B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2021; 37(02): 83-85
DOI: 10.1055/a-1378-3395
Journal Club

Auswirkungen körperlichen Trainings auf das Darm-Mikrobiom

Rezensent(en):
Katharina Eckert
,
Thorsten Kreutz
Mailing LJ, Allen JM, Fields CJ, Woods JA.
Exercise and the Gut Microbiome: A Review of the Evidence, Potential Mechanisms, and Implications for Human Health.

Exerc. Sport Sci. Rev. 2019;
47: 75-85
 

Teile des Beitrags sind aus dem Englischen übersetzt bzw. modifiziert, statistische Kennwerte wurden zum Zwecke der Lesbarkeit entfernt. Alle zitierten Quellen sind in der Originalpublikation zu finden.


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Hintergrund

Der Gastrointestinaltrakt beheimatet Trillionen von Mikroben, die eine wesentliche Rolle bei der Verdauung von Nährstoffen, metabolischen Prozessen sowie der Immunantwort spielen und die Gesundheit ihres Wirtes beeinflussen. Das menschliche Darm-Mikrobiom besitzt eine gewaltige metabolische Kapazität mit über 1000 unterschiedlichen Bakterienarten und mehr als 3 Millionen differenten Erbfaktoren. Die Vielfalt des Mikrobioms wird von unterschiedlichen internen und externen Faktoren beeinflusst. Dazu zählen u. a. die Art der Entbindung, das Alter, die Einnahme von Antibiotika, eine übertriebene Hygiene, Stress und die Ernährung. Außerdem zeigt sich die Darmflora von Personen mit inflammatorischen Erkrankungsbildern (z. B. Diabetes mellitus oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen) weniger divers als bei Gesunden.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Einflüsse des Mikrobioms auf physiologische und pathophysiologische Prozesse überrascht es nicht, dass in jüngster Zeit vermehrt untersucht wird, welche Faktoren die Zusammensetzung des Mikrobioms genau beeinflussen. Die Auswirkungen einzelner Ernährungsformen und -gewohnheiten auf die Diversität der Bakterienstämme sind neben den bereits erwähnten Faktoren gut untersucht. Jüngere Ansätze, so auch der vorliegende Beitrag, verfolgen die Dechiffrierung der Effekte körperlicher Aktivität auf eine Veränderung der mikrobiotischen Vielfalt. Erste Studien stammen aus Tierversuchen. Von Matsumoto et al. (2008) wurde erstmalig festgestellt, dass ein fünfwöchiges Ausdauertraining die Zusammensetzung und die Funktion des Darm-Mikrobioms bei Mäusen positiv verändert. Trainingsbedingt konnte eine Zunahme der Buttersäure produzierenden Bakterienstämme beobachtet werden. Buttersäure (Butyrat) ist eine kurzkettige Fettsäure, die gesundheitsfördernde und regulierende Effekte für die Darmzellen und den Gesamtorganismus hat. Buttersäure aktiviert durch eine erhöhte Genexpression die Vermehrung der Epithelzellen der Darmschleimhaut und verbessert somit die Barrierefunktion gegenüber Giftstoffen und Krankheitserregern. 70 % des Energiebedarfs des Darms werden aus den kurzkettigen Fettsäuren bereitgestellt. Die Buttersäure sorgt darüber hinaus für eine verbesserte Nahrungsverwertung und Abwehrfunktion des Darms.


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Ziele des Reviews

Das vorliegende Review trägt u. a. den aktuellen Stand der Forschung zu den Effekten von körperlicher Aktivität auf die Bakterienvielfalt im menschlichen Darm zusammen. Die Autoren stellen mögliche Wirkmechanismen vor, die sowohl bei gesunden als auch bei kranken Individuen für diese Effekte ursächlich sein könnten. Die Ergebnisse werden anschließend mit Blick auf einen präventiven und therapeutischen Nutzen diskutiert.


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Ergebnisse

Insgesamt bilden sieben Querschnittstudien (Ngesamt = 360) und vier Längsschnittstudien (Ngesamt = 151) die Basis der Analyse. Jeweils eine Studie stammt aus dem Jahr 2014 bzw. 2016, alle anderen aus den Jahren 2017 und 2018. Es werden in der Folge die Hauptergebnisse präsentiert, ohne detailliert auf die spezifischen Veränderungen der einzelnen Bakterienstämme einzugehen.


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Querschnittliche Erhebungen

Erste Erkenntnisse zur Einflussnahme bzw. zum Zusammenhang von körperlicher Aktivität und Training auf die Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms beim Menschen entstammen querschnittlichen Analysen. Die Arbeitsgruppe um Clarke et al. (2014) zeigt beispielsweise, dass das Darm-Mikrobiom von professionellen Rugbyspielern eine deutlich höhere Vielfalt aufweist als das von inaktiven, normalgewichtigen Kontrollen. Bressa und Kollegen (2017) vergleichen Frauen, die wenigstens 3 Stunden pro Woche körperlich aktiv sind, mit inaktiven Kontrollen. Und auch hier werden Unterschiede in der Beschaffenheit des Mikrobioms zwischen den beiden Gruppen zugunsten der aktiven Gruppe deutlich. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen des Mikrobioms von der Intensität und Art der körperlichen Aktivität abhängen und dass vor allem lange, ununterbrochene Sitzzeiten negativ mit der mikrobiellen Vielfalt korrelieren. Stewart et al. (2017) weisen nach, dass das Darm-Mikrobiom von körperlich sehr aktiven Typ-1-Diabetikern vergleichbar ist mit einer gesunden Vergleichsgruppe. Andere Studienergebnisse fokussieren sich auf die Mikrobiom-Beschaffenheit im Zusammenhang mit der kardiorespiratorischen Fitness der Probanden. Gleichwohl auch hier vereinzelt Zusammenhänge artikuliert werden, nämlich je höher die kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit, desto vielfältiger das Mikrobiom, sind die Ergebnisse aufgrund der unzureichenden Studienqualität nicht sehr robust. Des Weiteren gilt zu beachten, dass das Mikrobiom eine sehr hohe inter-individuelle Variabilität aufweist, die mit der Individualität des Fingerabdrucks nahezu vergleichbar ist. Selbst wenn die zitierten Studien Zusammenhänge feststellen, kann nicht geschlussfolgert werden, dass diese eigens auf das Ausmaß an körperlicher Aktivität zurückzuführen sind. Querschnittstudien lassen diesen Kausalschluss nicht zu, da die Effekte nicht auf andere Faktoren, wie Ernährungsgewohnheiten, kontrolliert werden können.


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Längsschnittliche Studien

Vier Studien im längsschnittlichen Design wurden im Review berücksichtigt. Bei zwei Studien wurde eine Intervention zur Steigerung der aeroben Leistungsfähigkeit durchgeführt, eine Studie beinhaltete eine Mischform aus Ausdauer- und Krafttraining, und eine Studie verfolgte als Intervention die Bereitstellung von Informationsmaterialien zu den gesundheitsfördernden Effekten von körperlicher Aktivität. Die strukturierten Bewegungsinterventionen dauerten zwischen 6 und 8 Wochen, und die Probanden wurden hinsichtlich ihres Ernährungsverhaltens kontrolliert. Das Aktivitätsniveau reichte von leicht über moderat bis intensiv. Bei drei der vier Studien erfolgte der Einschluss von aktuell übergewichtigen oder vormals übergewichtigen, inaktiven Probanden. Eine Studie schloss 12 Brustkrebspatientinnen nach Behandlungsabschluss ein.

In einer kontrollierten Längsschnitterhebung konnte die Arbeitsgruppe um Allen et al. (2018) unterschiedliche Reaktion eines 6-wöchigen Trainings inaktiver Erwachsener auf das Darm-Mikrobiom feststellen. Die 32 Probanden setzten sich aus Personen zusammen, die entweder der Gruppe normalgewichtig (BMI < 25) oder der Gruppe übergewichtig (BMI > 30) zugeordnet werden konnten. Interessanterweise erhöhten sich unterschiedliche Bakterienstämme in Abhängigkeit vom Gewichtsstatus. Diese Effekte verschwanden nach Beendigung der Intervention wieder, was indiziert, dass die Auswirkungen auf das Mikrobiom nur vorübergehend und umkehrbar sind. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen Cronin et al. (2018). Die Zielstellung der Untersuchung bestand darin herauszufinden, ob ein 8-wöchiges Trainingsprogramm, bestehend aus einem 3x wöchentlich stattfindenden Ausdauer- und Krafttraining bei vormals übergewichtigen oder adipösen Probanden (n = 90), zu einer Erhöhung der mikrobiotischen Zusammensetzung und Funktion führt. Hierbei zeigte sich lediglich ein positiver Trend bei der aktiven Gruppe. Diese Ergebnisse gehen in dieselbe Richtung wie die von Munukka et al. (2018), die ein sechswöchiges leicht bis moderat intensives Ausdauertraining mit inaktiven, übergewichtigen Frauen umgesetzt haben. Haupterkenntnis dieser Studie (n = 17) besteht darin, dass nur die Hälfte der Bakterienstämme auf das Training reagiert haben, andere wiederum keine Veränderungen zeigten. Die Studie mit den Brustkrebspatientinnen wird im Review nicht näher dargestellt.


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Potenzielle Wirkmechanismen

Für die trainingsbedingten Veränderungen des Mikrobioms werden u. a. folgende mögliche Wirkmechanismen diskutiert:

  1. Der Darm ist ein lymphatisches Gewebe, in dem 70 % der Immunzellen des Menschen lokalisiert sind. Studien belegen, dass ein Ausdauertraining die Genexpression der intraepithelialen Lymphozyten erhöht und eine Herabregulierung der inflammatorischen Zytokine bewirkt. Zudem konnte eine Erhöhung der anti-inflammatorischen Zytokine und antioxidativ wirkenden Enzyme beobachtet werden, wodurch ein gesundheitsförderndes Mikrobiom-Gleichgewicht im Darm hergestellt wird. Des Weiteren konnte eine verbesserte Barrierefunktion und Arbeitsweise der Darmschleimhaut nachgewiesen werden, die wichtige Aufgaben bei der Krankheitsabwehr und intestinalen Entzündungsprozessen übernimmt.

  2. Das körperliche Training an sich bewirkt eine „Stresssituation“ für den Darm, da das Training dort zu einer aktivitätsbedingten Minderdurchblutung führt, die bei intensiveren Trainingsintensitäten kurzfristig feststellbar ist, sich jedoch nach dem Training wieder schnell normalisiert. Diese vorübergehende „Darmischämie“ scheint den Darm zu trainieren und positive Auswirkungen auf die Barrierefunktion und Belastbarkeit der Darmschleimhautzellen zu haben.

  3. Die aktivitätsbedingte Verkürzung der Transitzeit im Dickdarm und die Beschleunigung des Gastransports im Magen-Darm-Trakt können möglicherweise zu verbesserter Funktion und Zusammensetzung des Mikrobioms beitragen, da der pH-Wert, die Schleimbildung und die Nährstoffverwertung positiv beeinflusst werden.

  4. Die Gallensäure beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrobioms. Es konnte eine trainingsbedingte Veränderung der Produktion der Gallensäuren durch ein Ausdauertraining beobachtet werden, wodurch sich die Zusammensetzung der Bakterienstämme verbessern kann.

  5. Die Muskelaktivität bewirkt eine Ausschüttung von körpereigenen Myokinen, Metaboliten und Hormonen, die direkt oder auch indirekt mit dem Mikrobiom interagieren. Eine besondere Rolle könnte dabei das energiereiche Signalmolekül Laktat einnehmen, welches mit ansteigender Blutkonzentration mit der muskulären Ermüdung bei körperlicher Aktivität korreliert.


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Präventives / Therapeutisches Potenzial für Menschen mit Vorerkrankungen

Die zuvor beschriebene minderdifferenzierte Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms bei adipösen Menschen ließ sich auch bei Erkrankungen wie Darmkrebs, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Depressionen beobachten. Neben speziellen krankheitsspezifischen Bakterienstämmen des Mikrobioms und deren krankheitsspezifischen Auswirkungen wurde in Studien auch immer die trainingsbedingten Erhöhungen der Butyrat produzierenden Bakterienstämme näher untersucht. Dies ist deswegen relevant, da die kurzkettige Fettsäure Butyrat einen bedeutenden Einfluss auf die Genexpression von gesunden und kranken Zellen, die Hormon- und Neurotransmitterproduktion sowie auf Energiestoffwechsel und pro- und antiinflammatorische Prozesse des Immunsystems hat.

Bei allen oben genannten Krankheitsbildern konnte eine trainingsbedingte Erhöhung der Butyratproduktion und eine dadurch resultierende Harmonisierung des Mikrobioms sowie der Barrierefunktion des Darms bei den Patienten festgestellt werden. Diese Erkenntnisse könnten perspektivisch bedeutenden präventiven und therapeutischen Nutzen haben.


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Zusammenfassung und Fazit

In Summe legen die Befunde die Vermutung nahe, dass körperliches Training einen unabhängigen Faktor hinsichtlich Veränderungen des Darm-Mikrobioms darstellt. Die Studienlage deutet darauf hin, dass körperliches Training

  • die Vielfalt des Mikrobioms erhöht,

  • die Vermehrung der Bakterienstämme stimuliert, die die Darmschleimhautimmunologie modulieren

  • und die Funktionswege verbessert, die gesundheitsfördernde und regulierende Stoffwechselprodukte synthetisieren (z. B. Butyrate und Propionate).

Die möglichen Wirkmechanismen sind zwar nicht so vielfältig wie das Mikrobiom selbst, dennoch zeichnet sich ab, dass auch diese hoch individuell zu beurteilen sind. Daher ist das Review von Mailing et al. vorsichtig mit allgemeingültigen Aussagen, und die Autorengruppe weist darauf hin, dass die Ableitungen bis dato meist spekulativen Charakter besitzen.

Aktuell ist es auf Grundlage der vorliegenden Studien nicht möglich, konkrete Trainingsempfehlungen zu formulieren. In drei der vier längsschnittlich angelegten Studien wurde jeweils ein Ausdauertraining über eine Dauer von 6 – 8 Wochen mit unterschiedlichen Intensitätsbereichen durchgeführt. Dabei zeigten sich uneinheitliche Veränderungen in unterschiedlichen Bakterienstämmen. Welche Auswirkungen die Wahl der Trainingsform (Ausdauer- oder Krafttraining), die Belastungsintensität und die Interventionsdauer auf die gesundheitsfördernden Bakterienstämme haben, ist noch offen. Darüber hinaus scheint das Mikrobiom von schlanken Personen eher auf eine Bewegungsintervention anzusprechen als das von übergewichtigen oder adipösen Personen. Die Thematik wirft ein Füllhorn an zu bearbeitenden Fragestellungen auf, welche die Anpassungen und Signalwege auf das Mikrobiom weiter zielführend beleuchten könnten:

  • Welche trainingsbedingten Auswirkungen haben verschiedene Methoden und Intensitäten auf die Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms? Welche Dauer bzw. Frequenz sind am effektivsten?

  • Welche zielgruppenspezifischen Unterschiede (Kinder, Ältere, Sportler, Nichtsportler, Patienten) existieren in der Zusammensetzung des Mikrobioms, und welche Bakterienstämme werden durch eine Trainingsintervention modifiziert?

  • Welche zellulären und molekularen trainingsbedingten Wirkmechanismen sind für mögliche Veränderungen des Mikrobioms verantwortlich?

  • Welche Effekte hat unstrukturierte Bewegung wie bspw. die Alltagsaktivität auf das Mikrobiom? Ab welchem Aktivitätsniveau können Veränderungen nachgewiesen werden?

  • Welche mögliche Interaktion besteht zwischen Training und Ernährung, die Adaptationen des Mikrobioms unterstützen könnte?

Die aktuelle Studienlage macht deutlich, dass es sich um eine sehr junge Forschungsrichtung handelt. Keine der existierenden Studien an Menschen ist älter als sechs Jahre, der überwiegende Teil stammt aus den letzten beiden Jahren. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Thema weiter an Fahrt gewinnt. Potenzial scheint gegeben – offene Fragen gibt es genug.

Zusatzinfo

Aktuelles zum Weiterlesen

Mohr et al. (2020): The athletic gut microbiota: https://doi.org/10.1186/s12970-020-00353

Literatur bei den Autoren


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
16. April 2021

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