Alle Arbeiten, die sich damit befassen, finden erschreckend hohe Inzidenzen von
Medikationsfehlern bei Kindernotfällen oder in entsprechenden Simulationsszenarien
[1]. Dies
liegt vor allem daran, dass bei Kindern eine individuell zu berechnende, gewichtsbezogene
Dosis gegeben werden muss. Dies steht in deutlichem Kontrast beispielsweise zur Reanimation
von Erwachsenen, die leitliniengerecht unabhängig von Alter oder Gewicht immer 1mg
Adrenalin
erhalten. Zusätzlich stellt die Notfallversorgung eines Kindes oft eine Situation
extremer
Belastung für den Verordnenden dar. Beispielsweise waren die Dosierungen von Adrenalin
in
den einzigen beiden Studien, die dies im tatsächlichen prähospitalen Alltag untersuchten,
in
60% [2] bzw. 100% [3] der Fälle nicht korrekt. Die durchschnittliche Überdosierung lag bei
808 bzw. 882% der empfohlenen Dosis und somit nah an 1000%, was einem mit dem Überleben
kaum
zu vereinbarenden 10er-Potenz-Fehler entspricht. Diese Feststellungen sollen keinesfalls
anklagen, sondern nur wachrütteln. Und alleine in der Erhöhung der Vigilanz, also
in dem
Erkennen der Bedeutsamkeit der Medikationssicherheit und der eigenen Fehlbarkeit,
liegen die
wichtigsten Voraussetzungen für eine Verbesserung [4].
Denn einfach umzusetzende Maßnahmen können die Medikamentensicherheit bei Kindernotfällen
erheblich verbessern. Dieses Ziel hat sich die gleichnamige AWMF-Leitlinie gesetzt
und mit
Beteiligung von 15 Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Interessenverbänden folgende
wesentliche Empfehlungen zusammengestellt [5] und mit 100%igem, formal von der AWMF
moderierten Konsens beschlossen.
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Ein Medikament, zu welchem dem Anwender hinreichende pharmakologische Kenntnis für
die Notfallindikation fehlt, soll nicht verabreicht werden („primum non
nocere“).
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Vor jeder Medikamentengabe soll im 4-Augen-Prinzip überprüft werden, dass es sich
um das richtige Medikament, in der richtigen Dosis, zum richtigen Zeitpunkt, mit dem
richtigen Verabreichungsweg und für den richtigen Patient handelt (Anwenden der
5-R-Regel).
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Vor jeder Therapie soll die Indikation hinterfragt und geprüft werden.
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Medikamente mit geringem Verteilungsvolumen und geringer therapeutischer Breite
sollen bei deutlicher Adipositas am Normalgewicht ausgerichtet dosiert werden.
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Eine „Übertherapie“ soll vermieden werden (so wenig wie möglich und so viel wie
nötig).
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Die Verordnung von Notfallmedikamenten soll unter Kenntnis und Verwendung
pädiatrisch-pharmakologischer Referenzen bzw. kognitiver Hilfsmittel
erfolgen.
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Vor jeder medikamentösen Therapie soll das Gewicht des Kindes ermittelt und
dokumentiert werden.
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Wenn kein bekanntes Gewicht verfügbar ist, soll eine längenbezogene
Gewichtsschätzung durchgeführt werden.
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Die Gaben von Medikamenten, die eine geringe therapeutische Breite aufweisen oder
bei Fehldosierung großen Schaden anrichten können (z.B. Adrenalin, Analgetika),
sollen NICHT ohne vorherige Überprüfung durch ein unterstützendes System (z.B.
Tabelle, Lineale) erfolgen.
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Längenbezogene Systeme zur Gewichtsschätzung mit Dosisempfehlung sollten vor allem
prähospital bevorzugt eingesetzt werden.
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Mündliche Verordnungen sollen eine klare Struktur haben, eindeutig und vollständig
sein sowie schnellstmöglich schriftlich dokumentiert werden; wenn immer möglich
sollen Verordnungen primär schriftlich erfolgen.
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Jede Verordnung soll durch alle Beteiligten laut wiederholt und bestätigt
werden.
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Jede aufgezogene Spritze soll vorzugsweise mit einem Etikett nach ISO 26852 längs
so beklebt werden, dass die Skalierung weiter lesbar bleibt.
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Die nicht technischen Fähigkeiten und die Inhalte von Versorgungsstandards sollen
trainiert werden (z.B. Simulationstraining).
Zusätzlich bietet die S2k-Leitlinie unter Freigabe der Präsidien aller beteiligten
Gesellschaften erstmalig im deutschsprachigen Raum eine klare Positionierung zum
„Off-Label-Use“ in der pädiatrischen Notfallmedizin. „Ein ‚Off-Label-Use‘ ist nicht
unsachgemäß, illegal oder kontraindiziert, sondern kann die bestmögliche Therapie
darstellen. Ein grundsätzlicher Verzicht auf einen ‚Off-Label-Use‘ gefährdet Kinder
und
macht eine sachgemäße Behandlung unmöglich“, heißt es darin. Die prähospitale und
innerklinische Behandlung von Notfällen bei Kindern sollte durch Therapieentscheidungen
gelenkt werden, die auf wissenschaftlicher Evidenz und Erfahrung basieren und nicht
allein
aufgrund des Zulassungsstatus erfolgen. Im Zentrum dieses Abschnitts der Leitlinie
steht
eine Tabelle mit dem Einschluss von „Off-Label-Medikamenten“ für den Kindernotfall.
Diese
Liste, die vor allem von Prof. Dr. Wolfgang Rascher und Prof. Dr. Antje Neubert (beide
in
der DGKJ-Arzneimittelkommission) erarbeitet wurde, zeigt Dosierungsempfehlungen inklusive
der zugrunde liegenden Referenzen für die genannten Empfehlungen. Damit kann sie zu
einer zentralen pharmakologischen Referenz bei
Kindernotfällen werden und bietet Ärztinnen und Ärzten eine klare und verlässliche
Absicherung für die Medikamentengabe.