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DOI: 10.1055/a-1340-1500
Livedo racemosa bei primärem Antiphospholipidsyndrom
Ausgedehnte Thromboembolien mit Multiorganbeteiligung bei Nachweis von ß2-Glykoprotein-I-AntikörperLivedo racemosa: Skin Involvement in the Antiphospholipid SyndromeAntiphospholipid Antibodies, Multi-Organ Dysfunction and Excessive ThrombosisZusammenfassung
Das Antiphospholipidsyndrom umfasst als Kardinalsymptome rezidivierende arteriovenöse thrombembolische Ereignisse, vermehrte Aborte oder Schwangerschaftskomplikationen und das Vorliegen von Antiphospholipid-Antikörpern. In ca. 20 % der Fälle liegt eine Livedo racemosa als kutane Manifestation vor. Die Therapie besteht in der Prophylaxe weiterer Thromboembolien.
Wir berichten über einen Patienten mit Multiorganbeteiligung (Livedo racemosa, Milz-, Pankreas-, Darm- und fraglich Niereninfarkte) bei Nachweis von ß2-Glykoprotein-I-IgG-Antikörper.
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Abstract
The antiphospholipid syndrome is a systemic autoimmune disorder characterized by the presence of antiphospholipid antibodies. In case of acquired thrombophilia, the risk of venous and arterious thrombosis and pregancy complications including miscarrage and stillbirth is increased. Currently patients with antiphospholipid-associated thrombosis were treated with long-term anticoagulation.
We present a case of a 53 aged male with a severe clinical history of antiphospholipid syndrome with multiple organ dysfunction and positivity for IgG anti-β2Glycoprotein I antibodies.
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Einleitung
Beim Antiphospholipidsyndrom handelt es sich um eine erworbene Blutgerinnungsstörung, deren Grundlage die Bildung von Autoantikörpern gegen an Phospholipide gebundene Proteine (z. B. Lupus Antikoagulans, Anticardiolipin, Anti-β2-Glykoprotein-I) ist. Durch die erhöhte Gerinnungsneigung kommt es gehäuft zu arteriovenösen Thromboembolien, häufigste klinische Manifestation ist eine tiefe Venenthrombose mit Lungenarterienembolie als Komplikation. Bei Patientinnen besteht ein erhöhtes Risiko für Entwicklung von Schwangerschaftskomplikationen wie Eklampsie, Plazentainsuffizienz und wiederkehrenden Aborten. Eine Livedo racemosa tritt bei ca. 20 % der Patienten auf. Im Gegensatz zu dem primären, idiopathischen Antiphospholipidsyndrom ist die sekundäre Form mit Autoimmunerkrankungen wie bspw. dem systemischen Lupus erythematodes assoziiert [1].
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Fall
Wir berichten über einen 53-jährigen Patienten, der sich mit ausgedehnten Livedo-Veränderungen vorstellte. Im Vorfeld bestand ein fieberhafter Infekt mit Temperaturen bis 40 °C, welcher spontan mit Auftreten der Hautveränderungen abklang. Der Patient klagte über stechende Schmerzen im Bereich der linken Flanke mit Spannungsgefühl. Keine Gelenkbeschwerden, keine Dysurie, Stuhlgang etwas wässrig, aber nicht blutig. Es besteht eine Dauermedikation mit Allopurinol.
Klinisch zeigt sich das Bild einer Livedo racemosa ([Abb. 1 a, b]); am gesamten Integument mit Betonung der proximalen Extremitäten und des Stammes zeigen sich livide, bizarr konfigurierte, netzartige Makulae, wobei die Ringstrukturen der Maschen nicht fortlaufend, sondern unterbrochen sind und Kaliberschwankungen aufweisen (Abgrenzung zur physiologischen Livedo reticularis [2]. Die Veränderungen sind auf Glasspateldruck kurzzeitig wegdrückbar. Keine Einblutung oder Petechien. Abdomen mit leichtem Druckschmerz im linken Oberbauch.


Nachweis von ß2-Glykoprotein-I-IgG-Antikörper, Cardiolipin-Antikörper negativ, keine Thrombozytose, partielle Thromboplastinzeit (aPTT) verlängert auf 91 s bei normaler Plasmathrombinzeit (PTZ) und unauffälligem Quickwert. Nierenretentionsparameter regelrecht, im Urinstatus Hämaturie und moderate Proteinurie.
Die apparative Diagnostik mittels CT Abdomen, Koloskopie und ÖGD zeigte multiple Milzinfarkte ([Abb. 2]), eine ödematöse Pankreatitis, einzelne kleine Hypodensitäten des Nierenparenchyms sowie eine Pankolitis mit beginnenden Nekrosen ([Abb. 3]). Eine zerebrale Beteiligung i. S. eines Sneddon-Syndroms konnte im cMRT ausgeschlossen werden.




In der Histologie fanden sich zahlreiche Vaskulopathien mit entzündlicher Begleitreaktion und epidermalen Nekrosezonen. Die direkte Immunfluoreszenz war negativ ([Abb. 4 a –d]).


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Diskussion
Die Diagnosestellung erfolgt anhand der strengen Kriterien nach Syndey, welche serologische und klinische Kriterien umfasst ([Tab. 1]). Nur wenige der klinisch als Antiphospholipidsyndrom gewerteten Fälle erfüllen hierbei die Diagnosekriterien, insbesondere da hohe Antikörpertiter gefordert werden. Die serologischen Befunde müssen in einem Mindestabstand von 3 Monaten bestätigt werden, da auch eine passagere Antikörperbildung im Rahmen eines Infektes vorliegen kann [1].
klinisch |
Arterielle/venöse Thrombosen (Nachweis in Bildgebung oder Histologie) |
Schwangerschaftskomplikationen: ≥ 3 Aborte vor der 10. SSW (keine chromosomale, anatomische oder hormonelle Ursache) ≥ 1 Frühgeburten vor der 34. SSW aufgrund einer Eklampsie, Präeklampsie oder Plazentainsuffizienz ungeklärter Tod eines normal entwickelten Feten ab der 10. SSW |
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serologisch[*] |
Lupusantikoagulans |
Cardiolipin IgG- oder IgM-Antikörper; Titer > 40 U/ml bzw. > 99. Perzentile des Labortests |
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β2-Glykoprotein-I-IgG- oder IgM-Antikörper; Titer > 99. Perzentile des Labortests |
* Bestätigungstest im Abstand von mindestens 3 Monaten wird gefordert
Bei unserem Patienten liegen ausgedehnte thromboembolische Ereignisse vor, welche wir klinisch, histologisch und apparativ belegten. Des Weiteren fanden sich ein positives Lupus antikoagulans sowie ß2-Glykoprotein-IgG-Antikörper. Trotz des äußerst eindrücklichen klinischen Befundes können wir bei fehlender Reproduzierbarkeit bzw. bei niedrigtitrigem Antikörperprofil formell die Diagnose eines Antiphospholipidsyndroms anhand der o. g. Kriterien nicht stellen. Erschwerend ist die Diagnosestellung bei Männern, da hier die geschlechtsspezifischen Kriterien von Aborten und Schwangerschaftskomplikationen in der Anamnese fehlen. Viele Kasuistiken zu sog. seronegativen Antiphospholipidsyndromen wurden publiziert, sodass über eine Anpassung der 2006 verabschiedeten Diagnosekriterien diskutiert werden kann [3].
Eine kausale Therapie des Antiphospholipidsyndroms existiert nicht. Entscheidend ist die Sekundärprophylaxe thrombotischer Ereignisse. Je nach Risikoprofil erfolgt eine Therapie mit ASS oder Vitamin-K-Antagonisten, in der Schwangerschaft werden Heparine eingesetzt. Eine Gabe von direkten Antikoagulanzien ist aufgrund erhöhter Blutungsgefahr und der fehlenden Prävention arterieller Thrombembolien obsolet [1] [4].
Aufgrund der Multiorganbeteiligung diskutierten wir das Vorliegen eines katastrophalen Antiphospholipidsyndroms (CASP). Hier führt das Nebeneinander von arteriellen und venösen Gefäßverschlüssen zu Mikrozirkulationsstörungen mit disseminierter intravasaler Koagulopathie und Multiorganversagen. Zusätzlich zur der antikoagulativen Therapie kommen bei CASP hochdosiert Immunsuppressiva, intravenöse Immunglobuline und Plasmaaustausch zum Einsatz. Der Verlauf ist meist fulminant und die Mortalitätsrate hoch [5] [6].
Bei unserem Patienten leiteten wir zunächst eine orale Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten, Zielbereich INR 2–3, ein. Im Verlauf demaskierten sich akrale Nekrosen, sodass unterstützend eine Plättchenhemmung mit ASS und eine Infusionstherapie mit Ilomedin begonnen wurde. Weiterhin erfolgte eine hochdosierte immunsupprimierende Therapie mit Prednisolon, welche nach Besserung der Beschwerden langsam reduziert werden konnte.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Specker C, Fischer-Betz R, Dörner T. Antiphospholipidsyndrom. Update zu Diagnostik und Therapie. Z Rheumatol 2020; 79: 255-266
- 2 Dean S. Livedo Reticularis and Related Disorders. Curr Treat Options Cardiovasc Med 2011; 13: 179-191
- 3 Pignatelli P, Ettorre E, Menichelli D. et al. Seronegative antiphospholipid syndrome: refining the value of “non-criteria” antibodies for diagnosis and clinical management. Haematol 2020; 105: 562-572
- 4 Specker C, Dörner T, Schneider M. Hot Topic: Direkte orale Antikoagulanzien (DOACs) beim Antiphospholipidsyndrom?. Z Rheumatol 2019; 78: 493-494
- 5 Aguiar C, Erkan D. Catastrophic antiphospholipid syndrome: how to diagnose a rare but highly fatal disease. Ther Adv Musculoskel Dis 2013; 5: 305-314
- 6 Cerveraa R, Rodríguez-Pintób I, Espinosa G. The diagnosis and clinical management of the catastrophic antiphospholipid syndrome: A comprehensive review. J Autoimmun 2018; 92: 1-11
Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
10. März 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Specker C, Fischer-Betz R, Dörner T. Antiphospholipidsyndrom. Update zu Diagnostik und Therapie. Z Rheumatol 2020; 79: 255-266
- 2 Dean S. Livedo Reticularis and Related Disorders. Curr Treat Options Cardiovasc Med 2011; 13: 179-191
- 3 Pignatelli P, Ettorre E, Menichelli D. et al. Seronegative antiphospholipid syndrome: refining the value of “non-criteria” antibodies for diagnosis and clinical management. Haematol 2020; 105: 562-572
- 4 Specker C, Dörner T, Schneider M. Hot Topic: Direkte orale Antikoagulanzien (DOACs) beim Antiphospholipidsyndrom?. Z Rheumatol 2019; 78: 493-494
- 5 Aguiar C, Erkan D. Catastrophic antiphospholipid syndrome: how to diagnose a rare but highly fatal disease. Ther Adv Musculoskel Dis 2013; 5: 305-314
- 6 Cerveraa R, Rodríguez-Pintób I, Espinosa G. The diagnosis and clinical management of the catastrophic antiphospholipid syndrome: A comprehensive review. J Autoimmun 2018; 92: 1-11







