Pneumologie 2021; 75(06): 409-411
DOI: 10.1055/a-1451-0356
Referiert – kommentiert

E-Zigaretten zur Rauchstopp-Unterstützung: Mehr offene Fragen als Gewissheiten

Hartmann-Boyce J. et al.
Electronic cigarettes for smoking cessation.

Cochrane Database Syst Rev 2020;
10: CD010216
DOI: 10.1002/14651858.CD010216.pub4
 

Viele Raucher nutzen elektronische Zigaretten (EC), um weniger zu rauchen oder weil sie einen Rauchstopp planen. Die Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit dieser Strategie ist bislang begrenzt. Eine aktualisierte Übersichtsarbeit des Cochrane-Netzwerks prüfte, ob sich das geändert hat – nicht zuletzt, weil die Nachfrage nach aktuellen Informationen zur EC von Seiten der Raucher wie des Gesundheitspersonals oder der Gesundheitsbehörden groß ist.


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Die internationale Autorengruppe um Jamie Hartmann-Boyce von der University of Oxford überprüfte in ihrem Update einer früheren systematischen Übersichtsarbeit die Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit der EC als Unterstützung für Raucher, die eine Langzeit-Rauchabstinenz anstreben. In den Datenbanken „Cochrane Tobacco Addiction Groupʼs Specialized Register“, „Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL)“, „MEDLINE“, „Embase“ und „PsycINFO“ suchten sie nach relevanten Publikationen, die bis Januar 2020 veröffentlicht worden waren, überprüften außerdem die Referenzen der Studien, um weitere Quellen zu finden, und kontaktierten auch die Studienautoren direkt.

In die Auswertung eingeschlossen wurden randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) und randomisierte Cross-over-Studien, in denen Raucher in eine EC-Gruppe und eine Kontrollgruppe randomisiert wurden. In den Publikationen musste die Zigarettenabstinenz über 6 Monate oder länger dokumentiert sein, und es mussten Angaben zu unerwünschten Ereignissen (UE) oder andere Angaben zur Sicherheit nach einer Woche oder nach längeren Zeiträumen vorhanden sein. Entsprechend waren die primären Endpunkte der Cochrane-Metaanalyse die Rauchabstinenz nach mindestens 6 Monaten und UE sowie schwere UE.

Ergebnisse

Für die Auswertung identifizierten die Wissenschaftler 50 abgeschlossen Studien mit insgesamt 12 430 Teilnehmern, von denen 26 RCTs waren. Gegenüber der vorangegangenen Auswertung konnten somit 35 neue Studien berücksichtigt werden. Nur 4 Studien hatten nach Einschätzung der Forscher allerdings ein geringes Fehlerrisiko, alle übrigen ein hohes oder unklares Fehlerrisiko.

Der randomisierte Vergleich von Nikotin-EC mit einer Nikotinersatztherapie ergab eine moderat belastbare Evidenz zugunsten der EC: Die Rauchstopp-Rate war um 69 % höher (Risk Ratio [RR] 1,69; 95 % Konfidenzintervall [KI] 1,25–2,27). Das bedeutet, eine langfristige Abstinenz schafften mit EC 4 pro 100 Raucher mehr als mit Nikotinersatztherapie. Für Unterscheide in den UE beider Methoden ergab sich keine sichere Evidenz. Schwere UE traten kaum auf, und Unterschiede ließen sich nicht belegen.

Beim Vergleich von EC mit und ohne Nikotin fanden die Wissenschaftler eine moderat gesicherte Evidenz für einen Vorteil der Nikotin-EC (RR 1,71; 95 %-KI 1,00–2,92). Auch hier weisen die Auswertungen auf zusätzlich 4/100 Raucher hin, die damit eine anhaltende Rauchabstinenz erreichen. Die betreffenden Studien setzten dabei relativ geringe Dosen von Nikotin in den EC ein. Ein Unterschied in den UE oder schweren UE konnte aufgrund der unsicheren Datenlage nicht belegt werden.

Im Vergleich von Nikotin-EC und Verhaltensmaßnahmen oder keine weitere Unterstützung beim Rauchstopp war das Erreichen eines anhaltenden Rauchstopps 2,5 Mal höher mit der EC (RR 2,50; 95 %-KI 1,24–5,04). In absoluten Zahlen bedeutet das 6 erfolgreiche Rauchstopps pro 100 Raucher mehr, allerdings war die Unsicherheit in diesen Studien sehr hoch, die Evidenz entsprechend wenig belastbar. Hier fand sich kein Unterscheid hinsichtlich schwerer UE, aber ein Hinweis auf mehr nicht-ernste UE bei Nikotin-EC.

Die Crossover-Studien kamen im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen wie die RCTs. Als UE der EC wurden v. a. Irritationen in Mund und Rachen, Kopfschmerzen, Husten und Übelkeit dokumentiert, die bei fortgesetztem Gebrauch verschwanden.

Fazit

Es zeigt sich eine höchstens moderat-verlässliche Evidenz für eine höhere Rate längerfristiger Rauchabstinenz mit der Nikotin-EC gegenüber anderen Methoden zur Unterstützung des Rauchstopps. Eine klare Evidenz für ernste Sicherheitsbedenken gibt es bislang nicht, wobei die Beobachtungsdauer in den Studien relativ kurz war. Wegen der Brisanz des Themas werden die Autoren neue Ergebnisse von RCTs zukünftig kontinuierlich nach ihrem Erscheinen in die Analyse einpflegen.

Friederike Klein, München

Studien-Kommentar

E-Zigaretten sind nach dem derzeitigen Kenntnisstand keine harmlosen Lifestyleprodukte, sondern es mehren sich die Hinweise auf ernste Gesundheitsgefahren, sofern die Studien industrieunabhängig durchgeführt worden sind [1]. Das Cochrane-Review thematisiert das mit diesen Risiken assoziierte Problem des kontinuierlichen E-Zigaretten-Konsums nicht [2]. Dieses Problem soll anhand des dritten, neu in das Cochrane-Review aufgenommenen RCTs [3] deutlich gemacht werden. In dieser Studie wurden insgesamt 886 Raucher auf zwei Gruppen randomisiert: Nachdem beide Gruppen zunächst eine persönliche Beratung bekommen hatten, erhielt die Hälfte der Raucher kostenfrei ein E-Zigaretten-Starter-Paket, die andere Hälfte Nikotinersatzprodukte (NEP) ihrer Wahl, wobei 75 % der Probanden schon vor dem Trial vergeblich versucht hatte, sich mithilfe von NEPs das Rauchen abzugewöhnen. Dies muss als Bias gewertet werden, der die Studienergebnisse verzerren kann. Wöchentliche verhaltenstherapeutische Gruppensitzungen des National Health Service „stop-smoking“ über mindestens 4 Wochen wurden zusätzlich für beide Gruppen ermöglicht. Die Hauptergebnisse dieser Untersuchung 52 Wochen nach der Randomisierung veranschaulicht [Abb. 1].

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Abb. 1 Tabakfreiheit vs. Nikotinfreiheit: Ergebnisse des nach 52 Wochen [3].

Betrachtet man als primären Endpunkt der Studie die Tabakfreiheit, so scheinen die Ergebnisse eindeutig: Nach einem Jahr rauchten 18,0 % der Raucher der E-Zigaretten-Gruppe keine Tabakprodukte mehr, im Vergleich zu lediglich 9,9 % der NEP-Gruppe. 39,5 % der E-Zigaretten-Gruppe konsumierten auch ein Jahr später weiterhin E-Zigaretten, während lediglich 4,3 % der NEP-Gruppe Nikotinersatzprodukte konsumierten. Von der Untergruppe der Probanden der E-Zigaretten-Gruppe, die den Tabakkonsum erfolgreich aufgaben, konsumierten 80 % nach einem Jahr weiterhin E-Zigaretten. Wählt man die vollständige Nikotinabstinenz als primären Endpunkt der Studie, drehen sich die Ergebnisse komplett um: Von den Teilnehmern, die Nikotinersatzprodukte erhalten hatten, waren ein Jahr später 9,0 % vollständig nikotinfrei, aber lediglich 3,7 % der E-Zigaretten-Gruppe. Bedenklich ist ferner, dass bei einem Viertel der E-Zigaretten-Gruppe Dual-Use (25 %), der gleichzeitige Gebrauch von Tabak und E-Zigaretten, initiiert wurde. Dual-Use ist die in Deutschland mit Abstand häufigste Konsumform und führt zu einer besonders hohen Exposition mit nachweislich gesundheitsschädlichen Substanzen [4].


Unterschiedliche Untersuchungsbefunde in Abhängigkeit vom primären Endpunkt der Studie – Tabak- oder vollständige Nikotinfreiheit – erschweren ein Gesamtfazit. Klar ist aber auf jeden Fall, dass sich eine unmittelbare Ableitung für die Praxis der Raucherentwöhnung in Deutschland allein schon aus der wenig realitätsnahen intensiven therapeutischen Betreuung der Patienten inklusive der Bezahlung von E-Zigaretten und NEPs verbietet. Daher ist diese Studie wenig aussagefähig für die therapeutische Wirklichkeit nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Ländern der Welt, in denen noch nicht einmal die wirksamste Form der Tabakentwöhnung, die Kombination verhaltenstherapeutischer Beratung und gleichzeitige Gabe von NEPs zur Linderung der Entzugssymptome, bezahlt wird.


Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft methodisch hochwertige RCTs veröffentlicht werden, die es erlauben, eine Bewertung der E-Zigarette als Rauchstopphilfe mit größerer Sicherheit vornehmen zu können. Die kontinuierliche Aktualisierung des Cochrane-Reviews, welche die Autoren in Aussicht gestellt haben, sollte künftig auch Angaben dazu machen, wie viele Raucher mit Hilfe der E-Zigarette im Vergleich zu anderen Methoden der Raucherentwöhnung nicht nur den Tabak-, sondern auch den Nikotinkonsum gänzlich einstellen. Ferner sollten Cochrane-Autoren nicht ihre eigenen Arbeitsergebnisse bewerten dürfen und bestehende Interessenskonflikte sollten offengelegt werden. Eine umfassende Unabhängigkeit von Cochrane-Reviews ist erforderlich.


Interessenkonflikt


Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Autorinnen/Autoren

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Prof. Dr. phil. Reiner Hanewinkel
Studium der Psychologie (Diplom, Promotion, Habilitation) in Kiel, Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. Außerplanmäßiger Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel. Seit 1990 Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, in Kiel.
hanewinkel@ift-nord.de

Literatur


[1] Pisinger C, Godtfredsen N, Bender AM. A conflict of interest is strongly associated with tobacco industry-favourable results, indicating no harm of e-cigarettes. Prev Med 2019; 119: 124–131


[2] Hartmann-Boyce J, McRobbie H, Lindson N et al. Electronic cigarettes for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2020: CD010216


[3] Hajek P, Phillips-Waller A, Przulj D et al. A Randomized Trial of E-Cigarettes versus Nicotine-Replacement Therapy. N Engl J Med 2019; 380: 629–637


[4] Goniewicz ML, Smith DM, Edwards KC et al. Comparison of Nicotine and Toxicant Exposure in Users of Electronic Cigarettes and Combustible Cigarettes. JAMA Netw Open 2018; 1: e185937


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Publication History

Article published online:
11 June 2021

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Abb. 1 Tabakfreiheit vs. Nikotinfreiheit: Ergebnisse des nach 52 Wochen [3].
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Prof. Dr. phil. Reiner Hanewinkel
Studium der Psychologie (Diplom, Promotion, Habilitation) in Kiel, Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. Außerplanmäßiger Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel. Seit 1990 Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, in Kiel.
hanewinkel@ift-nord.de