei der Durchführung der Kontaktuntersuchungen in aller
Regel den Empfehlungen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose
(DZK) [20]. Allerdings gibt es in Deutschland keine systematische Meldung oder Dokumentation,
wie viele Personen und welche Personengruppen unter Anwendung der genannten DZK-Empfehlungen
als Kontaktpersonen identifiziert werden und bei welchem Anteil eine LTBI diagnostiziert
wird.
Da die LTBI eine der wesentlichen Quellen für neue inzidente Tuberkulose darstellt,
kann Kenntnis über diese Daten aber einen wichtigen Beitrag zur Beschreibung der epidemiologischen
Situation der Tuberkulose und zur Umsetzung der End-TB-Strategie in Deutschland leisten.
Die vorliegende Arbeit untersucht für die Periode 07/2012 bis 12/2016 die Rate an
LTBI-Diagnosen unter Kontaktpersonen von an Lungentuberkulose erkrankten Personen
im Zuständigkeitsbereich des Kölner Gesundheitsamtes sowie Faktoren, die das LTBI-Infektionsrisiko
von Kontaktpersonen erhöhen.
Material und Methoden
Eingeschlossene Kontaktpersonen
IGRA-Untersuchungen wurden bei Kontaktpersonen von Patienten mit offener Lungentuberkulose
durchgeführt, die zum Meldezeitpunkt mindestens 5 Jahre alt waren und eine definierte
kumulierte Kontaktzeit mit dem Indexpatienten in geschlossenen Räumen verbracht hatten.
Als Kontaktpersonen eingeschlossen wurden hierbei Personen, die mit dem Indexfall
kumulativ ≥ 8 Stunden (bei mikroskopisch offener Lungentuberkulose) bzw. ≥ 40 Stunden
(bei kulturell offener Lungentuberkulose) Kontakt hatten. Ebenso wurden Personen,
die anderweitig intensive (z. B. körperliche oder pflegerische) Kontakte zu Tuberkulose-Patienten
hatten, eingeschlossen. Die kumulierte Kontaktzeit wurde dabei über einen Zeitraum
von 3–6 Monaten vor dem Meldedatum bzw. dem letzten Kontakt abgeschätzt. Die Testung
der Kontaktpersonen erfolgte mind. 8 Wochen nach dem letzten infektionsrelevanten
Kontakt zum Indexpatienten. Die Angaben zur Ermittlung dieser Kontaktpersonen wurden
durch den Indexpatienten im Interview und durch Erstellung einer Liste der Kontaktpersonen
durch den Indexpatienten ermittelt. Aus der Studie wurden IGRA-Untersuchungen ausgeschlossen,
die aufgrund von extrapulmonaler Tuberkulose durchgeführt worden sind; Testungen,
denen kein Indexfall zugeordnet werden konnte (bspw. bei Mitarbeitern des Gesundheitsamtes);
Testungen nach § 36 IfSG (bspw. bei Asylbewerbern); Mehrfachtestungen; Testungen,
die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Kölner Gesundheitsamtes lagen; Testungen
bei Kindern < 5 Jahren und Testungen mit nicht auswertbarem Testergebnis.
Definition der Alters- und Kontaktgruppe
Bei der Einteilung des Alters als kategoriale Variable wurden 3 Gruppen unterschieden:
5–14 Jahre, 15–49 Jahre und ≥ 50 Jahre. Die erste Grenze von 15 Jahren wurde gewählt,
da Jugendliche ab einem Alter von 15 Jahren in der Umgebungsuntersuchung gleichwertig
zu Erwachsenen behandelt werden [9]. Die zweite Grenze wurde in Anlehnung an DZK-Richtlinien bei 50 Jahren gewählt,
um Einflüsse von Immunseneszenz, Komorbiditäten und weiteren altersbedingten Veränderungen
zu berücksichtigen, durch die das Risiko einer Erkrankung steigt [5]
[21]
[22].
Für die Einteilung der Kontaktgruppe konnten 2 Gruppen aus den Daten des Gesundheitsamtes
definiert werden: Arbeitsplatz- und Haushaltskontakte. Arbeitsplatzkontakte wurden
als diejenigen Kontakte definiert, die den Risikokontakt zum Indexfall an ihrer Arbeitsstelle,
Schule oder in sozialen (bspw. Hilfs- oder Pflege-) Einrichtungen hatten. Haushaltskontakte
waren als die Personen klassifiziert, die zum potenziellen Infektions-Zeitpunkt mit
dem Indexpatienten in einer gemeinsamen Wohnsituation lebten. Dies umfasste sowohl
Familienangehörige als auch nicht verwandte Mitbewohner.
Diagnose der LTBI
Die Diagnose einer LTBI bei identifizierten Kontaktpersonen wurde basierend auf folgenden
Kriterien gestellt:
-
fehlende klinische Zeichen einer aktiven Tuberkulose (Husten, Fieber, Nachtschweiß,
Gewichtsverlust)
-
positives Interferon-gamma Release Assay (IGRA)-Testergebnis (Interferon-gamma-Konzentration
≥ 0,35 IU/ml über der Nullkontrolle) 8 Wochen nach dem letzten Kontakt zum Indexpatienten,
-
keine tuberkuloseverdächtigen Veränderungen bei einer Röntgenuntersuchung des Thorax.
Als IGRA wurde der QuantiFERON®-TB Gold [Plus] verwendet.
Sämtliche IGRA-Untersuchungen wurden durch das Kölner Gesundheitsamt veranlasst. Die
Blutentnahme und die präanalytische Phase erfolgten direkt vor Ort. Anschließend wurden
die gewonnenen Proben von einem Vertragslabor abgeholt und nach den Hersteller- und
Laborstandards analysiert. Eine Röntgenuntersuchung des Thorax wurde nur bei positivem
IGRA zum Ausschluss einer aktiven Tuberkulose durchgeführt.
Datenbasis und Analyse
Die zur Analyse benötigten Patientendaten wurden retrospektiv aus den Patientenakten
übernommen. Die erhobenen Daten umfassten die Kennnummer des übergeordneten Indexpatienten
und dessen Kontagiosität, das Alter der Kontaktpersonen zum Zeitpunkt der Untersuchung,
deren Geschlecht, die Kontaktgruppe (Arbeitsplatz, Haushalt) sowie die Auswertung
des IGRA-Testergebnisses (positiv, negativ). Die Variablen, die bzgl. des Einflusses
auf das Infektionsrisiko getestet wurden, waren Geschlecht, Alter, Kontaktgruppe und
Kontagiosität des Indexpatienten. Daten zum Geburtsland der Kontaktperson werden in
der Routine nicht erfasst. Die Kontagiosität wurde für mikroskopischen Nachweis (Kultur
und PCR positiv), alleinigen kulturellen Nachweis oder alleinigen PCR-Nachweis differenziert
betrachtet. Ob es sich bei dem Probenmaterial hierbei um Sputum oder eine Probe aus
einer bronchoalveolären Lavage handelte, konnte retrospektiv leider nicht ermittelt
werden. Die Datenerfassung wurde mittels Excel-Tabellen (Microsoft Excel 2016, Microsoft-Corporation©)
durchgeführt. Die anschließenden statistischen Analysen erfolgten mit dem Statistikprogramm
IBM SPSS® Version 25.0 für Microsoft Windows.
Die deskriptiven Daten wurden in absoluter und relativer Häufigkeit sowie Median,
Interquartilspanne (IQS) und Spannweite dargestellt. In der Deskription des Indexpatienten
wurde zusätzlich auch der Mittelwert berechnet. Mithilfe von Kreuztabellen wurde die
relative Häufigkeit der möglichen Einflussfaktoren Geschlecht, Alter, Kontaktgruppe
und Kontagiosität des übergeordneten Indexpatienten bivariat ermittelt und mittels
Chi-Quadrat-Test auf Unabhängigkeit geprüft. Als Signifikanzniveau wurde p ≤ 0,05
definiert.
Die analytische Auswertung wurde mit univariater und multivariater logistischer Regression
durchgeführt. Die Variablen, die sich in der Deskription als signifikant herausgestellt
hatten, wurden zunächst univariat mittels z-Test und 95 %-Konfidenzintervall der Odds
Ratio auf einen signifikanten Einfluss geprüft. Konnte dieser nachgewiesen werden,
wurden sie ins Gesamtmodell übernommen, erneut auf Signifikanz geprüft und der Einfluss
auf das LTBI-Infektionsrisiko der Kontaktpersonen mittels Odds Ratio bestimmt. Das
Signifikanzniveau wurde mit p ≤ 0,05 definiert. Für das multivariate Gesamtmodell
wurden die Variablen Geschlecht, Altersgruppe und Kontaktgruppe getestet. Der Einfluss
der Kontagiosität des Indexpatienten als Risikofaktor wurde gesondert mittels univariater
logistischer Regression analysiert, da es keine unabhängige Variable der Kontaktpersonen
darstellte. Um zu überprüfen, ob die berechneten Einflüsse der unabhängigen Variablen
des Gesamtmodells in gleicher Weise für die Kontaktpersonen von mikroskopisch offenen
wie auch von kulturell offenen Indexpatienten gelten, wurde das Regressionsmodell
für beide Gruppen zusätzlich separat gerechnet. Entsprach der Mittelwert der Odd Ratios
aus den getrennt gerechneten Modellen in etwa Odds Ratios des Gesamtmodells, wurde
davon ausgegangen, dass die im Gesamtmodell berechneten Einflüsse für beide Kontaktgruppen
galten.
Die Erstellung von Tabellen und Abbildungen erfolgte mit IBM SPSS® Version 25.0 für Microsoft Windows und Microsoft Excel 2016, Microsoft-Corporation©.
Ergebnisse
Der Zeitraum der Datenerhebung umfasste 4,5 Jahre, vom 01.07.2012 bis zum 31.12.2016.
Von 3862 IGRA-Untersuchungen, die das Kölner Gesundheitsamt im Untersuchungszeitraum
durchführte, waren 2834 IGRA-Untersuchungen Teil einer Kontaktuntersuchung und erfüllten
die Einschlusskriterien. Die ausgeschlossenen 1028 IGRA-Untersuchungen wurden nicht
im Rahmen einer Kontaktuntersuchung durchgeführt. Die getesteten Kontaktpersonen waren
227 Indexpatienten zugeordnet. Für 10 Kontaktpersonen konnte die Kontagiosität des
Indexpatienten nicht ermittelt werden. Des Weiteren mussten Kontaktuntersuchungen,
die wegen des Kontakts zu Indexpatienten mit ausschließlich positiver PCR im Sputum
durchgeführt worden sind, aufgrund der geringen Gruppengröße (n = 7) aus einigen Tests
ausgeschlossen werden. Dies betraf die Analyse der Positivitätsrate in Abhängigkeit
der Kontagiosität des übergeordneten Indexpatienten, den Signifikanztest zwischen
Kontagiosität und Ergebnis und die logistische Regression ([Tab. 1]).
Tab. 1
Darstellung der IGRA-Untersuchungen pro Jahr vor und nach Anwendung der Ausschlusskriterien.
Interferon-gamma Release Assay (IGRA).
Jahr
|
Anzahl aller IGRA-Untersuchungen des Gesundheitsamtes Köln im Untersuchungszeitraum
|
Anzahl der eingeschlossenen und auswertbaren IGRA-Untersuchungen der Kontaktuntersuchung
|
Gesamt
|
3862
|
2834
|
2012 (2. Halbjahr)
|
395
|
306
|
2013
|
714
|
547
|
2014
|
833
|
549
|
2015
|
947
|
663
|
2016
|
973
|
769
|
Indexpatienten
Das Alter der 227 Indexpatienten betrug im Median 45,9 (IQS 30,5–61,2) Jahre. 64,3 %
(146) der Indexpatienten waren Männer, 35,7 % (81) waren Frauen. Im Median wurden
7 (IQS 3–16) Kontaktpersonen pro Indexpatient (KP/I) bei einem Minimum von 1 KP/I
und einem Maximum von 229 KP/I gemeldet. Dabei war die Zahl der KP/I von Geschlecht
und Kontagiosität des Indexpatienten abhängig (siehe [Tab. 2]). Von den 3778 gemeldeten Kontaktpersonen wurden 2834 in die Kontaktuntersuchung
eingeschlossen. 944 Kontaktpersonen wurden aus vielfältigen Gründen nicht mittels
IGRA getestet, z. B. bei einem Alter < 5 Jahren, bei Zeichen einer aktiven Tuberkulose
oder bei Zuständigkeit eines anderen Gesundheitsamtes aufgrund einer auswärtigen Meldeadresse.
Tab. 2
Darstellung der Strukturmerkmale der Indexpatienten (Geschlecht und Kontagiosität)
sowie der gemeldeten Kontaktpersonen und Positivfälle in Abhängigkeit der Strukturmerkmale.
Die Häufigkeit wird absolut und relativ angegeben (als n [%]). Die Kontaktpersonen
pro Indexfall sind als Median und Interquartilspanne (IQS) angegeben. Kontaktpersonen
pro Indexpatient (KP/I). Interferon-gamma Release Assay (IGRA).
Indexpatient
|
Häufigkeit (N [%])
|
Anzahl gemeldeter Kontaktpersonen
|
KP/I (IQS)
|
Anzahl IGRA-positiv (% der gemeldeten KP)
|
Gesamt
|
227
|
3778
|
7 (3–16)
|
308 (8,2)
|
Geschlecht
|
männlich
|
146 (64,3)
|
2441
|
6,5 (3–14,25)
|
188 (7,7)
|
weiblich
|
81 (35,7)
|
1337
|
10 (4–18)
|
120 (9,0)
|
Kontagiosität
|
mikroskopisch
|
123 (54,2)
|
2523
|
8 (4–20)
|
197 (7,8)
|
kulturell
|
102 (44,9)
|
1247
|
7 (3–13,25)
|
109 (8,7)
|
PCR
|
2 (0,9)
|
8
|
4 (4–4)
|
2 (25)
|
Betrachtet man die Positivfälle pro Indexpatient, so konnten durchschnittlich 1,36
LTBI-positiv getestete Kontaktpersonen pro Indexpatient ermittelt werden. Bei mikroskopisch
offener Erkrankung des Indexpatienten wurden durchschnittlich 1,60 LTBI-Infektionen
pro Indexpatient diagnostiziert, dagegen lag dieser Wert bei 1,07 LTBI-Infektionen
für Fälle kulturell offener Tuberkulose des Indexpatient.
Untersuchungskollektiv der Kontaktpersonen
Das Alter der 2834 Kontaktpersonen lag im Median bei 36 (IQS 24,1–50,8) Jahren. Das
Minimum betrug 5,0 Jahre und das Maximum 99,4 Jahre. 53,9 % (1527) der Kontaktpersonen
waren männlichen Geschlechts, 46,1 % (1307) waren weiblichen Geschlechts. Weitere
Merkmale des Untersuchungskollektivs können [Tab. 3] entnommen werden.
Tab. 3
Darstellung der Merkmale des Untersuchungskollektivs im Gesamtbeobachtungszeitraum
2012–2016. Die relative Häufigkeit ist in % angegeben, die Altersgruppe in Jahren.
|
absolute Häufigkeit
|
relative Häufigkeit
|
p-Wert
|
Geschlecht
|
männlich
|
1527
|
53,9
|
< 0,001
|
weiblich
|
1307
|
46,1
|
|
Altersgruppe
|
5–14
|
170
|
6,0
|
< 0,001
|
15–49
|
1920
|
67,75
|
|
≥ 50
|
744
|
26,25
|
|
Kontaktgruppe
|
Arbeitsplatz
|
2023
|
71,4
|
< 0,001
|
Haushalt
|
811
|
28,6
|
|
Positivitätsrate
Die IGRA-Positivitätsrate für die Kontaktpersonen lag über den Gesamtzeitraum bei
12,5 %. Die Positivitätsrate der männlichen Kontaktpersonen lag mit 15,5 % höher als
die der weiblichen Kontaktpersonen (9,0 %). Außerdem nahm sie mit dem Alter zu und
war bei Haushaltskontakten höher (19,6 %) als bei Arbeitsplatzkontakten (9,7 %). Die
Positivitätsrate in Abhängigkeit verschiedener Merkmale der Kontaktpersonen ist in
[Tab. 4] dargestellt. Es zeigte sich, dass Geschlecht, Altersgruppe, Kontaktgruppe und Kontagiosität
des Indexpatienten einen signifikanten Einfluss auf das LTBI-Infektionsrisiko hatten.
Tab. 4
Darstellung der Positivitätsrate für den Gesamtzeitraum und in Abhängigkeit der Merkmale
der Kontaktpersonen. Die Positivitätsrate ist in % (n[positiv]/n[gesamt]) angegeben.
|
Positivitätsrate
|
p-Wert
|
Gesamt
|
12,5 (355/2834)
|
0,003
|
Geschlecht
|
männlich
|
15,5 (237/1527)
|
< 0,001
|
weiblich
|
9,0 (118/1307)
|
|
Altersgruppe
|
5–14
|
2,4 (4/170)
|
< 0,001
|
15–49
|
11,1 (213/1920)
|
|
≥ 50
|
18,6 (138/744)
|
|
Kontaktgruppe
|
Arbeitsplatz
|
9,7 (196/2023)
|
< 0,001
|
Haushalt
|
19,6 (159/811)
|
|
Kontagiosität des Indexpatienten
|
mikroskopisch
|
11,4 (218/1906)
|
0,033
|
kulturell
|
14,3 (130/911)
|
|
LTBI-Risikofaktoren
In das multivariate Gesamtmodell konnten 2827 Kontaktuntersuchungen eingeschlossen
werden. Es konnte gezeigt werden, dass das männliche Geschlecht (OR = 1,95), Alter
≥ 50 Jahre (OR = 1,8) und die Exposition im Haushalt (OR = 2,37) das LTBI-Infektionsrisiko
der Kontaktpersonen von Tuberkulose-Erkrankten erhöhten (siehe [Tab. 5]). Kinder im Alter von 5–14 Jahren hatten im Vergleich zu Erwachsenen im Alter von
15–49 Jahren ein geringeres Infektionsrisiko (OR = 0,19). Die berechneten Einflüsse
galten hierbei gleichermaßen für Kontaktpersonen von Indexpatienten mit mikroskopisch
sowie kulturell offener Tuberkulose.
Tab. 5
Einfluss der Strukturmerkmale der Kontaktpersonen auf das LTBI-Infektionsrisiko in
der multivariaten logistischen Regression. Odds Ratio (OR), Konfidenzintervall (KI).
|
OR
|
95 %-KI
|
p-Wert
|
Geschlecht
|
Weiblich
|
Referenzgruppe
|
–
|
–
|
Männlich
|
1,95
|
1,53–2,48
|
< 0,001
|
Alter [Jahre]
|
5–14
|
0,19
|
0,07–0,52
|
0,001
|
15–49
|
Referenzgruppe
|
–
|
–
|
≥ 50
|
1,8
|
1,43–2,28
|
< 0,001
|
Kontaktgruppe
|
Arbeitsplatz
|
Referenzgruppe
|
–
|
–
|
Haushalt
|
2,37
|
1,88–3,00
|
< 0,001
|
In das univariate Regressionsmodell bzgl. des Einflusses der Kontagiosität des Indexpatienten
auf das LTBI-Infektionsrisiko der Kontaktpersonen konnten 2817 Fälle eingeschlossen
werden. Dabei zeigte sich, dass die Kontagiosität des Indexpatienten einen statistisch
signifikanten Einfluss auf die Chancen eines positiven Quantiferon-Ergebnisses und
damit einer LTBI der Kontaktpersonen hatte (p = 0,033; OR = 1,29; 95 %-KI 1,02–1,63).
Diskussion
Die vorliegende Untersuchung analysierte über einen Zeitraum von 4,5 Jahren das Auftreten
von LTBI bei 2834 Kontaktpersonen von Tuberkulosepatienten in Köln. Die Untersuchung
ist damit nach unserer Kenntnis die umfangreichste Analyse zum Risiko einer LTBI bei
Kontaktpersonen in Deutschland seit 2009 [23]. Wie andere Gesundheitsämter legt das Gesundheitsamt Köln die vom DZK empfohlenen
Richtlinien und Kriterien zur Definition eines potenziell infektiösen Kontaktes und
Einschluss einer Person in die Kontaktuntersuchungen bei einem inzidenten Tuberkulosefall
zugrunde. Die vorliegende Untersuchung erfasst damit die Rate an LTBI-Infektionen
unter Kontaktpersonen unter Routinebedingungen und der Anwendung des in Deutschland
üblichen Standardvorgehens. Sie liefert einen Baustein zur Beurteilung der Häufigkeit
der LTBI bei Kontaktpersonen und des Potenzials einer präventiven Behandlung einer
LTBI auf die Tuberkulose-Inzidenz in Deutschland.
Der Einschluss der Kontaktpersonen erfolgte anhand einer Schätzung der kumulierten
Kontaktzeit zwischen Indexpatient und Kontaktperson. Betrug die Gesamtzeit ≥ 8 [24]
[25] / ≥ 40 [26] Stunden bei mikroskopisch/kulturell offener Tuberkulose-Erkrankung der Indexpatienten,
wurden diese Kontaktpersonen in die Kontaktuntersuchung des Gesundheitsamtes Köln
eingeschlossen. Die zeitlichen Grenzen entsprachen dem standardisierten Ablauf der
Kontaktuntersuchung in Deutschland, wie das DZK es empfiehlt [5]. Für die vorliegende Untersuchung bedeuteten die unterschiedlichen Einschlusskriterien
aber auch, dass die Beurteilung des Einflusses der Kontagiosität des Indexpatienten
auf das Vorkommen von LTBI nur eingeschränkt möglich war. Um eine Vergleichbarkeit
beider Gruppen herzustellen, müssten für beide Gruppen die gleichen Einschlusskriterien
gewählt werden.
Die Diagnose der LTBI wurde in dieser Untersuchung anhand eines positiven IGRA-Testergebnisses
und fehlenden Zeichen einer aktiven Tuberkulose (Klinik und Röntgenuntersuchung des
Thorax, siehe Diagnose der LTBI) gestellt. Dies entspricht der gängigsten Definition
der LTBI, wie sie in nahezu allen Studien der letzten Jahre eingesetzt wurde [4]
[5]
[11]
[12]. Generell gibt es allerdings keinen festgelegten Goldstandard zur LTBI-Diagnostik
[5]. In der aktuellen S2k-Leitlinie wird bei vorliegendem positiven IGRA ein Röntgen-Thorax
empfohlen [9]. Hiermit werden extrapulmonale Manifestationen einer möglichen aktiven Tuberkulose
nicht erfasst. Des Weiteren muss beachtet werden, dass die Studienlage zum Einsatz
des IGRAs bei älteren Personen uneinheitlich ist und möglicherweise ältere Kontaktpersonen
falsch-negativ getestet wurden [12]
[17]
[27].
Positivitätsrate
Die Positivitätsrate lag über den Gesamtzeitraum betrachtet bei 12,5 %. Die einzige
vergleichbare Studie zur Umgebungsuntersuchung, die in einem Niedrig-Inzidenz-Land
mittels IGRA durchgeführt wurde, war eine multizentrische, europäische Studie, in
der eine Positivitätsrate von 27,2 % ermittelt wurde [28]. Einheitliche Einschlusskriterien gab es aufgrund der verschiedenen Zentren in Europa
nicht, meist wurden nicht näher beschriebene, enge Kontaktpersonen ohne definierte
Kontaktzeiten eingeschlossen. Im Median wurden hier 2 Kontaktpersonen pro Indexpatient
eingeschlossen [28]. Im Vergleich lag die Anzahl der gemeldeten Kontaktpersonen pro Index in unserer
Studie im Median bei 7 gemeldeten Kontaktpersonen pro Indexpatient. Weitere vergleichbare
Studien aus Niedrig-Inzidenz-Ländern zeigten Positivitätsraten von 18,1 % [29] bzw. 28,1 % [7]. Allerdings war der Vergleich insofern schwierig, dass in diesen Studien keine zeitlichen
Einschlusskriterien für die Kontaktuntersuchung angewendet wurden und statt eines
IGRAs mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) auf LTBI getestet wurde. Da der THT jedoch
mehr falsch-positive Ergebnisse als der IGRA generiert und eine geringere Spezifität
hat [30], wird er nicht mehr zur LTBI-Diagnostik ab dem 5. Lebensjahr empfohlen [5] und beinhaltet weiterhin die Gefahr einer falsch hohen Positivitätsrate in der Kontaktuntersuchung.
Insgesamt lag in allen vergleichbaren Studien die Positivitätsrate höher als in der
vorliegenden Untersuchung. Da in diesen Studien jedoch weniger Kontaktpersonen pro
Indexpatient eingeschlossen wurden und/oder mittels THT getestet wurde, könnte dies
zu den im Vergleich höheren Positivitätsraten geführt haben. Auf Basis dieser Annahme
kann man schlussfolgern, dass die Kriterien der Kontaktuntersuchung in Deutschland
nicht zu eng gefasst sind und das Risiko, Fälle zu „verlieren“, eher gering einzuschätzen
ist. Dies kann als Bestätigung für die DZK-Kriterien für die Kontaktuntersuchung in
Deutschland interpretiert werden.
Kontagiosität
Die Positivitätsrate der Kontaktpersonen fiel überraschenderweise bei kulturell offenem
Indexpatient mit 14,3 % signifikant höher aus als bei Kontaktpersonen mit mikroskopisch
offenem Indexpatient (11,4 %, p = 0,033). Der Einfluss der Kontagiosität des Indexpatienten
auf das LTBI-Infektionsrisiko war aber aufgrund der unterschiedlichen Einschlusskriterien
(siehe oben) nicht direkt beurteilbar. Erwartet wären ähnlich hohe Positivitätsraten
innerhalb beider Kontagiositätsgruppen. Denn durch den zeitlichen Filter (d. h. die
Länge der kumulierten Kontaktzeiten) sollten die Unterschiede der Infektiosität zwischen
mikroskopisch bzw. kulturell offener Tuberkulose aufgrund der unterschiedlichen Erregerkonzentrationen
im Sputum theoretisch ausgeglichen werden. Da die Positivitätsrate innerhalb der beiden
Kontagiositätsgruppen jedoch signifikant unterschiedlich war (p = 0,033), stellt sich
die Frage, ob die Mindestkontaktzeit bei mikroskopisch negativen/kulturell offenen
Indexpatienten verringert werden könnte, um in diese Kontaktgruppe mehr Kontaktpersonen
einzuschließen. Diel et al. hatten 2009 in ihrer Studie u. a. die Positivitätsrate
in Abhängigkeit der kumulierten Kontaktzeit zum Indexpatient untersucht. Das Untersuchungskollektiv
umfasste 812 Kontaktpersonen von Patienten mit Lungentuberkulose, die bereits mittels
THT positiv getestet worden waren. Bei mikroskopisch negativem/kulturell positivem
Indexpatient wurde bei der Testung mittels Quantiferon bei einer Kontaktzeit von < 8
Stunden eine Positivität von 4,8 %, bei einer Kontaktzeit von 8–40 Stunden eine Positivität
von 5,6 % und bei einer Kontaktzeit von > 40 Stunden eine Positivität von 37,0 % ermittelt
[23]. Dabei zeigte sich erst ab einer Kontaktzeit von > 40 Stunden ein statistisch signifikanter
Zusammenhang zwischen Kontaktzeit und Quantiferon-Positivität bei mikroskopisch negativem/kulturell
positivem Indexpatient [23]. Bei mikroskopisch positivem Indexpatient konnte ein statistisch signifikanter Zusammenhang
bereits ab der Kontaktzeit > 8 Stunden ermittelt werden [23]. Die Ergebnisse unserer Studie liefern zwar zunächst nur einen Hinweis für die Möglichkeit,
dass es bereits bei einer geringeren Kontaktzeit als ≥ 40 Stunden zu vermehrter Transmission
kommt, eine erneute Prüfung des Zusammenhangs zwischen Kontaktzeit und Positivität
bei mikroskopisch negativem/kulturell positivem Indexpatient mit der Testung anderer
Zeitintervalle erscheint dennoch sinnvoll.
Der Einfluss der Kontagiosität des Indexpatienten auf die Infektiosität zeigt sich
besser bei der Betrachtung der LTBI-Fälle pro Indexpatient. Pro Fall mikroskopisch
offener Tuberkulose wurden durchschnittlich 1,60 LTBI-Infektionen diagnostiziert,
während bei kulturell offener Tuberkulose des Indexpatienten pro Fall 1,07 LTBI-Infektionen
gefunden wurden. Die Ergebnisse bestätigen somit die höhere Infektiosität eines mikroskopisch
offenen Indexpatienten im Vergleich zum kulturell offenen Indexpatienten. Eine Studie
von Young et al. zeigte diesbezüglich einen noch eindeutigeren Unterschied in der
Infektiosität: 3,13 bzw. 1,30 LTBI-Infektionen pro Fall mikroskopisch bzw. kulturell
offener Tuberkulose-Erkrankung des Indexpatienten [29]. Trotzdem bleibt hervorzuheben, dass 14,3 % der identifizierten Kontaktpersonen
von Patienten mit kulturell offener Tuberkulose positiv auf eine LTBI getestet wurden.
Geschlecht
Betrachtet man die Positivitätsrate in Abhängigkeit des Geschlechts, so fällt auf,
dass das männliche Geschlecht ein höheres LTBI-Infektionsrisiko hat als das weibliche:
Zum einen war die Positivitätsrate innerhalb des männlichen Geschlechts (15,5 %) signifikant
höher als innerhalb des weiblichen Geschlechts (9,0 %; p < 0,001), und zum anderen
lag die Odds Ratio für eine LTBI-Infektion beim männlichen Geschlecht, verglichen
mit dem weiblichen Geschlecht, bei 1,95. Eine ähnliche Tendenz fanden Cubilla-Batista
et al. in ihrer Studie zur LTBI-Prävalenz unter Haushaltskontakten von Tuberkulose-Erkrankten
im Niedrig-Inzidenz-Land Panama [31]. Dort lag die Positivitätsrate innerhalb der männlichen Kontaktgruppe bei 12,5 %,
die Positivitätsrate innerhalb der weiblichen Kontaktgruppe bei 10,8 % (n = 61; p > 0,99)
[31]. Ein signifikanter Unterschied konnte aufgrund des kleinen Untersuchungskollektivs
jedoch nicht gezeigt werden. Da keine weitere Vergleichsstudie zum Einfluss des Geschlechts
bei der Umgebungsuntersuchung der Tuberkulose gefunden werden konnte, soll hier der
Vergleich mit einer italienischen Prävalenzstudie unter Krankenhauspersonal aufgeführt
werden. In dieser Studie hatte das männliche Geschlecht einen signifikanten Einfluss
auf die LTBI-Infektionswahrscheinlichkeit, die Odd Ratio lag bei 2,14.
Die höhere LTBI-Positivitätsrate des männlichen Geschlechts könnte also Hinweis auf
die Geschlechtsverteilung der aktiven Tuberkulose sein. Betrachtet man die Epidemiologie
der aktiven Tuberkulose, so stellt sich heraus, dass Männer eine höhere Erkrankungsrate
haben als Frauen [8]. In Deutschland gehen hierbei die meisten aktiven Erkrankungen an Tuberkulose auf
die Reaktivierung einer LTBI zurück [32]. Dass die LTBI-Positivitätsrate höher ist, lässt also vermuten, dass Männer tatsächlich
nicht nur ein höheres Progressionsrisiko haben als Frauen, sondern dass sie auch ein
höheres Infektionsrisiko für Tuberkulose haben. Ob dafür Genetik oder Verhalten die
entscheidende Ursache ist, bedarf weiterer Forschung.
Alter
Im Vergleich der Positivitäten der 3 Altersgruppen 5–14 Jahre (2,4 %); 15–49 Jahre
(11,1 %) und ≥ 50 Jahre (18,6 %) war auffällig, dass in den Altersgruppen 15–49 und
≥ 50 Jahren die Positivitätsrate signifikant höher ausfiel als in der jeweils jüngeren
Gruppe (p < 0,001). Ebenso zeigte sich im Regressionsmodell, dass ein Alter ≥ 50 Jahren
im Vergleich zur Altersgruppe 15–49 Jahre ein höheres LTBI-Infektionsrisiko bedeutete
(OR [≥ 50 Jahre] = 1,8), während die jüngere Gruppe von 5–14 Jahren ein geringeres
Infektionsrisiko hatte (OR = 0,19). Ähnlich zu dieser Beobachtung wurde in einer japanische
Studie zur Untersuchung älterer Kontaktpersonen von Seto und Ahiko beschrieben, dass
mit zunehmendem Alter die Positivitätsrate anstieg [27]. Die Zunahme der Positivität konnte in dieser Studie ab der Altersgruppe ≥ 60 Jahren
gezeigt werden [27]. Eine Studie von Zellweger et al. fand ebenso eine Zunahme der LTBI-Positivitätsrate
zwischen den 15–64-jährigen und ≥ 65-jährigen Kontaktpersonen von 25,0 % auf 40,9 %
[28]. Allerdings lag die Positivitätsrate in dieser Studie bei den 5–14-Jährigen bei
43,1 % und fiel somit im Vergleich zur nächst älteren Gruppe (5–64 Jahre) höher aus
[28]. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu der hier vorliegenden Untersuchung.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die IGRA-Positivität keinen Rückschluss auf
den Zeitpunkt der TB-Infektion erlaubt [33]. Dies ist eine wesentliche Limitation in der Betrachtung des Alters als Risikofaktor.
Ältere Personen könnten sich schon lange vor dem Kontakt zum Indexpatienten, bspw.
in der Nachkriegszeit, in der die Tuberkulose-Prävalenz in Deutschland noch deutlich
größer war als heutzutage, unentdeckt mit Tuberkulose infiziert haben [2]
[19]. Dies trifft auch auf Personen zu, die in einem Land mit höherer Tuberkulose-Inzidenz
geboren wurden und dort bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine LTBI erwarben.
Da die IGRA-Untersuchung nur einmalig 8 Wochen nach dem letzten potenziell infektiösen
Kontakt stattfand, lässt sich eine bereits vorbestehende LTBI in der vorliegenden
Untersuchung nicht ausschließen. Jeder positive IGRA wurde deshalb als LTBI-Neuinfektion
infolge des Risikokontaktes gewertet. Um den Zeitpunkt der Erstinfektion besser einschätzen
zu können, könnte eine Punkt-Null-Untersuchung unter den potenziellen Kontaktpersonen
durchgeführt werden. Da die Inkubationszeit (präallergische Phase) bis zu einer messbaren
Immunantwort 6–8 Wochen beträgt [5], könnte der Infektionsstatus vor dem Risikokontakt durch eine IGRA-Untersuchung
vor Ablauf der 6 Wochen erhoben werden. Eine erneute Testung mindestens 8 Wochen nach
dem Risikokontakt würde die Konversion von zuvor negativ getesteten Personen zeigen
können.
Kontaktgruppe
Die hier durchgeführte Untersuchung bestätigt weiterhin, dass das LTBI-Infektionsrisiko
unter Haushaltskontakten von Tuberkulose-Erkrankten signifikant höher ist als von
Arbeitsplatzkontakten. Die Positivitätsrate unter den Haushaltskontakten lag bei 19,6 %,
während sie unter den Arbeitsplatzkontakten nur bei 9,7 % lag (p < 0,001). Auch im
Regressionsmodell zeigte sich das höhere LTBI-Infektionsrisiko bei Haushaltskontakten
(OR = 2,37). Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass nicht nur berufstätige Erwachsene
als Arbeitsplatzkontakte eingestuft wurden, sondern auch Kontaktpersonen von Schulen,
sozialen Hilfseinrichtungen und Heimen zu den Arbeitsplatzkontakten gerechnet wurden.
Bisher konnte bereits in mehreren Studien gezeigt werden, dass Haushaltskontakte ein
besonders hohes Tuberkulose-Infektionsrisiko haben [7]
[18]
[28]. Dies wurde sowohl für die aktive als auch für die latente Infektion mit Tuberkulose
herausgefunden. Allerdings hatten Diel et al. 2009 keine statistisch signifikante
Risikoerhöhung bei Haushaltskontakten im Vergleich zu anderen Kontaktgruppen finden
können [23]. Im direkten Vergleich zu der vorliegenden Studie fielen die Positivitätsraten der
anderen Studien innerhalb der Haushaltskontakte meist höher als 19,6 % aus. In der
Metaanalyse von Fox et al. wurde bspw. eine LTBI-Infektionsrate von 30,0 % in der
Kontaktuntersuchung der Haushaltskontakte mittels THT in Niedrig-Inzidenz-Ländern
beschrieben [7]. Zellweger et al. beobachteten sogar eine LTBI-Inzidenz von 45,4 % unter den Haushaltskontakten
[28]. Die einzige Studie, die auf eine niedrigere Positivitätsrate als 19,6 % in den
Haushaltskontakten kam, war die panamaische Studie von Cubilla-Batista et al. [31]. Sie untersuchten die LTBI-Inzidenz ausschließlich innerhalb der Haushaltskontakte
von Tuberkulose-Indexpatienten. Die Untersuchung fand in einem Niedrig-Inzidenz-Gebiet
statt und wurde ebenfalls mittels IGRA durchgeführt [31]. Die Positivitätsrate/LTBI-Inzidenz lag in diesem Setting bei 11,5 % [31]. Keine der oben beschriebenen Studien hatte jedoch zeitliche Begrenzungen als Einschlusskriterien,
was den Vergleich zu der hier vorliegenden Untersuchung erschwert. Dennoch bleibt
hervorzuheben, dass Haushaltskontakte ein signifikant höheres LTBI-Infektionsrisiko
im Vergleich zu Arbeitsplatzkontakten hatten. Deshalb sollte das häusliche Umfeld
von Indexpatienten mit aktiver, offener Lungentuberkulose im Rahmen der Umgebungsuntersuchung
besonders gründlich auf mögliche Kontaktpersonen evaluiert werden. Dies gilt gleichermaßen
für Kontaktpersonen von Patienten mit mikroskopisch sowie kulturell offener Tuberkulose.
Schlussfolgerung
Die in Deutschland angewendeten Kriterien zur Kontaktuntersuchung werden durch die
vorliegende Untersuchung bestätigt und ermöglichen auch im internationalen Vergleich
eine weitgehende Erfassung der potenziell infizierten Kontaktpersonen. Die Rate an
identifizierten IGRA-positiven Kontaktpersonen war über den Untersuchungszeitraum
recht stabil. Die Faktoren männliches Geschlecht, höheres Alter und Haushaltskontakt
waren assoziiert mit einem höheren Infektionsrisiko für LTBI. Die signifikant höhere
Positivitätsrate unter Kontaktpersonen mikroskopisch negativer, aber kulturell positiver
Indexpatienten (p = 0,033) unterstreicht hierbei die Notwendigkeit, auch in dieser
Gruppe eine ausführliche Kontaktuntersuchung durchzuführen, möglicherweise auch bei
Personen einer kumulativen Kontaktzeit von weniger als 40 Stunden. Auch wenn die Datengrundlage
aus dem Kölner Gesundheitsamt recht groß ist, wären vergleichbare Erhebungen aus anderen
Orten wünschenswert, um die Ergebnisse einzuordnen. Aufgrund unserer Untersuchung
regen wir erneut an, in Deutschland eine einheitliche Erfassung und Dokumentation
von Kontaktuntersuchungen bei Tuberkulose einzuführen, die auch das Geburtsland der
Kontaktperson und die Ergebnisse der IGRA-Testung erfasst.