Gefäß-Nerven-Kontakt bei SUNCT/SUNA häufig vorhanden
**** Lambru G, Rantell K, O’Connor E, et al. Trigeminal neurovascular contact in SUNCT
and SUNA: a cross-sectional magnetic resonance study. Brain 2020; 143; 3619–3628
Zusammenfassung
Die Ähnlichkeit der klinischen Präsentation von SUNCT (short lasting unilateral neuralgiform
headache attacks with conjunctival injection and tearing) bzw. SUNA (short lasting
unilateral neuralgiform attacks with cranial autonomic symptoms) und einer klassischen
Trigeminusneuralgie sowie die Tatsache, dass beide Erkrankungen häufig auf die gleichen
Medikamente ansprechen, hat die Autoren dazu veranlasst, weitere Gemeinsamkeiten zwischen
diesen Erkrankungen zu suchen. Es wurden 159 Patienten mit SUNCT (n = 80)/SUNA (n
= 79) MR-tomografisch untersucht, um einen Gefäß-Nerven- Kontakt zu finden. Es wurden
165 symptomatische und 153 asymptomatische Trigeminusnerven untersucht, wobei der
symptomatische Nerv mit der Seite der Schmerzattacken gleichgesetzt wurde. Der Anteil
eines nachgewiesenen Gefäß-Nerven- Kontaktes war mit 80 % auf der symptomatischen
Seite deutlich höher als auf der asymptomatischen Seite mit nur 56,9 % und morphologische
Schäden waren häufiger auf der symptomatischen Seite (61,4 %) als auf der asymptomatischen
Seite (31 %) nachweisbar. Der Gefäß-Nerven-Kontakt war zu 95 % durch eine Arterie
verursacht. Rein radiologisch betrachtet bestand bei Patienten mit einem sichtbaren
Gefäß-Nerven- Kontakt und nachweisbaren morphologischen Schäden am Nerven ein 2,8-mal
höheres Risiko SUNCT/SUNA auf der entsprechenden Seite zu haben (OR: 2,8, 95 % CI
1,44–5,44; p = 0,002). Einen Unterschied zwischen SUNCT und SUNA konnte in diesem
Zusammenhang nicht gefunden werden. Es konnte aber klar festgestellt werden, dass
die Pathophysiologie von SUNCT/SUNA und Trigeminusneuralgie große Überschneidungen
zeigt und die weitere Untersuchung dieser Gemeinsamkeiten in Zukunft wohl möglich
zu einem besseren Verständnis beider Erkrankungen führen könnte.
Kommentar
Die Studie hat eine beeindruckend große Anzahl an SUNCT/SUNA-Patienten zusammengetragen
und diese systematisch MR-tomografisch untersucht und die von vielen Kollegen in diesem
Bereich schon lange vermuteten Gemeinsamkeiten zwischen SUNCT/SUNA und der klassischen
Trigeminusneuralgie pathophysiologisch untermauert. Nicht nur die Häufigkeit eines
„normalen“ Gefäß-Nerven-Kontaktes wurde hier beschrieben, sondern auch eine erhöhte
Häufigkeit von morphologisch nachweisbaren Nervenveränderungen auf der betroffenen
Seite von SUNCT/SUNA-Patienten konnte gezeigt werden, ähnlich wie dies vor einigen
Jahren bei der Trigeminusneuralgie dargestellt werden konnte. Für die weitere Forschung
bietet dies interessante neue Perspektiven, um das trigeminale schmerzverarbeitende
System besser zu verstehen. Auch von der klinischen Seite kann eine Rechtfertigung
aus dieser Studie gezogen werden, die klassischen Medikamente zur Behandlung der Trigeminusneuralgie
wie Carbamazepin oder Oxcarbazepin auch konsequent und mit fundiertem, wenn auch noch
theoretischem Hintergrundwissen einzusetzen. Ganz nebenbei rechtfertigen die Ergebnisse
dieser Studie nicht zuletzt die Unterscheidung von SUNCT und SUNA zu beenden.
Mark Obermann, Höxter
Indometacin für die prophylaktische Behandlung von chronischem Clusterkopfschmerz?
*Monta A, Redon S, Fabre C, et al. A retrospective observation on 105 patients with
chronic cluster headache receiving indomethacin. Neurological Sciences 2021. doi:
10.1007/s10072-021-05114-4
Die Wirksamkeit von Indometacin beim Clusterkopfschmerz bleibt unklar.
Hintergrund
Zwar wird davon ausgegangen, dass Indometacin keine Wirkung beim Clusterkopfschmerz
zeigt, dennoch gibt es Fallberichte, die eine Wirksamkeit beschreiben [1], [2]. Suggestiv ist auch die klinische und pathophysiologische Ähnlichkeit zu den Indometacin-
sensitiven trigemino-autonomen Kopfschmerzerkrankungen Hemicrania continua und chronischen
paroxysmalen Hemikranie.
Zusammenfassung
In der vorliegenden retrospektiven, monozentrischen Studie wurde die Wirksamkeit von
Indometacin als prophylaktische Medikation in chronischen Clusterkopfschmerz- Patienten,
die zwischen 2007 und 2018 behandelt wurden, untersucht. Die Wirksamkeit der Medikation
wurde als ≥ 50 %ige Reduktion der Attackenfrequenz definiert (Responder). Als Non-Responder
wurden Patienten definiert, die mind. 100 mg Indometacin/Tag über 7 Tage ohne Erfolg
einnahmen. 324 chronische Clusterkopfschmerz-Patienten (63 % männlich, 33,92 ± 14,71
Jahre) wurden identifiziert. 105 Patienten hatten Indometacin als Prophylaxe (max.
Dosierung: 125 ± 50,87 mg/Tag) versucht, davon zeigten 30 Patienten (29 %, davon 18
Frauen, 44,89 ± 12,88 Jahre) eine ≥ 50 %ige oder vollständige Reduktion der Attackenfrequenz.
34 Patienten (32 %) waren Non-Responder, in 41 Patienten (39 %) konnte keine Aussage
zur Wirksamkeit der Medikation getroffen werden, da diese Patienten nicht mind. 100
mg Indometacin über 7 Tage eingenommen hatten. 16 Patienten aus der Responder- Gruppe
(53 %) berichteten über Nebenwirkungen, am häufigsten gastrointestinal (87 %), trotz
Protonenpumpenhemmereinnahme in 87 %. 19 Patienten aus der Responder- Gruppe beendeten
die Medikation aufgrund eines Wirkverlusts (27 %), Nebenwirkungen (27 %), Kontraindikationen
(13 %) oder gebessertem Zustand (37 %). Über die Dauer der Einnahme über 7 Tage hinaus
wird nicht berichtet. Die Verschreibung von Indometacin erfolgte aus diagnostischen
Gründen (26 %), aufgrund eines fehlenden Therapieansprechens (47 %) oder wegen interiktalen
(Hintergrund-)Schmerzen (20 %). Verglichen mit den übrigen chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten,
waren Patienten in der Indometacingruppe häufiger weiblich (54 vs. 29 %), hatten öfter
einen interiktalen (Hintergrund-)Schmerz (40 vs. 16 %) und mehr Clusterkopfschmerz-Attacken
(2,97 ± 1,91 vs. 2,51 ± 1,74 Attacken/ Tag).
Kommentar
Die Rationale für die vorliegende Untersuchung ist interessant. Dennoch weist die
Durchführung und Auswertung Schwächen auf, sodass eine Interpretation der Daten nur
schwer möglich ist, z. B. bleibt unklar, auf welcher Grundlage das Ansprechen von
Indometacin erhoben wurde (Attackenkalender oder subjektive Angabe). Zusätzlich konnte
in 39 % keine Aussage über das Ansprechen gemacht werden. Beachtenswert ist, dass
Indometacin überwiegend in Frauen, bei Vorhandensein von Hintergrundschmerz und zu
diagnostischen Zwecken eingesetzt wurde. Dies könnte auch als ein Hinweis dafür gewertet
werden, dass die Diagnose des Clusterkopfschmerzes insbesondere bei Frauen häufiger
in Frage gestellt wird, evtl. auch wegen der bei Frauen oft weniger typischen Symptomatik.
Zusammenfassend ist die Studie eher als große Fallserie zu werten, die einen weiteren
Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit von Indometacin bei chronischem Clusterkopfschmerz
gibt. Eine tatsächliche Beurteilung der Wirksamkeit würde aber eine kontrollierte
Studie mit ausreichend hoher Probandenzahl voraussetzen.
Katharina Kamm, München
Kündigen sich Clusterkopfschmerz-Episoden an?
*** Pedersen AS, Snoer A, Barloese M, et al. Prevalence of pre-cluster symptoms in
episodic cluster headache: Is it possible to predict an upcoming bout? Cephalalgia
2021. doi: 10.1177/0333102421989255
Prä-Clusterkopfschmerz-Symptome können den Beginn einer Clusterkopfschmerz-Episode
ankündigen.
Zusammenfassung
Mittlerweile ist gut verstanden, dass ähnlich wie bei der Migräne Vorboten für das
Auftreten und nicht autonome Begleitsymptome von Clusterkopfschmerz-Attacken bestehen
[1], [2]. Inwieweit dies auch für das Auftreten einer Clusterkopfschmerz-Episode gilt, untersuchte
die gleiche dänische Arbeitsgruppe in dieser Studie.
Die Studie wurde als retrospektive Befragungsstudie mit einem halbstrukturierten Interview
bezüglich des Auftretens von spezifischen und allgemeinen Symptomen und „Schattenattacken“
vor dem Auftreten einer Clusterkopfschmerz-Episode durchgeführt. Die Definition von
Schattenattacken, nämlich Attacken, die in ihrem Auftreten typischen Clusterkopfschmerz-Attacken
ähneln, in ihrer Intensität und Begleitsymptomen aber deutlich milder sind und für
die keine Akutmedikation benötigt wird, wurde den Teilnehmern vorher erklärt. Für
jedes Symptom wurde der Abstand zum Beginn der Episode erhoben und die Teilnehmer
sollten die Wahrscheinlichkeit einer folgenden Episode einschätzen. Einschlusskriterien
waren eine durch einen Kopfschmerzspezialisten bestätigte episodische Clusterkopfschmerz-
Diagnose und mindestens 5 aktive Episoden oder eine Episode im letzten Jahr, um Erinnerungsverzerrungen
zu reduzieren. 100 Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz (m = 79, 42,2 Jahre)
des Danish Headache Centers wurden zwischen Januar 2019 und April 2020 eingeschlossen.
76 % der Patienten berichteten mehr als 5 Episoden, 7 % der Patienten waren zum Zeitpunkt
der Erhebung in ihrer ersten Episode. 86 % der Patienten berichteten über mindestens
ein Prä-Cluster-Symptom, das durchschnittlich 6,8 Tage (IQR 3–14) vor Beginn einer
Episode auftrat. Die 3 häufigsten Prä-Clusterkopfschmerz-Symptome waren ein leichterer
Schmerz (62 %, 5,8 Tage, IQR 3–13), Schattenattacken (60 %, 6,5 Tage, IQR 4–14) und
Nackenschmerz (41 %, 4,8 Tage, IQR 2–7). 29 % der Patienten bejahten das Auftreten
eines/mehrerer trigemino- autonomer Symptome in der Zeit vor der Episode. Allgemeine
Symptome wie Abgeschlagenheit/Fatigue (37 %, 5,3 Tage, IQR 2–10), Gereiztheit (33
%, 5,2 Tage, IQR 3–7) und schlafbezogene Symptome (vermindertes Energielevel: 27 %,
Schlafprobleme: 19 %, nächtliches Aufwachen: 20 %) wurden ebenfalls berichtet. 53
der 93 Patienten (57 %) gaben an, dass sie auf der Grundlage der Prä-Cluster-Symptome
eine beginnende Episode innerhalb von 4,6 Tagen, IQR 2–7, vorhersagen könnten. Sofern
Schattenattacken auftraten, war die Wahrscheinlichkeit für eine erneute Episode 3-mal
höher. Patienten, die eine Episode vorhersagen konnten, hatten signifikant häufiger
mehr als 5 Episoden als Patienten, die keine Vorhersage treffen konnten (90,6 % vs.
59,6 %) und waren länger erkrankt (18,2 vs. 11,5 Jahre).
Das Auftreten von diesen Symptomen wurde auch in Remission erhoben: 58 % der Patienten
erlebten schon die Symptome in Remission, 53 % berichteten über einzelne Schattenattacken
und 33 % der Patienten erlebten einzelne Clusterkopfschmerz-Attacken. 19 % der Patienten
konnten vorhersagen, ob diesen Symptomen eine Episode folgt oder nicht. Dabei wurde
am häufigsten berichtet (n = 7), dass die Intensität/Dauer/ Häufigkeit untypisch sei.
In der Gruppe, die angab, dass sie Episoden aufgrund der genannten Symptome nicht
vorhersagen können, traten diese Symptome ebenfalls während der Remission auf. Die
Patienten gaben an, nicht einordnen zu können, ob eine Episode folgt oder nicht.
Kommentar
Eine genauere Charakterisierung von Beginn und Ende der Clusterkopfschmerz-Episoden
ist lohnenswert und spannend, um ein vollständigeres klinisches Bild dieser Erkrankung
zu erlangen. In diesem Sinne leistet die Studie einen wertvollen Beitrag zum klinischen
Verständnis und vielleicht auch als Grundlage für weiterführende pathophysiologische
Überlegungen. Eine methodische Einschränkung stellt die retrospektive Befragung dar
und eine höhere Patientenzahl wäre wünschenswert. Dennoch sollte die Studie Behandler
sensibilisieren, Patienten aktiv nach Prä-Clusterkopfschmerz-Symptomen zu fragen.
Die klinische Erfahrung bestätigt, dass viele Patienten zu Beginn und Ende ihrer Episode
Schattenattacken haben.
Ein Verständnis der Pathophysiologie dieser Schattenattacken im Vergleich zu voll
ausgeprägten Attacken könnte auch in Bezug auf neue Therapieoptionen interessant sein.
Die Studie zeigte, dass Patienten, die länger betroffen sind und bereits häufiger
Episoden hatten, die Symptome besser einordnen können. Den Nutzen sehen die Autoren
in einem möglichst frühzeitigen Beginn der prophylaktischen Behandlung. Hierzu müssten
zunächst noch prospektive Daten zur Sicherheit der (individuellen) Vorhersage einer
Episode auf der Basis der beschriebenen Prä-Clusterkopfschmerz-Symptome erhoben werden.
Katharina Kamm, München
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073901, ruth. ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und
Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen)
und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.