JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2021; 10(03): 94-95
DOI: 10.1055/a-1468-0528
Kolumne

Ein kleiner Abschied

Heidi Günther
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© Thieme Group/Paavo Blåfield

„Den Abschied muss man nehmen, nicht erdulden.“

(Unbekannt)

Lange habe ich nicht geschrieben. Es ist ja nicht so, als würden mir keine Themen mehr einfallen. Jeden Tag könnte ich neu Erlebtes, Gehörtes oder Gesehenes in einer Kolumne aufarbeiten und für alle zum Besten geben.

Witzig könnte ich über die täglich neu aufkommenden Wortschöpfungen der politischen Protagonisten im Zuge der Pandemie herfallen. Allein die neuen Begrifflichkeiten im Zuge diverser Lockdowns. Harter, weicher, Wellen brechender, Brücken bauender, letzter und allerletzter Lockdown. All das richtig zusammengesetzt wäre ein Fest für jeden Scrabble-Spieler und ist doch so viel mehr.

Ich könnte mich seitenlang über das Gendern in unserer Sprache auslassen. Über Sinn und Unsinn mit Sternchen oder ohne und ob es nicht mehr braucht, um Geschlechtergleichberechtigung zu erreichen.

Ich könnte ein bisschen (sehr) traurig über den plötzlichen Tod meiner Hündin berichten. Sehr unerwartet, schnell, und dramatisch ist sie binnen vier Tagen mutmaßlich an einer Vergiftung gestorben. Ich könnte über meine Traurigkeit und Leere berichten, die ich seitdem empfinde, und wie die Familie nun alles daran setzt, dass ein neuer Hund in mein Leben kommt. Auch in diesem Bereich scheint die Pandemie ihre Spuren zu hinterlassen. Dubiose „Züchter“ oder „Hundefreunde“ haben fast keine Hemmschwelle, um mit woher auch immer kommenden Hundewelpen Geld zu machen. Und selbst bei seriösen, offiziell registrierten Züchtern regelt der Bedarf den Markt und damit den Preis. Im Vergleich zu vor neun Jahren, als wir unseren letzten Hund gekauft haben, kann ein Anstieg des Preises um 300 Prozent verzeichnet werden. Unglaublich! Dabei hätte ich vor etwa zwei Wochen einen einjährigen Hund für weniger Geld haben können. Offensichtlich gekauft um die Homeoffice-Zeit zu überbrücken, um dann wohl festgestellt zu haben, dass ein Hund doch nicht in das Familienkonzept passt.

Ich könnte auch über die für mich besorgniserregende Dynamik in meinem Team auf Station schreiben. Einige meiner Kollegen stehen nach wie vor für die Ideen, die wir vor Jahren für unsere Station entwickelt haben ein. Ideen, die ein Selbstverständnis und Verantwortung für die Pflege, für das Miteinander, für Wirtschaftlichkeit und Loyalität beinhalten. Diese Kollegen sind weiter motiviert, innovativ und sehr fleißig. Aber es gibt auch andere! Dumm nur, dass die Ersteren nicht genug gewürdigt werden und Anerkennung finden und die Zweiten unter Umständen die anderen nur belächeln.

Mir fällt in letzter Zeit immer mehr auf, dass auch die veränderten Strukturen im Krankenhaus – und nicht nur bei uns – von vielen Kollegen sehr kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Gewinnoptimierung ist hier wohl das „Zauberwort“. Erst in der vergangenen Woche war in der Presse, dass mehr und mehr Krankenhäuser immer mehr Serviceleistungen outsourcen. Nicht selten ohne Qualitätsverlust. Dabei ist es egal, wer jetzt verantwortlich für zum Beispiel das Essen oder das Putzen auf den Stationen ist. Den Unmut der Patienten bekommen dann immer wir, die Pflegekräfte, ab. Wir sind ja diejenigen, die für den Patienten am schnellsten zu greifen sind. Da steht dann kein Mitglied der Geschäftsführung zu Verfügung. Diese sind bestenfalls im Homeoffice. Dabei mache ich der Geschäftsführung nur bedingt einen Vorwurf. Ich gehe davon aus, dass diese einem bestimmten Auftrag folgt und wenn sie den nicht erfüllt, kommt wiederum schlimmstenfalls eine andere junge, dynamische, betriebswirtschaftlich geschulte Geschäftsführung. Ob es dann besser werden würde, scheint doch sehr fraglich.

Herausragend fand ich die Aktion von Joko und Klaas in der vergangenen Woche auf ProSieben: #NichtSelbstverständlich! Ich finde es aber auch bemerkenswert, dass sich Unterhaltungskünstler aufmachen, um Aufmerksamkeit für die Situation in der Pflege in unserem Land zu suchen. Auch Minister Spahn hat sich gefreut, dass die Pflege nun in der besten Sendezeit zu finden und die Belastung der Pflegekräfte nachvollziehbar war. Schön, jetzt weiß auch er das! Ob sich aber an den Bedingungen wie Arbeitsbedingungen und Löhne etwas tut, wage ich zu bezweifeln. Zumal ja im Herbst Wahlen sind, und wer Herrn Spahn dann folgen wird, können wir heute nicht wissen. Mein Optimismus hält sich da auch sehr in Grenzen. Ist doch das Amt des Bundesministers für Gesundheit nicht gerade das beliebteste unter den zu vergebenden Ministerposten und offensichtlich einer weiteren politischen Karriere nicht besonders dienlich. Oder hat jemand je noch von den Herren Rösler, Bahr und Gröhe gehört? Übrigens, nur Herr Seehofer hat sich gehalten (Minister für Gesundheit von 1992–1998).

Jedenfalls läuft es aktuell eher suboptimal, und gerade im vergangenen Jahr sind meine Zweifel immer stärker geworden. Ich bin seit 45 Jahren Krankenschwester. Habe, glaube ich zumindest, alle Höhen und Tiefen dieses Berufs erlebt. Ich habe mich qualifiziert und weitergebildet. Ich habe mich eingebracht, selten rausgehalten. Ich war dem jeweiligen Arbeitgeber immer loyal gegenüber, war bereit, als Teil des jeweiligen Teams mit dem Team und für das Team zu arbeiten. Manche Dinge sind gelungen, manches Mal habe ich Fehler gemacht. Aber am Ende des Tages bin ich erschöpft, müde und ein gutes Stück desillusioniert. Daher habe ich mich schon im letzten Jahr entschieden, am Ende dieses Jahres (von heute an, da ich diese Zeilen schreibe, in genau 236 Tagen) vorzeitig in Rente zu gehen. Ich nehme gern die Abschläge in Kauf, denn so oder so werde ich mir eine Arbeit suchen müssen, um die nicht sehr üppige Rente etwas aufzubessern. Ich bin aber fest entschlossen, so lange zu suchen, bis ich etwas gefunden habe, das mich ein bisschen zufriedener sein lässt.

Nichtsdestotrotz werde ich weiter schreiben, denn ich habe noch viel zu erzählen.

Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de



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Article published online:
07 June 2021

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