Aktuelle Rheumatologie 2021; 46(02): 134-137
DOI: 10.1055/a-1338-1214
Geschichte der Rheumatologie

Entwicklung der universitären Rheumatologie in Ostdeutschland

Hans-Egbert Schröder
 

Die Entwicklung der universitären Rheumatologie in Ostdeutschland ist eng mit den universitären Einrichtungen in Dresden, Jena, Leipzig, Magdeburg und Ost-Berlin sowie Rostock verknüpft. In diesem Beitrag kann aus Platzgründen nur auf die Entwicklung bis zum Ende der DDR eingegangen werden. Die Entwicklung der Rheumatologie für Kinder- und Jugendliche bedarf einer gesonderten Darstellung.


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Nach dem 2.Weltkrieg wurde in Ostdeutschland das gesamte Gesundheitswesen verstaatlicht. Dadurch konnte der Interessenkonflikt zwischen ambulanter und stationärer medizinischer Versorgung beseitigt werden, wie er heute noch in Deutschland besteht . Neben Nachteilen, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann, ergaben sich aber auch Vorteile bei begrenzten ökonomischen Reserven. So konnten auf diesem Wege Impulse für die ambulante Betreuung von Rheumakranken erschlossen werden. Entscheidend dafür war der Befehl 272 der sowjetischen Militäradministration in Deutschland zur Einrichtung von Ambulanzen und Polikliniken von 1947.

Entwicklungen im Bereich Dresden

Betrachtet man die Entwicklung der universitären Rheumatologie in Ostdeutschland, so ist zunächst der Nestor der ostdeutschen Rheumatologie Hans Tichy (1888–1970) zu erwähnen. Im Vorfeld hatte bereits Martin Vogel (1887–1947) den Kampf gegen den Rheumatismus einer kritischen Wertung unterzogen und sich für eine stärkere ambulante Ausrichtung eingesetzt. Er empfahl „die Einrichtung einer als Vorbild dienenden Musterpoliklinik“ [1]. Nach dem plötzlichen Tod von Vogel übernahm Tichy 1948 (damals bereits 60 Jahre alt) das Vermächtnis von Vogel und gründete am 1.7.1948 die erste Rheumapoliklinik in Ostdeutschland in Dresden Klotzsche [2]. Er legte damit den Grundstein für das 1. Rheumazentrum in Ostdeutschland, welches 1951 als „Institut für Rheumaforschung und Rheumabekämpfung“ dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR unterstellt wurde und eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der Rheumatologie, auch im internationalen Maßstab, spielte. Auf dem Gelände in Dresden-Klotzsche sollte in den 1970iger Jahren eine der modernsten Rheumakliniken in Europa entstehen. Tichy hatte zusammen mit dem Lehrstuhl für „Gebäudelehre und Entwerfen“ der TU Dresden die Pläne für den Neubau bereits bis in alle Einzelheiten fertig gestellt. Im Rahmen der 3. Hochschulreform wurde das Projekt jedoch 1974 von der damaligen sozialistischen Staatsregierung zu Gunsten eines neuen gesundheitspolitischen Projektes abgebrochen.

Zu den besonderen Verdiensten von Tichy zählt, dass er die Rheumabekämpfung aus dem Kurort mit seinen begrenzten Möglichkeiten an den Wohnort und Arbeitsplatz der Patienten verlagerte [3]. Damit in Zusammenhang stehend erfolgte der Auf- und Ausbau der Bezirks- und Kreisstellen für Rheumatologie [4].

1954 wurden in der DDR auf Grund des Mangels an ausgebildeten Ärzten und Ärztinnen die drei Medizinischen Akademien in Dresden, Erfurt und Magdeburg als zusätzliche universitäre Ausbildungsstätten gegründet.

1956 wurde Hans Tichy zum Professor mit Lehrauftrag für Physikalische Therapie an die Medizinische Akademie Carl Gustav Carus Dresden berufen.

Nach der Emeritierung von Wilhelm Crecelius (1898–1979) folgte 1965 Gerhard Heidelmann (1918–2000) auf den Lehrstuhl für Innere Medizin mit dem Bereich Rheumatologie. Gleichzeitig übernahm er 1966 als Nachfolger von Hans Tichy die Leitung des Institutes für Rheumatologie Dresden-Klotzsche. Er war maßgeblich am Aufbau einer flächendeckenden Rheumabetreuung in der DDR mit etwa 230 Beratungsstellen beteiligt. Mit Kurt Seidel und Werner Otto gründete er 1967 die „Gesellschaft für Rheumatologie“ in der „Gesellschaft für klinische Medizin der DDR“.

Gerhard Heidelmann verfügte neben der Rheumatolgie u. a. auch über hervorragende Kenntnisse auf den Gebieten Kardiologie und Angiologie. Zusammen mit dem Gründer der Sektion Angiologie in der DDR Peter Thiele (1919–1996) und dem besonders auf dem Gebiet der Elektrotherapie international bekannten Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin und Physiotherapie Herbert Edel (1914–2005) sowie dem Direktor der 1. Medizinischen Klinik in Dresden-Friedrichstadt Albrecht Beickert (1920–1972), der sich besonders mit den Kollagenosen beschäftigte, dem Kinderrheumatologen Kurt Lorenz (1919–2009), der besondere Verdienste bei der Bekämpfung des Rheumatischen Fiebers hat, sowie dem orthopädischen Rheumachirurgen Carl Crasselt (1925–2016) bestand ein deutlicher rheumatologischer Schwerpunkt in Dresden.

Nach der Emeritierung von Gerhard Heidelmann wurde der Bereich Rheumatologie an Hans-Egbert Schröder (*1940) mit dem Schwerpunkt „Kristallarthropathien und Organläsionen“ übertragen [5]. 1993 erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Rheumatologie der Medizinischen Fakultät Dresden.


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Entwicklungen im Bereich Jena

1964 wurde die Rheumaforschung an die Friedrich Schiller Universität Jena als „Leit-und Koordinierungseinrichtung für die Wissenschaftsorganisation der Rheumaforschung“ unter der Leitung von Kurt Seidel (1914–1990) verlagert.

In dem „Perspektivprogramm zur Bekämpfung der rheumatischen Erkrankungen“ des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR vom 3.1.1967 wurden die Zielstellungen bis 1970 und die prognostischen Einschätzungen bis 1980 festgelegt und die besondere Bedeutung des Zentrums der Rheumaforschung unter der Leitung von Kurt Seidel hervorgehoben. Zu den Teilaufgaben der Schwerpunktforschung wurden folgende Institute und Kliniken herangezogen: Zentrum für Rheumaforschung an der Medizinischen Fakultät Jena mit 13 Instituten und Kliniken, das Institut für Rheumatologie Dresden, das Medizinisch-Poliklinische Institut und das Pathologische Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, die Medizinischen Kliniken der Medizinischen Akademien Dresden (MAD), Erfurt und Magdeburg, die Kinderklinik und Orthopädische Klinik der MAD, die Kinderkliniken der Universität Berlin und Berlin-Buch, die Rheumatologisch-kardiologische Klinik Berlin- Buch, die Rheumaklinik Rostock, das Bezirkskrankenhaus Dresden-Friedrichstadt, die Rheumaklinik des Institutes für Balneologie und Kurortwissenschaften Bad Elster, das Institut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie Jena und Gesundheitseinrichtungen des Bezirkes Gera sowie das Krankenhaus Eisenhüttenstadt. Damit waren zum damaligen Zeitpunkt die wichtigsten rheumatologischen Leiteinrichtungen der medizinischen Betreuung, der Forschung und Lehre eingebunden [6].

Die Nachfolge von Kurt Seidel übernahm 1976 Gerhard Wessel (*1932). Er hatte zuvor bereits an der Medizinischen Akademie Erfurt eine erfolgreich arbeitende rheumatologische Betreuung für den Bezirk Erfurt aufgebaut. 1986 wurde Gerhard Wessel Vorsitzender des Forschungsprojektes Rheumatologie der DDR. In seiner Amtszeit festigte er zusammen mit Klaus Leistner (*1940) die Bedeutung der Rheumatologie sowohl national als auch international.

Bedeutsam für die Entwicklung der universitären Rheumatologie ist auch das Wirken von Lothar Jäger (1934–2020), der zeitweise die nationalen Forschungsverbünde wie die Arbeits- und Forschungsgemeinschaft „Entzündliche und degenerative rheumatische Erkrankungen“ leitete.


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Entwicklungen im Bereich Leipzig

Die Rheumatologie an der Karl- Marx-Universität Leipzig ist eng mit dem Namen Werner Otto (1921–2007), seinem Nachfolger Holm Häntzschel (*1941) und dem Patholgen Gottfried Geiler (1927–2018)verbunden .

Werner Otto war seit 1951 am Medizinisch-Polklinischen Institut tätig und gründete 4 Jahre nach Tichy 1952 die erst Rheumaambulanz in Leipzig. Er entwickelte in den Jahren seines Ordinariates von 1964–1986 zusammen mit seinen zahlreichen Mitarbeitern die Rheumatologie in Ostdeutschland maßgeblich mit. Besonders zu erwähnen ist seine Tätigkeit als Koordinator der Zusammenarbeit mit den profilbestimmenden und international ausgewiesenen Rheumatologen der sozialistischen Länder.

Holm Häntzschel führte das Werk von Werner Otto engagiert fort und wurde 1990 in geheimer Wahl zum Vorsitzenden der Gesellschaft für Rheumatologie der DDR gewählt und bereitete die Fusion mit der DGRh vor.

Eine besondere Rolle auf dem Gebiet der Pathologie spielte Gottfried Geiler mit seinen noch heute gültigen pathologisch-anatomischen Klassifikationen der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen. An dieser Stelle sei dankbar erwähnt, dass sein Engagement ganz entscheidend zur Gründung der Medizinischen Fakultät in Dresden nach der Wende beigetragen hat.


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Entwicklungen im Bereich Magdeburg

Die Entwicklung der Rheumatologie in Magdeburg ist eng mit dem Namen von Wolfgang Keitel (*1931) verbunden. Seine rheumatologische Tätigkeit begann er als Assistenzarzt und Oberarzt an der Medizinischen Klinik Magdeburg, ehe er von 1969–1995 als Chefarzt der Rheumaklinik des Fachkrankenhauses Vogelsang-Gommern diese Einrichtung zu einer der führenden rheumatologischen Kliniken in der DDR entwickelte. Seit 1964 war er Lehrbeauftragter an der Medizinischen Akademie Magdeburg. Seine umfangreichen fachlichen und wissenschaftlichen Kenntnisse machten ihn auch international rasch bekannt. Zu nennen ist hier unbedingt der nach ihm benannte Bewegungsfunktionstest, der sich allgemeiner Anwendung erfreute. Große Verdienste erwarb sich Wolfgang Keitel im Vorstand der Gesellschaft für Rheumatologie der DDR, der er von 1962 bis 1989 angehörte und deren Vorsitzender er von 1974 bis 1976 war. In diese Zeit fiel auch 1974 die Auflösung des Rheumainstitutes in Dresden Klotzsche und die Verlagerung der „Zentralstelle für Rheumabekämpfung der DDR“ nach Bad Elster. Nicht zuletzt seien seine Verdienste für die Bewahrung der Geschichte der Rheumatologie im Auf- und Ausbau der Medizinhistorischen Sammlung Vogelsang-Gommern zu nennen, die von unschätzbarem Wert ist.


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Entwicklungen im Bereich Ost-Berlin

Die erste und für lange Zeit einzige Rheumaberatungsstelle in Deutschland befand sich in den 1930iger Jahren in Berlin Friedrichshain [1].

Im Berliner Raum entwickelten sich dann auf der ostdeutschen Seite nach dem 2. Weltkrieg und dem Mauerbau zwei Standorte. Das waren zum einen die Rheumatologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, zum anderen die Rheumatologie in Berlin- Buch.

An der Charité gründete Emil Apostoloff (1926–2008) mit seinen zahlreichen Mitarbeitern den Arbeitsbereich klinische Immunologie und Rheumatologie an der 1. Medizinischen Klinik mit Forschungseinrichtung und Dispensaire für rheumatische Erkrankungen, die er bis Ende 1991 leitete. Emil Apostoloff etabliert bereits in den 1960iger Jahren die indirekte Immunfluoreszenz zum Nachweis antinukleärer Faktoren und war in der DDR der erste, der SLE Patienten mit Immunsuppressiva behandelte und die Plasmapherese bei Patienten mit Lupusnephritis einführte. Seine sehr aktive Arbeitsgruppe entwickelte sich dann unter der Leitung von Gerd Rüdiger Burmester (*1953) nach Übernahme des Direktorates der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinischer Immunologie 1993 erfolgreich weiter und erlangte große internationale Bedeutung.

In Berlin-Buch wurde 1951 im damaligen Ludwig-Hoffmann Krankenhaus die Abteilung Rheumatologie gegründet. 1964 übernahm Hans Ebert (1922–2002) die Leitung der Rheumatologisch-Kardiologischen Klinik. In seiner Amtszeit wurden zahlreiche Rheumatologen in Berlin-Buch ausgebildet. Der Autor hat hier eines seiner klinischen Praktika absolviert.

Im Jahre 1988 übernahm Erika Gromnica-Ihle (*1940), die zuvor von 1964 bis 1987 auch unter Emil Apostoloff an der Charité tätig war, die Leitung. Sie entwickelte die Rheumaklinik Berlin-Buch zu einem wichtigen rheumatologischen Zentrum weiter, das auch entscheidende Aufgaben in der Aus-, Weiter- und Fortbildung übernahm.


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Entwicklungen im Bereich Rostock

Siehe dazu Beitrag von Martin Keysser, Rostock [7].


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Nachwendebemerkungen

Die Lehrstühle für Rheumatologie in Dresden, Jena und Leipzig wurden nach dem Ausscheiden der Lehrstuhlinhaber nicht mehr nachbesetzt, sondern in C3 Professuren bzw. rheumatologische Arbeitsbereiche umgewandelt, sodass es außerhalb von Berlin in den Neuen Bundesländern keinen weisungsfreien Lehrstuhl für Rheumatologie mehr gibt.

Fazit

Die Entwicklung der universitären Rheumatologie in Ostdeutschland ist nach den schwierigen Anfängen nach dem 2. Weltkrieg vor allem eng mit der Entwicklung einer fundierten klinischen Rheumatologie, der Prophylaxe und der Bearbeitung epidemiologischer sowie sozialmedizinischer Fragestellungen verbunden. Für die Entwicklung einer international bedeutsamen Grundlagenforschung fehlten in der DDR die erforderlichen Mittel. Diese konnten erst nach der Wende schrittweise eingeworben werden.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

  • Literatur

  • 1 Schulze H. Zur Geschichte der Rheumatologie des 20. Jahrhunderts im Spiegel des deutschen medizinischen Schrifttums unter besondere Berücksichtigung sozialmedizinischer Gesichtspunkte, Inaug. Diss. Medizinische Akademie Dresden. 1964
  • 2 Tichy H. Rheumabekämpfung auf poliklinischem Wege. Z Rheumaforsch 1949; 8: 337-342
  • 3 Schröder HE. Bemerkungen zur Nachkriegsentwicklung der Rheumatologie in Ostdeutschland. Rheuma 1993; 13: 101-103
  • 4 Tichy H. Zur planmäßigen Rheumabekämpfung. Dtsch Gesundh Wes 1950; 5: 35-61
  • 5 Schröder HE. Gicht. In: Hartmann F, Phillip T, Hrsg Klinik der Gegenwart. Urban&Schwarzenberg. München: 1993: 1-48
  • 6 Seidel K, Felsch G. Das Zentrum der Rheumaforschung an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität und seine Beziehungen zum Hauptkoordinationszentrum Rheumatologie in Moskau. Wiss Z der FSU Jena 1967; 16: 525-530
  • 7 Keysser M. Rheumatologe per Ritterschlag: Die Entwicklung der Rheumatologie in Mecklenburg-Vorpommern. Akt Rheumatol 2021; 46: 25-26

Korrespondenzadresse

Prof. em. Hans-Egbert Schröder
Blumenweg 2
01109 Dresden
Deutschland   

Publication History

Article published online:
08 April 2021

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  • Literatur

  • 1 Schulze H. Zur Geschichte der Rheumatologie des 20. Jahrhunderts im Spiegel des deutschen medizinischen Schrifttums unter besondere Berücksichtigung sozialmedizinischer Gesichtspunkte, Inaug. Diss. Medizinische Akademie Dresden. 1964
  • 2 Tichy H. Rheumabekämpfung auf poliklinischem Wege. Z Rheumaforsch 1949; 8: 337-342
  • 3 Schröder HE. Bemerkungen zur Nachkriegsentwicklung der Rheumatologie in Ostdeutschland. Rheuma 1993; 13: 101-103
  • 4 Tichy H. Zur planmäßigen Rheumabekämpfung. Dtsch Gesundh Wes 1950; 5: 35-61
  • 5 Schröder HE. Gicht. In: Hartmann F, Phillip T, Hrsg Klinik der Gegenwart. Urban&Schwarzenberg. München: 1993: 1-48
  • 6 Seidel K, Felsch G. Das Zentrum der Rheumaforschung an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität und seine Beziehungen zum Hauptkoordinationszentrum Rheumatologie in Moskau. Wiss Z der FSU Jena 1967; 16: 525-530
  • 7 Keysser M. Rheumatologe per Ritterschlag: Die Entwicklung der Rheumatologie in Mecklenburg-Vorpommern. Akt Rheumatol 2021; 46: 25-26