Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2021; 28(03): 99-100
DOI: 10.1055/a-1469-1150
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Mysteriöse neurologische Erkrankung in Kanada

Im Südosten Kanadas werden seit einiger Zeit gehäuft Fälle einer bisher undiagnostizierten neurologischen Krankheit beobachtet: Bisher konnten in New Brunswick – einer Provinz mit etwa 750 000 Einwohnern – 48 Fälle identifiziert werden. Zumeist traten die ersten Krankheitssymptome innerhalb der letzten 3 Jahre auf, der frühste Fall könnte jedoch auch bis ins Jahr 2013 zurückreichen.

Rapider Krankheitsbeginn

Die Krankheit beginnt mit Verhaltensänderungen wie Gereiztheit, Angstzuständen und Depression in Zusammenspiel mit unerklärlichen Schmerzen und Spasmen. Ein Großteil der Patienten leidet außerdem unter Schlaf- und Gedächtnisproblemen. Außerdem kann es zu einer schnell fortschreitenden Beeinträchtigung der Sprache durch starkes Stottern oder Wortwiederholungen kommen. Weitere beobachtete Symptome sind Halluzinationen, ein rascher Gewichtsverlust und Muskelschwund, Sehstörungen und unkontrollierbares Muskelzucken. Viele der Patienten sind innerhalb kurzer Zeit auf Gehhilfen oder Rollstühle angewiesen. Bei einigen ist auch das sehr seltene Capgras-Syndrom zu beobachten, bei dem der Betroffene glaubt, nahestehende Personen seien durch identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden.

Sechs der Patienten sind bisher verstorben, bei anderen scheint sich der Zustand dagegen nach einem zunächst rapiden Krankheitsbeginn zu stabilisieren.


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Suche nach Ursachen bisher erfolglos

Betroffen sind zuvor gesunde Personen zwischen 18 und 85 Jahren, Frauen und Männer gleichermaßen. Tests auf die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) sowie andere Prionenerkrankungen fielen negativ aus. Die Patienten wurden außerdem auf Erbkrankheiten, Autoimmunerkrankungen, Krebs, Viren, Bakterien, Schwermetallbelastungen und ungewöhnliche Antikörper untersucht. Dies blieb bisher jedoch ebenso ohne Ergebnis wie die Suche nach auffälligen Gemeinsamkeiten in ihrem Reiseverhalten, ihrer Lebensweise oder ihren Krankengeschichten.


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Aktuelle Ursachenforschung

Die Untersuchungen konzentrieren sich nun auf mögliche Umweltgifte: So hatte es beispielsweise 1987 in der benachbarten Provinz Edward Island einen Ausbruch durch kontaminierte Muscheln gegeben, bei dem zusätzlich zu gastrointestinalen Symptomen auch neurologische Komplikationen wie Gedächtnisverlust, Verwirrtheit und Koma auftraten. Besonders im Fokus der momentanen Untersuchungen ist das durch Cyanobakterien produzierte Neurotoxin BMAA (β-Methylamino-L-alanin), das auch als Risikofaktor für Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson diskutiert wird.

Momentan gibt es keine Therapie für die aktuellen Fälle in New Brunswick und kein Konzept, wie das Fortschreiten der Krankheitssymptome aufgehalten oder verlangsamt werden könnte. Die behandelnden Ärzte können lediglich versuchen, die Beschwerden der Patienten bestmöglich zu lindern.


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Publication History

Article published online:
02 June 2021

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