Arthritis und Rheuma 2021; 41(03): 217-218
DOI: 10.1055/a-1341-5495
Kinderrheumatologie kompakt

Revision der diagnostischen Leitlinien des Kawasaki-Syndroms in Japan

Toni Hospach
 

ZUSAMMENFASSUNG

Auch wenn Inzidenz und Risikoprofil japanischer Patienten nicht auf die Population in Deutschland übertragbar sind, so kann ein Blick auf die Evolution der diagnostischen Kriterien in einem Land mit ca. 10 000 Erkrankten pro Jahr dazu beitragen unser diagnostisches Gespür zu schärfen.


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Kobayashi T, Ayusawa M, Suzuki H et al. Revision of diagnostic guidelines for Kawasaki disease (6th revised edition). Pediatrics International 2020; 62(10): 1135–1138

Ende 2020 wurde in Pediatrics International die 6. Revision der Diagnoseleitlinien für das Kawasaki-Syndrom (KS) von der japanischen Gesellschaft für KS publiziert. Eine erneute Revision –nach zuletzt 2002 – war notwendig geworden, nachdem zwar frühzeitiger mit Immunglobulinen (IVIG) therapiert und damit die Inzidenz von Koronararterienaneurysmen (KAA) gesenkt werden konnte, aber die Fälle mit der Diagnose „ inkomplettes“ KS von 10 auf 20 % zunahmen. Zudem war es auch zu einer Standardisierung der echokardiografischen Messung für Koronararterienerweiterung gekommen. Dabei wurden folgende wesentliche Änderungen beschlossen:

  1. Eine für die Diagnose notwendige Dauer des Fiebers wurde eliminiert. Der Grund hierfür war, dass in Japan bereits am 3./4./5. Tag die Therapie bei 9/25/35 % der Patienten begonnen wurde.

  2. Die Begriffe „komplettes“ und „inkomplettes“ KS wurden präzisiert.

Es wurden 6 Hauptkriterien formuliert:

KLINISCHE HAUPTKRITERIEN
  • Fieber

  • Bilaterale bulbär konjunktivale Injektion

  • Lippen- und Mundschleimhautveränderungen (Rötung, Erdbeerzunge, diffuse Injektion der oralen und pharyngealen Schleimhaut)

  • Exanthem (inklusive Rötung an einer BCG Impfstelle)

  • Palmar- und Plantarexanthem und -ödem, später periunguale Schuppung

  • Nichteitrige zervikale Lymphknotenschwellungen

Um ein komplettes oder inkomplettes KS zu diagnostizieren ([ Tab. 1 ]), ist der Ausschluss einer anderen zugrundeliegenden fieberhaften Erkrankung notwendig.

Tab. 1

Definition komplettes und inkomplettes Kawasaki-Syndrom.

Anzahl der klinischen Befunde

Koronararterienveränderungen (+)

Koronararterienveränderungen (–)

6

Komplett (a)

Komplett (a)

5

Komplett (a)

Komplett (a)

4

Komplett (a)

Inkomplett (d)

3

Inkomplett (c)

Inkomplett (d)

  • Bei Vorliegen von 5 oder 6 Hauptkriterien liegt ein komplettes KS vor.

  • Bei Vorliegen von 4 Hauptkriterien und dem Nachweis von Koronararterienveränderungen in der Echokardiografie liegt ein komplettes KS vor.

  • Bei Vorliegen von 3 Hauptkriterien mit Koronararterienveränderungen ist ein inkomplettes KS zu diagnostizieren, wenn andere Erkrankungen ausgeschlossen worden sind.

  • Bei Vorliegen von 3 oder 4 Kriterien ohne Koronararterienveränderungen, aber mit weiteren signifikanten Kriterien (siehe Kasten „Weitere signifikante Kriterien beim Kawasaki-Syndrom“) kann ein inkomplettes KS diagnostiziert werden, wenn andere Erkrankungen ausgeschlossen wurden.

  • Bei Vorliegen von 1 oder 2 Hauptkriterien kann ein inkomplettes KS ebenfalls erwogen werden, wenn andere Erkrankungen ausgeschlossen worden sind.

WEITERE SIGNIFIKANTE KRITERIEN BEIM KAWASAKI-SYNDROM
  1. Ein KS kann –auch bei Vorliegen von weniger als 4 Hauptkriterien – vermutet werden bei Vorliegen der folgenden Kriterien:

    • Transaminasenerhöhung

    • Leukozyturie

    • Thrombozytose in der Konvaleszenzphase

    • Erhöhung von NT-proBNP

    • Mitralklappeninsuffizienz oder Perikarderguss

    • Gallenblasenhydrops

    • Erniedrigung von Albumin oder Natrium

  2. Weitere nichtspezifische Befunde, die nicht zum Ausschluss KS führen sollten:

    • Irritabilität

    • Herzgeräusche, EKG-Veränderungen, Aneurysmata peripherer Arterien

    • Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhö

    • Anämie, BSG-Beschleunigung

    • Mikropustulöses Exanthem, transversal verlaufende Rillen an den Nägeln

    • Husten, Rhinitis, retropharyngeales Ödem, Infiltrat im Röntgen-Thorax

    • Gelenkschmerzen, -schwellungen

    • Liquorpleozytose, Krampfanfälle, Fazialisparese, Extremitätenparese

Des Weiteren wird bei der Echokardiografie der Gebrauch der Z-Scores für die Definition der Koronararterienweite empfohlen. Eine Koronararteriendilatation ist dabei definiert als Erweiterung des inneren Koronararteriendurchmessers von ≥ 2,5 SD.

Kommentar

Nach wie vor kann die Diagnose „KS“ nur klinisch gestellt werden und ist als solche eine Herausforderung, die das Risiko einer zu späten Therapie mit irreversiblen Spätschäden in sich birgt, aber auch die Gefahr, unnötig viele Kinder mit Immunglobulinen zu behandeln.

Die aktualisierten japanischen diagnostischen Leitlinien haben interessanterweise die Fieberdauer eliminiert. Wenngleich eine sehr frühe Diagnose (3. Tag Fieber) in unserer nichtasiatischen Population schwierig sein dürfte, ist es andrerseits prognoserelevant die Therapie so früh wie möglich einzuleiten. Von einem Abwarten bis zum 10. Tag muss abgeraten werden, denn – und dies zeigten in den letzten Jahren zahlreiche Studien – zur Verhinderung einer Gefäßschädigung ist es notwendig, das Feuer der Inflammation frühzeitig zu ersticken.

In diesem Sinn wird hoffentlich auch die nun vorgelegte Präzisierung des Begriffs „inkomplettes KS“ einen Beitrag leisten. Überfällig war hierbei die erstmalige Gewichtung von echokardiografischen Befunden.

Grundsätzlich sollte aber berücksichtigt werden, dass es sich bei den vorliegenden diagnostischen Leitlinien nicht um Diagnosekriterien im engeren Sinne handelt, die mit einer universellen Präzision eine individuelle Diagnose stellen können. Solche Kriterien wären idealerweise nicht von der nationalen Inzidenz und/oder der lokalen Vorselektion der Patienten abhängig (prädiktiver Vorhersagewert) und würden auch einzelne Kriterien definiert unterschiedlich stark evaluieren. Gleichwohl ist es möglich, mit den aktuell formulierten Hauptkriterien und dem Hinweis auf weitere signifikante und nichtspezifische, assoziierte Befunde auf pragmatischem Weg zu einer – hoffentlich frühzeitigen – Diagnose zu kommen. Dabei ist es nach wie vor das Wichtigste, an die Diagnose überhaupt zu denken. Wenn nach Abgleich mit den erwähnten Kriterien – und dem Fehlen einer anderweitigen Ursache – weiterhin Zweifel bestehen, mag es sinnvoll sein, die Diagnose KS – angesichts möglicher irreversibler Spätfolgen – nicht vorschnell zu verwerfen.

Toni Hospach, Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart


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Publication History

Article published online:
08 June 2021

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