1 Einleitung
Im Dezember 2019 wurden erstmals in China Erkrankungen mit dem neuartigen Coronavirus
SARS-CoV-2 beschrieben. Die Infektion breitete sich in der Folge als Pandemie weltweit
aus. Das neuartige Coronavirus erhielt den offiziellen Namen „SARS-CoV-2“; klinisches
Bild und Erkrankung werden als „COVID-19” bezeichnet. Eine Infektionsübertragung durch
infizierte Personen erfolgt i. d. R. über Tröpfcheninfektion und Aerosole, wobei enge
Kontakte eine Übertragung begünstigen. Daher ist eine konsequente Umsetzung der Basishygiene
(einschließlich der Händehygiene) sowie der Personalschutzmaßnahmen essenziell.
Es ist zu beachten, dass es sich bei dem aktuellen COVID-19-Ausbruchsgeschehen um
eine sich sehr dynamisch entwickelnde Situation handelt. Umfangreiche Informationen
zum Erreger und zum Ausbruchsgeschehen finden sich auf der Internetseite des Robert
Koch-Instituts (www.rki.de). Grundsätzlich empfehlen wir die Bildung multidisziplinärer Teams im Krankenhaus,
die sich kontinuierlich mit der Thematik befassen. Zu diesen Teams sollten, soweit
am Standort verfügbar, Infektiologen, Intensivmediziner, Krankenhaushygieniker und
Pflegekräfte gehören.
2 Präambel
Erstmals wurde im März 2020 eine S1-Leitlinie zur intensivmedizinischen Therapie von
Patienten mit COVID-19 publiziert [1]. Diese Leitlinie wurde nachfolgend mehrfach für die intensivmedizinische Therapie
aktualisiert [2] und in dieser nun vorliegenden Version als S2k-Leitlinie um den gesamtstationären
Bereich erweitert. Eine Kurzfassung dieser Leitlinie wurde im Deutschen Ärzteblatt
publiziert [3].
Diese vorliegende Leitlinie bezieht sich dementsprechend auf den gesamten stationären
Versorgungsbereich. Für den ambulanten Bereich verweisen wir auf die Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin [4]. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger
beziehen sich die Angaben auf Angehörige jeglichen Geschlechts.
3 Diagnostik
3.1 Virologische Diagnostik
Im Rahmen der aktuellen Pandemiesituation soll bei jeder stationären Aufnahme eines
Patienten ein aktueller PCR-Test vorliegen oder erfolgen. ↑↑
Falls bei stationärer Aufnahme zunächst ein Antigennachweis auf SARS-CoV-2 erfolgt,
soll parallel die PCR-Testung durchgeführt werden. ↑↑
Bei negativer SARS-CoV-2-PCR und dringendem klinischen Verdacht soll eine zweite Probe
untersucht werden. ↑↑
PCR-Nachweissysteme gelten als „Goldstandard“ für die Diagnostik. Der Nachweis des SARS-CoV-2 mittels
PCR erfolgt aus einem Nasopharynx-Abstrich und/oder Oropharynx-Abstrich. Bei negativem
Testergebnis und dringendem klinischem Verdacht soll eine zweite Probe getestet werden.
Bei Patienten im späteren Verlauf der Erkrankung (Pneumonie, ARDS) kann der Rachenabstrich
bereits wieder virenfrei sein, während in den unteren Atemwegen weiterhin Viren nachweisbar
sind, sodass die Gewinnung von Tracheobronchialsekret oder einer BAL hilfreich ist.
Bei stationär aufgenommenen Patienten sollte ein aktueller PCR-Test auf SARS-CoV-2
vorliegen, um das Risiko von nosokomialen Infektionen zu reduzieren [5].
Antigennachweise für SARS-CoV-2 basieren auf dem Nachweis von viralem Protein in respiratorischen
Probenmaterialien und stehen im Point-of-Care-Format als Schnelltest zur Verfügung.
Beachtet werden muss, dass die Sensitivität, im Vergleich zur PCR, herabgesetzt ist
und zwischen den verschiedenen kommerziell erhältlichen Tests erhebliche Leistungsunterschiede
bestehen. Ein negatives Ergebnis im Antigentest schließt eine Infektion nicht aus,
insbesondere, wenn eine niedrige Viruslast vorliegt, wie in der frühen oder späten
Phase der Infektion. Im stationären Bereich soll daher bei Verwendung von Antigentests
immer parallel eine PCR durchgeführt werden [6].
Antikörpernachweise dienen aktuell primär infektionsepidemiologischen Fragestellungen. Nach derzeitigem
Kenntnisstand zeigt ein serologischer Nachweis von SARS-CoV-2-spezifischen Antikörpern
eine Exposition mit SARS-CoV-2 an, lässt derzeit jedoch noch keine eindeutige Aussage
zur Infektiosität für andere oder einem Immunstatus des Patienten zu [6].
3.2 Krankheitsbild
Die Erkrankung manifestiert sich im Regelfall als Infektion der Atemwege, häufige
Symptome sind Husten, Fieber und respiratorische Symptome. Das einzige annähernd pathognomonische
Symptom für COVID-19 ist der Geruchs- und Geschmacksverlust, der bei etwa 21 % der
Patienten auftritt [7]. In einer chinesischen Fallserie (> 70 000 Patienten) wurde der Verlauf bei 81 %
der Patienten als mild, bei 14 % als schwer und bei 5 % der Patienten als kritisch
beschrieben [8]. Die Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung hängt sehr stark vom Alter ab.
Im April 2020 betrug in Deutschland das Durchschnittsalter der Neuinfizierten 52 Jahre,
der Anteil der hospitalisierten Patienten lag dabei bei 20 %. Nach einem Rückgang
des Alters auf 32 Jahren liegt es inzwischen bei 48 Jahren, die Hospitalisierungsquote
bei 8 % (Stand Januar 2021) [9]. Das Durchschnittsalter bei stationärer Behandlung liegt bei 72 Jahren, von den
Todesfällen waren 89 % der Personen 70 Jahre und älter. Insgesamt sind Frauen und
Männer momentan gleich häufig betroffen, allerdings erkranken Männer häufiger schwer
an COVID-19 und haben insgesamt ein höheres Sterberisiko [7]
[10].
3.2.1 Indikation zur stationären Aufnahme
Die Indikation zur Krankenhausaufnahme von COVID-19-Patienten soll nach klinischen
Kriterien durch einen Arzt erfolgen, insbesondere unter Berücksichtigung von Alter,
Komorbiditäten, Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung. ↑↑
Die Evaluation umfasst damit den funktionellen Status, die klinische Evaluation potenziell
instabiler Komorbiditäten und die Messung der Sauerstoffsättigung zur Beurteilung
der Oxygenierung. Leicht erkrankte Patienten ohne Risikofaktoren für Komplikationen
(z. B. Immunsuppression, relevante chronische Grunderkrankungen, hohes Alter) können
bei Gewährleistung einer entsprechenden ambulanten Betreuung im häuslichen Umfeld
verbleiben. Bei notwendiger stationärer Aufnahme liegen oft Komorbiditäten vor. Die
häufigsten sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (insbesondere arterielle Hypertonie),
Diabetes mellitus und chronische Lungenerkrankungen [11]
[12]
[13]
[14]. Das Vorhandensein einer Adipositas ist ein weiterer wichtiger Risikofaktor, insbesondere
bei männlichen Patienten und jüngeren Bevölkerungsgruppen [15].
3.2.2 Indikation zur Aufnahme auf der Intensivstation
Eine Aufnahme auf die Intensivstation von COVID-19-Patienten sollte bei Erfüllung
eines der folgenden Kriterien erfolgen: ↑
Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz,
dabei steht ein Abfall der Sauerstoffsättigung mit Hypoxämie im Vordergrund. Die Zeitdauer
vom Beginn der Symptome bis zur Aufnahme auf die Intensivstation beträgt ca. 5 Tage,
die durchschnittliche Verweildauer auf der Intensivstation bei invasiver Beatmung
beträgt 18 Tage [7]. Regelhaft zeigen sich bei Aufnahme auf der Intensivstation in der Bildgebung bereits
pulmonale Infiltrate/Konsolidierungen [16]. Bei einigen Patienten findet sich eine ausgeprägte Hypoxämie, diese scheint durch
ein ausgeprägtes Ventilations-Perfusions-Mismatch verursacht zu sein [17]
[18]. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines ARDS. Ca. 50 % der Intensivpatienten
benötigten eine invasive Beatmung [19]
[20]. Histologisch findet sich bei verstorbenen Patienten häufig ein diffuser Alveolarschaden
(„diffuse alveolar damage“ DAD), wie er auch bei anderen Virus assoziierten Pneumonien
gesehen wird [21]. Eine Besonderheit sind jedoch gehäufte Mikrothrombosierungen sowie strukturelle
Gefäßveränderungen im kapillären Strombett [22]. Weitere beschriebene Komplikationen sind Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung,
Thrombosen, Lungenembolien sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens oder Multiorganversagens.
(Bakterielle) Co-Infektionen sind bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 eher
selten [23].
Bei allen Maßnahmen, insbesondere invasiven, speziell bei multimorbiden und/oder betagten
COVID-19-Patienten, ist der Wille des Patienten im Vorfeld zu klären, bei nicht einwilligungsfähigen
Patienten durch den juristischen Stellvertreter. Patienten, bei denen eine Therapiebegrenzung
hinsichtlich intensivmedizinischer Maßnahmen festgelegt wurde, sollten entsprechend
der „Handlungsempfehlung zur Therapie von Patient*innen mit COVID-19 aus palliativmedizinischer
Perspektive“ palliativmedizinisch mitversorgt werden. Der Linderung von belastenden
Symptomen kommt hier eine besondere Bedeutung zu [24].
3.2.3 Nierenbeteiligung
Bei nachgewiesener COVID-19-Infektion und der Notwendigkeit einer Hospitalisierung
sollte eine Urinuntersuchung (ggf. wiederholt) mit Bestimmung von Albuminurie, Hämaturie
und Leukozyturie erfolgen. ↑
Eine Nierenbeteiligung mit akutem Nierenversagen von COVID-19-Patienten ist mit einer
erhöhten Morbidität und Letalität assoziiert [25]
[26]. Eine Auswertung von 10 021 Patienten aus deutschen Krankenhäusern ergab, dass bei
6 % der COVID-19-Patienten ein dialysepflichtiges akutes Nierenversagen vorlag, bei
den beatmungspflichtigen Patienten betrug diese Rate 27 % [10]. Das akute Nierenversagen tritt bei intensivpflichtigen Patienten häufig unabhängig
von der zugrundeliegenden Erkrankung auf, allerdings zeigen aktuelle Daten, dass SARS-CoV-2
die Nieren direkt schädigen könnte. Eine Analyse von 63 an COVID-19 verstorbenen Patienten
konnte bei 72 % der Patienten mit akutem Nierenversagen Virus-RNA in den Nieren nachweisen,
bei Patienten ohne akutes Nierenversagen war dies nur bei 43 % der Patienten der Fall.
Gleichzeitig ergab die Auswertung der klinischen Verläufe, dass die Patienten mit
einem Virusnachweis im Nierenparenchym eine erhöhte Letalität aufwiesen [27]. Zudem wurde beobachtet, dass das aus der Niere isolierte SARS-CoV-2 in vitro eine
rasante Replikation (Faktor 1000 in 48 h) aufweist, die der Replikationsgeschwindigkeit
in Lungengewebe vergleichbar ist [27]. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass SARS-CoV-2 eine proximale Tubulusdysfunktion
verursachen kann [28].
Erstes Zeichen einer Nierenbeteiligung stellt das Auftreten einer Albuminurie, Hämaturie
oder Leukozyturie dar, sodass diese Parameter bereits mit Diagnosestellung einer COVID-19-Infektion
bestimmt werden sollten, da ein auffälliger Urinstatus in der Notaufnahme mit einem
erhöhten Risiko für eine Behandlung auf ICU, Beatmung, ECMO und Dialyse assoziiert
ist [25]. Dies ermöglicht frühzeitige prophylaktische und therapeutische Maßnahmen (engmaschiges
Monitoring, ggf. nephroprotektive Therapie).
3.2.4 Herzbeteiligung
Bei COVID-19-Patienten mit deutlich erhöhten Troponinwerten ohne typische EKG-Veränderungen
eines Typ-1-Myokardinfarkts sollte eine Echokardiografie zur differenzialdiagnostischen
Abklärung durchgeführt werden [29]. ↑
Eine akute kardiale Beteiligung im Rahmen von kritisch kranken COVID-19-Patienten
ist häufig. Eine aktuelle Metaanalyse der vorhandenen Studien zeigte eine Erhöhung
des Troponin T oder I oberhalb der 99. Perzentile des oberen Referenzlimits bei 36,9 %
der Patienten auf der Intensivstation im Vergleich zu nur 2,3 % der Patienten mit
nicht-kritischem Verlauf [30]. Die kritisch kranken Patienten mit Troponinerhöhung haben begleitend höhere NT-proBNP
Werte, häufig Erhöhungen weiterer kardialer Biomarker wie CK, CK-MB und LDH und höhere
Inflammationsmarker als Patienten ohne kardiale Beteiligung auf der Intensivstation.
Sie haben ein höheres Risiko für die Entwicklung eines ARDS und häufiger Herzrhythmusstörungen
mit ventrikulären Tachykardien oder Kammerflimmern. Die Krankenhausletalität dieser
Patienten ist höher als die der Patienten ohne kardiale Beteiligung. Ursächliche Mechanismen
sind momentan noch nicht hinreichend geklärt, sodass die kardiale Beteiligung bei
COVID-19 sowohl Ausdruck eines unerkannten Typ-1-Myokardinfarktes, einer Multiorgandysfunktion,
eines Typ-2-Myokardinfarktes durch Mismatch von myokardialem Sauerstoffangebot und
-bedarf als auch Effekt einer direkten kardialen Schädigung durch SARS-CoV-2 im Rahmen
einer viralen Myokarditis sein kann [31]. Letzteres legt eine Analyse von kardialen MRT-Untersuchungen von überlebenden COVID-19-Patienten
nahe, bei der sich eine anhaltende myokardiale Inflammation zeigte [32].
Aufgrund der über die respiratorische Symptomatik hinausgehenden möglichen kardialen
Beteiligung kann vor allem in der akuten initialen Phase eine Echokardiografie erfolgen.
EKG und kardiale Biomarker wie Troponin oder BNP/NT-proBNP können engmaschig kontrolliert
werden. Die weitere kardiologische Diagnostik kann in Abhängigkeit von diesen Befunden
dann patientenindividuell entschieden werden. Deutliche Troponinerhöhungen (> 5-fach
des oberen Normwertes) v. a. in Kombination mit typischen Symptomen und EKG-Veränderungen
können suggestiv sein für einen Typ 1-Myokardinfarkt unabhängig von einer vorhandenen
SARS-CoV-2-Infektion. Leichte Erhöhungen der Troponinwerte (< 2–3-Fache des oberen
Normalwertes) v. a. bei älteren Patienten mit kardialen Vorerkrankungen ohne typische
Angina pectoris Symptomatik und/oder EKG-Veränderungen können im Rahmen der Organdysfunktion
durch die SARS-CoV-2-Infektion auftreten [29].
Selten kann es im Rahmen eines COVID-19-Hyperinflammationssyndroms zu klinisch relevanten
mittelschweren und schweren Einschränkungen der systolischen links- und rechtsventrikulären
Funktion kommen, die unabhängig von einer direkten Virusschädigung sind. Hier stehen
dann die Therapie des Hyperinflammationssyndroms und die intensivmedizinische Therapie
der akuten Herzinsuffizienz im Vordergrund.
3.2.5 Neurologische Beteiligung
Bei Verdacht auf eine zerebrale oder auch spinale Beteiligung (z. B. Blutung oder
Ischämie) durch COVID-19 sollten ein CT oder ein MRT durchgeführt werden. ↑
Eine neurologische Beteiligung ist bei hospitalisierten COVID-19-Patienten häufig.
Eine Studie aus Chicago (10/2020) zeigt, dass bei über 80 % von 509 konsekutiven Patienten
neurologische Symptome auftraten, die häufigsten Manifestationen waren Myalgien, Kopfschmerzen,
Riech- und Geschmackstörungen und Benommenheit [33]. Eine prospektive Studie aus New York fand bei 4491 COVID-19-Patienten in 13,5 %
schwere neurologische Komplikationen (Enzephalopathie, Epilepsie, Schlaganfall); diese
gingen mit einer signifikant erhöhten Letalität im Krankenhaus einher (Hazard Ratio
1,38) [34]. Für durch SARS-CoV-2 getriggerte Enzephalopathien werden als Pathomechanismen Hypoxie,
schwere systemische Inflammation und Nierenversagen diskutiert. Biomarker, die in
diesem Zusammenhang bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung gefunden wurden,
waren IL-2, IL-6, IL-7, GCSF und TNF-alpha1.
Meningoenzephalitiden durch das SARS-CoV-2 selbst wurden bislang nur kasuistisch berichtet.
Immunologisch bedingte Enzephalomyelitiden, oft mit hämorrhagischer Komponente, wurden
in einer kleinen Fallserie bei 12/43 Patienten in London beschrieben [35]. Ischämische Schlaganfälle und intrazerebrale Blutungen treten bei COVID-19-Patienten
in 2–3 % auf. Bei den Ischämien handelt es sich um schwere Schlaganfälle bei thromboembolischen
Verschlüssen großer Arterien, vermutlich im Rahmen einer Hyperkoagulabilität [36].
Das Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) stellt eine häufige und ernste Komplikation
einer intensivmedizinischen Behandlung dar und kann später zu deutlichen Einbußen
in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und Teilhabe führen [37]
[38]. Das Syndrom zeichnet sich durch Lähmungen, kognitive und emotionale Störungen aus.
Diese Komponenten können entweder einzeln oder kombiniert auftreten. Periphere Lähmungen
beim PICS sind meist durch eine motorisch und axonal betonte CIP („critical illness
polyneuropathy“) und eine CIM („critical illness myopathy“) bedingt, die häufig als
Mischbild vorliegen. Ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) stellt eine seltene ernste Komplikation
der COVID-19-Erkrankung dar und kann bereits wenige Tage nach den ersten respiratorischen
Symptomen auftreten [39]. Aufgrund der im Vordergrund stehenden respiratorischen Symptomatik können neurologische
Manifestationen übersehen werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt in ihrer Leitlinie, die Indikation
zu zerebraler Bildgebung, EEG und Liquordiagnostik insbesondere in der initialen akuten
Phase niederschwellig zu stellen [39]. Die weitere neurologische Diagnostik und Therapie kann dann patientenindividuell
gezielt erfolgen.
3.3 Laborchemische Untersuchungen
Bei stationären Patienten mit COVID-19 sollten CRP, LDH, AST, Differenzialblutbild
sowie D-Dimere Bestandteil der initialen Labordiagnostik sein und bedarfsgerecht regelmäßig
kontrolliert werden. ↑
In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden 19 Studien mit 2874 Patienten, von
denen die Mehrzahl stationär behandelt wurde, analysiert [40]. Laborchemisch zeigte sich häufig eine Erhöhung von CRP (58 %), LDH (57 %) und AST
(33 %). 75 % der Patienten hatten einen erniedrigten Albuminspiegel. Die meisten Patienten
haben einen normalen Procalcitoninwert, die Höhe korreliert mit dem Schweregrad der
Erkrankung [41].
Häufigste Veränderung des Blutbildes ist eine Lymphopenie, die bei bis zu 83 % der
Patienten bei Krankenhausaufnahme vorliegt, bei einem Drittel der Patienten einhergehend
mit einer Leukopenie [42]. Erhöhte D-Dimer-Werte finden sich bei 43–60 % der Patienten und sind, genau wie
erhöhte Ferritinwerte, assoziiert mit einer eingeschränkten Prognose [43]
[44]
[45].
3.4 Bildgebung
Ein CT-Thorax sollte bei COVID-19-Patienten bei differenzialdiagnostischen Unsicherheiten,
u. a. Verdacht auf eine Lungenembolie, durchgeführt werden. ↑
Im konventionellen Röntgenbild zeigen sich bei intensivpflichtigen Patienten regelhaft
bilaterale Infiltrate. In der CT finden sich bereits sehr früh im Laufe der Erkrankung
bilaterale, subpleural imponierende Milchglastrübungen und eine Konsolidierung von
Lungenabschnitten, Pleuraergüsse und Lymphadenopathie finden sich nur selten [46]
[47].
Bildmorphologisch kann bei Zunahme der Verdichtungen ein sog. „Crazy paving-Muster“
auftreten, welches an ein ungeordnetes Straßenpflaster erinnert. Die Befunde im CT
sind allerdings nicht spezifisch für COVID-19, sondern können auch bei anderen viralen
Pneumonien vorliegen. Eine CT ist sinnvoll wenn eine klinische Konsequenz (wie z. B.
bei Lungenembolie) entsteht [48]. Der primäre Test für die Diagnose von SARS-CoV-2 ist die PCR [46]. Bettseitige Untersuchungen (Ultraschall), insbesondere als Verlaufsuntersuchungen,
werden bevorzugt [49].
4 Unterbringung/Hygienemaßnahmen
4 Unterbringung/Hygienemaßnahmen
Durch das korrekte Tragen von mehrlagigem medizinischem Mund-Nasen-Schutz (MNS) kann
das Übertragungsrisiko auf Patienten und anderes medizinisches Personal im Krankenhaus
bei einem Kontakt von < 1,5 m reduziert werden. Daher wird das generelle Tragen von
MNS durch sämtliches Personal mit direktem Kontakt zu besonders vulnerablen Personengruppen,
auch außerhalb der direkten Versorgung von COVID-19-Patienten aus Gründen des Patientenschutzes
während der Pandemie empfohlen [50].
Die strikte räumliche Trennung von SARS-CoV-2-Infizierten und anderen Patienten sollte
im stationären Sektor durchgeführt werden. Dies in drei nach Möglichkeit räumlich
und personell voneinander getrennten Bereichen:
Sofern vorhanden, sollten raumlufttechnische Anlagen nicht abgestellt werden. Es sollte
eine regelmäßige Fensterlüftung erfolgen, die eine wesentliche protektive Maßnahme
zur aerosolbedingten Übertragung darstellt. Dabei sollte eine Luftzirkulation zwischen
verschiedenen Räumen vermieden werden.
Das medizinische Personal sollte soweit möglich diesen Bereichen entsprechend zugewiesen
werden. Wenigstens innerhalb einer Schicht sollte ärztliches und pflegerisches Personal
nicht zwischen den Bereichen wechseln. Es sollte möglichst immer in festen Teams gearbeitet
werden, damit im Falle einer neu aufgetretenen Infektion beim Personal möglichst wenige
Kontaktpersonen unter dem Personal vorhanden sind. Die Unterbringung von COVID-19-Patienten
und dringenden Verdachtsfällen erfolgt vorzugsweise einzeln in einem Isolierzimmer,
idealerweise mit Schleuse/Vorraum. Im Falle einer Epidemie/Pandemie sollte eine Kohorten-Isolation
angestrebt werden. Dabei ist die Zahl der Personen die das Zimmer betreten auf ein
Minimum zu reduzieren. Besuche durch Angehörige sollten auf ein Minimum beschränkt
und zeitlich begrenzt sein. Stattdessen sollte der Einsatz von technischen Kommunikationsmöglichkeiten
(z. B. Videotelefonie via WhatsApp, MS-Teams, Skype) den Patienten angeboten werden.
Bei Bedarf ist den Patienten hierfür Hilfestellung zu geben. Der Personaleinsatz sollte
bedarfsgerecht sein. Bei der Betreuung der Patienten ist unbedingt auf eine konsequente
Umsetzung der Basishygiene (einschließlich Händehygiene) sowie auf die korrekte Verwendung
der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) zu achten. Laut Empfehlungen des RKI besteht
die persönliche Schutzausrüstung aus Schutzkittel, Einweghandschuhen, dicht anliegender
Atemschutzmaske (FFP2 bzw. FFP3, z. B. bei Intubation, Bronchoskopie oder anderen
Tätigkeiten, bei denen Aerosole entstehen können) und Schutzbrille. Wichtig ist die
korrekte Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung, dies beinhaltet das kontrollierte
Anlegen (insbesondere Dichtsitz der Maske) und das korrekte Ablegen (mit mehrfachen
Händedesinfektionen), die Mitarbeiter sollten diesbezüglich geschult sein. Bei eventuellen
Lieferengpässen können Maßnahmen zum Ressourcen-schonenden Einsatz von Mund-Nasen-Schutz
und FFP-Masken hilfreich sein [51].
Konkrete Empfehlungen zu den notwendigen Hygienemaßnahmen (räumliche Unterbringung,
Personalschutzmaßnahmen, Desinfektion, Reinigung, Abfallentsorgung, Krankentransport
und Besucherregelungen) finden sich auf der Homepage des RKI [50]. Die Festlegung von Maßnahmenbündeln sollte für jede medizinische Einrichtung lageangepasst
durch ein Expertengremium erfolgen.
Eine Entisolierung von stationären Patienten nach COVID-19-Erkrankung kann bei folgenden
Konstellationen erfolgen [52]:
-
Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf (mit Sauerstoffbedürftigkeit)
-
Mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit (definiert als nachhaltige Besserung der akuten
COVID-19-Symptomatik gemäß ärztlicher Beurteilung)
PLUS
-
Frühestens 10 Tage nach Symptombeginn
PLUS
-
PCR-Untersuchung (negatives Ergebnis oder hoher Ct-Wert > 30, der ab 10 Tage nach
Symptombeginn mit Nicht-Anzüchtbarkeit von SARS-CoV-2 einhergeht)
-
Patienten mit leichtem COVID-19-Verlauf (ohne Sauerstoffbedürftigkeit)
-
Personen mit asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektion
Immunsupprimierte Patienten: Eine zeitlich verlängerte Ausscheidung von vermehrungsfähigem
Virus kann bestehen bei Patienten mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten oder
unter immunsupprimierender Therapie. Hier muss eine Einzelfallbeurteilung erfolgen,
ggf. mithilfe einer Virusanzucht. Weiterhin können schwere Krankheitsverläufe mit
einer länger andauernden Virusausscheidung einhergehen.
Aufgrund neuer Erkenntnisse kann es zu Veränderungen dieser Empfehlungen kommen, daher
sollte immer auf der Seite des RKI die aktuelle gültige Version eingesehen werden.
5 Maßnahmen bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz
5 Maßnahmen bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz
5.1 Sauerstoffgabe, High-Flow-Sauerstofftherapie, nicht-invasive Beatmung
Ziel bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz bei COVID-19 ist es, eine
adäquate Oxygenierung sicherzustellen. Es sollte eine SpO2 ≥ 90 % (bei COPD-Patienten > 88 %) bzw. ein PaO2 > 55 mmHg erreicht werden [53]
[54]. ↑
Wir schlagen vor, bei Patienten mit COVID-19 und hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz
(PaO2/FiO2 = 100–300 mmHg) unter kontinuierlichem Monitoring und ständiger Intubationsbereitschaft
einen Therapieversuch mit High-Flow-Sauerstofftherapie (HFNC) oder nicht-invasiver
Beatmung durchzuführen [55]. ↑
Wir schlagen vor, bei Patienten mit COVID-19 und einer schwereren Hypoxämie (PaO2/FiO2 < 150 mmHg) und Atemfrequenzen > 30/min die Intubation und invasive Beatmung zu erwägen,
bei einem PaO2/FiO2 von < 100 mmHg sollten im Regelfall eine Intubation und invasive Beatmung erfolgen.
↑
Therapeutisch stehen bei Vorliegen einer Hypoxämie bzw. einer respiratorischen Insuffizienz
zunächst die Gabe von Sauerstoff über Nasensonde, Venturi-Maske und High-Flow-Sauerstofftherapie
(HFNC) im Vordergrund ([
Abb. 1
]) [55]
[56]. Die High-Flow-Sauerstofftherapie wird bei akuter hypoxämischer respiratorischer
Insuffizienz häufig eingesetzt und kann im Vergleich zur konventionellen Sauerstofftherapie
die Notwendigkeit einer Intubation reduzieren, ohne die Sterblichkeit signifikant
zu beeinflussen [57]. Bei progredienter Verschlechterung des Gasaustausches und vermehrtem Sauerstoffbedarf
ist die Indikation zur CPAP-Therapie oder nicht-invasiven Beatmung (NIV) bzw. invasiven
Beatmung zu überprüfen.
Abb. 1 Mögliche apparative Therapieeskalation bei akuter respiratorischer Insuffizienz infolge
COVID-19 [56] (NIV = Nicht-invasive Beatmung, PEEP = Positive Endexpiratory Pressure, CPAP = Continuous
Positive Airway Pressure), DNI = Do not intubate. Im Internet: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/113-001.html; Stand: 18.12.20 [rerif].
In verschiedenen retrospektiven Kohortenstudien wurde eine ergänzende Bauchlagerung
bei wachen nicht-invasiv beatmeten oder mit HFNC-therapierten Patienten für wenige
Stunden beschrieben, die sich allerdings nicht für alle Patienten unter NIV oder HFNC
als tolerabel oder durchführbar erwies [58]
[59]
[60]. Oftmals fand sich darunter eine Verbesserung der Oxygenierung, andererseits wurden
auch Intubationsverzögerungen beschrieben. Eine Empfehlung dazu kann momentan aufgrund
möglicher Komplikationen (Aspiration) und fehlender randomisierter Studien nicht abgegeben
werden.
Der Einsatz der NIV beim mittelschweren und schweren ARDS führt zu einem Therapieversagen
in mehr als 50 % der Fälle. Dieses ist bei schwerem ARDS mit Letalitätssraten von
fast 50 % assoziiert [61]
[62]. Dabei erweist sich neben der Schwere des aktuellen Krankheitsbildes das Ausmaß
der Oxygenierungsstörung als Prädiktor für das NIV-Versagen; als kritische Grenze
für eine erhöhte Letalität wird ein PaO2/FiO2 < 150 mmHg beschrieben [63]. Auch hohe Tidalvolumen (> 9,5 ml/kg KG) in den ersten 4 Behandlungsstunden sind
prädiktiv für ein NIV-Versagen [64]. Da es bei diesen Patienten zu einer raschen Verschlechterung kommen kann, ist ein
kontinuierliches Monitoring unter ständiger Intubationsbereitschaft zu gewährleisten.
HFNC und NIV sind bei akuter hypoxämischer Insuffizienz auf der Intensivstation durchzuführen.
Kommt es unter den durchgeführten Maßnahmen zur weiteren Progression der akuten respiratorischen
Insuffizienz, ist ohne zeitliche Verzögerung die Intubation und nachfolgende invasive
Beatmung angezeigt.
Bei COVID-19-Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz sind bislang die
für eine NON-COVID-Situation gültigen CPAP/NIV-Empfehlungen angewendet worden. Dennoch
zeigt sich im Hinblick auf die in praxi erfolgten therapeutischen Entscheidungen eine
extreme Heterogenität, sowohl was HFNC, CPAP oder NIV mit nachfolgender Indikation
zur Intubation betrifft als auch die darunter erzielten Ergebnisse. Die bisher publizierten
Studien müssen immer auch im Zusammenhang mit begrenzten Therapieressourcen und primär
festgelegten Therapiebegrenzungen interpretiert werden.
Das Therapieversagen unter nicht-invasiver Behandlungsstrategie bei COVID-19 schwankt
erheblich. Für High-Flow werden Versagerquoten von 32,2 % [65] und 35,6 % [66] berichtet. Für CPAP/NIV liegen sie zwischen 27,9 % [67] und 61,5 % [68]; speziell für die CPAP-Therapie mit Helm werden 44,6 % berichtet [69]. Die Letalitätsraten unter HFNC werden mit etwa 15 % angegeben [64]
[65], wobei hierbei der Stellenwert von HFNC im Rahmen der Therapiealgorithmen und das
oft retrospektive Studiendesign zu berücksichtigen ist [66]
[70]. Wie beim klassischen ARDS ist die Letalität des CPAP/NIV-Versagens hoch, kann bis
zu 50 % betragen und ist abhängig von der Schwere der Oxygenierungsstörung [10]
[71]. Einflussfaktoren für ein schlechteres Outcome sind zusätzlich Alter, BMI, Niereninsuffizienz,
Hypertonus, eine hämodynamische Instabilität und ein erhöhter APACHE-II-Score sowie
eine verlängerte Zeitspanne von nicht-invasiven Verfahren bis zur Intubation.
Raoof et al. empfehlen aktuell bei Versagen oder nicht-ausreichendem Effekt der nicht-invasiven
Maßnahmen im Fall schwerer respiratorischer Beeinträchtigung (PaO2/FiO2 < 150 oder SpO2/PaO2 < 196 oder hämodynamische Instabilität oder drohender Atemstillstand) eine Intubation
und invasive Beatmung gemäß ARDS-NET [72]. Die aus mehreren nationalen Registern bzw. Studien zusammengetragenen PaO2/FiO2-Werte bei Intubation von COVID-19-Patienten schwankten zwischen 83 und 220 mmHg [73]
[74]. Unter Berücksichtigung der für die jeweiligen Studien angegebenen medianen Werte
und der Größe der Kollektive ergibt sich unter Berücksichtigung von 8254 Patienten
aus diesen Studien ein mittlerer PaO2/FiO2von 125 mmHg bei Intubation.
Wie die mitunter deutlich unter einem PaO2/FiO2von 150 mmHg und z. T. sogar unter 100 mmHg liegenden Werte zeigen, bei denen nicht-invasive
Verfahren noch fortgesetzt wurden und/oder erst Intubationen erfolgten [65]
[73]
[74], kann ein PaO2/FiO2-Schwellenwert, bei dem intubiert werden sollte, nur einen Richtwert darstellen. Er
kann lediglich dazu dienen, bei Vorliegen eines derartigen Index engmaschig die Dynamik
des Krankheitsverlaufs und die klinischen Stabilitätskriterien im Blick zu behalten
und diese neben Komorbiditäten bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Aufgrund
des erhöhten Letalitätrisikos bei Versagen nicht-invasiver Therapieverfahren sollte
ab einem PaO2/FiO2 von < 150 mmHg unter gleichzeitiger Einbeziehung von komorbiden Risikofaktoren und
klinischen Stabilitätskriterien (Hämodynamik, Atemarbeit) eine Intubation erwogen
werden. Bei einem PaO2/FiO2 von < 100 mmHg und Atemfrequenzen von > 30/min sollte jedoch eine Intubation und
invasive Beatmung erfolgen.
5.1.1 Aerosolbildung
Sowohl bei Anwendung der High-Flow-Sauerstofftherapie als auch der NIV besteht – in
Abhängigkeit von den applizierten Beatmungsdrücken bzw. zunehmenden Flow-Werten –
eine vermehrte Aerosolbildung, die bei COVID-19-Infektion ein potenzielles Risiko
für eine Viruskontamination darstellt [75]
[76]. Jede Ausatmung erzeugt Aerosole, die abgegebene Menge korreliert dabei mit der
Atemzugtiefe [77]. Eine vermehrte Abgabe infektiöser Partikel konnte bisher nur bei Patienten unter
NIV mit Leckagesystem und erhöhter Sekretlast nachgewiesen werden [78]. Studien zur Charakterisierung der Exspirationswolke unter NIV und HFNC zeigen keine
vermehrten Luftströme jenseits von einem Meter Abstand zum Gesicht des Patienten [79]
[80]
[81].
Absolut notwendig ist allerdings, wie bei allen patientennahen Arbeiten, die korrekte
Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung beim Personal (insbesondere korrekter
Dichtsitz der FFP2-Maske) [48]. Ein adäquater Sitz der nasalen High-Flow-Brille bzw. der NIV-Maske beim Patienten
ist wichtig, um die Aerosolbildung zu reduzieren [79]. Bei der High-Flow-Sauerstofftherapie sollten die Patienten einen Mund-Nasen-Schutz
über der Kanüle tragen [82]. In Simulationsmodellen reduziert das die Exspirationswolke [83], ob hierdurch die Effektivität der High-Flow-Sauerstofftherapie kompromittiert wird,
ist bisher nicht belegt. Bei Durchführung der NIV müssen Leckagen auf ein Minimum
reduziert werden. Deshalb sollten bei COVID-19 Nasen-Mund-Masken, Vollgesichtsmasken
oder Beatmungshelme zum Einsatz kommen. Zudem müssen Leckage-freie Masken (non-vented-Masken)
Verwendung finden. Die bei COVID-19 eingesetzten Beatmungsgeräte sollten bevorzugt
mit Doppelschlauchsystemen betrieben werden, um das Risiko der Umgebungskontamination
zu vermeiden. Bei der Verwendung von Einschlauchsystemen soll zwischen dem Interface
und der intendierten Leckage (whisper-swivel) bzw. dem Ausatemventil ein virendichter
Filter eingesetzt werden [56]. Hierdurch ist tendenziell die Aerosolabgabe verglichen mit der Spontanatmung sogar
zu reduzieren [78].
Zusammenfassend ist eine frühe Intubation, allein aus Angst des medizinischen Personals
vor einer Infektion mit SARS-CoV-2, nicht indiziert. Andererseits ist eine Therapie
mit HFNC/NIV bei progredienter oder schwerer Oxygenierungsstörung nicht zu empfehlen.
Die HFNC/NIV bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz im Rahmen von
COVID-19 sollte nur bei klarer Indikation mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt
werden. Die nicht-invasive Behandlungsstrategie stellt zwar eine erste Behandlungsoption
dar. Eine kritische Verzögerung der Intubation bei Nichtansprechen einer High-flow/CPAP/NIV-Therapie
verschlechtert aber die Prognose. Deshalb sollte eine notfallmäßige Intubation auch
aufgrund des dann erhöhten Übertragungsrisikos unbedingt vermieden werden. In die
Entscheidung zur Intubation müssen neben einer Verschlechterung der Oxygenierung und
dem respiratorischen Stress (Atemarbeit) auch weitere klinische Faktoren einfließen.
Dies betrifft insbesondere neben dem Alter auch Komorbiditäten und begleitende bzw.
sich entwickelnde Organfunktionsstörungen.
5.2 Prozeduren an den Atemwegen
Prozeduren an den Atemwegen (Intubation, Bronchoskopie, offenes Absaugen, manuelle
Beatmung, Tracheotomie) sind aufgrund der Aerosolbildung zum Schutz des medizinischen
Personals nur bei eindeutiger Indikation mit entsprechenden Schutzmaßnahmen (inkl.
Schutzkittel, Einweghandschuhen, FFP2/FFP3-Maske und Schutzbrille) durchzuführen ([
Tab. 1
]). Ergänzt werden kann dies mit einem Schutzvisier [84]
[85]
[86].
Tab. 1
Maßnahmen zur Minimierung von Aerosolbildung und Exposition (modifiziert nach [88]).
Aerosolbildung
|
Risikominimierung
|
Endotracheale Intubation
|
Notfallintubation vermeiden
|
Intubation durch Erfahrenen
|
Rapid Sequence Induction
|
Maskenbeatmung vermeiden
|
Optimale Vorbereitung und Briefing
|
ideal Videolaryngoskop (Armlänge-Abstand)
|
Endotrachealer Tubus mit Führungsstab
|
Präoxygenierung
|
Dicht abschließende Gesichtsmaske
|
Bimanuelle Maskenfixation
|
immer FiO2 1,0
|
PEEP max + 5 cmH2O
|
3 min Spontanatmung mit Gesichtsmaske
|
oder 1 min, 8–12 tiefe Atemzüge
|
oder CPAP/NIV 5/15 cm H2O
|
Fiberoptische Intubation (FOI)
|
Vermeiden, wenn möglich (Aerosole)
|
ggf. Lokalanästhesie
MNS-Maske Patient
|
Absaugung
|
Geschlossene Systeme
|
Nichtinvasive Beatmung (NIV)
|
Nur bei klarer Indikation
|
Non-vented-Maske, Virenfilter
Optimalen Sitz der Maske sicherstellen
|
High-Flow-Sauerstofftherapie
|
Nur bei klarer Indikation
|
MNS-Maske Patient
|
Bronchoskopie
|
Nur bei klarer Indikation
|
Tracheotomie
|
Durchführung durch Erfahrenen
|
Starke Aerosolbildung bei allen Verfahren
|
Ggf. postponieren bis negative PCR
|
Dekonnektion Tubus
|
HME-Filter auf Tubus belassen
|
Abklemmen
|
Respirator „standby“
|
Extubation
|
Absaugen und Blähmanöver während Extubation vermeiden
|
Respirator „standby“
|
HME-Filter auf Tubus belassen
|
ggf. Gesicht zur Extubation mit Folie abdecken (auf freien Atemweg achten)
|
Dichtsitzende O2-Maske zur Oxygenierung
|
MNS Patient bei adäquater Spontanatmung
|
PEEP = Positive Endexpiratory Pressure, CPAP = Continuous Positive Airway Pressure,
ASB = Assisted Spontaneous Breathing, MNS = Mund-Nasen-Schutz
5.3 Intubation
Eine Instrumentierung der Atemwege bei COVID-19 soll ausschließlich mit vollständig
angelegter persönlicher Schutzausrüstung erfolgen. ↑↑
Insbesondere im Nahbereich kann das zusätzliche Tragen eines Schutzvisiers die direkte
Kontamination des Gesichts durch Tröpfchen und Aerosole signifikant reduzieren.
Für den in der indirekten Laryngoskopie Erfahrenen ist der Einsatz der Videolaryngoskopie
bei COVID-19 eine Möglichkeit, mit einer größeren Distanz zu den Atemwegen der Patienten
arbeiten zu können.
Endotracheale Intubationen sind bei Patienten mit V. a. bzw. nachgewiesener COVID-19-Infektion
Hochrisiko-Interventionen [87]. Diese Interventionen erfordern spezielle, kommunizierte und eingeübte Protokolle
bezüglich Vorbereitung, Durchführung und Hygiene [88]
[89]. So weit wie möglich, soll die Intubation daher geplant und damit elektiv durchgeführt
werden. Die Anzahl der im Raum befindlichen Personen ist auf das notwendige medizinische
Personal zu begrenzen. Der Einsatz einer transparenten Schutzfolie oder einer „Intubationsbox“
zur Abdeckung des Patienten werden in der Routineanwendung zunehmend ablehnender diskutiert
und scheinen wenige Vorteile zu bieten [90]. Unumstritten scheint der Schutz des Intubierenden gegenüber einer primären Tröpfchen-
und Aerosolexposition. Die emittierten Aerosole verteilen sich jedoch weiter im Raum
und können bei Entfernung der Schutzvorrichtungen sowie bei etwa notwendiger umfangreicher
Manipulation (schwieriger Atemweg), Stress und mangelnder Übung unkontrolliert in
die Umgebung entweichen [91]
[92]. Sie ersetzen keinesfalls die adäquate Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung
und sollten, wenn überhaupt, nur additiv verwendet werden [93].
Die Intubation sollte – so möglich – durch einen in der endotrachealen Intubation
erfahrenen Arzt durchgeführt werden, um die Anzahl der Intubationsversuche und die
Instrumentationszeit zu minimieren [94] sowie eine Aggravierung der Hypoxämie zu verhindern. Es wird empfohlen zur Erhöhung
des Abstands zwischen Patient und Intubierendem ein Video-Laryngoskop zu benutzen,
wenn dieses vorhanden ist und ausreichende Erfahrung mit der Methode besteht [95]. Die Verwendung eines Führungsstabes bei der Intubation wird ausdrücklich empfohlen
und ist ein Muss bei der Videolaryngoskopie. Auf fiberoptische Wachintubationen sollte
aufgrund der damit verbundenen Aerosolexposition nach Möglichkeit verzichtet werden.
Dieses Verfahren kommt nur in Betracht, wenn keine andere Möglichkeit (schwieriger
Atemweg) besteht. Dabei kann zur Reduktion der Umgebungskontamination durch ausgeatmete
Luft der Patient weiterhin eine MNS-Maske (positioniert über dem Mund) tragen. Um
eine Aerosolbildung bei Maskenbeatmung zu minimieren, sollte auf diese verzichtet
und nach einer Präoxygenierung über eine bi-manuell fixierte, dicht sitzende Gesichtsmaske
und bei einem PEEP (Positive Endexpiratory Pressure) von ≤ 5 cm H2O unter Spontanatmung eine Narkoseeinleitung als „rapid sequence induction“ (RSI)
durchgeführt werden. Zur Vermeidung weiterer Aerosolbildung wird bei Sistieren der
Atmung nach Applikation des Muskelrelaxans kurz vor dem Zeitpunkt der Abnahme der
Gesichtsmaske zur Intubation die weitere Sauerstoffzufuhr unterbrochen („0“ Frischgasflow).
Sofort nach Intubation (und noch vor Anschluss an den Respirator) wird ein HME-Filter
auf den endotrachealen Tubus aufgesetzt. Prinzipiell sollen bei der Beatmung qualitativ
hochwertige Virenfilter mit einer Filtrationseffizienz von mindestens > 99,9 % eingesetzt
werden [96]. Diese Vorgaben erfüllen zahlreiche etablierte Produkte am Markt. Der Einsatz von
mechanischen HEPA-Filtern hat theoretisch hinsichtlich der geringeren permeablen Partikelgröße
Vorteile. Spezifische Tests oder Publikationen zum Einsatz von etablierten Beatmungs-Filtersystemen
bei COVID-19 existieren allerdings nicht. Bei COVID-19 und invasiver Beatmung sollte
ein geschlossenes Absaugsystem verwendet werden.
Bei einer erwarteten oder unerwarteten schwierigen Intubation sollte nach der S1-Leitlinie
„Atemwegsmanagement“ vorgegangen werden [97]. Bei unmöglicher Intubation erfolgt als erste Rückfallebene der Einsatz eines supraglottischen
Atemwegs (Larynxmaske). Führt diese nicht zur gewünschten Oxygenierung und liegt eine
„cannot intubate, cannot oxygenate“ (CICO)-Situation vor, wird die unmittelbare Koniotomie
empfohlen.
5.4 Extubation
Idealerweise wird der Patient unter Vermeidung von Husten, Pressen und Blähmanövern
extubiert. Die Verwendung eines geschlossenen Absaugsystems zur endotrachealen Absaugung
unmittelbar vor der Extubation ist möglich. Zur Extubation verbleibt der HME-Filter
auf dem Tubus und wird dann gemeinsam mit diesem entsorgt. Idealerweise gelingt nach
der Extubation die Oxygenierung über Sauerstoffgesichtsmaske (Reservoir) [96]
[98].
5.5 Invasive Beatmung und adjuvante Maßnahmen
Bei beatmeten Patienten mit COVID-19 und ARDS sollte das Tidalvolumen ≤ 6 ml/kg Standardkörpergewicht
betragen, der endinspiratorische Atemwegsdruck ≤ 30 cm H2O. ↑
In verschiedenen Leitartikeln und kleineren Fallserien wurde zu Beginn der Corona-Pandemie
vermutet, dass das COVID-19 ARDS atypisch ist, da es sich, zumindest in einem Teil
der Fälle, in der Frühphase durch eine höhere Compliance, reduzierte Rekrutierbarkeit
sowie eine hohe Shunt-Fraktion vom „klassischen ARDS“ unterschied [17]
[99]. In den zuletzt publizierten größeren Studien zeigte sich aber, dass es bei Patienten
mit COVID-19-assoziiertem ARDS im späteren Verlauf im Vergleich zu sonstigen Ursachen
des ARDS keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf Lungencompliance, Beatmungsdrücke
und Driving-Pressure gibt [100]
[101]
[102]. Aufgrund fehlender randomisierter Studien zur Beatmungstherapie bei COVID-19 leiten
sich daher die Empfehlungen zur Beatmungstherapie von den zuletzt publizierten Leitlinien
zur invasiven Beatmung bei akuter respiratorischer Insuffizienz ab [53]
[55]. Dies beinhaltet die Empfehlungen zum Tidalvolumen (≤ 6 ml/kg ideales Körpergewicht)
und dem endinspiratorischen Atemwegsdruck (PEI) ≤ 30 cm H2O).
Für die orientierende Einstellung des PEEP bei COVID-19 sollte die FiO2/PEEP-Tabelle des ARDS-Networks berücksichtigt werden. Durch ein engmaschiges Monitoring
kann der PEEP der individuellen Situation des Patienten angepasst werden. ↑
Hinsichtlich der Einstellung des positiven end-exspiratorischen Drucks (PEEP) erscheint
für Patienten in der Frühphase (ohne klassische Konsolidierungen, hohe Compliance,
erwartbar geringe Rekrutierbarkeit) die PEEP-Einstellung entsprechend den Werten der
LOW-FiO2/PEEP-Tabelle sinnvoll. Bei der klassischen bildmorphologischen Ausprägung eines ARDS
mit reduzierter Compliance sollte die Einstellung eher nach der High FiO2/PEEP-Tabelle erfolgen [55]
[73].
Bei ARDS und einem PaO2/FiO2 < 150 mmHg soll konsequent eine Bauchlagerung durchgeführt werden, das Bauchlagerungsintervall
beträgt dabei mind. 16 Stunden [55]. Im Einzelfall können zur Überbrückung einer schweren Hypoxämie die Applikation
von inhalativem NO, eine Muskelrelaxierung oder ein Rekrutierungsmanöver erwogen werden.
Bei Patienten mit schwerem ARDS und therapierefraktärer Hypoxämie (PaO2/FiO2-Quotient < 80 bzw. 60 mmHg) ist der Einsatz der veno-venösen ECMO eine therapeutische
Option, um den Gasaustausch zu stabilisieren. Eine ECMO-Anlage ist allerdings nur
in Erwägung zu ziehen, wenn alle sonstigen Therapiemaßnahmen ausgeschöpft sind, keine
Kontraindikationen bestehen und der Patientenwille diesbezüglich evaluiert ist. Laut
aktuellen Registerdaten der „Extracorporeal Life Support Organization“ (ELSO) lag
die Sterblichkeit von 1035 mit venövenöser ECMO behandelten COVID-19-Patienten nach
90 Tagen bei 37,4 % [103].
Das Management von Analgesie und Sedierung bei intensivmedizinisch behandelten Patienten
sollte zielgerichtet erfolgen und anhand validierter Messinstrumente überwacht werden
[104]. Das Sedierungsziel umfasst allenfalls eine leichte Sedierung, insbesondere mit
Hinblick auf die Nebenwirkungen der Sedativa wie: Delir, Depression der Atmung, Hypotension
und Immunsuppression. Tiefe Sedierung und Übersedierung sind auch bei COVID-19-Erkrankten
ein Risikofaktor für ein schlechteres Outcome.
5.6 Tracheotomie
Im Rahmen einer invasiven Beatmung kann die Tracheotomie das Weaning vom Respirator
beschleunigen und somit Intensivkapazitäten schaffen [105]
[106]. Die Tracheotomie ermöglicht, wie bei anderen Patientengruppen auch, eine Reduktion
bzw. einen Verzicht auf Sedativa und somit die mögliche Konversion in ein Spontanatmungsverfahren
mit Reduktion des Risikos für die Entwicklung einer Critical-illness-Myopathie oder
-Polyneuropathie nach Langzeitbeatmung [107]. Dennoch sollten bei Patienten mit verbesserten Organfunktionen, insbesondere bezogen
auf die Lungenfunktion, die Kriterien zur Extubation überprüft und diese gegebenenfalls
durchgeführt werden. Jedoch ist gerade bei COVID-19-bedingter Viruspneumonie die Gefahr
eines Extubationsversagens hoch, denn notwendige Maßnahmen zur Vermeidung einer Re-Intubation
gehen mit vermehrter Aerosolbildung einher [87]. Die Entscheidung zur Tracheotomie bleibt trotz Vorliegen einiger Empfehlungen z. B.
bei Traumapatienten eine Einzelfallentscheidung [108]
[109]. Allgemeine Empfehlungen geben aufgrund der mit zunehmender Beatmungsdauer abnehmenden
Viruslast bei COVID-19 an, eine Tracheotomie eher ab dem 14. oder sogar 21. Beatmungstag
durchzuführen. Aktuell wird der Fokus aber vermehrt auf den klinischen Zustand des
Patienten gelegt [110]. Laryngeale Schäden/Dysfunktionen, eine Ventilator-assoziierte Atrophie der Atemhilfsmuskulatur
und die Kommunikationsfähigkeit der Patienten sprechen eher für eine frühere Tracheotomie,
durchaus auch vor dem 14. Beatmungstag, das Vorliegen eines Multiorganversagens eher
für eine spätere Tracheotomie [106]. Der Patient sollte vor der Tracheotomie respiratorisch so stabil sein, dass er
notwendige Apnoephasen für die sichere Durchführung der Tracheotomie toleriert. Mögliche
Verfahren sind die perkutane Dilatationstracheotomie, die chirurgisch plastische Tracheotomie
oder Hybridverfahren. Für die perkutane Dilatationstracheotomie sprechen eine schnellere
und unkomplizierte Durchführung durch das intensivmedizinische Personal selbst ohne
Einbindung operativen Personals. Für ein chirurgisches Verfahren sprechen die kontrollierte
Durchführung mit geringerem Risiko der Kontamination durch chirurgische Präparation
der Trachea im Vergleich zur Punktion, ein gesicherter Atemweg auch bei akzidenteller
Dislokation der Kanüle während Bauchlagerungen, der mögliche Verzicht auf eine Bronchoskopie
mit zusätzlicher Aerosolbildung sowie das häufige Vorhandensein von Adipositas bei
COVID-19-Patienten als relative Kontraindikation für ein dilatatives Verfahren. Analog
zur Intubation sollte die Anzahl des vorhandenen Personals auf das Notwendigste beschränkt
werden und erfahrenes Personal den Eingriff durchführen. Risikofaktoren seitens des
Patienten sowie seitens des Personals, sollten in jedem Fall bedacht werden und die
lokalen Gegebenheiten und Expertisen mit in die Entscheidung zur Tracheotomie und
dem jeweiligen Verfahren einfließen.
6 Kreislaufstillstand und kardiopulmonale Reanimation
6 Kreislaufstillstand und kardiopulmonale Reanimation
Ein Kreislaufstillstand ist eine nicht seltene Komplikation bei hospitalisierten Patienten
mit COVID-19. Der initiale Rhythmus ist dabei meist eine elektromechanische Dissoziation
oder eine Asystolie, die Überlebenswahrscheinlichkeit ist entsprechend niedrig [111]
[112]. Da wahrscheinlich sowohl Thoraxkompressionen als auch das Atemwegsmanagement Aerosole
freisetzen können, ist eine entsprechende persönliche Schutzausrüstung bei kardiopulmonaler
Reanimation unabdingbar [113]. Eine Defibrillation generiert wahrscheinlich kaum Aerosole. Bei der Feststellung
des Kreislaufstillstandes wird empfohlen, nicht auf Atemzüge zu hören und nicht die
eigene Wange in die Nähe des Gesichts des Patienten zu bringen. Wenn ein Defibrillator
sofort verfügbar ist, soll zunächst geprüft werden, ob ein defibrillierbarer Rhythmus
vorliegt. In diesem Falle können bis zu 3 Schocks in Folge abgegeben werden, bis jemand
eine persönliche Schutzausrüstung angelegt hat. Wichtig ist die strikte Beschränkung
der Anzahl der Mitarbeiter im Zimmer [113]. Das Atemwegsmanagement soll immer durch die erfahrenste Person und letztlich mittels
endotrachealer Intubation erfolgen. Bei der manuellen Beatmung ist die Zwei-Helfer-Methode
empfehlenswert: Ein Helfer hält die Maske dicht mit beiden Händen, der andere übernimmt
die Thoraxkompressionen und drückt im Intervall den Beatmungsbeutel. Auch bei supraglottischen
Atemwegshilfen soll ein Kompressions-Ventilations-Verhältnis von 30:2 angewandt werden.
Für manuelle und maschinelle Beatmung sollen Virenfilter eingesetzt werden. Bei längerer
kardiopulmonaler Reanimation kann ein mechanisches Thoraxkompressionsgerät zum Einsatz
kommen [113]. Bei einem Kreislaufstillstand in Bauchlage sollen nicht intubierte Patienten auf
den Rücken gedreht werden. Bei intubierten Patienten ist die kardiopulmonale Reanimation
auch in Bauchlage möglich, gedrückt werden muss dann zwischen den Schulterblättern
[113]. Sollten der diastolische Druck dabei nicht mehr als 25 mmHg betragen oder andere
Gründe dafür sprechen, den Patienten auf den Rücken zu drehen, soll dies erfolgen.
In Bauchlage können Defi-Pads anterior-posterior oder bi-axillär angebracht werden.
Verstorbene Patienten mit COVID-19 zeigen eine sehr hohe Inzidenz von tiefen Venenthrombosen
und Lungenembolien. Bei Kreislaufstillstand ist daher – wie immer bei kardiopulmonaler
Reanimation und Verdacht auf Lungenembolie – der Einsatz eines Thrombolytikums während
der kardiopulmonalen Reanimation zu erwägen [114].
7 Thromboembolieprophylaxe/Antikoagulation
7 Thromboembolieprophylaxe/Antikoagulation
Hospitalisierte Patienten mit COVID-19 sollen in Abwesenheit von Kontraindikationen
eine standardmäßige medikamentöse Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin
erhalten. Alternativ kann Fondaparinux zur Anwendung kommen. ↑↑
Bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 und zusätzlichen Risikofaktoren für eine
venöse Thromboembolie (VTE) kann bei niedrigem Blutungsrisiko eine intensivierte Thromboembolieprophylaxe*
erfolgen. Zusätzliche VTE-Risikofaktoren sind z. B. Adipositas (BMI > 35 kg/m2), stattgehabte VTE, bekannte Thrombophilie, intensivmedizinische Behandlung sowie
stark erhöhte D-Dimere (> 2–3 mg/l). ↔
Die intensivierte Thromboembolieprophylaxe* kann z. B. mit der halbtherapeutischen
Dosis eines niedermolekularen Heparins oder mit unfraktioniertem Heparin mit einer
1,5- bis 1,8-fachen Verlängerung des oberen aPTT-Referenzbereichs erfolgen.
Thromboembolische Ereignisse sind eine häufige Komplikation bei COVID-19 und betreffen
vorwiegend das venöse, jedoch auch das arterielle Gefäßsystem [115]
[116]. Alle stationär behandelten Patienten sollten daher zur Prophylaxe einer venösen
Thromboembolie (VTE) niedermolekulares Heparin (NMH) in einer für den Hochrisikobereich
zugelassenen Dosierung erhalten. Alternativ, z. B. bei Heparinunverträglichkeit oder
stattgehabter HIT, ist die Gabe von Fondaparinux möglich. Beobachtungsstudien legen
jedoch nahe, dass insbesondere bei Intensivpatienten eine standarddosierte NMH-Prophylaxe
nicht ausreichend wirksam ist, sodass unter Berücksichtigung von Blutungsrisiko und
Nierenfunktion eine intensivierte Antikoagulation, z. B. mit einer intermediären,
halbtherapeutischen NMH-Dosis, erwogen werden kann. Risikofaktoren für eine Blutung
sind z. B. schwere Leber- oder Nierenfunktionseinschränkung, Thrombozytopenie, stattgehabte
Blutung, Therapie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer oder ein kurz zurückliegender
operativer Eingriff. In Abwesenheit einer gesicherten VTE oder ECMO-Therapie kann
eine therapeutisch dosierte Antikoagulation aktuell zwar nicht routinemäßig empfohlen
werden; diese erscheint aber im Einzelfall vertretbar, wenn z. B. bei rasch ansteigenden
D-Dimeren und/oder akuter Verschlechterung des Gasaustausches eine zeitnahe bildgebende
Diagnostik nicht zur Verfügung steht. Da die Ausbildung von Mikrothromben in der pulmonalen
Endstrombahn als charakteristischer Befund des COVID-19-assoziierten ARDS angesehen
werden kann [22], ist die therapeutische Antikoagulation unter individueller Abwägung von Nutzen
und Risiko (z. B. pulmonale Hämorrhagien) zudem auch bei beatmeten Intensivpatienten
eine mögliche Therapieoption [117]
[118]. Bei deutlich eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 30 ml/min) ist eine Antikoagulation
mit unfraktioniertem Heparin (UFH) zu bevorzugen. Im Falle einer therapeutischen Antikoagulation
sollte bei Nichtansprechen der aPTT das Monitoring über eine Bestimmung der Anti-X-Aktivität
für UFH erfolgen. Liegt aufgrund einer massiven Inflammation eine „UFH-Resistenz“
vor, kann alternativ Argatroban zur Anwendung kommen [119]
[120]. Wegen des potenziell hohen Blutungsrisikos unter Argatroban sind eine kritische
Indikationsstellung, eine adäquate Dosisanpassung bei kritisch kranken Patienten und
ein sorgfältiges Monitoring zwingend erforderlich. Die Entwicklung einer disseminierten
intravasalen Gerinnung (DIC) mit Hyperfibrinolyse oder Verbrauchskoagulopathie ist
selten und allenfalls im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zu beobachten. Zur Beschreibung
der hämostaseologischen Laborveränderungen wurden unter Berücksichtigung der spezifischen
Pathophysiologie die Begriffe COVID-19-assoziierte Koagulopathie (CAC) [121] und pulmonale intravaskuläre Koagulopathie (PIC) [122] eingeführt. Bei COVID-19-Patienten mit komplexer Koagulopathie ist ein Monitoring
relevanter Laborparameter (Thrombozytenzahl, Quick/INR, Fibrinogen, D-Dimere, Antithrombin)
sinnvoll.
8 Therapie
8.1 Antiinfektive Therapie und allgemeine Therapieprinzipien
Grundsätzlich sollte bei Beginn der Behandlung auf der Intensivstation und bei einer
Verschlechterung des Patienten im Verlauf die Abnahme von mindestens 2 (sowohl aeroben
als auch anaeroben) Blutkultur-Sets erfolgen [123]. Bei Patienten mit Verdacht auf eine bakteriell bedingte ambulant erworbene Pneumonie
oder bakterielle Co-Infektion sollte eine kalkulierte antibiotische Therapie frühzeitig
initiiert werden. Eine prophylaktische Antibiotika-Gabe bei schon gesicherter Infektion
mit SARS-CoV-2 wird nicht empfohlen, da bakterielle Co-Infektionen eher selten sind
[23]. Bei klinischer Verschlechterung sollte auch eine invasive pulmonale Aspergillose
in Betracht gezogen werden [124]. Eine Flüssigkeitstherapie sollte bei respiratorischer Insuffizienz, insbesondere
bei Fehlen von Schock oder Gewebeminderperfusion, zurückhaltend erfolgen. Bei einer
Flüssigkeitsüberladung kommt es zu einer Verschlechterung der Oxygenierung.
8.2 Spezifische medikamentöse Therapie
Die nachfolgenden Beurteilungen sind aufgrund der raschen Generierung neuer Studienergebnisse
als in beständiger Überarbeitung angesehen und müssen in kurzem Abstand re-evaluiert
bzw. überarbeitet oder ergänzt werden.
Für die medikamentöse Therapie hospitalisierter COVID-19-Patienten gibt es zwei Ansätze:
antiviral und immunmodulatorisch. Im Folgenden sind Therapien aufgeführt, die mindestens
mit einer adäquaten Fallzahl, und einem randomisiert-kontrollierten Studiendesign
untersucht, und peer-reviewed veröffentlicht worden sind. Eine konditionale Zulassung
für die Therapie von COVID-19 ist bisher in Europa nur für Remdesivir erteilt worden.
8.2.1 Antivirale Therapien
Remdesivir
Bei hospitalisierten, nicht beatmeten Patienten mit COVID-19-Pneumonie und Sauerstoffbedarf
kann eine Therapie mit Remdesivir erfolgen (möglichst in der Frühphase der Erkrankung
≤ 10 Tage nach Symptombeginn) [125]. ↔
Die Dosis beträgt 200 mg Remdesivir i. v. an Tag 1, ab Tag 2 100 mg für 5 Tage. Eine
Verlängerung der Therapiedauer auf bis zu 10 Tage kann bei unzureichendem Effekt erwogen
werden. Empfohlen wird eine tägliche Kontrolle der Leber- und Nierenfunktionsparameter,
bei einer GFR < 30 ml/min sollte keine Behandlung erfolgen.
Die WHO empfiehlt aktuell die Anwendung von Remdesivir nicht, unabhängig vom klinischen
Stadium der COVID-19-Erkrankung (schwache oder bedingte Empfehlung) [126].
Remdesivir zeigt In-vitro-Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 [127]. In der randomisierten Doppelblindstudie ACTT-1 mit 1062 Patienten wurde ein klinischer
Nutzen von Remdesivir bei hospitalisierten erwachsenen Patienten nachgewiesen [128]
[129]. Eine 10-tägige Behandlung verringerte in der Gesamtgruppe die Zeit bis zur Genesung
von median 15 auf 10 Tage gegenüber Placebo (Risiko-Verhältnis für Genesung, 1,29;
95 %-KI, 1,12–1,49; P < 0,001) [129]. Der Effekt war am größten bei sauerstoffpflichtigen Patienten, die keine Form der
Beatmung benötigten, in der Subgruppe mit mechanischer Beatmung wurde kein positiver
Effekt beobachtet. Es bestand eine nicht signifikante Reduktion der Gesamtletalität
an Tag 29 (11,4 % vs. 15,22 %, Hazard Ratio 0,73; 95 %-KI 0,52–1,03) [129]. Im Vergleich der Wirksamkeit einer 5- vs. 10-tägigen Therapie mit Remdesivir (SIMPLE
Severe Studie) konnte bei Patienten mit schwerem Verlauf kein Vorteil einer 10-tägigen
Behandlung festgestellt werden [130]. In einer kleineren Studie konnte kein signifikanter Effekt von Remdesivir nachgewiesen
werden [131], die Ergebnisse einer anderen Studie waren schwer interpretierbar [132].
Im Remdesivir-Arm der randomisierten SOLIDARITYStudie erhielten 2743 Patienten Remdesivir
[133]. Der Tod trat bei 11 % der Patienten ein, die Remdesivir bekamen, und bei 11,2 %
der Kontrollgruppe (Hazard Ratio 0,95; [0,81; 1,11]; p = 0,50). Es fand sich damit
kein Vorteil hinsichtlich der Sterblichkeit (primärer Endpunkt). Dies betraf auch
die sekundären Endpunkte Initiierung einer Beatmung und Dauer der Hospitalisierung.
Aufgrund dieser divergierenden Daten wurde von der Leitliniengruppe eine „Kann“-Empfehlung
ausgesprochen:
Bezüglich des optimalen Therapiezeitpunkts gibt es theoretische Überlegungen und Hinweise,
dass ein möglichst frühzeitiger Einsatz im Krankheitsverlauf günstig ist [129]
[131]
[134]. Bisher wurde in den kontrollierten Studien kein Hinweis für eine organspezifische
Toxizität beschrieben, wobei ein Einsatz nur bei normaler bis mittelgradig eingeschränkter
Nierenfunktion (eGFR > 30 ml/min) zugelassen ist.
Chloroquin/Hydroxychloroquin
Potenzial für positive Wirkung (Chloroquin/Hydroyxchloroquin) aus In-vitro-Wirksamkeitsdaten.
In vivo bisher keine sichere antivirale Wirkung, kein Hinweis auf klinische Wirksamkeit
für hospitalisierte Patienten nachgewiesen, randomisierte Studien an hospitalisierten
Patienten mit COVID zeigten keinen klinischen Nutzen [135]
[136]
[137]
[138]
[139]. In einer randomisierten Studie blieb auch eine Postexpositionsprophylaxe mit Hydroxychloroquin
ohne Effekt [140].
Potenzial für schädliche Wirkung: Hydroxychloroquin: Kardiotoxizität, Retinaschädigung
(höhere Dosierung, längerer Gebrauch), höhere Letalität bei kritisch kranken Patienten
mit Chloroquin-Diphosphat und Dosierung 2 × 600 mg/d.
Bewertung: Einsatz nicht empfohlen.
Azithromycin
Potenzial für positive Wirkung aus In-vitro-Wirksamkeit gegen verschiedene Viren.
Bisher kein klinischer Vorteil nachgewiesen, in einer randomisierten Studie mit 400
Patienten zeigte sich kein klinischer Vorteil für eine Gabe zusätzlich zu Chloroquin/Hydroxychloroquin
[141].
Potenzial für schädliche Wirkung: Medikamenteninteraktionen, QT-Zeit-Verlängerung,
Herzrhythmusstörungen.
Bewertung: Einsatz nicht empfohlen.
Interferon β-1b
Potenzial für positive Wirkung: In-vitro-Wirksamkeit (MERS-CoV), antivirale Wirksamkeit
in Kombination mit Lopinavir/Ritonavir vs. Lopinavir/Ritonavir in randomisierter Studie
gezeigt. Bisher kein Nachweis klinischer Wirksamkeit [142]
[143]. In einer noch im Peer-Review-Verfahren befindlichen Studie konnte kein signifikanter
Effekt von Interferon nachgewiesen werden [143].
Potenzial für schädliche Wirkung: Grippeähnliche Symptomatik, Störung der Blutbildung.
Bewertung: Einsatz außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen.
Lopinavir/Ritonavir
Potenzial für positive Wirkung aus In-vitro-Wirksamkeitsdaten. Klinische Wirksamkeit
in randomisierten Studien untersucht, kein klinischer Vorteil [143]
[144]
[145].
Potenzial für schädliche Wirkung: Interaktion durch Hemmung von CYP3A4, Einsatz nicht
bei schwerer Leberfunktionsstörung, Übelkeit, Diarrhoe.
Bewertung: Einsatz nicht empfohlen.
8.2.2 Immunmodulatorische Therapie
Steroide
Bei Patienten mit schwerer (SpO2 < 90 %, Atemfrequenz > 30/min) oder kritischer (ARDS, Sepsis, Beatmung, Vasopressorengabe)
COVID-19-Erkrankung soll eine Therapie mit Dexamethason erfolgen [125]. ↑↑
Die Dosis beträgt 6 mg Dexamethason p. o./i. v. täglich für 10 Tage. Alternativ kann
auch ein anderes Glukokortikoid (z. B. Hydrocortison 50 mg i. v. alle 8 h) verwendet
werden.
Potenzial für positive Wirkung: Eine Therapie mit Steroiden wurde bislang bei ARDS
kontrovers diskutiert. Bei virusinduziertem ARDS (z. B. SARS und Influenza) zeigten
sich nachteilige Effekte [146]. In der RECOVERY-Studie aus Großbritannien wurden hospitalisierte Patienten mit
COVID-19 mit Dexamethason (6 mg 1-mal täglich für 10 Tage) oder mit Standardtherapie
behandelt [147]. Der primäre Endpunkt war die 28-Tage-Sterblichkeit. 2104 Patienten erhielten Dexamethason
und 4321 Patienten Standardtherapie. Insgesamt starben 482 Patienten, 22,9 % in der
Dexamethasongruppe und 25,7 % in der Standardtherapiegruppe (p < 0,001). Der größte
Vorteil fand sich bei beatmeten Intensivpatienten mit COVID-19 (Sterblichkeit 29,3 %
vs. 41,4 %). Deutlich geringer ausgeprägt ist der Letalität reduzierende Effekt bei
COVID-19-Patienten mit notwendiger Sauerstofftherapie (mit oder ohne NIV) ohne invasive
Beatmung (Sterblichkeit 23,3 % vs. 26.2 %). Bei Patienten ohne notwendige Sauerstofftherapie
zeigte sich dagegen kein Vorteil, es bestand eher eine Tendenz zu nachteiligen Effekten.
Nachfolgend wurden weitere Studien publiziert, die positive Effekte durch die Gabe
von Hydrokortison und Dexamethason zeigten [148]
[149]
[150]. Eine durchgeführte Metaanalyse aus 7 randomisierten Studien mit 1703 Intensivpatienten,
bei denen eine Steroidtherapie bei schwerer COVID-19-Erkrankung mit Standardtherapie
oder Placebo verglichen wurde, zeigte: Die Verabreichung systemischer Kortikosteroide
ist bei Patienten mit COVID-19 mit einer signifikant geringeren 28-Tage-Gesamtsterblichkeit
verbunden [151]. Daraufhin wurde eine Therapieempfehlung von der WHO veröffentlicht [152].
Potenzial für schädliche Wirkung: Immunsuppressive Wirkung, erhöhtes Risiko bakterieller
Infektionen, verlängerte SARS-CoV-2 Ausscheidung.
Tocilizumab (TCZ)
Potenzial für positive Wirkung durch kompetitive Bindung an zellgebundene und lösliche
IL-6-Rezeptoren, Unterbrechung des IL-6-Signalweges, Hemmung der Inflammation. In
Kohortenstudien wurden initial Reduktion von Fieber, Abfall von CRP und ein Anstieg
der Lymphozytenzahl beobachtet [153]
[154]. Randomisierte Studien konnten diesen Effekt nicht bestätigten. Hier zeigten sich
keine Hinweise für geringere Letalität, geringere Intubationsraten oder günstigeren
Krankheitsverlauf bei moderat bis schwer kranken COVID-19-Patienten [155]
[156]
[157]. Bei kritisch kranken Patienten zeigte der frühe Einsatz von TCZ Hinweise auf geringere
Letalität, sofern es in den ersten beiden Tagen eingesetzt wurde, wobei die klinische
Bedeutung aufgrund möglicher Bias-Faktoren unklar blieb [158].
Potenzial für schädliche Wirkung: Immunsuppressive Wirkung, erhöhtes Risiko bakterieller
Infektionen.
Empfehlung: Einsatz außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen.
Anakinra
Potenzial für positive Wirkung durch kompetitive Bindung an den IL-Rezeptor wird der
Signalweg über IL-1 unterbrochen, Wirkung in Fallserien bei sekundärer hämophagozytischer
Lymphohistiozytose bzw. Makrophagenaktivierungssyndrom, ein klinischer Vorteil ist
bisher nicht nachgewiesen [159].
Potenzial für schädliche Wirkung: Immunsuppression, erhöhtes Risiko bakterieller Infektionen.
Empfehlung: Einsatz außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen.
Andere
Rekonvaleszentenplasma
Potenzial für positive Wirkung in Analogie zu Studien bei anderen Infektionskrankheiten
(z. B. Ebola), klinischer Vorteil bisher nicht nachgewiesen [160]
[161]
[162].
Potenzial für schädliche Wirkung: Überempfindlichkeitsreaktionen (bisher selten beschrieben)
Empfehlung: Einsatz außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen.
Kombinationstherapien
Eine Kombination aus Dexamethason und Remdesivir kann bei schwerkranken, sauerstoffpflichtigen
COVID-19-Patienten erwogen werden. Andere Kombinationen bleiben klinischen Studien
vorbehalten. Bislang liegen zur Kombination antiviraler und anti-inflammatorischer
Therapien keine Studiendaten vor, wobei für eine Kombination aus theoretischen Überlegungen
viele Gründe sprechen. Aus der finalen ACTT-1 Publikation zeigte eine Post-hoc-Analyse
in einer mittels Remdesivir und Steroiden untersuchten Subgruppe einen fortbestehenden
Therapievorteil, weshalb die Autoren auf eine mögliche additive Wirkung verweisen
[129]. Kontrollierte Studiendaten fehlen bisher. Aus einer Pressemitteilung der ACTT-2-Studie
ist bekannt, dass die Kombination des Januskinase-Inhibitors Baracitinib mit Remdesivir
einen weiteren Tag Verkürzung der Erkrankungsdauer (signifikant) bei hospitalisierten
Patienten zeigte [163].
Zusammenfassung
Eine klinische Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie bei moderater bis schwerer
COVID-Erkrankung (hospitalisierte Patienten) ist bisher für Remdesivir und bei schwerer
Erkrankung für Dexamethason nachgewiesen. Eine Zulassung von Remdesivir erfolgte am
03. 07. 2020 in Europa zur Behandlung von SARS-CoV-2-bedingten Pneumonien mit Sauerstoffbedarf.
Ein Nutzen für Remdesivir ist am besten ersichtlich bei Patienten mit Sauerstoffpflichtigkeit
und in den ersten 10 Tagen nach Symptombeginn, für kritisch kranke Patienten besteht
kein Hinweis auf Wirksamkeit. Demgegenüber zeigt eine Therapie mit Dexamethason bei
schwer kranken Patienten einen Überlebensvorteil, insbesondere bei Beatmungspflichtigkeit.
Andere Substanzen, sowohl mit antiviraler Wirksamkeit wie auch immunmodulatorische
Therapien, können derzeit außerhalb klinischer Studien und entsprechend qualifizierter
klinischer Einrichtungen nicht zum Einsatz empfohlen werden. Die Universität Liverpool
hat eine Aufstellung wahrscheinlicher PK-Interaktionen mit experimentellen Therapien
von COVID-19 veröffentlicht [164].
9 Prognose, persistierende Symptome, Rehabilitation
9 Prognose, persistierende Symptome, Rehabilitation
9.1 Prognose
Die Sterblichkeit von Patienten mit COVID-19 und intensivmedizinischer Behandlung
lag in Deutschland laut den Daten des DIVI-Intensivregisters zuletzt bei 27 % (Stand
Januar 2021), wobei Verlegungen zwischen den Krankenhäusern nicht berücksichtigt werden.
Eine große Studie wertete die Daten von 10 021 deutschen AOK-versicherten Patienten
aus, die mit der Diagnose COVID-19 in 920 deutsche Krankenhäuser eingeliefert wurden
[10]. Die Sterblichkeit im Krankenhaus betrug 22 %, wobei es große Unterschiede zwischen
Patienten ohne Beatmung (16 %) und mit Beatmung gab (53 %). Die Sterblichkeit stieg
mit dem Lebensalter an, so hatten beatmete Patienten mit einem Alter von ≥ 80 Jahren
eine Krankenhaussterblichkeit von 72 %. Eine weitere Studie wertete die Daten von
1904 deutschen Patienten aus, die in 86 Krankenhäusern mit COVID-19 aufgenommen wurden
[165]. Die Sterblichkeitsrate betrug 17 %, bei beatmeten Patienten 33 %. Risikofaktoren
für ein Versterben waren männliches Geschlecht, eine vorbestehende Lungenerkrankung
sowie ein erhöhtes Patientenalter. Beachtet werden muss, dass bei der letztgenannten
Studie ein Teil der Patienten bei der Abschlussanalyse noch auf der Intensivstation
lag und die Anzahl von Komorbiditäten geringer war.
9.2 Persistierende Symptome
Bei Patienten mit stationär behandelter COVID-19-Erkrankung sollte nach 8–12 Wochen
eine Nachuntersuchung bezüglich Langzeitfolgen erfolgen. ↑
Idealerweise sollte dies im Rahmen von Registern oder Studien erfolgen.
Nachuntersuchungen von COVID-19-Erkrankten zeigten, dass viele Betroffene weit über
die Zeit der eigentlichen Viruserkrankung hinaus symptomatisch blieben. Eine italienische
Arbeitsgruppe beschrieb 179 Patienten, die im Schnitt 60 Tage nach Beginn der COVID-19-Symptomatik
nachuntersucht wurden [166]. Von diesen klagten 87,4 % über persistierende Symptome, wobei Luftnot und ein als
Fatigue-Symptomenkomplex, der bereits nach anderen Infektionskrankheiten wie Mononukleose
oder der CMV-Infektion, aber auch als Folge der SARS-Corona-Viruspandemie 2002/2003
beschrieben wurde, dominierte [167]. Es wurden in dieser Untersuchung allerdings ausschließlich hospitalisierte Patienten
nachuntersucht, von denen nur 5 % invasiv beatmet worden waren.
Das „Post-COVID-19-Syndrom“ kann unabhängig von der Schwere der Erkrankung auftreten,
also auch bei Patienten, die nur leicht erkrankt waren und ambulant behandelt wurden.
Im Bereich der Lunge werden fibrosierende Lungenveränderungen beschrieben, wobei verschiedene
histologische Pathologien (organisierende Pneumonie, nicht spezifische interstitielle
Pneumonie, NSIP, idiopathische Lungenfibrose) genannt werden [168]. Eine MRT-Studie des Herzens zeigte bei 15 % genesener COVID-19-Patienten nach 11–53
Tagen Befunde, die auf eine Myokarditis hindeuteten, allerdings ist der klinische
Stellenwert dieser Befunde unklar [169]. Alle nachweisbaren Organveränderungen nach COVID-19 sollten Anlass zu einer für
die jeweilige Erkrankung empfohlenen Diagnostik und eventuell Therapie geben. Neben
Organmanifestationen findet sich häufig ein Fatigue-Syndrom, das neben einem allgemeinen
Krankheitsgefühl mit Mattigkeit, Antriebslosigkeit, schneller Erschöpfung und mangelnder
Belastbarkeit auch neurokognitive Störungen wie vermehrte Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen
umfasst. Die Mehrzahl dieser Patienten ist nur mit Mühe oder gar nicht in der Lage,
den Alltag zu bewältigen. Pathophysiologisch gibt es bisher für das Fatigue-Syndrom
keine überzeugende Erklärung. Therapeutisch werden derzeit spezifische Rehabilitationsprogramme
entwickelt, die atemphysiologische, muskelstimulierende und neurokognitive Komponenten
beinhalten. Studien liegen hierzu allerdings bisher nicht vor.
9.3 Rehabilitation
Insbesondere nach schweren und kritischen Verläufen von COVID-19 kommt es bei Patienten
zu hoch variablen Krankheitsverläufen. Neben den zumeist führenden Lungenveränderungen
kann es zu zahlreichen weiteren Organschädigungen kommen. Das Schädigungsmuster kann
hierbei neben der Lunge auch Herz, Nieren, Nervensystem, Gefäßsystem, Muskulatur und
Psyche betreffen [170]. Zu deren Behandlung sollten rehabilitative Angebote initiiert werden. Diese Therapien
sollten ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung sein und bereits auf der Normalstation
bzw. Intensivstation indiziert werden, sie setzen sich fort als stationäre oder ambulante
Rehabilitation, vor allem in pneumologischen Rehabilitationskliniken. Insbesondere
sollte, sofern vorhanden, in Kliniken der Maximalversorgung hausintern eine Frührehabilitation
begonnen werden.
Nach den Empfehlungen gelten folgende Kriterien zur Reha-Fähigkeit nach durchgemachter
COVID-19-Infektion [170]:
-
Die COVID-19-bedingte Akutsymptomatik sollte vor Verlegung mindestens 2 Tage abgeklungen
sein.
-
Die respiratorische und Kreislauf-Situation sollten so stabil sein, dass Rückverlegungen
in den Akutbereich nicht absehbar sind.
-
Es sollten keine Direktverlegungen aus dem Intensivbereich in die Reha erfolgen.
Bei COVID-19- und Post-COVID-19-Betroffenen mit fortbestehenden Störungen der Lunge
(z. B. respiratorische Insuffizienz, nach komplikativer Beatmung, prolongiertes Weaning,
chronische pulmonale oder atemmuskuläre Grunderkrankung) soll eine pneumologische
(Früh-)Rehabilitation durchgeführt werden. Besteht ein fortgesetztes Weaning-Versagen,
so sollte die weitere Behandlung in einem spezialisierten Weaning-Zentrum erfolgen.
Bei COVID-19- und Post-COVID-19-Betroffenen mit schwereren Schädigungen des zentralen
und/oder peripheren Nervensystems soll eine neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation
durchgeführt werden, diese schließt fallbezogen auch eine prolongierte Beatmungsentwöhnung
(Weaning) ein [171]. Für die Initiierung einer Anschlussrehabilitation nach COVID-19 gilt allgemein:
Sind die pulmonalen, kardialen oder neurologischen Schädigungen („Impairment“) für
die Rehabilitationsbedürftigkeit führend, soll entsprechend eine indikationsspezifische
pneumologische, kardiologische oder neurologische Rehabilitation erfolgen. Bei sekundären
emotionalen Störungen sollte eine psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung initiiert
werden.
10 Besonderheiten bei pädiatrischen Patienten
10 Besonderheiten bei pädiatrischen Patienten
Mit weniger als 1 % der Fälle sind Kinder und Jugendliche insgesamt deutlich seltener
als Erwachsene von COVID-19 betroffen [20]
[172]. Im Vergleich zu Erwachsenen zeigt sich bei Kindern ein deutlich milderer Krankheitsverlauf
und schwere Verläufe sind selten. Der Grund hierfür ist unklar. Insgesamt müssen pädiatrische
Patienten nur sehr selten auf eine pädiatrische Intensivstation (PICU) aufgenommen
werden [173]. Knapp 1/3 der auf die PICU aufgenommenen Patienten war < 1 Jahr alt, wobei es sich
hier in der überwiegenden Anzahl der Fälle um eine kurze stationäre Beobachtung auf
Grund des jungen Lebensalter gehandelt haben dürfte und nur wenige schwere Verläufe
beschrieben wurden.
Es sind bisher nur einzelne Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 im Kindesalter
beschrieben. Die für das pädiatrische Kollektiv errechnete Letalität ist mit 0,0018 %
extrem niedrig [173], allerdings ist die Datengrundlage für diese Berechnung auch bei Kindern eventuell
nicht ausreichend (u. a. wegen asymptomatischer bisher nicht gezählter COVID-19-Fälle).
Bisher wurden im Register der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie
(DGPI) für Deutschland nur 3 Todesfälle gemeldet (https://dgpi.de/covid-19). In einem Review von 2914 pädiatrischen Patienten hatten 47 % im Verlauf der Erkrankung
Fieber. Die häufigsten sonstigen Symptome sind Husten (48 %) und Pharyngitis (29 %),
in ca. 10 % der Fälle auch gastrointestinale Symptome mit Durchfall sowie Übelkeit
und Erbrechen [173]. Zusätzlich wurde eine Fallserie von Kindern mit COVID-19-assoziierten akuten Krupp-Anfällen
publiziert [174]. Bisher wurden bei Säuglingen und Kindern nur Einzelfallberichte über die bei Erwachsenen
häufig auftretende COVID-19-Pneumonie oder ein akutes Lungenversagen berichtet [175]
[176]. Therapeutisch gelten für die Applikation von Sauerstoff, High-Flow-Sauerstofftherapie,
nicht-invasiver Beatmung oder endotrachealer Intubation dieselben Überlegungen und
Einschränkungen hinsichtlich einer möglichen Ansteckung des Personals wie bei erwachsenen
Patienten. Therapieversuche für das Kindesalter orientieren sich an Studienergebnissen
und Erfahrungen aus der Erwachsenenmedizin, da bisher keine randomisierten Interventionsstudien
für Kinder publiziert wurden.
Analog zu Erwachsenen kann bei Sauerstoffbedarf und Pneumonie frühzeitig ein Therapieversuch
mit Remdesivir erfolgen. Aufgrund des zumeist milden und selbstlimitierenden Verlaufes
der COVID-19-Erkrankung bei Kindern sollte Remdesivir vorzugsweise bei Patienten mit
hohem Risiko für einen komplizierten Verlauf eingesetzt werden. Die empfohlene Dosis
für pädiatrische Patienten mit einem Körpergewicht zwischen 3,5–40 kg ist eine einzelne
Beladungsdosis von Remdesivir 5 mg/kg i. v. (infundiert über 30–120 Minuten) an Tag
1, gefolgt von Remdesivir 2,5 mg/kg i. v. (infundiert über 30–120 Minuten) 1-mal täglich
für 4 Tage (Tage 2–5). Bei kritischem Verlauf (akutes Lungenversagen mit Notwendigkeit
der invasiven Beatmung, Sepsis, hoher Vasopressorenbedarf) kann analog den Erwachsenen-Therapieempfehlungen
Dexamethason (0,2 mg/kg/d für 10 Tage, max. 6 mg/Tag für 10 Tage) verabreicht werden.
Bei schwer oder kritisch kranken Kindern und Jugendlichen kann eine prophylaktische
Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin (low-molecular weight herparin, LMH)
erwogen werden.
Im Zusammenhang mit COVID-19 wurde bei Kindern in mehreren Fallserien von einem akuten
hyperinflammatorischen Syndrom mit Multiorganbeteiligung (Pediatric Inflammatory Multisystem
Syndrome – PIMS) berichtet, die berichtete Letalität beträgt hier zwischen 1–2 % [177]
[178]
[179]. Neben Fieber, Exanthem, Konjunktivitis, Polyserositis, gastrointestinalen Symptomen
und Ödemen zeigen diese Patienten häufig einen vasoplegischen Schock. Einige Patienten
zeigten zusätzlich auch Kawasaki-Syndrom ähnliche Symptome mit Koronar-Anomalien oder
schwerer linksventrikulärer Funktionseinschränkung [179]. In den meisten Fällen wurde neben einer antibiotischen Therapie, in Analogie zum
klassischen Kawasaki-Syndrom, eine antiinflammatorische Therapie mit Steroiden (Prednison/Prednisolon/Methyprednisolon
2 mg/kg/d, Dexamethason 0,2 mg/kg), Hochdosis-Immunglobulinen (2 g/kg über 12 h) und
teilweise mit Acetylsalicylsäure (50 mg/kg, nach 48–72 h Fieberfreiheit auf 3–5 mg/kg/d
reduzieren) durchgeführt [180]. Bei Therapieresistenz sollte als Rescue-Therapie der Einsatz von Biologika zur
Interleukin IL1-(Anakinra 2–6 mg/kgKG/d subkutan) oder IL6-Blockade (Tocilizumab < 30 kg:
12 mg/kg in 1 ED, > 30 kg; 8 mg/kg in 1 ED, max. 800 mg), ggf. auch TNF-alpha-Blockade
(Infliximab 5 mg/kg über 2 Stunden 1-mal/Woche i. v.) diskutiert werden. Die Schocksymptomatik
wurde mit Volumenbolus-Gaben sowie Katecholamintherapie behandelt. Diese hyperinflammatorischen
Syndrome waren zumeist innerhalb weniger Tage beherrschbar, es wurden nur Einzelfälle
von ECMO-Behandlungen berichtet. Obwohl der Nachweis der direkten Kausalität nicht
geführt werden kann, wird ergänzend zum bisherigen COVID-19-Survey seit Ende Mai die
Erfassung dieses Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) in Deutschland
durch die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie durchgeführt (https://dgpi.de/pims-survey-anleitung/). Eine aktualisierte Stellungnahme der pädiatrischen Fachgesellschaften findet sich
ebenfalls auf der Internetseite der DGPI.
11 Ethische Aspekte
Die Durchführung der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit COVID-19 folgt
im Grundsatz den wesentlichen ethischen Prinzipien wie Autonomie, Fürsorge, Nicht-Schaden,
Gerechtigkeit und Menschenwürde. Eine zulässige Behandlungsmaßnahme muss zwei Voraussetzungen
erfüllen:
-
Für den Beginn oder die Fortführung besteht nach Einschätzung der behandelnden Ärzte
eine medizinische Indikation und
-
die Durchführung entspricht dem Patientenwillen.
Erfüllt die jeweils geprüfte Behandlungsmaßnahme beide Voraussetzungen, muss die Behandlung
eingeleitet oder fortgeführt werden. Liegt eine der beiden Voraussetzungen nicht vor,
ist insoweit eine Therapiezieländerung und Begrenzung der Therapie nicht nur erlaubt,
sondern sogar geboten [181].
Die Handlungsempfehlungen zur Therapie von Patienten mit COVID-19 sollten auch die
palliativmedizinische Perspektive einbeziehen und diese bei einer Entscheidung gegen
eine Intensivtherapie oder nach einer Therapiezieländerung beachten [24]
[182].
Sollten in Deutschland, trotz optimaler Nutzung der erhöhten Intensivkapazitäten,
die intensivmedizinischen Ressourcen nicht mehr für alle Patienten ausreichen, wurden
für diesen Fall Empfehlungen zur Verteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext
der COVID-19-Pandemie erarbeitet [183].
12 Verfügbarkeit von Intensivbetten:
12 Verfügbarkeit von Intensivbetten:
Im DIVI-Intensivregister, konzipiert vom ARDS Netzwerk, der Sektion respiratorisches
Versagen der DIVI und dem RKI, melden alle Krankenhaus-Standorte in Deutschland, die
intensivmedizinische Behandlungskapazitäten vorhalten, betreibbare Intensivbetten,
freie Behandlungskapazitäten, Patienten mit invasiver Beatmung/ECMO sowie die Anzahl
der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-PatientInnen. Durch die Verordnung zur
Aufrechterhaltung und Sicherung intensivmedizinischer Krankenhauskapazitäten (DIVI-Intensivregister-Verordnung)
des BMG vom 08. April 2020 wurde die tägliche Meldung im DIVI-Intensivregister verpflichtend.
Die Eingabe erfolgt unter https://www.intensivregister.de/.
13 Methoden
13.1 Adressaten/Zusammensetzung der Leitliniengruppe
Adressaten der Leitlinie sind mit der stationären und intensivmedizinischen Behandlung
von COVID-19-Patienten befasste Ärzte, insbesondere Anästhesisten, Infektiologen,
Pneumologen, Kardiologen, Kinderärzte, Nephrologen, Neurologen, Gerinnungsspezialisten
und Experten für Mikrobiologie/Hygiene sowie betroffene Patienten. Die Leitlinie dient
zur Information für alle weiteren an der Versorgung Beteiligten.
Folgende aufgeführte Personen wurden entsprechend der Adressaten durch die Fachgesellschaften
und Institutionen als Vertreter (in alphabetischer Reihenfolge) benannt:
Peter Berlit (DGN), Bernd W. Böttiger (GRC), Petra Gastmeier (DGHM), Reiner Haase
(Patientenvertreter), Florian Hoffmann (DGKJ), Uwe Janssens (DIVI), Christian Karagiannidis
(DGIIN), Alexander Kersten (DGK), Stefan Kluge (DGIIN), Florian Langer (GTH), Jakob
J. Malin (DGI), Gernot Marx (DGAI), Michael Pfeifer (DGP), Klaus F. Rabe (DGP), Gereon
Schälte (DGAI), Christoph D. Spinner (DGI), Steffen Weber-Carstens (ARDS Netzwerk
Deutschland), Julia Weinmann-Menke (DGfN), Tobias Welte (DGP), Martin Wepler (DGAI),
Michael Westhoff (DGP).
13.2 Ziele der Leitlinie
Diese Leitlinie verfolgt das Ziel, Empfehlungen zur zugrundeliegenden Pathophysiologie,
Diagnostik und therapeutischen Strategien bei Patienten mit COVID-19 zu vermitteln.
Die Leitlinie wendet sich an alle im Krankenhaus tätigen Ärzte und weitere Berufsgruppen,
die Patienten mit COVID-19 betreuen. Zugleich soll sie als Orientierung für Personen
und Organisationen dienen, die direkt oder indirekt mit diesem Thema befasst sind.
13.3 Leitlinienprozess
13.3.1 Vorbereitung der Empfehlungen
Die Erstellung dieser Leitlinie mit der Entwicklungsstufe S2k erfolgte nach den Kriterien
der AWMF, um dem Nutzer der Leitlinie evidenzbasierte Kriterien für eine rationale
Entscheidungsfindung und gute Praxis an die Hand zu geben.
Die für das Management von COVID-19-Patienten wichtigen Fragen wurden im Rahmen der
Erstellung dieser Leitlinie innerhalb der Leitliniengruppe identifiziert und diskutiert
sowie Empfehlungen bzw. Statements zu diesen Fragen formuliert. Die Leitlinie umfasst
die Empfehlungen für Erwachsene wie auch für Kinder, um eine möglichst große Zielgruppe
zu erreichen. Darüber hinaus enthält die Leitlinie eine Reihe von Hintergrundtexten,
die ebenfalls in der Leitliniengruppe diskutiert und aktualisiert wurden. Diese dienen
ausschließlich dem tieferen Verständnis und dem Umgang mit den Empfehlungen und Statements.
Vor dem Beginn der Erstellung hat das Steering-Komitee die Aufteilung der Mitglieder
der jeweiligen Gruppen beschlossen und die Aufgaben an die Gruppen in Form von Aufträgen
erteilt. Auf der Basis der Fachexpertise der ausgewählten Autoren und der vorhandenen
Evidenz wurden von den Arbeitsgruppen die aktuellen Empfehlungen bzw. Statements der
S1-Handlungsempfehlungen überprüft und ggfs. zur Diskussion neu formuliert. Parallel
wurden von den Arbeitsgruppen die Hintergrundtexte, die die Empfehlungen und Statements
unterstützen, erstellt.
Recherchen
Es wurde jeweils kapitelweise eine Literatursuche in PubMed mit den von den Autoren
vorgegebenen Stichwörtern durchgeführt. Des Weiteren wurden Literaturstellen aus der
vorherigen intensivmedizinischen Leitlinie, andere Leitlinien sowie aktuelle Studien
in Abstimmung berücksichtigt, soweit sie Einfluss auf die Inhalte der aktuellen Leitlinie
haben.
Aus Zeit- und Ressourcengründen wurde entsprechend der S2k-Klassifikation auf eine
Dokumentation der Recherche und Beurteilung der Literatur verzichtet. Deren klinische
Aussagekraft floss in die Empfehlungsformulierung ein.
13.3.2 Empfehlungsgraduierung/Hintergrundtexte
Die Empfehlungen wurden entsprechend des AWMF-Regelwerks 3-stufig graduiert:
Tab. 2
Empfehlungsgraduierung.
Symbol
|
Beschreibung
|
Formulierung
|
↑↑
|
Starke Empfehlung
|
soll/soll nicht
|
↑
|
Empfehlung
|
sollte/sollte nicht
|
↔
|
Empfehlung offen
|
kann (erwogen werden)/kann (verzichtet werden)
|
Eine Ausnahme bilden die Empfehlungen 12 + 13: Hier wurde statt „sollte“ „wir schlagen
vor“ verwendet, da die zugrundeliegenden Empfehlungen der S3-Leitlinie „Invasive Beatmung
und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ entnommen
sind mit dieser Formulierung.
Im Zuge des Upgrades von S1 auf S2k war das Ziel, v. a. Schlüsselempfehlungen hervorzuheben.
Zum Teil sind in den Fließtexten begleitende Maßnahmen als weitere Empfehlungen verblieben
(z. B. zu Hygienemaßnahmen), dies ist gewollt.
13.3.3 Strukturierte Konsensfindung
Das aus dem vorbereitenden Prozess hervorgegangene Manuskript wurde vor der Konsensuskonferenz
an alle Konferenzteilnehmer versandt. Während der webbasierten Konsensuskonferenz
waren alle beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen mit mindestens einer
Person vertreten, sowie zwei Kollegen als Gäste aus einem Forschungsprojekt. Die graduierten
Empfehlungen wurden unter unabhängiger Moderation (Dr. Monika Nothacker, AWMF-Institut
für Medizinisches Wissensmanagement) im Sinne einer Konferenz nach dem Typ des National
Instituts of Health folgendermaßen besprochen und abgestimmt:
-
Vorstellen der Empfehlung
-
Klärung inhaltlicher Nachfragen
-
Aufnahme von Änderungsvorschlägen (Inhalte bzw. Empfehlungsgrad)
-
Abstimmung
Für eine Empfehlung (Nr. 8) wurde während der Konferenz kein Konsens erzielt, diese
wurde im Delphi-Verfahren nach der Konferenz abgestimmt und in der 2. Delphirunde
modifiziert mit starkem Konsens angenommen. Die Inhalte einer Empfehlung wurden während
der Konsensuskonferenz in den Hintergrundtext verschoben (siehe Text zu den Empfehlungen
19 und 20). Für alle weiteren Empfehlungen/Statements (21 Empfehlungen/1 Statement)
wurde ein Konsens (> 75 % Zustimmung) oder starker Konsens (Zustimmung > 95 %) erreicht.
Gemäß der Beschlüsse der Konsensuskonferenz wurden konkrete und begründete Änderungsvorschläge
für die Weiterbearbeitung des Textes zusammengefasst und eine Revision des Manuskripts
an die Gruppen in Auftrag gegeben. Nach Überarbeitung wurde das Manuskript erneut
an alle Beteiligten versandt. Entsprechend der anschließend entstandenen Rückmeldungen
wurde das Manuskript redaktionell durch die Redaktionsgruppe überarbeitet sowie das
Gesamtliteraturverzeichnis der Leitlinie erstellt.
13.3.4 Verabschiedung durch die Vorstände der beteiligten Fachgesellschaften/Organisationen
und Review durch die Task Force COVID-19-Leitlinien
Der von der Leitlinienkonferenz verabschiedete Leitlinientext wurde den Vorständen
der federführenden und beteiligten Fachgesellschaften und Institutionen zur Erörterung
und Kommentierung bzw. Verabschiedung mit der Situation angemessenem Zeitrahmen übersandt.
Die Leitlinie wurde von allen Vorständen der beteiligten Fachgesellschaften/Organisationen
positiv beurteilt und freigegeben. Die Mitglieder der AWMF-Task-Force COVID-19-Leitlinien
erhielten das Dokument ebenfalls zum 48 Stunden Review. Die Leitlinie wurde mit einigen
Änderungsvorschlägen, die in die Leitlinie eingearbeitet wurden, von den Vorständen
positiv beurteilt und freigegeben.
Die Leitlinie wird unterstützt vom Robert Koch-Institut und durch den STAKOB – Ständiger
Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene
Erreger. Folgende Fachgesellschaften haben die Leitlinie kommentiert und Textergänzungen
vorgeschlagen, welche überwiegend übernommen wurden: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin,
Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation, Deutsche Gesellschaft für Physikalische
Medizin und Rehabilitation, Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Kopf- und Hals-Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,
Gesellschaft für Virologie, Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin.
Zustimmung wurde weiterhin von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen
Gesellschaft für Rheumatologie geäußert. Vorgeschlagene Erweiterungen der Leitlinie
in Bezug auf gastroenterologische Komplikationen der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie,
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten wurden für die nächste Aktualisierung aufgenommen.
Die Gültigkeit der Leitlinie endet am März 2021.
13.4 Finanzierung und Interessenkonfliktmanagement
Die Erstellung dieser Leitlinie wurde von den beteiligten Fachgesellschaften ohne
Sponsoring durch Dritte finanziert. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren ausnahmslos
ehrenamtlich tätig, es erfolgte keine Einflussnahme von außen. Von allen Mitgliedern
der Leitliniengruppe wurden die Interessenerklärungen nach dem aktuellen Formblatt
der AWMF (2018) elektronisch erhoben. Die Interessenskonflikte wurden von Dr. Monika
Nothacker in Absprache mit Prof. Dr. Stefan Kluge bewertet. Als Interessenkonflikte
wurden finanzielle Beziehungen zur Industrie mit unmittelbarem Bezug zu Diagnostik
oder Therapie von COVID-19 bewertet. Als gering: Vorträge (keine Konsequenz), als
moderat (Stimmenthaltung beim Thema): Teilnahme an Wissenschaftlichen Beiträgen/Advisory
Boards/Gutachtertätigkeit/Managementverantwortung für klinische Studien. Als hoch
(keine Teilnahme an der Diskussion zum Thema): Patente.
Bei der Konsensuskonferenz enthielten sich 3 Kollegen bei den Themen Remdesivir und
ein Kollege beim Thema Antikoagulation. Prof. Kluge als Koordinator wurde in Bezug
auf ein Thema mit moderaten Interessenkonflikten bewertet, der Ko-Koordinator Prof.
Rabe hatte bei diesem Thema keine Interessenkonflikte und fungierte als Peer.