CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(09): 1021-1030
DOI: 10.1055/a-1471-4408
GebFra Science
Review/Übersicht

Orale Gestagene in der hormonellen Kontrazeption: Stellenwert und Zukunftsaussichten eines neuen Gestagen-Monopräparats mit 4 mg Drospirenon

Article in several languages: English | deutsch
Thomas Römer
1   Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Evangelisches Klinikum Köln Weyertal GmbH, Köln, Germany
,
Johannes Bitzer
2   Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie, Universitätskrankenhaus Basel, Basel, Switzerland
,
Christian Egarter
3   Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Peyman Hadji
4   Frankfurter Hormon und Osteoporosezentrum, Frankfurt am Main, Germany
5   Philipps Universität Marburg, Marburg, Germany
,
Marion Kiechle
6   Direktorin der Frauenklinik, Universitätsklinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), München, Germany
,
Heike Kramer
7   Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e. V., Spardorf/Erlangen, Germany
,
Patricia G. Oppelt
8   Universitätsfrauenklinik Erlangen, Erlangen, Germany
,
Klaus Peters
9   Frauenarzt Praxis Hamburg, Hamburg, Germany
,
Petra Stute
10   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Inselspital Bern, Bern, Switzerland
,
Katrin Schaudig
11   Praxis für gynäkologische Endokrinologie HORMONE HAMBURG, Hamburg, Germany
,
Inka Wiegratz
12   Kinderwunsch & Hormonzentrum Frankfurt – Am Palmengarten, Frankfurt am Main, Germany
13   Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Germany
,
Pedro-Antonio Regidor
14   Medical Director Exeltis Europe, Ismaning, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hormonelle Kontrazeptiva stellen eine effektive und sichere Methode der Schwangerschaftsverhütung dar. Die Gestagene, die in der Kontrazeption verwendet werden, sind entweder Bestandteil kombinierter hormoneller Kontrazeptiva (Tabletten, Pflaster oder Vaginalringe) oder werden als einzelner Wirkstoff in Gestagen-Monopräparaten (Tabletten [im englischen Sprachgebrauch „POP“ = Progestin-only-Pill], Implantate, Intrauterinsysteme oder Depotpräparate) eingesetzt. Gestagene sind in der Langzeitverhütung bei adäquater Anwendung höchst effektiv und haben ein sehr gutes Sicherheitsprofil mit nur wenigen Kontraindikationen. Kürzlich wurde ein neuer östrogenfreier Ovulationshemmer (POP) in den USA und der EU zugelassen. Das Gestagen-Monopräparat enthält 4 mg Drospirenon (DRSP), welches antigonadotrope, antimineralokortikoide und antiandrogene Eigenschaften aufweist. Das Einnahmeschema mit 24-tägiger Hormonanwendung, gefolgt von einem 4-tägigen hormonfreien Intervall, wurde gewählt, um die Blutungskontrolle zu verbessern, die Estradiolspiegel auf dem Niveau der frühen Follikelphase zu halten und somit einen Estrogenmangel zu vermeiden. Klinische Studien belegten die hohe kontrazeptive Wirksamkeit, ein sehr geringes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen und ein günstiges Blutungsmuster. Aufgrund der langen Halbwertszeit von DRSP (30 – 34 Stunden), bleibt die Wirksamkeit des Präparats selbst bei einmaligem Vergessen der Pilleneinnahme erhalten. Die Aufrechterhaltung der Ovulationshemmung bei möglichem Vergessen einer Pilleneinnahme wurde in Studien mit geplanten 24-stündigen Einnahmeverzögerungen gezeigt. Nach einem Überblick über den aktuellen Stand der estrogenfreien Kontrazeption beschreibt die vorliegende Arbeit das klinische Entwicklungsprogramm des 4-mg-DRSP-Monopräparats und die daraus resultierenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit dieses neuen estrogenfreien oralen hormonellen Kontrazeptivums.


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Einleitung

Einsatz von oralen Gestagen-Monopräparaten („Progestin-only-Pills“)

Bei der Auswahl der passenden Kontrazeptionsmethode spielt neben dem Wunsch nach einer zuverlässigen Verhütung, den persönlichen Vorstellungen der Patientin und einem möglichen Zusatznutzen [1] vor allem das Risikoprofil für die Anwenderin eine wichtige Rolle. Die WHO veröffentlicht seit einigen Jahren eine umfangreiche Leitlinie zum Einsatz von hormonellen Kontrazeptionsmethoden, in der für eine Vielzahl von medizinischen Begleitumständen (Vorerkrankungen, Begleitmedikationen etc.) Empfehlungen für oder gegen die Verwendung bestimmter (hormoneller) Kontrazeptionsmethoden gegeben werden [2]. Dabei werden die Empfehlungen in Kategorien 1 bis 4 eingeteilt: eine Methode, die bei einer bestimmten medizinischen Anamnese in Kategorie 1 fällt, kann uneingeschränkt empfohlen werden. Dagegen sollte eine Methode der Kategorie 4 nicht angewendet werden, da die potenziellen Risiken für die Gesundheit zu hoch sind. Für die Kategorien 2 oder 3 sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Während für Kontrazeptiva der Kategorie 2 der Nutzen im Allgemeinen die Risiken überwiegt, sollen Methoden der Kategorie 3 nur dann zum Einsatz kommen, wenn keine Alternative möglich ist [2]. Die Vorteile der WHO-Leitlinien liegen auf der Hand, da sie sehr konkrete Handlungsempfehlungen enthalten, eine gewisse forensische Sicherheit bieten und in der Beratung relativ einfach anzuwenden und zu dokumentieren sind. Jedoch kann auch diese umfangreiche Sammlung nicht jede spezielle Risikosituation abbilden.

Viele potenzielle Risiken der hormonellen Kontrazeption gehen auf die Östrogenkomponente zurück [3], [4], weshalb der Einsatz kombinierter hormoneller Kontrazeptiva (KHK) bei verschiedenen Begleitumständen gemäß der WHO-Leitlinien unter Kategorie 4 fällt und damit kontraindiziert ist ([Tab. 1]). Dabei spielt vor allem die Erhöhung des Thromboserisikos durch exogen verabreichte Östrogene (insbesondere das in den meisten kombinierten Kontrazeptiva enthaltene Ethinylestradiol) eine entscheidende Rolle, die bei jeder Darreichungsform (Tablette, Pflaster oder Vaginalring) zu beobachten ist [4], [5], [6]. Die Gestagene in KHK modulieren das thromboembolische Risiko, sodass die geschätzten Inzidenzen für venöse thromboembolische Ereignisse (VTE) zwischen 5 – 7 pro 10 000 Frauen und Anwendungsjahr (Levonorgestrel-, Norgestimat/Norethisteron-haltige KHK) und 9 – 12 (Gestoden-/Desogestrel-/Drospirenon-KHK) variieren [6]. Gestagen-Monopräparate hingegen erhöhen, nach aktuellem Wissensstand das VTE-Risiko nicht, mit Ausnahme der Depotinjektionen, die Medroxprogesteronacetat in hoher Dosis enthalten [5].

Tab. 1 Auszug aus den WHO-Leitlinien zur Anwendung von KHK und POP bei bestimmten medizinischen Begleitumständen. Komplette Übersicht: siehe [2].

Risikofaktor

KHK

Pflaster/Ring

POP

VTE: venöse thromboembolische Ereignisse; ATE: arterielle thromboembolische Ereignisse; I: Initiation; C: Continuation

VTE/Lungenembolie

Anamnese

4

4

2

akut

4

4

2

Antikoagulation eingestellt

4

4

2

fam. Anamnese (1. Grad)

2

2

1

VTE und Operationen

große OP; lange Immobilisation

4

4

2

ohne lange Immobilisation

2

2

1

kleine OP; ohne Immobilisation

1

1

1

thrombogene Mutation

z. B. Faktor-V-Leiden-Mutation; Prothrombin Mutation usw.

4

4

2

ischämische Herzkrankheit

akut oder Anamnese

4

4

2 (I)/3(C)

Schlaganfall

4

4

2 (I)/3(C)

mehrere Risikofaktoren für ATE

z. B. Alter, Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck, Dyslipidämie

3/4

3/4

2

Alter

Menarche bis < 18 Jahre

k. A.

k. A.

1

< 40 Jahre

1

1

1

> 40 Jahre

2

2

1

Rauchen

Alter < 35 Jahre

2

2

1

Alter > 35 Jahre

  • < 15 Zigaretten

  • > 15 Zigaretten

3

4

3

4

1

1

Hypertonie (ohne weitere Risikofaktoren)

Z. n. Hypertonie (ohne Messungen)

3

3

2

gut eingestellte Hypertonie

3

3

1

140 – 159/90 – 99 mmHg

3

3

1

≥ 160/≥100 mmHg

4

4

2

vaskuläre Erkrankung

4

4

2

nicht vaskuläre Erkrankung

2

2

2

Neuropathie/Retinopathie/Nephropathie

3/4

3/4

2

andere vaskuläre Erkrankungen oder Diabetes > 20 Jahre

3/4

3/4

2

Im Laufe der Zeit wurden KHK mit sehr niedriger Dosis an Ethinylestradiol (EE) (10 – 30 µg) oder Estradiol (E2) bzw. Ovulationshemmer ganz ohne Östrogenkomponente entwickelt [7].

In einer kürzlich veröffentlichten Übersichtsarbeit von Khialani et al. [3] wurde klar definiert, dass die EE-Komponente in den KHK dosisabhängig für die Erhöhung des kardiovaskulären Risikos verantwortlich ist.

Orale Gestagen-Monopräparate waren ursprünglich für die Anwendung in der Stillzeit gedacht, da das höchste VTE-Risiko in der Phase des Wochenbetts auftritt und Östrogene je nach Dosierung die Milchproduktion verringern können. Diese sogenannten „Mini-Pillen“ sind sehr niedrig dosiert und führen nur in ca. 50% der Zyklen zur Ovulationshemmung. Die kontrazeptive Wirkung beruht vor allem auf einer Zunahme der Zervixschleim-Viskosität, einer Störung der Tubenmotilität sowie einer vorzeitigen sekretorischen Transformation des Endometriums. Der Pearl-Index (PI) dieser Präparate ist im Vergleich zu den KHK deutlich schlechter. Durch die Einführung des höher dosierten und damit deutlich sichereren ovulationshemmenden Gestagen-Monopräparats mit Desogestrel ist das Konzept der östrogenfreien Verhütung für eine wesentlich größere weibliche Bevölkerungsgruppe interessant geworden.


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Gestagenstruktur und Rezeptorinteraktion

Je nach Struktur interagieren Gestagene unterschiedlich mit den verschiedenen Steroidrezeptoren im Körper. Steroidrezeptoren sind sowohl intrazellulär als auch auf der Membran von Zielzellen lokalisiert und haben über die Ebene der DNA-Transkription einen Einfluss auf die Proteinbiosynthese.

Rezeptoren, an die Gestagene binden, sind:

  • Progesteronrezeptoren (PR): In den beiden Isoformen PR-A und PR-B. PR-A wirkt dabei vor allem als Transkriptionsrepressor und unterdrückt die Transkriptionsaktivität von PR-B und des Östrogen-, Androgen-, Glukorkortikoid- und Mineralokortikoidrezeptors. PR-B dagegen wirkt aktivierend auf die Transkription.

  • Androgenrezeptoren: Die Aktivierung der Androgenrezeptoren vermittelt androgene Effekte, beispielsweise auf das Haarwachstum und die Aktivität der Talgdrüsen. Einige Gestagene binden an diese Rezeptoren und können sie entweder blockieren oder aktivieren.

  • Östrogenrezeptoren: Diese Rezeptoren vermitteln in vielen verschiedenen Geweben eine Wirkung; wichtig ist hier die proliferative Wirkung am Endometrium.

  • Glukokortikoidrezeptoren: Der glukokortikoide Effekt steht in Verbindung mit der Aktivierung des Gerinnungssystems.

  • Mineralokortikoidrezeptoren: Sie vermitteln die Natriumretention.

Aufgrund dieser Rezeptoraktivitäten können verschiedene Gestagengruppen unterschieden werden: solche mit androgener, antiandrogener, leicht antiandrogener, neutraler oder antimineralokortikoider Partialwirkung. Von den in der Therapie verfügbaren Gestagenen zeigen ausschließlich DRSP und Progesteron antimineralokortikoide Wirkung, wohingegen androgene Effekte beispielsweise bei Levonorgestrel, Norgestimat und Desogestrel zu finden sind, während sowohl DRSP als auch Dienogest, Cyproteronacetat (CPA) und Chlormadinonacetat (CMA) antiandrogene Wirkungen aufweisen [8].

Der antiandrogene Effekt, den man in Zellkulturen und Tiermodellen nachweisen kann [9], stammt in KHK nicht nur vom Gestagen allein, sondern vor allem auch daher, dass durch den EE-induzierten Anstieg von SHBG (sexualhormonbindendes Globulin) die Menge an freiem Testosteron im Körper reduziert wird.


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Klassifizierung von Gestagenen nach ihrer Markteinführung

Es hat sich eingebürgert, die folgende „historische“ Klassifikation zu verwenden. Danach unterscheidet man zwischen 1., 2., 3. und 4. KHK-Generation:

  • 1. Generation: Norethynodrel, Norethisteronacetat

  • 2. Generation: Levonorgestrel

  • 3. Generation: Gestoden, Desogestrel, Norgestimat

  • 4. Generation: Drospirenon

Cyproteronacetat (CPA) und Chlormadinonacetat (CMA) wurden in diese Kategorisierung nie eingeschlossen, weil CPA-haltige orale Kontrazeptiva ursprünglich klassifiziert waren als Arzneimittel zur Behandlung von Hyperandrogenämie für Frauen, die eine Kontrazeption benötigen. CMA wurde nur in wenigen europäischen Ländern eingeführt und ist nicht international erhältlich. Das gleiche gilt für Dienogest, welches in Deutschland entwickelt wurde [9].


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Vorteile der Gestagen-Monopräparate

Gestagen-Monopräparate können in vielen Situationen empfohlen werden, in denen kombinierte Kontrazeptiva unter die WHO-Kategorie 3 oder 4 fallen.

In der deutschen S3-Leitlinie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Gestagen-Monopräparaten das VTE-Risiko nicht entscheidend erhöht. Einzig für das Depot-Medoxyprogesteronacetat (sog. 3-Monats-Spritze; DMPA) wurde in einer Studie ein erhöhtes VTE-Risiko (3,6-fach) gefunden.

So stellen beispielsweise akute VTE oder VTE in der Anamnese sowie Operationen mit langer Immobilisation oder das Vorhandensein von thrombogenen Mutationen, wie die Faktor-V-Leiden-Mutation, absolute Kontraindikationen für die Anwendung von KHK dar (Kategorie 4), während POP in Kategorie 2 fallen und unter Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses im Allgemeinen empfohlen werden können ([Tab. 1]) [2]. Auch eine Adipositas (BMI > 30 kg/m²) wird als potenzieller Risikofaktor für die Anwendung von KHK eingestuft und fällt nur dann unter Kategorie 2, wenn keine weitere Risikofaktoren dazukommen. Sobald jedoch eine Hypertonie, Hyperlipidämie oder Diabetes mellitus hinzukommen, sollte auf östrogenfreie Verhütungsmethoden ausgewichen werden [10]. Schon moderater Bluthochdruck (140 – 159/90 – 99 mmHg) oder eine gut eingestellte Hypertonie kann durch KHK verändert werden, sodass deren Einsatz sorgfältig abgewogen und überwacht werden muss (Kategorie 3) bzw. bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren kontraindiziert sein kann [2]. Starker Bluthochdruck (≥ 160/≥100 mmHg) sowie vaskuläre Erkrankungen generell sind gemäß WHO eine Kontraindikation für östrogenhaltige Kontrazeptiva, während POP in all diesen Fällen im Allgemeinen empfohlen werden können (Kategorie 1 oder 2). Ein Diabetes mellitus schränkt nicht per se die Anwendung von KHK ein (Kategorie 2). Sobald jedoch Gefäßschädigungen, Neuropathien oder Retinopathien dazu kommen, sind KHK nur in Ausnahmefällen zu verwenden oder kontraindiziert, während POP als unproblematisch erachtet werden (Kategorie 2). Rauchen ist ein weiterer wichtiger Risikofaktor für VTE, der mit zunehmendem Alter der Patientin und Anzahl der gerauchten Zigaretten an Bedeutung gewinnt. Entsprechend fällt die Anwendung von KHK bei Frauen, die jünger als 35 Jahre sind, unter Kategorie 2, während bei Patientinnen über 35 die KHK-Anwendung nur in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Abwägung der übrigen Risiken erfolgen sollte (Kategorie 3) und bei einem Konsum von mehr als 15 Zigaretten pro Tag kontraindiziert ist. POP dagegen können laut WHO bei allen Raucherinnen unabhängig von Alter oder konsumierter Nikotinmenge zum Einsatz kommen [2].

In den deutschen S3-Leitlinien zur Kontrazeption sind die Punkte der WHO übernommen. Ebenso die Empfehlungen und Risikobewertungen der European Medicines Agency (= EMA). In der letzten Fassung der EMA, mit der Implementierung durch das BfArM von 12/2018, wurde die jüngste Risikobewertung zum Auftreten von venösen Thromboembolien dargestellt. Neu ist, dass auch Kombinationspräparate mit Dienogest zu einer signifikanten Erhöhung dieses VTE-Risikos beitragen ([Tab. 2]).

Tab. 2 VTE-Risiko von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva gemäß EMA/BfArM [6], [7].

Gestagene in KHK kombiniert mit Ethinylestradiol

relatives Risiko vs. Levonorgestrel

geschätzte Inzidenz (pro 10 000 Frauen und Anwendungsjahr)

nicht schwangere Nichtanwenderin

2

Levonorgestrel

Referenz

5 – 7

Norgestimat/
Norethisteron

1,0

5 – 7

Dienogest

1,6

8 – 11

Gestodene/Desogestrel/Drospirenon

1,5 – 2,0

9 – 12

Etonogestrel/
Norelgestromin

1,0 – 2,0

6 – 12

Chlormadinon/Nomegestrolacetat (E2)

noch zu bestätigen

noch zu bestätigen

Schon aufgrund dieser Beispiele wird klar, dass KHK für einen Teil der Patientinnen nicht oder nur sehr eingeschränkt infrage kommen. Entsprechend kommt der östrogenfreien hormonellen Verhütung eine große Bedeutung zu. Neben oralen Gestagen-Monopräparaten stehen Langzeitmethoden basierend auf Intrauterinsystemen (IUS mit Levonorgestrel; LNG-IUS), subdermalen Implantaten (Etonogestrel) oder Injektionen (Depot-Medroxyprogesteronacetat; DMPA) zur Verfügung. Die genannten Langzeitmethoden haben zwar einerseits eine hohe kontrazeptive Sicherheit [11], [12], sind jedoch nicht für alle Patientengruppen gleichermaßen geeignet. So scheint DMPA sich nicht nur ungünstig auf das Thromboserisiko auszuwirken [13], sondern führt bei längerfristiger Anwendung (> 4 Jahre) zu einem erhöhten Frakturrisiko, was auf eine Reduktion der Knochenmineraldichte zurückzuführen ist [14]. Entsprechend ist diese Applikationsform bei unter 18-Jährigen kontraindiziert und wird nicht als Methode der ersten Wahl empfohlen [14]. Derzeit verfügbare subdermale Implantate mit Etonogestrel dagegen haben zwar keinen nachgewiesenen negativen Einfluss auf die Knochendichte und das Thromboserisiko, scheinen sich aber ungünstig auf das Blutungsmuster auszuwirken [15]. Das LNG-IUS hat eine sehr hohe kontrazeptive Sicherheit, ohne den Eisprung zu verhindern, ein günstiges Nebenwirkungsprofil und wird meist gut akzeptiert [16]. Die intrauterine Applikation, die von einem Teil der Frauen abgelehnt wird, sowie die hohen Kosten können jedoch ein Hindernis darstellen.

Zudem gibt es vermehrte Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen den LNG-IUS und dem Auftreten unerwünschter psychiatrischer Nebenwirkungen wie Panikattacken geben könnte [17].

Orale Gestagen-Monopräparate eignen sich sowohl zur kurzfristigen als auch längerfristigen hormonellen Kontrazeption. Präparate, welche die Ovulation nicht hemmen und deren kontrazeptive Wirksamkeit vor allem auf der Verdickung des Zervixschleims und der Desynchronisierung der Endometriumentwicklung beruht, haben den Nachteil, dass sie ein sehr enges zeitliches Einnahmefenster haben (3 h) und ihre kontrazeptive Sicherheit infolgedessen sehr stark von der Compliance der Anwenderin abhängt. Entsprechend wird der Pearl Index für das 30-µg-Levonorgestrel-only-Präparat mit 4,14 angegeben [18].

Im Gegensatz dazu wird durch das orale POP mit 75 µg Desogestrel zur kontinuierlichen Anwendung die Ovulation zuverlässig unterdrückt, was zu weniger strikten Einnahmeregeln (12-h-Zeitfenster für vergessene Pilleneinnahme) und einem Pearl Index, der mit dem gängiger KHK vergleichbar ist, führt [12], [19].

Im Vergleich zu KHK zeigen Gestagen-Monopräparate kein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkte und Thrombosen [4], [14], [20] (Ausnahme: DMPA) und werden auch für stillende Frauen empfohlen. Darüber hinaus entfallen östrogenbedingte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Mastodynie und Ödembildung. Durch die kontinuierliche Anwendung eignen sie sich zudem gut zur Behandlung zyklusabhängiger Beschwerden wie Dysmenorrhö, prämenstruelles Syndrom, Hypermenorrhö und menstruelle Migräne, die in vielen Fällen nachweislich verbessert werden [11], [19].


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Nachteile der Gestagen-Monopräparate

Östrogenfreie hormonelle Verhütung wird jedoch traditionell auch mit bestimmten Nachteilen für die Patientin in Verbindung gebracht. Dazu gehören Blutungsstörungen wie Zwischenblutungen, Spotting oder verlängerte Blutungen. Die Fragilität der oberflächlichen Gefäße im Endometrium spielt dabei ebenso eine Rolle wie lokale Veränderung der Steroidantwort, strukturelle Veränderungen, die Gewebedurchlässigkeit und lokale Faktoren, die zur Gefäßneubildung beitragen [21], [22]. Blutungsstörungen treten bei der Verwendung des 75-µg-Desogestrel-POP bei bis zu 50% der Anwenderinnen auf [19] und sind ein häufiger Grund dafür, dass Patientinnen die Behandlung abbrechen [23], was insofern problematisch ist, als mangelnde Compliance die Verhütungssicherheit reduzieren kann.

Zu weiteren häufig genannten Nebenwirkungen östrogenfreier Verhütungsmethoden zählen Androgenisierungserscheinungen wie Akne. Die Östrogenkomponente kombinierter Kontrazeptiva induziert die SHBG-Bildung in der Leber, wodurch Testosteron und Dihydrotestosteron verstärkt gebunden werden und somit nicht mehr in der Lage sind, an Androgenrezeptoren zu binden und diese zu aktivieren. Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung verstärken die antiandrogene Wirkung der Kombinationspräparate. In keinem der bisher verfügbaren Gestagen-Monopräparaten, die für die Kontrazeption zugelassen sind, werden Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung verwendet, sodass keiner der genannten antiandrogenen Effekte zum Tragen kommen kann.

Die Verwendung hormoneller Kontrazeptiva kann zu Stimmungsschwankungen führen und auch östrogenfreie hormonelle Kontrazeptiva scheinen das Risiko für die Anwendung von Antidepressiva zu erhöhen [24]. Inwiefern sich verschiedene Gestagene unterschiedlich oder verschieden stark auf die Psyche auswirken, muss jedoch noch untersucht werden [25].

Oft diskutiert wird auch die Anwendungssicherheit von Kontrazeptiva bei Adoleszenten. Gerade bei den östrogenfreien Ovulationshemmern steht hier der Gedanke im Mittelpunkt, dass durch die Unterdrückung der endogenen Östradiolsynthese bei fehlender exogener Östrogenzufuhr der adäquate Aufbau der Knochendichte beeinträchtigt sein könnte. In der Tat führt die langfristige Anwendung von DMPA zu einem erhöhten Lebenszeit-Frakturrisiko. Dagegen wird für das LNG-IUS, das Etonogestrel-Implantat und das 75-µg-Desogestrel-POP kein negativer Einfluss auf die Knochendichte erwartet, da sich die Estradiolspiegel während der Anwendung der Präparate in Bereichen bewegen, die als sicher für den Knochenaufbau angesehen werden [25]. Jedoch gibt es für keine der genannten Präparate explizite Untersuchungen zur Sicherheit und Wirksamkeit bei Jugendlichen.

Bei der Suche nach neuen Kontrazeptiva hat sich die estrogenfreie 75-µg-Desogestrel-Pille als sichere und wirksame Alternative bewährt [18]. Mit ihrem 12-Stunden-Zeitfenster nach vergessener Pilleneinnahme hat sie jedoch immer noch ein engeres Zeitfenster als Präparate mit 20 µg EE/3 mg DRSP [26] und 1,5 mg E2/2,5 mg Nomegestrolacetat [27], die ein 24-h-Zeitfenster bei der Einnahme vergessener Pillen aufweisen. Auch die Rate an vorzeitigen Therapieabbrüchen aufgrund von Blutungsunregelmäßigkeiten sind mit 75 µg Desogestrel höher [20]. In [Tab. 3] sind derzeit auf dem Markt verfügbare orale Gestagen-Monopräparate und ihre Partialwirkungen aufgelistet.

Tab. 3 Partialwirkungen ausgewählter Gestagene, die Bestandteile von Gestagen-Monopräparaten sind; siehe auch [8].

Gestagen-Monopräparate

gestagen

antigonadotrop

antiestrogen

estrogen

androgen

antiandrogen

Glukokortikoid

antimineralokortikoid

prokoagulatorisch

Norethisteron

+

+

+

+

+

+

Levonorgestrel

+

+

+

+

Desogestrel

+

+

+

+

Drospirenon

+

+

+

+

+


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Neue Entwicklung: die 4-mg-Drospirenon-(DRSP-)only-Pille

Das neue Gestagen-Monopräparat enthält 4 mg nicht mikronisiertes DRSP und wird in einem 24/4-Einnahmeschema angewendet. Dieses wurde gewählt, um das Blutungsprofil zu verbessern und die Estradiolspiegel auf einem Niveau zu halten, das dem der frühen Follikelphase des natürlichen Menstruationszyklus entspricht. Da DRSP eine Halbwertszeit von 30 – 34 Stunden hat, sollte die Wirksamkeit zudem auch bei vergessener Pilleneinnahme aufrechterhalten werden. Die klinische Entwicklung basierte auf der medizinischen Notwendigkeit, eine östrogenfreie Pille mit folgenden Eigenschaften zu entwickeln:

  • Kontrazeptive Wirksamkeit vergleichbar mit der von KHK (= doppelte Ovulationshemmdosis!).

  • Verbesserung des Blutungsmusters im Vergleich zu anderen östrogenfreien Präparaten durch zyklisches Einnahmeschema mit 24 aufeinanderfolgenden DRSP-Tabletten, gefolgt von 4 Placebotabletten. Hierdurch werden planbare Entzugsblutungen induziert, um Zwischenblutungen und/oder Spotting zu reduzieren.

  • Breites Sicherheitsfenster: Das neue 4 mg DRSP-Präparat hat ein 24-Stunden-Sicherheitsfenster für die vergessene Pilleneinnahme.

  • Osteoporoserisiko: Durch den Erhalt eines frühfollikulären Estradiolspiegels sollte es zu einem physiologischem Knochenstoffwechsel ohne Erhöhung des Osteoporose- bzw. Frakturrisikos kommen.

  • Antiandrogene und antimineralokortikoide Partialwirkung

  • Therapietreue und -akzeptanz dieses Therapieschemas


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Wirksamkeit

Präklinische Daten

Pharmakologische Eigenschaften

DRSP ist ein synthetisches Gestagen, das chemisch zur Gruppe der Spirolactone gehört. Es hat neben antiöstrogenen und antigonadotropen auch antiandrogene und antimineralokortikoide Partialwirkungen ([Tab. 3]) [28].


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Pharmakokinetik

Da die Ergebnisse initialer präklinischer Studien zeigten, dass 4 mg nicht mikronisiertes DRSP in pharmakokinetischen Versuchen eine Fläche unter der Kurve liefern würde, die der von kommerziell erhältlichem mikronisiertem DRSP 3 mg/20 µg EE entspricht, wurde für das Gestagen-Monopräparat die Dosierung von 4 mg pro Tablette gewählt. Die Vorhersage war möglich, weil DRSP eine lineare Pharmakokinetik zeigt [30], [31].

Die systemische Exposition mit DRSP war nach Einnahme der 4-mg-Tablette mit nicht mikronisiertem DRSP geringer (77% relative Bioverfügbarkeit) als nach der Einnahme einer Kombinationspille von 3 mg mikronisiertem DRSP + 20 µg EE [32]. Die höhere Exposition mit DRSP nach Einnahme der Kombinationspille liegt vermutlich an der besseren Resorption von mikronisiertem versus nicht mikronisiertem DRSP. Ferner wird auch ein inhibitorischer Effekt von EE auf die Sulfotransferase 1A1 diskutiert: Dieses Enzym ist an der Metabolisierung von DRSP beteiligt und katalysiert die Bildung des Metaboliten 4,5-Dihydro-drospirenon-3-sulfat [32], [33].


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Phase-II-Studien

Hemmung der Ovulation: die antigonadotrope Wirkung

Die antigonadotrope Wirkung von 4 mg DRSP wurde in Phase-II-Studien nachgewiesen. Die Inhibition der Ovulation (definiert als Serum-Progesteronspiegel unter 16 nmol/l) wurde bei gesunden jungen Frauen (n = 20) über 2 Einnahmezyklen hinweg nachgewiesen. Dieses Ergebnis bestätigte sich in einer weiteren Studie, welche die Ovulationshemmung von 4 mg DRSP im 24/4-Einnahmeschema im Vergleich zur kontinuierlichen Gabe von 75 µg Desogestrel über 2 Einnahmezyklen bei gesunden Frauen zwischen 18 und 35 Jahren untersuchte. Dabei wurde die Ovulation durch 4 mg DRSP genauso wirksam unterdrückt wie durch die Anwendung von 75 µg Desogestrel [34].


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Hemmung der Ovulation trotz verspäteter Einnahme

Die Fähigkeit von 4 mg DRSP, die Ovulationshemmung auch bei verspäteter Pilleneinnahme aufrecht zu erhalten, wurde in einer offenen randomisierten Studie untersucht, bei der junge gesunde Frauen (n = 127) an vorher festgelegten Zyklustagen die Pilleneinnahme um 24 h verzögerten [35]. Dabei wurde gezeigt, dass die Ovulationsrate mit 4 mg DRSP viel niedriger war als mit traditionellen POP (30 – 40%). Sie war vergleichbar oder sogar etwas niedriger als die Ovulationsrate unter KHKs (1,1 – 2%) und geringer als die Ovulationsrate unter 75 µg Desogestrel nach 3 geplanten 12-stündigen Einnahmeverzögerungen (1%) [36].


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Phase-III-Studien

Wirksamkeit

Die kontrazeptive Wirksamkeit von 4 mg DRSP wird durch klinische Phase-III-Studien bestätigt, zu denen zwei europäische Studien [37], [38] und eine US-Studie [39] gehören. Eine zusammengefasste Analyse der beiden europäischen Studien ergab einen Pearl Index von 0,73 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,3133; 1,4301) (14 329 Zyklen mit 4 mg DRSP) und einen korrigierten (unter Einbeziehung der sexuellen Aktivität und Verwendung anderer kontrazeptiver Methoden) Pearl Index von 0,79 (95%-KI 0,3410; 1,5562) [38].

Die zusammengefasste Analyse einer Subgruppe von 1251 Frauen ≤ 35 Jahren ergab ähnliche Ergebnisse: einen Gesamt-Pearl-Index (basierend auf 11 145 Zyklen) von 0,93 (95%-KI 0,4029; 1,8387) und einen korrigierten Pearl Index (basierend auf 10 173 Zyklen) von 1,02 (95%-KI 0,4414; 2,0144) [38]. Die Ergebnisse beider Studien zeigen, dass die kontrazeptive Wirksamkeit von 4 mg DRSP vergleichbar ist mit jenen derzeit erhältlicher KHK ([Tab. 4]). In der US-Studie mit 915 nicht stillenden Frauen ≤ 35 Jahre betrug der Pearl Index 2,9 (95%-KI 1,5; 5,1) [38]. Eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse für den primären Endpunkt und das Sicherheitsprofil einschließlich unerwünschter Nebenwirkungen für die Daten aus den drei klinischen Studien könnte die Abbruchrate sein, die 27,8 bzw. 19,8% in den beiden europäischen Studien [37], [38] und 65% in der US-Studie betrug [39].

Tab. 4 Kontrazeptive Wirksamkeit des 4-mg-DRSP-Monopräparats: Pearl-Index-Daten aus den europäischen Zulassungsstudien.

Pearl Index

Archer et al. [37]

Palacios et al. [38]

zusammengefasste Analyse

Drospirenon 4 mg (n = 713)

Drospirenon 4 mg (n = 858)

Desogestrel 75 µg (n = 332)

Drospirenon 4 mg (n = 1571)

insgesamt

Gesamtzahl Behandlungszyklen

7638

6691

2487

14.329

Schwangerschaften, n (%)

3 (0,4)

5 (0,6)

1 (0,3)

8 (0,5)

Pearl Index insgesamt, %

0,5106

0,9715

0,5227

0,7258

95%-KI (untere Grenze; obere Grenze)

0,1053; 1,4922

0,3154; 2,2671

0,0132; 2,9124

0,3133; 1,4301

nach Korrektur (zusätzliche Kontrazeptionsmethoden und Status der sexuellen Aktivität)

Gesamtzahl Zyklen mit sexueller Aktivität und ohne zusätzliche Kontrazeption

7191

5977

2224

13.168

Schwangerschaften, n (%)

3 (0,4)

5 (0,6)

1 (0,3)

8 (0,5)

korrigierter Pearl Index, %

0,5423

1,0875

0,5845

0,7898

95%-KI (untere Grenze; obere Grenze)

0,1118; 1,5850

0,3531; 2,5379

0,0148; 3,2568

0,3410; 1,5562

Methodenversagen

Gesamtzahl perfekter Medikationszyklen

6101

4641

1816

10.742

Schwangerschaften, n (%)

3 (0,4)

5 (0,6)

1 (0,3)

8 (0,5)

Pearl-Index-Methodenversagen, %

0,6392

1,4006

0,7159

0,9682

95%-KI (untere Grenze; obere Grenze)

0,1318; 1,8681

0,4548; 3,2684

0,0181; 3,9885

0,4180; 1,9077

Schwangerschaftsrate insgesamt

%

0,50

0,70

0,34

0,73

95%-KI (untere Grenze; obere Grenze)

0,00; 1,07

0,09; 1,31

0,00; 1,01

0,17; 1,27

Die höhere Rate an Studienabbrüchen in den USA im Vergleich zu den europäischen Zulassungsstudien ist nicht ungewöhnlich und wird relativiert durch die Tatsache, dass 86% der Teilnehmerinnen angaben, mit der DRSP-Behandlung zufrieden zu sein. Weiterhin war ein Mindestmaß an 5000 Zyklen zur Erhebung eines PI nötig. Dies wurde deutlich überschritten [38].


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Sicherheit

Hämostaseologische Parameter

Eine Langzeitstudie untersuchte den Einfluss von 4 mg DRSP auf Koagulationsfaktoren und mögliche thromboembolische Risiken unter hämostaseologischen Gesichtspunkten [40]. Die Studie umfasste 39 Frauen, die über 9 Zyklen hinweg 4 mg DRSP einnahmen (24/4 Schema), sowie 29 Probandinnen, die in diesem Zeitraum täglich 75 µg Desogestrel einnahmen. Die untersuchten hämostaseologischen Parameter waren: Resistenz gegen aktiviertes Protein C, Antithrombin III, D-Dimer, C-reaktives Protein und die Koagulationsfaktoren VII und VIII [40]. Die Studienergebnisse zeigten, dass 4 mg DRSP keinen Einfluss auf die hämostaseologischen Parameter hatten und das Gleichgewicht zwischen prokoagulatorischen und antikoagulatorischen Faktoren nicht beeinträchtigten.


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Thromboembolische Ereignisse

Über das gesamte klinische Entwicklungsprogramm hinweg (> 20 000 Zyklen) gab es bei der Verwendung von 4 mg DRSP keine Berichte über VTE [41]. Zu den dokumentierten Risikofaktoren gehörten dabei: thromboembolische Ereignisse in der Familienanamnese, Hinweise auf eine Prädisposition für vaskuläre oder metabolische Erkrankungen, Rauchen bei einem Alter über 35 Jahre, Nichtrauchen und Alter über 40 Jahre sowie ein Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2. In der US-Studie hatten mindestens 367 Teilnehmerinnen (36,5%) einen VTE-Risikofaktor [39], während in den europäischen Studien 139 (16,2%) bzw. 104 (14,6%) der Probandinnen einen Risikofaktor für VTE aufwiesen [37], [38].

Diese Beobachtungen decken sich damit, dass 4 mg DRSP in der oben erwähnten Langzeitstudie neutral bezüglich der untersuchten hämostaseologischen Parameter war. Epidemiologische Untersuchungen werden die klinischen Daten zur kardiovaskulären Sicherheit zukünftig erhärten müssen [41].


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Wirkung auf leichte Hypertonie

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die 6-monatige Anwendung einer Drospirenon/Östrogen-Kombination mit einer leichten Abnahme des systolischen und diastolischen Blutdrucks (SBP bzw. DBP) verbunden war im Vergleich zu einer Levonorgestrel/Östrogen-Kombination [42], [43]. Dieser leichte Einfluss auf den Blutdruck konnte auch beim Vergleich zwischen 3 mg DRSP und 150 µg Desogestrel in Kombination mit EE gezeigt werden [43]. Die beobachtete Wirkung hängt am wahrscheinlichsten mit der antimineralokortikoiden Wirkung von DRSP zusammen.

Während der beiden europäischen Zulassungsstudien war die Wirkung von 4 mg DRSP auf den Blutdruck ebenfalls Bestandteil der Untersuchungen. In der 1. Studie wurde ein medianer Rückgang von 8 mmHg (SBP) bzw. 5 mmHg (DBP) bei Teilnehmerinnen mit Ausgangswerten von SBP ≥ 130 mHg oder DBP ≥ 85 mmHg beobachtet (n = 137) [36], [37]. Bei Teilnehmerinnen mit Ausgangswerten von SBP < 130 mmHg und DBP < 85 mmHg (n = 548) betrug die absolute mediane Änderung 0 mmHg für SBP und DBP [41].


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Estradiolspiegel und Knochen

Eine Studie mit 64 Probandinnen [26] zeigte, dass der Estradiol-(E2-)Spiegel an Tag 24 des 2. Einnahmezyklus knapp unter 51 pg/ml (187 pmol/l) lag und damit über den Werten von Tag 3 des 1. Zyklus, die als Ausgangswerte angesehen werden können. Das bedeutet, dass eine 24-tägige Behandlung mit 4 mg DRSP die E2-Spiegel nicht unter die Ausgangswerte von Tag 3 senkte. Der Unterschied bei den E2-Spiegeln im Vergleich zur Kontrollgruppe (75 µg Desogestrel) war statistisch nicht signifikant. Mit dem empfohlenen Anwendungsschema (24/4) kann in den Ovarien eine endogene E2-Produktion stattfinden, da die 4-tägige Pause ausreichen sollte, um den FSH-Spiegel zu erhöhen. Dies wurde mit den Werten von Tag 3 des 2. Einnahmezyklus bestätigt, die höher waren als die Werte an Tag 27 des 1. Einnahmezyklus. Das neue Dosierschema (24/4-Schema mit 4 mg DRSP im Vergleich zu einem 28-tägigen Einnahmeschema von 75 µg Desogestrel) führte zu höheren E2-Spiegeln am Ende von Einnahmezyklus 2 im Vergleich zu den Werten am 3. Tag des 1. Einnahmezyklus [26].

Die mittleren E2-Spiegel fallen mit 4 mg DRSP in einem 24/4-Einnahmeschema nicht unter 30 pg/ml (110,1 pmol/l) [25]. Dieser Wert wird als mögliche Grenze für den Beginn der Osteoklasten-Aktivität im Knochen betrachtet, wie in der Studie von Doran et al. gezeigt wurde [44].


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Veränderungen des Körpergewichts

Es gab bei den Anwenderinnen von 4 mg DRSP keine signifikanten Veränderungen des durchschnittlichen Körpergewichts während der verschiedenen Kurz- und Langzeitstudien [36], [37], [38], [40]. Dies bestätigt Daten aus der Literatur, wonach die Anwendung von DRSP nicht mit einer Gewichtszunahme oder signifikanten Veränderungen beim Körperfettanteil zusammenhängt [44].


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Verträglichkeit

Blutungsmuster: Kontrolle des Blutungsprofils mit 4 mg DRSP im Vergleich zu 75 µg Desogestrel.

Ein Vergleich des Blutungsprofils zwischen der Anwendung von 4 mg DRSP und 75 µg Desogestrel erfolgte in einer klinischen Phase-III-Studie über 9 Einnahmezyklen hinweg [46], [47]. Der Anteil an Frauen mit Blutungen und Spotting nahm in der 4-mg-DRSP-Gruppe von 69,2% in Einnahmezyklus 2 auf 56,3% in Einnahmezyklus 9 ab und in der 75-µg-Desogestrel-Gruppe von 74,05% auf 45,3%. Die mediane Anzahl an Blutungs- und Spotting-Tagen sank in der 4-mg-DRSP-Gruppe von 10 Tagen im ersten Referenzzeitraum (Einnahmezyklen 2 – 4) auf 6 Tage im letzten Referenzzeitraum (Einnahmezyklen 7 – 9) und von 12 auf 7 Tage in der 75-µg-Desogestrel-Gruppe. Dabei handelte es sich überwiegend um Tage mit Spotting. Die Unterschiede waren statistisch signifikant.

Darüber hinaus war während der Einnahmezyklen 5 – 9 der Anteil an Frauen mit verlängerter Blutung (> 10 Tage) in der 4-mg-DRSP- im Vergleich zu der 75-µg-Desogestrel-Gruppe signifikant geringer (p < 0,001). Einen vorzeitigen Studienabbruch aufgrund von abnormen uterinen Blutungen (AUB) gab es bei 3,3% der DRSP-Anwenderinnen und 6,6% der Teilnehmerinnen der 75-µg-Desogestrel-Gruppe (p < 0,001) [46], [47]. Insgesamt zeigten die Ergebnisse der klinischen Studien somit, dass die Kontrolle des Blutungsmusters durch 4 mg DRSP jener durch 75 µg Desogestrel überlegen war. [Tab. 5] zeigt einige Ergebnisse der Untersuchungen zum Blutungsmuster.

Tab. 5 Mediane Anzahl geplanter und ungeplanter Blutungs- oder Spotting-Tage und vorzeitige Studienabbrüche, assoziiert mit AUB (abnorme uterine Blutungen) in den jeweiligen Referenzperioden.

Variable

Archer et al. [37]

Palacios et al. [38], [39]

Drospirenon 4 mg (n = 713)

Drospirenon 4 mg (n = 858)

Desogestel 75 µg (n = 332)

Daten sind dargestellt als n (%)

a 8 – 10 für Studie 301; 7 – 9 für Studie 302

* p < 0,05 Drospirenon vs. Desogestrel

** p < 0,001 Drospirenon vs. Desogestrel

Blutungs- und Spotting-Tage insgesamt

Zyklen 2 – 4

Zyklen 5 – 7

Zyklen 8 – 10/7 – 9a

Zyklen 11 – 13

11

8

6

5

10*

6

6

12

7

7

ungeplante Blutungs- und Spotting-Tage

Zyklen 2 – 4

Zyklen 5 – 7

Zyklen 8 – 10/7 – 9a

Zyklen 11 – 13

6

5

3

3

5**

4*

4*

12

7

7

vorzeitiger Studienabbruch wegen Blutungsstörungen

30 (4,2)

28 (3,3)

22 (6,6)


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Endometriale Sicherheit

Die Dicke des Endometriums wurde in einer speziellen Studie zur endometrialen Sicherheit beurteilt [48]. Die durchschnittliche maximale doppelte Endometriumdicke betrug 5,5 mm und nach 13 Einnahmezyklen war sie um durchschnittlich 2,6 mm reduziert. Es wurden Biopsien durchgeführt, um Veränderungen am Endometrium zu beurteilen. Nach 1-jähriger Behandlung mit 4 mg DRSP gab es keinen einzigen Fall einer Hyperplasie [48].


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Anwendung bei speziellen Gruppen

Jugendliche

Es wurde eine Studie entwickelt, um prospektiv die Sicherheit und Verträglichkeit von 4 mg DRSP (24/4) bei 111 Adoleszentinnen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren zu untersuchen [48]. Die Studie umfasste sechs 28-tägige Einnahmezyklen und eine weitere optionale Erweiterungsphase mit sieben Einnahmezyklen. Die Anzahl der Teilnehmerinnen, die Dysmenorrhöen berichteten, sank von 47 (46,1%) vor dem Screening auf 14 (29,8%) nach Einnahmezyklus 6, und auf 8 (17%) nach Einnahmezyklus 13. Gleichzeitig sank der Anteil der Probandinnen, die Schmerzmittel zur Behandlung der Dysmenorrhö verwendeten. Lediglich 5 Teilnehmerinnen (4,9%) beendeten die Studie vorzeitig wegen unregelmäßiger Blutungen und 1 (1%) wegen Amenorrhö. Es gab keine therapiebezogenen ernsten unerwünschten Nebenwirkungen und keine Schwangerschaften. Zum Endpunkt der Studie bewerteten 82,4% der Teilnehmerinnen die Verträglichkeit von 4 mg DRSP als exzellent oder gut [49].


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Übergewichtige und adipöse Frauen

Übergewichtige Menschen zeigen im Vergleich zu normalgewichtigen Personen physiologische Veränderungen wie beispielsweise ein erhöhtes Herzzeitvolumen oder Veränderungen bei den Funktionen der Leberenzyme. Einige davon haben das Potenzial dazu, die Absorption, Distribution sowie den Metabolismus und die Eliminierung von Arzneimitteln zu verändern, wodurch diese in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt werden können [50].

Die kontrazeptive Wirksamkeit von DRSP bei übergewichtigen und adipösen Frauen wurde in einer zusammengefassten Analyse der europäischen Studien aus dem klinischen Entwicklungsprogramm des 4 mg DRSP-Präparats bestätigt [37], [38]. Unter den Frauen mit einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 (n = 301) wurden 4 Schwangerschaften (PI = 1,89) berichtet, während bei den Teilnehmerinnen mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 (n = 71) keine Schwangerschaften auftraten (PI = 0,0).

Das günstige thromboembolische Sicherheitsprofil von 4 mg DRSP, das auch für Frauen mit VTE-Risikofaktoren gilt, wurde im klinischen Programm gezeigt. Zigarettenrauchen bei Frauen > 35 Jahren war in den europäischen Studien der häufigste Risikofaktor (10,1 bzw. 12%) [37], [38], [41]. In der US-Studie [39], [41] betrug diese Inzidenz 5,1%, während ein BMI > 30 kg/m2 hier den häufigsten Risikofaktor darstellte und 35% der Teilnehmerinnen betraf. In den europäischen Studien hatten lediglich 5,8 bzw. 3,5% der Teilnehmerinnen einen BMI über 30 kg/m2.

Die Inzidenz von thromboembolischen Ereignissen in der Familienanamnese oder prädisponierenden Faktoren für kardiovaskuläre oder metabolische Erkrankungen war in allen Studien niedriger.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass auch bei Frauen mit Risikofaktoren für Thromboembolien (VTE), wie z. B. ein Alter über 35 Jahre, Tabakkonsum und Übergewicht, keine venösen oder arteriellen thromboembolischen Ereignisse auftraten [40].


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Stillende Frauen

In einer prospektiv angelegten Studie wurde untersucht, welche Menge an DRSP nach Erreichen eines Steady-State auf die Muttermilch überging [51]. DRSP 4 mg pro Tag wurde für 7 Tage verabreicht, um diese Steady-State-Konzentration zu erreichen. Die durchschnittliche AUC (0 – 24 h) von DRSP im Plasma 24 h nach Verabreichung der letzten Dosis betrug 635,33 ng h/ml. Die durchschnittliche Cmax betrug 48,64 ng/ml. Die durchschnittliche AUC (0 – 24 h) von DRSP in der Muttermilch 24 h nach Verabreichung der letzten Dosis betrug 134,35 ng h/ml. Der durchschnittliche Cmax-Wert lag bei 10,34 ng/ml. Im Durchschnitt gelangten 18,13% der Plasma-DRSP Spiegel in die Muttermilch, und die höchste dort gemessene Konzentration betrug 17,55% von der im Plasma. Die Gesamtmenge an DRSP, welches in die Muttermilch überging, lag bei durchschnittlich 4478 ng während eines 24-Stunden-Zeitraums, was 0,11% der mütterlichen Tagesdosis entspricht. So sind bei den empfohlenen Dosierungen keine Auswirkungen auf gestillte Neugeborene/Kleinkinder mit DRSP 4 mg zu erwarten, denn diese Mengen gelten als vernachlässigbar klein [52].


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Zusammenfassung

Gestagene spielen eine wesentliche und eigenständige Rolle bei der Empfängnisverhütung, ob mit oder ohne Östrogene. Obwohl sie sich in Struktur und Wirkungsprofil unterscheiden, weisen sie eine multimodale Wirkungsweise bei der Empfängnisverhütung auf. Zusätzlich zu seiner gestagenen Wirkung hat jedes Gestagen ein inhärentes partielles Wirkungsprofil, das bei klinischer Anwendung äußerst relevant ist. Effekte und mögliche Nebenwirkungen können davon beeinflusst oder bestimmt werden.

In Anbetracht der verfügbaren Daten kann festgestellt werden, dass die Einführung eines neuen östrogenfreien Verhütungsmittels, das 4 mg nicht mikronisiertes DRSP in einem 24/4-Tage-Regime enthält, die kontrazeptiven Möglichkeiten für Frauen erweitert und eine Innovation in der modernen Empfängnisverhütung darstellt, da

  • es in klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit bewiesen hat (Pearl Index = 0,73);

  • im Rahmen der klinischen Studien keine relevanten Sicherheitsbedenken festgestellt wurden (0 thromboembolische Fälle in mehr als 20 000 Zyklen bei mehr als 2000 Frauen);

  • eine hohe Akzeptanz (96,5%) bei den Anwenderinnen mit einer gleichzeitig geringen Abbruchrate wegen nicht akzeptabler Blutungsstörungen (3,5%; 91 von 2593 Frauen während aller Phase-III-Studien) dokumentiert worden ist [52].


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Erratum

Orale Gestagene in der hormonellen Kontrazeption: Stellenwert und Zukunftsaussichten eines neuen Gestagen-Monopräparats mit 4 mg Drospirenon
Thomas Römer, Johannes Bitzer, Christian Egarter et al. Geburtsh Frauenheilk. doi:10.1055/a-1471-4408

In der e-first Version wurde im oben genannten Artikel der Name des Koautors falsch angegeben. Richtig ist: Katrin Schaudig.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

Pedro-Antonio Regidor is an employee of Exeltis./Pedro-Antonio Regidor ist Angestellter von Exeltis.


Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Pedro-Antonio Regidor, MD PhD
Medical Director Exeltis Europe
Adalperostraße 84
85737 Ismaning
Germany   

Publication History

Received: 04 February 2021

Accepted after revision: 28 March 2021

Article published online:
14 June 2021

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