2. Lippe, Mundhöhle und Pharynx
2.1 Seltene Anomalien und Fehlbildungen
Der Kopf-Halsbereich weist aufgrund seiner besonderen anatomischen
Verhältnisse als Eintrittspforte des Körpers ein besonders enges
Verhältnis zum Immunsystem auf. In den ersten Lebensjahren vollziehen
sich hier durch den direkten Kontakt mit Pathogenen entscheidende
Reifungsprozesse des Immunsystems, welche ihren Ausdruck unter anderem in einer
Hyperplasie der Rachen- und Gaumenmandeln finden. Bekanntermaßen kann es
unter bestimmten Umständen durch diese anatomischen
Veränderungen zur Entstehung von Mittelohrpathologien oder einer
Beeinträchtigung der Atmung (v. a. im Schlaf) kommen, welche
unbehandelt weitreichende Folgen für die Entwicklung der betroffenen
Kinder haben. Im Erwachsenenalter werden anatomische Alterationen in
Mundhöhle und Rachen, welche obstruktive Atemstörungen im Schlaf
verursachen, zudem als wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung von
Herz-Kreislauferkrankungen angesehen. Bei der Abklärung dieser
mutmaßlich unterdiagnostizierten pathologischen Veränderungen
sollte in diesem Bereich auch auf Heterotopien von Speicheldrüsen-,
Schilddrüsen-, Thymus- oder Nebenschilddrüsengewebe geachtet
werden [84]
[175]
[189]
[205]. Anatomische Anomalien der
Zungenoberfläche, wie sie bei der Lingua geografica (Prävalenz:
0,3–15%), der Lingua villosa nigra (Prävalenz:
0,15–3%), der Lingua plicata (Prävalenz:
2–20%) oder der Glossitis mediana rhombica auftreten, finden
sich in der Bevölkerung ebenfalls häufig, sind für sich
genommen jedoch ohne Krankheitswert [128]. Bei
Patientinnen und Patienten mit diffusen Schluckbeschwerden und/oder
Schmerzen im Kopf-Halsbereich sollte in differenzial-diagnostische
Überlegungen auch das Vorliegen eines überlangen Processus
styloideus (Prävalenz: 4–7%) oder einer
Verknöcherung des Ligamentum stylohyoideum (Prävalenz:
4–30%) einbezogen werden (Eagle-Syndrom), welche in bis zu
10% der Fällen derartige Beschwerden verursachen können
[152]
[214]. Seltener können auch Osteophyten der
Wirbelsäule (Morbus Forestier, Spondylosis hyperostotica) [1], ein verlängertes Cornu superior des
Schildknorpels [138] oder ein ausladender
Hakenfortsatz des Flügelbeins (Hamulus pterygoideus) [197] für solche Symptome verantwortlich
sein. Auch eine sehr seltene Amyloidose, Xanthomatose oder Lipoidproteinose
(Urbach-Wiethe-Syndrom) in diesem Bereich ist bei Schluckbeschwerden
differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehen [20]
[79]
[176]. Im Folgenden soll eine Auswahl seltener anatomischer Anomalien
und Fehlbildungen im Bereich der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx
genauer betrachtet werden.
2.1.1 Zenker-Divertikel
Das Zenker-Divertikel beschreibt eine sackartige Ausstülpung von
Mukosa und Submukosa der dorsalen Wand des Hypopharynx kranial des oberen
Ösophagussphinkters, dem sogenannten Killian-Dreieck. Es handelt
sich somit um ein sogenanntes Pulsions- oder Pseudodivertikel, welches
erstmals im Jahr 1764 von dem Anatomen Abraham Ludlow beschrieben und nach
dem Erlanger Pathologen Friedrich Albert von Zenker benannt wurde. Das
Zenker-Divertikel manifestiert sich zumeist bei Männern im
höheren Lebensalter, weist eine Prävalenz von weniger als
0,1% auf und ist somit nicht häufig. Typische Symptome
betroffener Patienten sind Dysphagie, Regurgitation unverdauter Speisen und
Hallitosis. Kachexie und Aspirationspneumonien können schwerwiegende
Komplikationen darstellen. Mithilfe einer präoperativen
Ösophagusbreischluck-Untersuchung lässt sich die Diagnose
eines Zenker-Divertikels bestimmen [92]
[100].
Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist das Killian-Jamieson-Divertikel (im
Bereich des oberen Ösophagussphinkters) bzw. Pharyngozelen.
Therapeutisch kommt neben der chirurgischen transzervikalen
Divertikelresektion mittels Klammernahtgerät heutzutage zunehmend
die transorale, starr-endoskopisch-kontrollierte Durchtrennung der
Divertikelschwelle mithilfe des CO2-Lasers, diathermischer
Scheren oder eines Klammernahtgerätes zum Einsatz. Auch eine
Schwellendurchtrennung unter Verwendung von flexiblen Endoskopen in
Analgosedierung ist bei geeigneten anatomischen Verhältnissen
möglich. Alle 3 Methoden haben hinsichtlich einer
Beschwerdeverbesserung bzw. -freiheit gute Erfolgsaussichten. Die
Komplikationsrate ist bei der offenen-chirurgischen Technik im Vergleich zu
den endoluminalen Verfahren tendenziell höher, die Anwendung
letzterer Techniken sind allerdings bei bis zu 13% der Patienten aus
anatomischen Gründen nicht möglich [92]
[100].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal:
[92]
2.1.1 Isolierte Gaumenspalte
Kraniofaziale Spaltbildungen stellen die zweithäufigste Gruppe
angeborener Fehlbildungen dar und sind mit einer Prävalenz von 1 zu
500 Personen (entspricht 0,2%) in der Bevölkerung
vergleichsweise häufig. Hierbei handelt es sich vornehmlich um
Spalten im Bereich der Lippe, des Oberkiefers und/oder des Gaumens.
Deutlich seltener treten Spalten im Bereich der Nase, der Wange oder des
Unterkiefers auf. Kombinierte Lippen-Kiefer-Gaumenspalten finden sich
insgesamt am häufigsten (circa 40–65%), gefolgt von
Lippen-Kieferspalten, Lippenspalten (circa 20–25%) oder
Gaumenspalten (bis zu 30%). Jungen sind davon etwas häufiger
betroffen als Mädchen (Verhältnis 3 zu 2), linksseitige
Spaltbildungen zeigen sich etwas häufiger als rechtsseitige
Spaltbildungen (Verhältnis 2 zu 1) oder als mediane Spalten [27]
[159].
Lippen- und Kieferspalten entstehen zwischen fünfter und siebter
Schwangerschaftswoche, Gaumenspalten zwischen achter und zwölfter
Schwangerschaftswoche. Ihre Ätiologie beruht auf einem komplexen
Zusammenspiel zwischen Genetik und Umweltfaktoren. Alkohol- und
Nikotinkonsum, Einnahme von Retinoiden oder dem Antiepileptikum Topiramat,
ionisierende Strahlung und Umweltgifte sowie Folsäuremangel
während der Schwangerschaft werden als für eine Spaltbildung
begünstigend angesehen [27]
[159]. Die Diagnosestellung ist in der Regel
ab der 22. Schwangerschaftswoche sonografisch möglich. Kinder von
Eltern mit Spalten tragen ein erhöhtes Risiko für
kraniofaziale Spaltbildungen, ebenso weitere Kinder gesunder Eltern, welche
bereits ein Kind mit einer Spalte haben. Oftmals sind diese Spaltbildungen
mit anderen anatomischen Fehlbildungen kombiniert oder finden sich im Rahmen
von Syndromen ([Tab. 1]), wie dem
Van-der-Woude-Syndrom (siehe 2.1.3). Das Auftreten einer isolierten
Gaumenspalte ist mit einer Prävalenz von 1 zu 2000 Personen
(entspricht 0,05%) in der Bevölkerung jedoch selten [27]
[159].
Tab. 1 Seltene syndromale Fehlbildungen.
Abruzzo-Erickson-Syndrom
|
Ankyloblepharon filiformis adnatum-Anus
imperforatus-Syndrom
|
Ankyloblepharon-Ektodermale
Defekte-Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Syndrom
|
Arthrogryposis-Ektodermale
Dysplasie-Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Entwiclungsverzögerungs-Syndrom
|
Atelosteogenesis Typ 1
|
Atelosteogenesis Typ 2
|
Atelosteogenesis Typ 3
|
Auriculo-kondylares Syndrom
|
Ausems-Wittebol-Post-Hennekam-Syndrom
|
Bamforth-Syndrom
|
Barakat-Syndrom
|
Beckwith-Wiedemann-Syndrom
|
Bixler-Christian-Gorlin-Syndrom
|
Blepharo-Cheilo-Odontisches Syndrom
|
Blepharo-Naso-Faziales Malformations-Syndrom
|
Kiemenbogen-Syndrom, X-chromosomal
|
Branchio-Okkulo-Faziales Syndrom
|
Branchio-Otisches Syndrom
|
Branchio-Oto-Renales Syndrom
|
Carey-Fineman-Ziter-Syndrom
|
Catel-Manzke-Syndrom
|
Cerebro-Okkulo-Fazio-Skelettales Syndrom
|
Charcot-Marie-Tooth-Krankheit
|
CHARGE-Syndrom
|
Chitayat-Meunier-Hodgkinson-Syndrom
|
Gaumenspalte-Kleinwuchs-Fehlbildungen der
Wirbel-Syndrom
|
Schallleitungsschwerhörigkeit-Fehlbildung des
äußeren Ohres-Syndrom
|
Cornelia-de-Lange-Syndrom
|
Crane-Heise-Syndrom
|
Diamond-Blackfan-Anämie
|
Femoral-Faziales Syndrom
|
Fetales Hydantoin-Syndrom
|
Fraser-Syndrom
|
Fryns-Syndrom
|
Genito-Palato-Kardiales Syndrom
|
Goldberg-Shprintzen-Megakolon-Syndrom
|
Goldenhar-Syndrom
|
Gordon-Syndrom
|
Hardikar-Syndrom
|
Hemifaziale Mikrosomie
|
Histiozytose-Lymphadenopathie-Syndrom
|
Hydrocephalus-Gaumenspalte-Gelenkkontraktur-Syndrom
|
Hypoglossie-Hypodactylie-Syndrom
|
Jones-Syndrom
|
Kapur-Toriello-Syndrom
|
Kniest-Dysplasie
|
Larsen-Syndrom
|
Maligne
Hyperthermie-Arthrogrypose-Torticollis-Syndrom
|
Mandibulo-Fziale-Dysostose-mit-Mikrozephalie-Syndrom
|
Maternale Hyperphenylalaninämie
|
Marden-Walker-ähnliches Syndrom
|
Marden-Walker-Syndrom
|
Maxillo-nasale Dysplasie, Typ Binder
|
Meckel-Syndrom
|
Medeira-Dennis-Donnai-Syndrom
|
Mediane-Oberlippenspalte-mit-Polypen-der
Gesichtshaut-und-Nase-Syndrom
|
Mikrobrachyzephalie-Ptosis-Lippenspalte-Syndrom
|
Mikrozephalie-Taubheit-Syndrom
|
Miller-Syndrom
|
Nager-Syndrom
|
Omphalozele-Gaumenspalte-Syndrom, letal
|
Oro-fazio-digitales Syndrom, Typ 1–11
|
Oto-palato-digitales Syndrom, Typ 1
|
Oto-palato-digitales Syndrom, Typ 2
|
PAI-Syndrom
|
Pallister-W-Syndrom
|
PARC-Syndrom
|
Pierre-Robin-Sequenz
|
Popliteales Pterygium-Syndrom
|
Popliteales Pterygium-Syndrom, Typ Bartsocas-Papas
|
Rapadilino-Syndrom
|
Richieri-Costa-Pereira-Syndrom
|
Roberts-Syndrom
|
Say-Syndrom
|
STAC3-Erkrankung
|
Syngnathie-Gaumenspalte-Syndrom
|
TARP-Syndrom
|
Toriello-Carey-Syndrom
|
Treacher-Collins-Syndrom
|
Ventrikuläre Extrasystolen mit synkopalen
Episoden-Perodactylie-Robin Sequenz-Syndrom
|
Verloove-Vanhorick-Brubakk-Syndrom
|
Vohwinkel-Syndrom
|
Waardenburg-Syndrom, Typ 1–4
|
Warfarin-Syndrom
|
Zlotogora-Syndrom
|
Eine Auswahl seltener Syndrome, welche sich unter anderem im Rahmen
von Fehlbildungen im Bereich der Lippe, der Mundhöhle, des
Pharynx und der Halsweichteile manifestieren, sind aufgelistet
(eigene Zusammenstellung aus www.orpha.net).
Therapeutisch wird angestrebt, bis zum Zeitpunkt der Einschulung eine normale
Atmungs-, Hör-, Sprach-, Sprech- und Kaufunktion herzustellen, was
eine interdisziplinäre Therapie der betroffenen Patientinnen und
Patienten erforderlich macht und als Primärbehandlung bezeichnet
wird. Hierbei kommen kieferorthopädische, chirurgische,
phoniatrisch-pädaudiologische und logopädische
Maßnahmen zum Einsatz. Der chirurgische Verschluss der Lippe erfolgt
zumeist zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat bzw. mit einem
Körpergewicht von mindestens 5 kg, der Verschluss des
weichen Gaumens zwischen siebten und fünfzehnten Lebensmonat und der
Verschluss des harten Gaumens zwischen zweitem und fünften
Lebensjahr. Im Rahmen der Sekundärbehandlung werden
Korrekturoperationen nach erfolgtem Spaltverschluss durchgeführt.
Spaltbildungen im Bereich der Nase hingegen werden zumeist mit dem Erreichen
des Erwachsenenalters korrigiert [195].
2.1.3 Van-der-Woude-Syndrom (VWS)
Beim Van-der-Woude-Syndrom (VWS, Synonyme: Lip-Pit-Syndrom,
Demarquay-Syndrom, Lippenspalte und/oder Gaumenspalte mit
Schleimzysten der Unterlippe; Unterlippenfisteln in fakultativer
Kombination mit Spalten) finden sich Grübchen oder Fisteln
im Bereich der Unterlippe ([Abb. 1])
zusammen mit Spaltbildungen der Lippe und/oder des Gaumens [204]. Zusätzlich wird bei von
diesem Syndrom betroffenen Personen häufig auch eine Hypodontie und
Zahnhypoplasie beobachtet [142]. Diese
zumeist autosomal-dominant vererbte Erkrankung stellt mit einer
Prävalenz von 1 bis 9 zu 100 000 Personen (entspricht 0,001
bis 0,009%) in der europäischen und asiatischen
Bevölkerung bei hoher Penetranz und variabler Expression die
häufigste monogene Form der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte dar, welche
somit für circa 2% aller Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
verantwortlich ist. Beide Geschlechter sind gleichermaßen von VWS
betroffen. Dabei liegen in der Typ-1-Form (welche ungefähr
70% der Personen mit VWS betrifft) Mutationen im
Interferon-regulierenden Faktor-6-Gen (IRF-6; Genlocus: 1q32.2)
vor, dessen Genprodukt die Proliferation und Differenzierung von
Keratinozyten reguliert. Die Mehrheit dieser Mutationen befindet sich in
Exon 3 und 4 (DNA-Bindungsdomäne) sowie in Exon 7 bis 9
(Protein-Bindungsdomäne) [47]. Bei
der Typ-2-Form (welche ungefähr 5% der Personen mit VWS
betrifft) zeigen sich Mutationen im Gen des nukleären
Transkriptionsfaktors grainyhead-like transcription factor 3 (GRHL3;
Genlocus 1p36.11). Die Ursache für die restlichen 25% der
Fälle ist unbekannt [121]. Die
Diagnose dieser Erkrankung wird anhand der typischen klinischen Befunde, der
Familienanamnese und genetischer Untersuchungsergebnisse gestellt. Die
Behandlung ist typischerweise chirurgisch und orthodontisch (siehe
2.1.2).
Abb. 1 Unterlippenfisteln. Klinisches Bild von Fisteln im
Bereich der Unterlippe (bilateral) eines 7-jährigen
männlichen Patienten (Bildmaterial aus [40]).
Kongenitale Grübchen im Bereich der Unterlippe kommen auch bei
anderen Syndromen vor:
-
das Oro-faziale-digitale Syndrom Typ I (OFDI; kongenitale
Grübchen im Bereich der Unterlippe zusammen mit Anomalien im
Bereich von Mundhöhle, Gesicht, Händen,
Füßen, Gehirn und Nieren), welches mit einer
Prävalenz von 1 zu 50 000 Personen in der
Bevölkerung (entspricht 0,002%)
X-chromosomal-dominant durch Mutationen im Bereich des CXORF5-Gens
vererbt wird [63] sowie mit einer
Dysfunktion primärer Zilien vergesellschaftet und in
männlichen Feten letal ist [52]
[70];
-
das Kabuki-Syndrom (Synonym: Kabuki-Make-up-Syndrom,
Niikawa-Kuroki-Syndrom; Prävalenz: 1 zu 36 000,
entspricht 0,003%; kongenitale Grübchen im Bereich
der Unterlippe zusammen mit einer Gesichtsdysmorphie, postnataler
Wachstumsretardierung, skelettalen Anomalien, geistiger
Retardierung, ungewöhnliche Dermatoglyphen), welches durch
Mutationen im KMT2D- (56–75%) oder KDM6A-Gen
(3–8%) hervorgerufen wird und dem Make-up von
Schauspielern des traditionellen japanischen Theaters
(„Kabuki“) ähneln [23]
[144];
-
das sehr seltene Popliteale Pterygium-Syndrom (PPS; kongenitale
Grübchen im Bereich der Unterlippe zusammen mit poplitealen
Pterygien, oraler Spaltbildung, Syngnathie, Dysplasie der
Zehennägel, Syndaktylie der Zehen, angeborenen Herzfehlern
und genitalen Fehlbildungen), welches bei einer Prävalenz
von 1 zu 300 000 Neugeborenen (entspricht 0,0003%)
ebenfalls mit autosomal-dominant vererbten Mutationen im IRF-6-Gen
einhergeht [115].
2.1.4 22q11.2-Deletions-Syndrom
Das 22q11.2-Deletions-Syndrom (Synonyme: Velokardiofaziales Syndrom,
Shprintzen-Syndrom oder – bei Immundefekten –
DiGeorge-Syndrom) ist eine spontan auftretende (circa
85%) bzw. autosomal-dominant (circa 15%) vererbte
Erkrankung, welche ein hoch variables Krankheitsbild aufweist. Sie stellt
mit einer Prävalenz von 0,025–0,05% in der
Bevölkerung die häufigste chromosomale Mikrodeletion beim
Menschen dar. Die Mehrheit der betroffenen Patienten zeigt eine 3
Mb-DNA-Deletion auf Chromosom 22, welche zu einer Haploinsuffizienz von
ungefähr 106 Genen führt. Diese beinhalten kodierende und
nicht-kodierende RNA sowie Pseudogene. Eine entscheidende Rolle für
die Klinik betroffener Patienten spielen dabei T-box Transcription Factor
1 (TBX1) und DiGeorge Critical Region 8 (DGCR8). Die erheblichen
Unterschiede in der Krankheitsausprägung werden durch
Veränderungen weiterer genetischer und epigenetischer Faktoren
erklärt [53]. Die Diagnose der
Erkrankung erfolgt über eine Genanalyse, bei Kinderwunsch wird eine
genetische Beratung empfohlen.
Das 22q11.2-Deletions-Syndrom beinhaltet neben angeborenen
Mittelohrfehlbildungen, Herzfehlern (z. B. Ventrikelseptumdefekt,
Fallot-Tetralogie, Truncus arteriosus, unterbrochener Aortenbogen),
Immundefekten (durch Thymushypoplasie), Hypo-parathyreodismus,
Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und
fazialen Dysmorphien oftmals Anomalien im Bereich des Gaumens. Hierbei
finden sich eine Schwäche der Gaumenmuskulatur, eine
(submuköse) Gaumenspalte oder eine Uvula bifida. Darüber
hinaus können mit dem 22q11.2-Deletions-Syndrom auch
laryngotracheoösophageale, gastrointestinale, genitale, skelettale,
opthalmologische und zentralnervöse Anomalien sowie psychiatrische,
autoimmune und maligne Erkrankungen vergesellschaftet sein. Weibliche und
männliche Individuen sind gleichermaßen von diesem Syndrom
betroffen, ebenso gibt es keine ethnische Prädilektion. Allerdings
ist die mittlere Lebenserwartung von Patienten mit 22q11.2-Deletions-Syndrom
eingeschränkt [15]
[162].
Die Therapie von Herzfehlern, Gaumenspalten und Mittelohrfehlbildungen
erfolgt bei Patienten mit 22q11.2-Deletions-Syndrom in der Regel
multidisziplinär. Daneben ist eine frühzeitige, umfassende
und langjährige sozialmedizinische Betreuung der Betroffenen
notwendig. Für infektanfällige Kinder ist eine
Infektionsprophylaxe notwendig [16].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten:
Selbsthilfevereinigung für Lippen-Gaumen-Fehlbildungen e.V.
(http://www.lkg-selbsthilfe.de).
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten Forum (http://www.lkgs.net). Deutscher
interdisziplinärer Arbeitskreis
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte/Kraniofaziale Anomalien (http://www.ak-lkg.de).
2.1.5 Doppellippe
Als Doppellippe wird ein Weichteilüberschuss im Bereich der
Innenseite der Lippe bezeichnet, welcher aus einer Hyperplasie des labialen
Drüsengewebes hervorgeht. Dieser tritt zumeist bilateral im Bereich
der Oberlippe auf, kann aber auch unilateral ausgebildet sein
und/oder die Unterlippe betreffen. Eine ethnische oder
geschlechterspezifische Häufung dieser Erkrankung ist nicht bekannt.
Allerdings wird eine angeborene von einer erworbenen Form unterschieden.
Dabei wird angenommen, dass die angeborene Form der Doppellippe durch eine
Persistenz des Sulcus zwischen der Pars glabrosa und Pars villosa der Lippe
im ersten Trimenon entsteht. Die erworbene Form der Doppellippe hingegen
wird auf (wiederkehrende) lokale Traumata zurückgeführt
[8]. Darüber hinaus tritt eine
Doppellippe im Rahmen des Ascher-Syndroms mit der Trias Blepharochalasis,
nicht-toxische Schilddrüsenvergrößerung und
Doppellippe auf, welches bislang in etwa 100 Fälle beschrieben wurde
[3]. Die Doppellippe verläuft
in vielen Fällen symptomlos, kann jedoch Kau- und Sprechprobleme
verursachen. Die chirurgische Entfernung des überschüssigen
Gewebes unter Schonung der darunter liegenden Muskulatur liefert gute
funktionelle und kosmetische Ergebnisse.
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal:
[3]
Teleangiektasien im Rahmen des M. Rendu-Osler
(Prävalenz<0,0005%) treten zwar häufig auch
im Bereich von Lippe, Mundhöhle und Pharynx auf, sind jedoch
hauptsächlich im Bereich der Nasenschleimhaut symptomatisch. Hierzu
sei deshalb auf das Referat von Fabian Sommer in diesem Referateband sowie
den Übersichtsartikel von Haubner und Kühnel [81] verwiesen. Eine Übersicht zu
weiteren seltenen syndromalen Fehlbildungen von Lippe, Mundhöhle und
Pharynx ist in [Tab. 1]
zusammengefasst.
2.2 Seltene Nicht-Neoplastische Erkrankungen
Die besonderen anatomischen Gegebenheiten des Kopf-Halsbereiches erklären
nicht nur die herausragende Bedeutung dieser Körperregion für
immunologische Vorgänge, sondern begründen auch den
außerordentlichen Stellenwert von Infektionserkrankungen in der
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Virale (zumeist durch Adenoviren,
Influenza-/Parainfluenzaviren, Rhinoviren, Enteroviren, Coronaviren,
Respiratory Syncytial Virus, Epstein-Barr-Virus und andere Viren verursacht) und
bakterielle (zumeist durch Streptokokkus pyogenes, Streptokokken der Gruppe C
und G, Haemophilus influenzae, Nokardien, Corynebakterien, Neisseria gonorrhoeae
und andere Bakterien verursacht) Tonsilopharyngitiden zählen dabei zu
den häufigsten Krankheiten des Kopf-Halsbereiches, welche Anlass zu
insgesamt mehr als 5% aller Arztbesuche in Deutschland geben. Aus diesem
Grund ist auch die Erkennung und Behandlung selten auftretender Komplikationen
dieser Pathologien wie eine Abszessbildung (30 Fälle pro 100 000
Personen im Jahr) für Hals-Nasen-Ohrenärzte Routine [85]. Darüber hinaus sind auch
entzündliche Veränderungen im Bereich der Lippe (Cheilitis), wie
sie im Rahmen des Herpes simplex labialis (Prävalenz mehr als
90% in der Bevölkerung) und des Angulus infectiosus (Synonyme:
Mundwinkelrhagaden, Perlèche; Prävalenz 0,7%)
vorkommen, oder der Mundschleimhaut, wie sie bei der Gingivostomatitis herpetica
(Synonyme: aphthöse Stomatitis, Mundfäule), dem Herpes
zoster (Inzidenz ungefähr 1% pro Jahr) oder habituelle Aphthen
(Prävalenz circa 5–60%) auftreten, sehr häufig.
Ferner zeigen sich auch im Rahmen autoimmuner Prozesse wie dem Lichen ruber
mucosae (Prävalenz circa 0,5%) oder bei
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Prävalenz circa
0,2%) vergleichsweise häufig Effloreszenzen der Mund- und
Pharynxschleimhaut. Auch iatrogene Schleimhautveränderungen und Mykosen
(bspw. durch Candida spp., Aspergillus spp., Cryptokokkus spp., Rhizopus spp.,
Mucor spp., Histoplasma spp., Blastomyces spp., Sporothrix spp., Trichophyton
spp. oder Rhinosporidium seeberi verursacht) im Bereich von Mundhöhle
und Pharynx nach Strahlen- und/oder Chemotherapie, nach Knochenmarks-
bzw. Stammzelltransplantation sowie im Rahmen einer Graft-vs.-Host-Reaktion
begegnen Hals-Nasen-Ohrenärzten im Klinikalltag nicht selten [139]. Ähnlich verhält es sich
mit der Schädigung dieses Bereichs durch Fremdkörper,
Säuren oder Laugen. Zu oralen Manifestationen von in unseren Breiten
selten auftretenden Erkrankungen, welche durch Protozoen, Anthropoden und andere
Parasiten (z. B. Leishamaniose, Larva migrans) oder Bakterien
(z. B. Bacillus anthracis) hervorgerufen werden, sei auf die
infektiologische bzw. tropenmedizinische Fachliteratur verwiesen.
Bezüglich des für den Hals-Nasen-Ohrenarzt wohlbekannten
Angioödems (Prävalenz circa 1 zu 100 000 Einwohner) sei
auf einen aktuellen Übersichtsartikel von Bas [14] und auf die Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
(AWMF; http://www.awmf.org) verwiesen. Zu
Störungen des Schmeckens, deren Inzidenz in Deutschland zusammen mit der
Inzidenz von Riechstörungen auf ungefähr 50 000 neu
auftretende Fälle pro Jahr geschätzt wird, sei auf die Leitlinie
der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org) verwiesen. Im folgenden
Abschnitt soll nun auf seltene nicht-neoplastische Erkrankungen von Lippe,
Mundhöhle und Pharynx näher eingegangen werden.
2.2.1 Spezifische Tonsillopharyngitiden
Bei „hartnäckigen“ Verläufen von
Halsentzündungen ist auch an das Vorliegen eines Immundefektes zu
denken [93]. Darüber hinaus sind
in diesem Zusammenhang spezifische Infektionen in differenzialdiagnostische
Überlegungen mit einzubeziehen ([Abb.
2]).
Abb. 2 Spezifische Entzündungen in Mundhöhle
und Pharynx. Repräsentative Aufnahmen von Manifestationen
der Tuberkulose (a* markiert durch
Tuberkulose verursachte retropharyngeale Schwellung; [86]), der Syphilis (b
[166]) und der Diphterie (c
[126]) in Mundhöhle und
Oropharynx.
Der Mycobakterium tuberculosis-Komplex (M. tuberculosis, M.
bovis (ssp. bovis und caprae), M. africanum, M.
microti, M. canetti und M. pinnipedii) verursacht in
10% der Fälle extrapulmonal Manifestationen einer
Tuberkulose, selten auch im Kopf-Halsbereich. Prädilektionsstellen
sind hierbei neben den zervikalen Lymphknoten (circa 35%) und dem
Larynx (circa 27–30%) auch der Oropharynx (circa
13–15%). Klinisch findet sich zumeist ein schmerzhaftes
Ulkus im Bereich der betroffenen Schleimhaut [26]. Die Behandlung erfolgt durch eine antibiotische
Kombinationstherapie. Hierfür stehen gegenwärtig die
Substanzen Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol, Pyrazinamid und Streptomycin
zur Verfügung.
Auch eine Syphilis im Bereich der Mundhöhle und des Pharynx ist
selten. Klinisch präsentiert sie sich an der Stelle des durch eine
Infektion mit Treponema pallidum verursachten Primäraffekts
als induriertes, schmerzloses Ulkus („harter Schanker“),
welches nach 4–6 Wochen spontan abheilt. Im Sekundärstadium
können sich im Bereich der Mund-, Zungen- und Pharynxschleimhaut
verschiedenartige Plaques bilden. Aufgrund der bisher ausgebliebenen
Antibiotikaresistenzen von Treponema pallidum erfolgt die Behandlung
der Syphilis nach wie vor mit Penicillin V [99]
[119].
Aktinomyceten sind Bakterien der physiologischen Mundflora, welche in der
Regel erst in submukösen Gewebeschichten und im Rahmen (oftmals
posttraumatischer) Mischinfektionen zusammen mit anderen Erregern ihr
pathogenes Potenzial entfalten. Bei der zervikofazialen Aktinomykose bilden
sich in den verschiedensten Regionen des Kopf-Halsbereiches Knoten, welche
nahezu jede Erkrankung nachahmen können. Ihre Inzidenz wird auf
2–5 Fälle pro 100 000 Personen im Jahr
geschätzt. Typischerweise können sich aus den
Läsionen Drusen (circa 1 mm durchmessende Granula)
entleeren. Therapeutisch kommt eine Langzeitbehandlung mit Penicillin zum
Einsatz. Alternativ haben sich auch Tetracycline, Erythromycin, Clindamycin
oder Ciprofloxacin als wirksam erwiesen [174]
Francisella tularensis spp bilden eine Gruppe gram-negativer, aerober
Bakterien, welche zumeist von Hasen oder Kaninchen übertragen werden
und die Tularämie („Hasenpest“) verursachen.
Darüber hinaus kann eine Übertragung auch über
Bremsen, Mücken und Zecken bzw. über kontaminiertes
Wasser, Stäube oder Lebensmittel erfolgen. In Deutschland werden
jährlich 10–30 Fälle dieser Zoonose registriert.
Dabei werden die glanduläre, ulzeroglanduläre,
occuloglanduläre, typhoide, pneumonische und pharyngeale
Tularämie unterschieden, von welchen die pharyngeale Form die
seltenste ist. Klinisch zeigen sich hierbei multiple schmerzhafte
Ulzerationen von Mund- und Rachenschleimhaut. Therapeutisch wirksam sind
Aminoglykoside, Fluorchinolone, Tetracycline, Chloramphenicol und
Rifampicin. Unbehandelt kann die Erkrankung eine Letalität von bis
zu 60% aufweisen [50]
[82]
[183].
Diphtherie (früher: Echter Krupp, Croup) wird durch
Toxin-bildende Stämme des Bakteriums Corynebakterium
diphtheriae (Wirt: Mensch) sowie der Stämme C.
ulcerans (breites Wirtsspektrum) und C. pseudotuberculosis
(Wirt: Schafe, Ziege) per Tröpfchen- und/oder
Kontaktinfektion hervorgerufen. Die Inkubationszeit beträgt
2–5 Tage. Klinisch findet sich eine schwere Entzündung des
Pharynx und Larynx, ggf. auch der Haut, mit grau-weißlichen, leicht
blutenden Belägen und süßlichem Foetor ex ore,
welche eine Erstickung verursachen kann. Zusätzlich kann es zu einer
toxischen Schädigung von Herz, Nieren, und Nerven kommen. Die
Ansteckungsfähigkeit beträgt 2–4 Wochen und
länger, unter antibiotischer Therapie ist sie auf 48–96
Stunden vermindert. Ein Großteil der in Deutschland erworbenen
Infektionen ist mit Hunde-, Katzen- oder Nutztierkontakt (C.
ulcerans) vergesellschaftet. Bei klinischem Verdacht ist umgehend
der Nachweis des Erregers und des Toxins aus einem Abstrich in die Wege zu
leiten. Im Anschluss daran ist unverzüglich das Antitoxin zur
Inhibition der Toxin-vermittelten Proteinsynthesehemmung zu verabreichen und
eine antibiotische Therapie mit Penicillin oder Makroliden zur Eradizierung
des Erregers zu beginnen [179]. Die Gabe
des Antitoxins bereits zum Zeitpunkt des klinischen Verdachts ist
für den Krankheitsverlauf entscheidend, da zellulär
gebundenes Diphtherietoxin durch das Antitoxin nicht mehr neutralisiert
werden kann. Die Impfprophylaxe ist von der STIKO empfohlen.
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Robert-Koch-Institut
(http://www.rki.de), Paul-Ehrlich-Institut
(http://www.pei.de).
2.2.2 Arzneimittelexantheme und -enantheme
Das Erythema exsudativum multiforme (Inzidenz: 0,01–0,1% pro
Jahr) beschreibt eine akute Entzündungsreaktion, welche erhabene,
schießscheibenförmige (kokardenartige) Haut- bzw.
Schleimhautläsionen verursacht ([Abb.
3]). Es wird dabei eine Minor-Form, welche v. a.
distal-betont die obere Extremität betrifft, von einer Major-Form
mit Hautbefall des gesamten Körpers einschließlich Lippe und
Mundschleimhaut unterschieden. Die Läsionen bilden sich in der Regel
spontan zurück, rezidivieren aber häufig. Als
Auslöser des Erythema exsudativum multiforme gelten Infektionen,
insbesondere mit Herpes-simplex-Viren oder Mykoplasmen, sowie deutlich
seltener auch Arzneimittel. Die Diagnosestellung erfolgt klinisch.
Therapeutisch werden immunsuppressive und ggf. anti-virale Medikamente
eingesetzt [17]
[73].
Abb. 3 Arzneimittelexantheme und -enantheme. Manifestation des
Erythema exsudativum multiforme im Kopf-Halsbereich als exfoliative
Cheilitis mit hämorrhagischer Verkrustung des Lippenrotes
(Bildmaterial aus [188]).
Das Stevens-Johnson-Syndrom und die Toxisch Epidermale Nekrolyse (TEN;
Inzidenz etwa 0,001% pro Jahr) werden vornehmlich durch Sulfonamide,
Allopurinol, aromatische Antikonvulsiva, Lamotrigin usw. ausgelöst
und stellen schwerwiegende, blasenbildende Hautreaktionen dar. Die Symptome
treten dabei typischerweise 4–28 Tage nach Medikamentengabe auf.
Während beim Stevens-Johnson-Syndrom nur kleine Hautareale
(<10% der Körperoberfläche) affektiert sind,
ist bei der TEN mehr als 30% der Körperoberfläche
betroffen. Neben Fieber und Allgemeinsymptomen finden sich hierbei auch
regelmäßig erosive, krustige
Schleimhautveränderungen im Bereich von Lippe, Mundhöhle und
Pharynx sowie der Augenlider und Genitale. Zur Behandlung werden
Immunsuppressiva und Antibiotika verwendet, eine intensivmedizinische
Therapie mit Umkehrisolation kann notwendig werden. Die Letalität
dieser Erkrankungen liegt bei 5% (Stevens-Johnson-Syndrom) bzw. bei
bis zu 25% (TEN) [17]
[73].
Das Sweet-Syndrom (Synonym: Akute febrile neutrophile Dermatose) ist
ein sehr seltenes, oftmals rezidivierend auftretendes Krankheitsbild
(bislang circa 100 beschriebenen Fälle), welches durch das
plötzliche Auftreten von Fieber, Neutrophilie im peripheren Blut und
Hautveränderungen (Papeln und Plaques mit dermaler Infiltration
durch neutrophile Granulozyten) gekennzeichnet ist. Selten findet sich auch
eine Beteiligung der Mund- und Pharynxschleimhaut [192]. Es werden die
idiopathische/klassische (circa 60–80% der
Fälle, zumeist Frauen, am häufigsten im Rahmen von
Entzündungserkrankungen der oberen Atemwege oder des Darms und in
der Schwangerschaft), die Malignom-assoziierte (circa 20% der
Fälle, am häufigsten im Rahmen einer akuten myeloischen
Leukämie) und die Medikamenten-induzierte (circa 5% der
Fälle, am häufigsten nach Behandlung mit
Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF)) Form unterschieden. Die
Behandlung des Sweet-Syndroms wird mit Immunsuppressiva durchgeführt
[169].
2.2.3 Blasenbildende Autoimmundermatosen
Die sogenannten „Blasenbildenden Autoimmundermatosen“ sind
seltene Erkrankungen der Haut und Schleimhaut, welche durch eine intra- oder
subepidermale Blasenbildung gekennzeichnet sind. Ursächlich
hierfür sind gegen bestimmte Strukturproteine der Dermis und
Epidermis gerichtete Autoantikörper. Die Diagnose wird klinisch,
serologisch und histopathologisch gestellt. Es werden 2 Gruppen dieser
Erkrankungen unterschieden, Pemphigus (Inzidenz 1–2 Fälle
pro 1 000 000 Einwohner im Jahr, entspricht
0,0001–0,0002%) und Pemphigoid (Inzidenz 13 Fälle
pro 1 000 000 Einwohner im Jahr, entspricht
0,0013%). Therapeutisch werden immunsuppressive Substanzen
verabreicht [171]
[172].
Beim Pemphigus treten gegen die desmosomalen Strukturproteine Desmoglein 1
und 3 gerichtete Antikörper auf, woraus eine intraepitheliale,
suprabasale akantholytische Blasenbildung resultiert. Während bei
der häufig auftretenden Unterform des Pemphigus vulgaris oftmals
Veränderungen der Mundschleimhaut auftreten ([Abb. 4]), kommt es bei der seltener
auftretenden Unterform des Pemphigus foliaceus nur selten zu
Läsionen im Bereich der Mundhöhle. Bei der Sonderform des
paraneoplastischen Pemphigus, welcher im Rahmen von neoplastischen Prozessen
(z. B. B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom, chronisch lymphatische
Leukämien) auftreten kann, kommt es ebenfalls zur intraepidermalen
Blasenbildung mit Akantholyse, allerdings sind Autoantikörper hier
gegen Plakin-Proteine gerichtet [171].
Abb. 4 Blasenbildenden Autoimmundermatosen. Manifestation des
Pemphigus vulgaris im Bereich des harten Gaumens (Bildmaterial aus
[188]).
Beim Pemphigoid kommt es dagegen zu einer subepidermalen Blasenbildung,
welche durch gegen Bestandteile des hemidesmosomalen Komplexes im Bereich
der Basalmembran gerichtete Autoantikörper verursacht wird. Es
werden unter anderem bullöses Pemphigoid (nur in
10–20% der Fälle Affektion der Mundschleimhaut),
Schleimhaut-Pemphigoid und vernarbendes (kein überwiegender
Schleimhautbefall) Pemphigoid unterschieden. Der Augenbefall ist eine
Komplikation des Pemphigoids, welcher zur Erblindung führen kann
[172].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Dermatologische Fachliteratur sowie
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten:
Pemphigus+Pemphigoid Selbsthilfegruppe e.V. (http://www.pemphigus-pemphigoid-selbsthilfe.de)
2.2.4 PFAPA-Syndrom
Das nicht-hereditäre PFAPA-Syndrom (Synonym: Marshall-Syndrom mit
periodischem Fieber) ist durch Periodische Fieberschübe mit
einer Dauer von 3–6 Tagen, Aphthöse Stomatisis,
Pharyngotonsillitis und zervikale Lymph-Adenitis sowie Abwesenheit von
Diarrhoe, Brustschmerzen, Hautausschlägen und Arthritis
charakterisiert. Die Diagnose ist nach der
Eurofever/PRINTO-Klassifikation durch die Gegenwart von 7 dieser 8
Kriterien gegeben [66]. Das PFAPA-Syndrom
kommt häufiger bei Jungen als bei Mädchen vor und
manifestiert sich zumeist im Alter von 2–5 Jahren. Die
Prävalenz der Erkrankung ist unklar – bislang sind
mindestens 500 Fälle in der Fachliteratur dokumentiert.
Pathogenetisch wesentlich scheint eine unkontrollierte Freisetzung des
pro-inflammatorischen Zytokins Interleukin-1β zu sein, die Ursache
ist multifaktoriell. Therapeutisch kommen Kortikosteroide sowie die
Tonsillektomie zum Einsatz, bei milden Verläufen oder zur
Symptomlinderung NSAR. Therapierefraktäre Fälle (nach
Tonsillektomie) sind selten [184].
Differenzialdiagnostisch kommen v. a. monogene autoinflammatorische
Syndrome in Frage. Hierbei sind das familiäre Mittelmeerfieber (FMF,
Mutationen im MEFV-Gen), das TNF-Rezeptor-assoziierte periodische
Fieber-Syndrom (TRAPS, Mutationen im TNFSRF1A-Gen), das
Hyperimmunglobulin D-Syndrom/Mevalonsäure-Kinase-Syndrom
(HIDS/MKD, Mutationen im MVK-Gen), und das
Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrom (CAPS, Mutationen im
NLRP3-Gen) zu nennen. Bei CAPS ist weiterhin zwischen Familial cold
autoinflammatory syndrome (FCAS), Muckle-Wells syndrome (MWS), Chronic
infantile neurological, cutaneous, and articular syndrome (CINCA) und
Neonatal-onset Multisystem Inflammatory Disorder (NOMID) zu unterscheiden
[184].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Pädiatrische
Fachliteratur sowie Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF; http://www.awmf.org). Paediatric
Rheumatology INternational Trials Organisation (PRINTO; http://www.printo.it).
2.2.5 Melkersson-Rosenthal-Syndrom
Die idiopathische orofazialen Granulomatose (OFG) beschreibt eine seltene
chronische Entzündungserkrankung, welche die Miescher-Cheilitis
(isolierte Cheilitis granulomatosa) und das Melkersson-Rosenthal-Syndrom
zusammenfasst. Das Melkersson-Rosenthal-Syndrom ist durch die Symptom-Trias
orofaziale Schwellung, Lingua plicata (circa 30–80%) und
anfallsartige periphere Fazialisparese (circa 30–90%)
charakterisiert und zählt mit einer Prävalenz von
4–8 Betroffenen zu 10 000 Personen (entspricht
0,04–0,08%) zu den seltenen Erkrankungen. Nicht immer treten
alle 3 Symptome gleichzeitig auf (circa 20–75%). Die Ursache
für dieses Syndrom ist unklar, es wird jedoch eine
autosomal-dominante Vererbung vermutet. Frauen sind öfter als
Männer von der Erkrankung betroffen, der Symptombeginn ist in der
Regel im frühen Erwachsenenalter. Für Kinder sind bislang
nur 30 Fälle des Melkersson-Rosenthal-Syndroms beschrieben.
Diagnostisch beweisend ist das klinische Bild zusammen mit dem
histologischen Nachweis einer Cheilitis granulomatosa. Therapeutisch kommen
beim Auftreten von Symptomen orale und
topische/intraläsionale Kortikosteroide zum Einsatz. Bei
therapie-refraktären/rezidivierenden Verläufen
werden andere immunsuppressive Substanzen eingesetzt, ggf. sollte auch eine
chirurgische Fazialisdekompression evaluiert werden [44]
[164].
Zu granulomatösen Erkrankungen, welche sich wie das Rhinosklerom oder
die Granulomatose mit Polyangiitis (früher: M. Wegener) im
Kopf-Halsbereich insbesondere in der Nase manifestieren, sei auf die
Referate von Fabian Sommer und Stephan Hackenberg et al. in diesem Band
verwiesen.
2.2.6 Morbus Adamantiades-Behcet
Die Adamantiades-Behcet-Krankheit ist eine autoimmune Systemerkrankung der
kleinen Blutgefäße, welche gehäuft im
östlichen Mittelmeerraum, Zentralasien und Ostasien auftritt. Dabei
findet sich in der Türkei eine Prävalenz von bis zu 420 von
100 000 (0,42%), wohingegen in den USA nur 5,2 von
100 000 Personen (0,0052%) davon betroffen sind [9]
[28].
Das Auftreten dieser Erkrankung ist mit einer genetischen Disposition
(HLA-B51/B5) assoziiert und wird durch akute Infektionen und
Umweltfaktoren provoziert. Die Erkrankung manifestiert sich zumeist in der
3. Lebensdekade. Klinisch finden sich typischerweise aphthöse
Läsionen im Bereich der gesamten Mund- und Pharynxschleimhaut
(98,5% der Patienten), genitale Ulzerationen (63,7% der
Patienten), sowie Hautveränderungen (papulopustuläre
Läsionen, Erythema nodosum; 62,5% der Patienten),
Arthropathien (53% der Patienten) und okuläre
Manifestationen (58,1% der Patienten). Dabei können nahezu
alle Strukturen des Auges betroffen sein, was unbehandelt bereits nach
wenigen Jahren zur Erblindung führen kann. In selteneren
Fällen treten venöse Thrombosen (22,7% der
Patienten), neurologische bzw. psychiatrische Manifestationen (10,9%
der Patienten) oder eine gastrointestinale Beteiligung (11,6% der
Patienten) auf. Auch pulmonale, kardiale und renale Manifestationen sind
beschrieben, schwere Verläufe zeigen sich bei 12% der
Patienten. Orale Aphthen werden hauptsächlich mit
Chlorhexidin-Lösung behandelt, auch Lokalanästhetika, NSAR,
oder 5-Aminosalicylsäure kommen zum Einsatz. Isolierte
Läsionen können bspw. mit Silbernitrat geätzt
werden. Darüber hinaus werden systemische
immunsuppressive/-modulatorische Substanzen eingesetzt [80].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche Rheumaliga
(http://www.rheuma-liga.de), Deutsches
Register M. Adamantiades-Behcet (http://www.behcet.de), Behcet-Selbsthilfe
(http://www.behcet-selbsthilfe.de).
2.2.7 Vago-glossopharyngeale Neuralgie
Beim Leitsymptom „Halsschmerzen“ ist bei primär
unauffälligen klinischen und radiologischen Befunden auch an eine
seltene vago-glossopharyngeale Neuralgie zu denken, für welche eine
Inzidenz von bis zu 0,7 Fällen von 100 000 Einwohnern pro
Jahr geschätzt wird [112]. Typisch
sind hierbei blitzartig einschießende, manchmal aber auch
länger anhaltende dumpfe Schmerzen im Bereich des Ohres, der
Tonsille, des Larynx und/oder des Zungengrundes, welche durch
Schlucken, Sprechen, Kauen oder Husten provoziert werden können.
Begleitend können Bradykardie, Hypotonie, Synkopen oder sogar
Asystolien auftreten. Interessanterweise sind Spontanremissionen in bis zu
80% der Fälle beschrieben. Es wird vermutet, dass der
vago-glossopharyngealen Neuralgie eine neurovaskuläre Kompression
durch die A. cerebelli posterior oder die A. vertrebralis zugrunde liegt.
Therapeutisch werden Carbamazepin und Gabapentin angewandt. Alternativ kann
eine mikrochirurgische Dekompression der Nerven zur Symptomkontrolle
führen [106].
Zu weiteren neurologischen Erkrankungen, welche sich z. B. in Form
von Dystonien oder Myoklonien im Bereich der Zungen-, Gaumen- und
Rachenmuskulatur manifestieren können, sei auf die neurologische
Fachliteratur verwiesen.
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche
Schmerzgesellschaft (https://www.schmerzgesellschaft.de).
2.3 Seltene Neoplastische Erkrankungen
Neubildungen in Mundhöhle und Pharynx sind in vielen Fällen
gutartig. Die Tornwaldt-Zyste (Bursa pharyngealis) gilt dabei mit einer
geschätzten Prävalenz von bis zu 4% in der
Bevölkerung als die häufigste angeborene Raumforderung des
Nasenrachenraumes [135]. Weitere Beispiele
für benigne Neoplasien in diesem Bereich sind Papillome, Fibrome,
Hämangiome, Lipome, Rhabdomyome, Leiomyome, Chondrome und Osteome.
Weitaus seltener (weniger als 1% aller Kopf-Halstumore) finden sich im
Nasopharynx juvenile Angiofibrome, welche dem erfahrenen Hals-Nasen-Ohrenarzt
jedoch bestens vertraut sind [129]. Allerdings
ist auch die Prävalenz von Präkanzerosen wie Leukoplakien oder
Erythroplakien in diesem Bereich hoch und wird weltweit auf 1–5%
geschätzt, wovon Leukoplakien mit einer Prävalenz von circa
2% dabei am häufigsten zu finden sind. Über 90%
aller bösartigen Neoplasien im Kopf-Halsbereich sind
Plattenepithelkarzinome. Karzinome des Larynx (in Deutschland aktuell 4,3
Neuerkrankungen bei 100 000 Personen pro Jahr, entspricht
0,0043%), des Oropharynx und der Mundhöhle (in Deutschland
aktuell 4,3 Neuerkrankungen bei 100 000 Personen pro Jahr, entspricht
0,0043%), der Lippe (in Deutschland aktuell 1,8 Neuerkrankungen bei
100 000 Personen pro Jahr, entspricht 0,0018%), des Hypopharynx
(in Deutschland aktuell 1,7 Neuerkrankungen bei 100 000 Personen pro
Jahr, entspricht 0,0017%) und des Nasopharynx (in Deutschland aktuell
0,5 Neuerkrankungen bei 100 000 Personen im Jahr, entspricht
0,0005%) sind zwar nominal selten, zusammengenommen stellt das
„Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinom“ jedoch die
sechsthäufigste maligne Tumorerkrankung weltweit dar. Bei der Behandlung
dieser Malignome kommen nach wie vor überwiegend multimodale Konzepte
zum Einsatz, welche chirurgische, strahlentherapeutische und
medikamentöse Therapieformen enthalten. Dabei gewinnen zunehmend auch
immun- und protonentherapeutische Ansätze an Bedeutung [198]. Darüber hinaus werden Lymphome
als zweithäufigste primäre maligne Tumorerkrankung im
Kopf-Halsbereich diagnostiziert [193].
Insgesamt hat ein Viertel aller extranodalen Lymphome seinen Ursprung in der
Kopf-Halsregion. Die Therapie dieser bösartigen Tumore erfolgt in der
Regel durch die Kolleginnen und Kollegen der Medizinischen Onkologie. In diesem
Zusammenhang sei auf die einschlägige Fachliteratur und die aktuellen
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.V. (AWMF; http://www.awmf.org) verwiesen. Weitere seltene
gutartige und bösartige neoplastische Erkrankungen, welche nicht nur
Lippe, Mundhöhle und Pharynx betreffen können, sondern auch in
den Halsweichteilen auftreten, werden im vorliegenden Referat unter 3.3.
erörtert.
3. Halsweichteile
3.1 Seltene Anatomische Anomalien und Fehlbildungen
Im Bereich der Halsweichteile ist in Bezug auf anatomische Anomalien und
Fehlbildungen in erster Linie an mediane und laterale Halszysten oder -fisteln
zu denken, für welche eine Prävalenz von ungefähr 5 bzw.
2% in der Bevölkerung angenommen wird [2]. Als Extremform eines Relikts der
Embryonalzeit ist in diesem Zusammenhang das äußerst seltene
Auftreten eines unreiferen Zwillings innerhalb des reiferen
Zwillingsgeschwisters (Fetus in fetu) im Bereich des Halses zu
erwähnen, für welches es nur einzelne Fallberichte gibt [207]
[213].
Deutlich häufiger hingegen ist die als Schiefhals (Torticollis)
bezeichnete kongenitale oder erworbene Fehlhaltung des Halses, welche circa
0,5% der Bevölkerung betrifft und per definitionem somit
nicht als seltene Erkrankung gilt [51]. Eine
möglicherweise unterdiagnostizierte Ursache für einen
Torticollis ist die schmerzbedingte Schonhaltung des Halses aufgrund einer
entzündlich-bedingten atlanto-axialen Subluxation, welche im Rahmen von
Infektionen der oberen Atemwege oder nach chirurgischen Eingriffen im
Kopf-Halsbereich auftreten kann. Diese Erkrankung wird bekanntermaßen
nach dem französischen Chirurgen Pierre Grisel als Grisel-Syndrom
(Synonym: Torticollis atlantoepistrophealis, Watson-Jones-Krankheit) bezeichnet
[54]. Der folgende Abschnitt dieses
Referats befasst sich mit nominal seltenen anatomischen Anomalien und
Fehlbildungen der Halsweichteile.
3.1.1 Lymphatische und arteriovenöse Malformationen
Irreguläre anatomische Verläufe oder Aneurysmen von
Halsgefäßen sind zwar nicht selten, aber bei der
präoperativen Planung für den Kopf-Halschirurgen mitunter
von entscheidender Bedeutung. Weiterhin wird die Prävalenz von
kongenitalen vaskulären Malformationen in der Bevölkerung
auf 4–5% geschätzt, wovon ungefähr
60% den Kopf-Halsbereich betreffen [71]. Entsprechend der Klassifikation der International Society
for the Study of Vascular Anomalities (ISSVA) werden vaskuläre
Malformationen ihren hämodynamischen Eigenschaften
gemäß unterteilt. Kapilläre, venöse und
lymphatische „Low-flow“-Läsionen können
dabei nicht nur isoliert, sondern auch zusammen mit anderen anatomischen
Anomalien auftreten, bspw. im Rahmen des Klippel-Trénaunay-, des
Sturge-Weber- oder des Proteus-Syndroms auftreten. Ähnlich
verhält es sich mit arteriovenösen
„High-flow“-Läsionen, wie sie unter anderem beim
Parkes-Weber- oder CLOVES-Syndrom zu finden sind. Während
kapilläre (Prävalenz 0,3%), venöse
(Prävalenz circa 1%; früher kavernöses
Hämangiom) und kombinierte vaskuläre Malformationen in der
Bevölkerung vergleichsweise häufig vorkommen, zählen
lymphatische (Prävalenz circa 0,01%; früher
Lymphangiom) und arteriovenöse (Prävalenz circa
0,01%; früher arteriovenöses Hämangiom)
Malformationen oder Fisteln zu den seltenen Erkrankungen.
Lymphatische Malformationen sind angeborene Fehlbildungen des
Lymphgefäßsystems [72].
Sie entstehen durch Defekte in der embryonalen Lymphangiogenese. Die genauen
pathogenetischen Zusammenhänge sind jedoch unklar. Im Bereich des
Halses werden lymphatische Malformationen auch als Zystisches Hygrom
bzw. Hygroma cysticum oder Lymphangioma colli bezeichnet, wo
sie am häufigsten (in ungefähr 75% der
Fälle) zu finden sind [38].
Zumeist treten diese Malformationen sporadisch und unifokal auf.
Palpatorisch stellen sich Lymphangiome weich, pulslos und nicht druckdolent
dar. Nicht selten schimmern sie bläulich durch die Haut. Neben
kosmetischen Beeinträchtigungen können sie erhebliche
Funktionseinschränkungen (z. B. Kopfdrehung,
Mundöffnung) bis zur Verlegung der Atemwege verursachen.
Komplikationen treten insbesondere bei Infektionen dieser Malformationen
auf, welche oftmals eine akute Größenzunahme der
Läsionen zur Folge haben. Die Diagnosestellung erfolgt sonografisch
und MR-tomografisch anhand ihrer morphologischen und hämodynamischen
Eigenschaften. Abhängig von ihrem strukturellen Aufbau werden hier
solide bzw. mikro- (Zystendurchmesser von weniger als 2 cm) und
makrozystische (Zystendurchmesser von mehr als 2 cm) Lymphangiome
unterschieden. Therapeutisch kommt neben der Chirurgie (v. a. bei
soliden Läsionen) insbesondere bei mikro- und makrozystischen
Läsionen die Sklerotherapie (z. B. mit Picibanil (OK-432;
Chungai Pharmaceutical Co., Tokyo, Japan), Ethanol, Bleomycin oder
Doxycyclin) in Betracht [10]. In besonders
komplexen Fällen kann der Einsatz von mTOR-Inhibitoren wie Sirolimus
sinnvoll sein, welcher derzeit in klinischen Studien untersucht wird [210].
Arteriovenöse Malformationen und -fisteln sind angeborene
Gefäßfehlbildungen, bei welchen Blut aus dem arteriellen
Gefäßsystem unter Umgehung des Kapillarsystems direkt in das
venöse Gefäßsystem überführt wird.
Mit ihrem typischen infiltrativen Wachstumsverhalten können sie
umgebendes Gewebe einschließlich Knochen zerstören, wobei
massive, lebensbedrohliche Blutungsereignisse auftreten können.
Extrakranielle arteriovenöse Malformationen treten bevorzugt im
Kopf-Halsbereich auf. Diagnostisch werden MR- und CT-Angiografie eingesetzt,
mit welchen sich Hämodynamik und Invasivität der
Läsionen gut beurteilen lassen. Die Therapie dieser Läsionen
erfolgt über eine transarterielle, -venöse bzw. -kutane
Embolisation oder über die chirurgische Entfernung sowie
über Kombinationen aus beiden Behandlungsmodalitäten [109].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: International Society for the
Study of Vascular Anomalies (https://www.issva.org), Deutsche
interdisziplinäre Gesellschaft für
Gefäßanomalien e.V. (https://diggefa.de).
Für Patientinnen und Patienten: Bundesverband Angeborene
Gefäßfehlbildungen e.V. (www.angiodysplasie.de).
3.1.2 Angeborene Halsspalte
Die angeborene Halsspalte (englisch: congenital midline cervical cleft; CMCC)
ist eine sehr seltene anatomische Anomalie des vorderen Halsbereiches. Diese
Malformation wurde erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Heidelberger
Anatomen Hubert von Luschka beschrieben [77], bevor sie im Jahr 1925 von Bailey auch der
englischsprachigen Leserschaft vorgestellt wurde [76]. Zu ihrer Pathogenese wird ein Vielzahl
unterschiedlicher Hypothesen diskutiert – nach vorherrschender
Meinung ist eine aufgrund von mechanischen oder vaskulären Faktoren
mangelnde intrauterine Fusion der fazialen Fortsätze des ersten und
zweiten Kiemenbogens für diese Entwicklungsstörung
verantwortlich [11]. Neuere Untersuchungen
deuten darauf hin, dass Polymorphismen einzelner Nukleotide an der
Entstehung der angeborenen Halsspalte ursächlich sein
könnten [132].
Bislang sind etwas mehr als 200 Fälle angeborener Halsspalten
bekannt, von welchen nur wenige mit anderen Spaltbildungen im Bereich der
Mittellinie des Körpers vergesellschaftet sind [30]. Mädchen scheinen
häufiger davon betroffen zu sein als Jungen [11]. Zur Vermeidung von Kontrakturen im
Bereich des Halses und aus kosmetischen Gründen wird eine
frühzeitige chirurgische Exzision der Fehlbildung und ein
Defektverschluss mittels W- oder Z-Plastiken empfohlen [12].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal:
[153]
3.1.3 Hypertrichose der Halsvorderseite
Eine vermehrte Behaarung der Halsvorderseite (Synonym:
Ziegenbart-Hypertrichose) ist eine lokalisierte Form der Hypertrichose,
welche auf den Bereich der Halshaut auf Höhe der Prominentia
laryngis begrenzt ist. Diese Erkrankung kann erblich bedingt oder erworben
sein und sich bereits von Geburt an bzw. später in der Kindheit
manifestieren. Bislang wurden mindestens 40 Fälle einer isolierten
Hypertrichose der Halsvorderseite beobachtet [21]
[148]
[42]
[61]
[133]
[157]
[196]
[201]. In 30%
dieser Fälle lag unter anderem eine Assoziation mit einer peripheren
sensomotorischen Neuropathie und geistiger Retardierung vor. Die Ursache
für diese Erkrankung ist nicht bekannt. Therapeutisch wird eine
Epilation zur Verminderung des abnormen Haarwuchses eingesetzt.
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal:
[133]
3.1.4 Familiäre mediane Halszyste
Wie einleitend erwähnt stellt die mediane Halszyste (Synonym: Zyste
des Ductus thyreoglossus) mit einer Prävalenz von etwa 5% in
der Bevölkerung die am häufigsten auftretende Fehlbildung im
Bereich des Halses dar [2]. Diese
zystische Läsion basiert bekanntermaßen auf einer Persistenz
des Ductus thyreoglossus und wird im Kindesalter in der Regel als
schmerzlose, prall-elastische Schwellung vor dem Zungenbein
auffällig, oftmals zusammen mit Schluckbeschwerden oder im Rahmen
einer Superinfektion. Als sonografische Kriterien für das Vorliegen
einer medianen Halszyste gelten eine irreguläre, schlecht definierte
Zystenwandung sowie intraläsionale Septierungen mit
flüssigen und soliden Anteilen [94]. In seltenen Fällen kann im Zystenepithel ein
papilläres Schilddrüsenkarzinom aufgefunden werden [18]
[141]
[199].
Während die meisten Fälle dieser Erkrankung sporadisch
auftreten, gibt es interessanterweise auch äußerst seltene
erbliche Formen, welche bislang in mindestens 9 Familien mit insgesamt 30
betroffenen Personen beobachtet wurden [154]
[170]. Dabei wurden neben
autosomal-rezessiven Erbgängen mehrheitlich autosomal-dominante
Formen beschrieben. Die genaue genetische Ursache dieser familiären
Form der medianen Halszyste ist jedoch ungeklärt.
Den gegenwärtigen Behandlungsstandard stellt nach wie vor die
komplette chirurgische Exzision der medianen Halszyste
einschließlich der Entfernung des medianen Anteils des Zungenbeins
und gegebenenfalls von Anteilen der Zunge dar (Operation nach Sistrunk mit
unterschiedlichen Modifikationen; [181]).
Hierdurch kann die Rezidivrate nach Operation auf unter 5% gesenkt
werden [48]. Daneben geben neuere
klinische Untersuchungen Hinweise darauf, dass auch sklerotherapeutische
Ansätze (z. B. mit Ethanol oder OK-432) in diesem
Zusammenhang erfolgreich sein können [32]
[194].
3.2 Seltene Nicht-Neoplastische Erkrankungen
Die Behandlung phlegmonöser oder abszedierender Entzündungen der
Halsweichteile sowie von Hämatomen oder Seromen in dieser
Körperregion, welche z. B. im Rahmen postoperativer
Komplikationen auftreten können, gehört für den
erfahrenen Hals-Nasen-Ohrenarzt und Kopf-Hals-Chirurgen zur Routine. Zu
nicht-neoplastischen Pathologien, welche sich wie die IgG4-assoziierte
Erkrankung im Kopf-Halsbereich insbesondere in den Speicheldrüsen
manifestieren, sei auf das Referat von Claudia Scherl in diesem Referateband
verwiesen. Thrombosen der Vena jugularis interna, die gefürchtete
nekrotisierende Fasziitis oder seltene nicht-neoplastische Pathologien, welche
sich primär in den Lymphknoten oder als Pseudotumoren manifestieren,
stellen jedoch „exotischere“ Befunde im Halsbereich dar und
sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
3.2.1 Thrombose der Vena jugularis interna
Blutgerinnsel in tiefen Venen treten in der Bevölkerung
jährlich mit einer Inzidenz von 1 zu 1000 Personen auf, wovon
lediglich 4–10% der Ereignisse die obere Extremität
betreffen. Während die Vena subclavia (circa 62%) hierbei
vergleichsweise häufig affektiert ist, findet sich die Vena
jugularis interna (ähnlich wie die Vena axillaris) nur in circa
45% der Fälle thrombosiert [43]. Die Thrombose der Vena jugularis interna ist mit einer
Inzidenz von 0,018–0,0045% pro Jahr somit als seltene
Erkrankung einzustufen.
Als Risikofaktoren für die Jugularvenenthrombose gelten insbesondere
die Anlage zentraler Venenkatheter oder Herzschrittmacher, aber auch eine
tumorbedingte Hyperkoagulabilität des Blutes und inhalierter
Tabakrauch. Daneben können auch genetische Ursachen für eine
Hyperkoagulabilität des Blutes wie eine Faktor-V-Leiden-Mutation
oder Medikamente (z. B. hochdosierte Kortikosteroide) die
Thrombusbildung fördern [187].
Zumeist verläuft dieses Krankheitsbild asymptomatisch oder ist mit
unspezifischen Symptomen wie Schwellung oder Schmerzen im Bereich des Halses
vergesellschaftet [118]
[167]. Zu den typischen Komplikationen
gehören das post-thrombotische Syndrom, chronisch venöse
Insuffizienz und die Thrombophlebitis. Lungenembolien oder das
Superior-Vena-Cava-Syndrom treten aber nur selten auf. Die
Kompressionssonografie zusammen mit der Doppler-/farbkodierten
Duplexsonografie ist mit einer Sensitivität von 97% und
einer Spezifität von 96% das Diagnostikum der Wahl [49]. Bei der Initialbehandlung der
Jugularvenenthrombose kommen unfraktionierte bzw. niedermolekulare Heparine,
aber auch neue orale Antikoagulanzien (NOAC) wie Rivaroxaban oder Apixaban
zum Einsatz. Die Erhaltungstherapie wird mit Vitamin-K-Antagonisten oder
NOAC mindestens bis zur Beseitigung der Ursache fortgeführt (siehe
aktuelle AWMF-Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie) [83]
[97].
Eine sehr seltene Ursache für eine Thrombose der V. jugularis interna
kann eine durch eine Entzündung im Rachenraum hervorgerufene
Septikämie darstellen, was nach dem Erstbeschreiber
André-Alfred Lemierre als Lemierre-Syndrom bezeichnet wird. Die
häufigsten Erreger hierbei sind Fusobacterium necrophorum und andere
Fusobakterien, weniger häufig auch Streptokokken, Staphylokokken,
Enterokokken, und Klebsiella pneumoniae [113]. Eine klinisch eindeutige Symptomatik besteht beim
Lemierre-Syndrom nicht. Metastatische Abszesse in Gelenken, der Lunge und
des Gehirns sind gefürchtete Komplikationen. Die Mortalität
des Lemierre-Syndroms liegt zwischen 2 und 10% [33]. Die Behandlung beinhaltet eine
gezielte antibiotische und antithrombotische Therapie sowie gegebenenfalls
eine chirurgische Sanierung von Infektionsherden [113].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche
Gefäßliga (http://www.deutsche-gefaessliga.de)
3.3.2 Nekrotisierende Fasziitis
Die nekrotisierende Fasziitis ist eine lebensbedrohliche, bakterielle
Infektionserkrankung, welche sämtliche Faszien des Körpers
betreffen kann und durch eine fulminante Ausbreitung von
Kolliquationsnekrosen im Bereich dieser Strukturen gekennzeichnet ist [64]. Zumeist wird sie durch
Bagatelltraumata entstandene Mischinfektionen unterschiedlichster anaerober
und aerober Erreger hervorgerufen (Typ I), allerdings ist auch eine
alleinige Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der
Gruppe A, gegebenenfalls zusammen mit Staphylokokkus aureus oder
Staphylokokkus epidermidis als Krankheitsursache möglich (Typ II;
[69]. Mit einer Inzidenz von 0,2 bis
400 zu 100 000 Personen im Jahr zählt sie zu den seltenen
Erkrankungen, wovon lediglich 1–10% primär im
Kopf-Halsbereich auftreten und einen odontogenen Fokus haben [74].
Hinweisend auf das Vorliegen einer nekrotisierenden Fasziitis kann ein
außerordentlicher lokaler Schmerz sein, welcher durch
Ischämien im Bereich der Faszien verursacht wird. Erst in
fortgeschrittenen Krankheitsstadien werden Hautveränderungen
sichtbar, welche von ödematösen und erythematösen
Veränderungen bis hin zu lividen, landkartenähnlichen
Hautnekrosen reichen. Krepitationen deuten auf das Vorliegen von
Mischinfektionen hin. In der CT-Bildgebung zeigen sich Gewebeeinschmelzungen
und Luftansammlungen. Differenzialdiagnostisch von der nekrotisierenden
Fasziitis abzugrenzen sind der Gasbrand (ausgelöst durch Clostridium
perfringens und Subtypen) und das Streptokokken-assoziierte toxische
Schocksyndrom. In diesem Zusammenhang wurde der sogenannte
„Laboratory Risk Indicator for Necrotizing Fasciitis
(LRINEC)-Score“ ([Tab. 2]; [211]) entwickelt, dessen Bedeutung jedoch
kontrovers diskutiert wird [89]. Als
Risikofaktoren gelten ein Lebensalter von mehr als 65 Jahren sowie
Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Immunsuppression, eine periphere
arterielle Verschlusskrankheit und Vaskulitiden. Für den klinischen
Verlauf des Krankheitsbildes ist eine frühzeitige Diagnosestellung
sowie eine entschiedene therapeutische Intervention entscheidend.
Tab. 2 LRINEC Score.
Laborparameter
|
Wert
|
Einheit
|
Punktwert
|
CRP
|
<15
|
mg/dl
|
0
|
>15
|
mg/dl
|
4
|
Leukozyten
|
<15 000
|
Zellen/mm3
|
0
|
15 000–25 000
|
Zellen/mm3
|
1
|
>25 000
|
Zellen/mm3
|
2
|
Hämoglobin
|
>13,5
|
g/dl
|
0
|
11,0–13,5
|
g/dl
|
1
|
<11,0
|
g/dl
|
2
|
Natrium
|
>135
|
mmol/l
|
0
|
<135
|
mmol/l
|
2
|
Kreatinin
|
<1,6
|
mg/dl
|
0
|
>1,6
|
mg/dl
|
2
|
Glukose
|
<180
|
mg/dl
|
0
|
>180
|
mg/dl
|
1
|
Der „Laboratory Risk Indicator For Necrotizing
Fasciitis“ (LRINEC) ist gezeigt. Ein Summenpunktwert von 6
oder mehr deutet bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer
nekrotisierenden Fasziitis hin [211].
Zur Behandlung der nekrotisierenden Fasziitis kommt eine kalkulierte
Mehrfach-Antibiotikatherapie, das radikale chirurgische Débridement
des betroffenen Gewebes (welches nicht selten im Verlauf mehrfach erfolgen
muss) sowie die intensivmedizinische Behandlung des Patienten zum Einsatz.
Hierdurch kann die Letalität dieser Erkrankung auf unter 20%
gesenkt werden [191], bei
Therapieverzögerung steigt sie jedoch auf über 75%
[104]. Der Nutzen einer hyperbaren
Sauerstofftherapie oder einer intravenösen Immunglobulin-Applikation
ist aufgrund mangelnder randomisierter prospektiver Studien umstritten [91].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal:
[91].
3.2.3 Gutartige Lymphknotenerkrankungen und Pseudotumore
Im Rahmen der Rosai-Dorfman-Krankheit kommt es bei Kindern und jungen
Erwachsenen vornehmlich bilateral in zervikalen Lymphknoten zu einer
überschießenden Ansammlung von Histiozyten, welche eine
massive, schmerzlose Lymphadenopathie zur Folge hat. Daneben tritt bei den
betroffenen Patienten Fieber auf und in 40% der Fälle kommt
es auch zu extranodalen Manifestationen, welche alle Teile des
Körpers betreffen können, insbesondere das zentrale
Nervensystem. Die Diagnosestellung dieser Erkrankung erfolgt
histopathologisch, ihre Ätiologie und Pathogenese sind noch immer
weitgehend unklar. In der Regel heilt die Rosai-Dorfman-Krankheit spontan
aus, symptomatisch werden chirurgische Maßnahmen und
immunsuppressive Medikamente eingesetzt [25].
Auch bei der Kimura-Krankheit kommt es insbesondere bei jungen asiatischen
Erwachsenen zu einer unilateralen, schmerzlosen, zervikalen
Lymphadenopathie, welche jedoch durch eine Lymphknoteninfiltration mit
eosinophilen Granulozyten charakterisiert ist. Zusätzlich finden
sich im peripheren Blut eine Eosinophilie sowie erhöhte IgE-Spiegel.
Darüber hinaus werden in der Hälfte der Patienten renale und
kutane Manifestationen beobachtet. Auch die großen
Kopfspeicheldrüsen können affektiert sein. Die Diagnose
dieser Erkrankung wird ebenfalls histopathologisch gestellt. Ihre Ursache
ist nicht bekannt. Therapeutisch kommen die chirurgische Exzision der
betroffenen Lymphknoten, Radiotherapie, Immunsuppressiva und Antihistaminika
zum Einsatz. In den meisten Fällen kommt es zur Spontanheilung, in
25% der Fälle werden jedoch Rezidive beobachtet [161].
Als Morbus Castleman wird eine sehr seltene, gutartige lymphoproliferative
Erkrankung bezeichnet, welche mit einer Prävalenz von etwa 2,4 zu
100 000 Personen in der Bevölkerung auftritt und mit viralen
Infektionen, z. B. mit humanem Herpesvirus-8 (HHV-8),
vergesellschaftet ist. Dabei wird die lokalisierte Form, welche lediglich
eine Gruppe von Lymphknoten betrifft, von der multizentrischen Form, bei
welcher mehrere Lymphknotengruppen befallen sind und oftmals HIV-Patienten
betrifft, unterschieden. Neben einer Lymphadenopathie kommt es bei den
erkrankten Patienten zu unspezifischen Symptomen wie Abgeschlagenheit,
Fieber und Gewichtsverlust, bei der multizentrischen Form auch zu
Hepatosplenomegalie und dem POEMS-Syndrom. Pathogenetisch relevant
scheint eine übermäßige Freisetzung von Zytokinen,
insbesondere von Interleukin-6, zu sein. Die Diagnose wird histologisch
gestellt. Bei der lokalisierten Form des M. Castleman führt die
vollständige chirurgische Entfernung der befallenen Lymphknoten in
den meisten Fällen zur Ausheilung. Die multizentrische Form wird
medikamentös (bspw. mit Chemotherapeutika, Immunmodulatoren und
antiviralen Therapeutika) behandelt. Ihre Prognose ist schlecht. Eine
maligne Entartung ist möglich [88]
[124].
Inflammatorische Pseudotumore sind gutartige Prozesse mit infiltrativem
Charakter, welche sich in variablem Ausmaß aus Lymphozyten,
Plasmazellen, Makrophagen, Fibroblasten sowie eosinophilen und neutrophilen
Granulozyten zusammensetzen und bezüglich des makroskopischen
Aspekts zunächst an bösartige Neoplasien erinnern. Ihre
Ätiologie ist nach wie vor ungeklärt, autoimmune Prozesse
(mit IgG4-Assoziation), Infektionen (bspw. mit Mykobakterien, Rhodococcus
equi, Klebsiella rhinoscleromatis), Fremdkörper und Traumata werden
als Krankheitsauslöser diskutiert. Zumeist finden sich diese
Pseudotumore in der Lunge, sie können jedoch ubiquitär und
somit auch im Kopf-Halsbereich auftreten. Zur Behandlung dieser Erkrankung
werden vornehmlich Kortikosteroide und chirurgische Maßnahmen
eingesetzt, bei Nichtansprechen auf Kortikosteroide und
Inoperabilität auch Strahlentherapie [108].
3.3 Seltene Neoplastische Erkrankungen
Lokalisierte Schwellungen im Bereich der Halsweichteile sind oftmals durch
Größenveränderungen der zervikalen Lymphknoten bedingt.
Ätiopathogenetisch sind hierfür häufig bakterielle oder
virale Infektionen verantwortlich. Nicht selten präsentieren sich auf
diese Weise allerdings auch maligne Erkrankungen in Form von
Lymphknotenmetastasen oder Lymphomen. Darüber hinaus ist im Halsbereich
das Auftreten von Atheromen (Gesamtprävalenz 20%, davon
80% im Kopf-Halsbereich), Hämangiomen (Gesamtprävalenz
3–5%, davon 60% im Kopf-Halsbereich) und Lipomen
(Gesamtprävalenz 2%, davon 15–20% im
Kopf-Halsbereich) häufig. Als seltene Extremform einer Fettansammlung im
Kopf-Halsbereich gilt die familiäre symmetrische Lipomatose
(Madelung-Erkrankung). Ihre genaue Prävalenz ist jedoch unklar [41]. Sehr selten können im Halsbereich
auch aus Relikten des fetalen braunen Fettgewebes gutartige Tumore entstehen,
welche als Hibernome bezeichnet werden und bei vollständiger Resektion
nicht rezidivieren [202]. Im letzten Abschnitt
des vorliegenden Referats sollen nun weitere seltene neoplastischen Erkrankungen
des Halses erörtert werden. Neoplasien der Speicheldrüsen werden
im Referat von Claudia Scherl diskutiert. Zu Neubildungen der Halshaut sei auf
die dermatologische Fachliteratur sowie auf die aktuellen Leitlinien der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
(AWMF; http://www.awmf.org) verwiesen.
3.3.1 Hamartom
Bei Hamartomen handelt es sich um gutartige, zumeist angeborene Neubildungen,
welche aus einer unausgewogenen Zusammensetzung ortsständiger reifer
Gewebe bestehen und somit an jeder Stelle des Körpers auftreten
können. Im Bereich des Halses sind diese Pseudotumore mit einer
Inzidenz von 1 zu 10 000 Personen pro Jahr sehr selten zu finden
[114]. Im Bereich der Zunge stellen
sie nach Hämangiomen und Lymphangiomen allerdings die
dritthäufigste Neoplasie im Kindesalter dar [117]. Es wird zwischen mesenchymalen und
epithelialen Hamartomen unterschieden. Bei vollständiger
chirurgischer Exzision kommt es in der Regel zu keinen Rezidiven [163].
Das PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrom fasst mehrere Krankheitsbilder zusammen, bei
welchen es durch autosomal-dominant vererbte Mutationen im
Tumor-Suppressor-Gen PTEN über eine Aktivierung des
PI3K/AKT-Signalweges unter anderem zum Auftreten von multiplen
Hamartomen kommt [78]. Das Cowden-Syndrom
(Prävalenz: 1 zu 200 000 Personen) ist dabei zudem mit dem
Auftreten von gutartigen und bösartigen Tumoren von
Schilddrüse, Brust und Endometrium sowie von Nierenzellkarzinomen,
Kolonkarzinomen und Melanomen vergesellschaftet. Betroffenen Patienten
weisen darüber hinaus oftmals eine Makrozephalie
(Kopfumfang>97. Perzentile) und Hautanomalien auf [151]. Beim Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom
kommt es charakteristischerweise zu intestinalen hamartomartigen Polypen,
Makrozephalie und Hyperpigmentierung im Bereich des männlichen
Genitals [95].
Das Proteus/Proteus-like-Syndrom ist durch eine Punktmutation des
AKT-1-Gens (downstream von PTEN) charakterisiert und zeichnet sich
durch überschießendes Wachstum von Knochen, Haut und anderen
Geweben aus [36]. Auch
Autismusspektrum-Erkrankungen mit Makrozephalie weisen in
10–20% der Fälle eine PTEN-Mutation auf. Das
Lhermitte-Duclos-Syndrom ist eine Variante des Cowden-Syndroms, bei welcher
es im Erwachsenenalter zu hamartomartigen Neubildungen im Bereich des
Kleinhirns kommt. Klinisch finden sich bei betroffenen Patienten Ataxie,
Krampfanfälle und erhöhter Hirndruck. Die kindliche juvenile
Polyposis (im Darmbereich) ist sehr selten und weist unter anderem ebenfalls
Mutationen im PTEN-Gen auf [150].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Selbsthilfe CoBaLd
(http://www.shg-cobald.de).
3.3.2 Teratome
Teratome sind angeborene Keimzelltumore, welche Gewebebestandteile aus
Ektoderm, Mesoderm und Endoderm beinhalten [103]. Sie weisen eine Inzidenz von 1 zu 40 000 Personen
pro Jahr auf, wovon etwa 5% in der Halsregion zu finden sind [13]. Die überwiegende Mehrheit
dieser Neoplasien wird bei Neugeborenen und Kindern (circa 90%)
diagnostiziert und behandelt. Im Erwachsenalter sind sie selten (circa
10%; [101]). Teratome kommen
zumeist als sogenannte reife, zystische
(=Dermoid/Dermoidzyste) oder solide gutartige Tumore vor,
welche allerdings das Potenzial zur malignen Entartung besitzen. In etwa
5% der Fälle finden sich sogenannte unreife,
bösartige Teratome.
Teratome des Halses sind häufig anterolateral gelegen und
können bereits die intrauterine Entwicklung des Foeten durch eine
Kompression des Speisewegs beeinträchtigen bzw. bei der Geburt eine
Verlegung des Luftweges verursachen. Die Diagnosestellung sollte deshalb
bereits in utero mithilfe von Sonografie und Magnetresonanztomografie
erfolgen. Peripartal sollte eine umgehende, komplette chirurgische Exzision
der Tumore durchgeführt werden, bei stark vaskularisierten
Neoplasien gegebenenfalls nach prä-operativer
Gefäßembolisation [180].
Bösartige unreife Tumore werden zusätzlich
chemotherapeutisch behandelt, Alpha-Fetoprotein (AFP) dient als
posttherapeutischer Verlaufsparameter [56]
[203]. Der Einfluss von
Immuncheckpoint-Inhibitoren auf unreife Teratome, welche als „kalte,
vom Immunsystem verlassene“ Tumore gelten [24], ist bislang nicht geklärt.
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
3.3.3 Schwannome
Schwannome (Synonym: Neurolemmom, benigner Nervenscheidentumor; der maligne
periphere Nervenscheidentumor wird in Kapitel 3.3.8 behandelt) sind langsam
wachsende, gutartige Tumore der Schwannzellen, welche periphere Nerven
umgeben. Diese Neubildungen weisen eine Inzidenz von 1–9 pro
100 000 Personen im Jahr auf, wovon sich zwischen
25–45% im Kopf-Halsbereich finden [31]
[39].
Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen der vierten und sechsten Lebensdekade.
Dabei gehen die meisten Schwannome vom vestibulären Anteil des N.
vestibulocochlearis aus, seltener nehmen sie ihren Ursprung vom N. vagus, N.
trigeminus, N. facialis, N. glossopharyngeus, N. accessorius, N. hypoglossus
oder dem sympathischen Nervensystem [107].
Während sie zumeist solitär und sporadisch (90% der
Fälle) beobachtet werden, treten sie bei der Neurofibromatose Typ 2
(3% der Fälle) multipel auf. Ein multiples Auftreten von
Schwannomen unabhängig von einer Neurofibromatose und
Vestibularisschwannomen findet sich in circa 2% der Fälle
(Prävalenz 1 zu 40 000) und wird als Schwannomatose
bezeichnet [98]
[177]
[208]. Im Halsbereich finden sich am häufigsten
Vagusschwannome, welche zumeist asymptomatisch sind und gelegentlich
Heiserkeit und Husten verursachen können. Das Rezidiv- und
Entartungspotential von Schwannomen ist unklar. Im Halsbereich ist deshalb
die chirurgische Entfernung dieser Tumore die Therapie der Wahl. Dabei
sollte auf die Wahrung der Kontinuität der betroffenen Nerven
geachtet werden.
Neurofibrome sind ebenfalls gutartige Neubildungen peripherer Nerven, welche
sich durch einen anderen histopathologischen Aufbau und eine geringere
S100-Expression von Schwannomen unterscheiden. Spinalnerven sind selten
davon betroffen, Hirnnerven fast nie. Eine Entartung dieser Tumore ist
ungewöhnlich [62]. Darüber
hinaus scheinen auch die selten auftretenden, gutartigen Granularzelltumore
von Schwann-Zellen peripherer Nerven auszugehen, welche durch eine
Akkumulation von sekundären Lysosomen im Zytoplasma der Tumorzellen
gekennzeichnet sind. In über 50% der Fälle betreffen
sie den oberen Schluck-Speiseweg und dabei insbesondere den Kehlkopf. Eine
maligne Transformation dieser Neoplasien ist möglich [160].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Bundesverband
Neurofibromatose e.V. (https://bv-nf.de); Bundesweite
Selbsthilfegruppe für NF2-Betroffene (https://www.nf2.de)
3.3.4 Extrakranielle Meningeome
Meningeome sind Tumoren, welche von pia-arachnoidalen Zellen im zentralen
Nervensystem ausgehen und eine Inzidenz von um 8–10 pro
100 000 Personen im Jahr aufweisen. Mit einem Anteil von 30%
sind Meningeome die am häufigsten auftretenden Hirntumore im
Erwachsenenalter. Entsprechend der WHO-Klassifikation werden sie in
gutartige (Grad I, 85%), atypische, schnell wachsenden sowie zu
Rezidiven neigende (Grad II, 8–10%) und infiltrativ
wachsende, anaplastische (Grad III, 2–5%) Läsionen
unterteilt. Der Erkrankungsgipfel befindet sich zwischen der 5. und 6.
Lebensdekade. Bei bis zu 20% der betroffenen Patienten liegen
multiple Läsionen vor. Ionisierende Strahlung gilt als Risikofaktor.
Vereinzelt treten Meningeome aber auch vererbt, bspw. im Rahmen einer
Neurofibromatose Typ 2, auf [165].
Interessanterweise finden sich in etwa 2% der Fälle auch
(primär oder sekundär) extrakranielle Meningeome,
vornehmlich als gutartige Läsionen (WHO Grad I) im Kopf-Halsbereich
[65]. Während intrakranielle
Meningeome häufiger bei Frauen diagnostiziert werden, werden
extrakranielle Meningeome häufiger bei Männern aufgefunden
[34]. Zumeist sind sie im Bereich der
Schädelbasis lokalisiert. Im Parapharyngealraum zeigen sie sich sehr
selten, im Pharynx wurde in der Literatur bspw. von nur einem
primären Meningeom im Bereich der Gaumenmandel berichtet [140]. Als Ursprung werden hier ektope
Arachnoidalzellen vermutet. Die Diagnose eines Meningeoms kann oftmals
mithilfe von CT- und MRT-Bildgebung gestellt werden. Intra- und
extrakranielle Meningeome werden soweit möglich primär
chirurgisch behandelt. Insbesondere höhergradige Meningeome sprechen
gut auf eine Strahlentherapie an, welche v. a. bei
Inoperabilität oder in der Adjuvanz eingesetzt wird. In Zukunft
könnten auch Immuncheckpoint-Inhibitoren bei der Behandlung von
aggressiven Meningeomen eine Rolle spielen [67]
[123]
[156].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org). NIH National Cancer
Institute (https://www.cancer.gov/publications/pdq/information-summaries).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche Krebsgesellschaft
(http://www.krebsgesellschaft.de); Deutsche
Kinderkrebsstiftung (http://www.kinderkrebsstiftung.de); Deutsche
Hirntumorhilfe e.V. (http://www.hirntumorhilfe.de); Bundesverband
Neurofibromatose e.V. (https://bv-nf.de); Bundesweite
Selbsthilfegruppe für NF2-Betroffene (https://www.nf2.de)
3.3.5 Ektope Chordome
Chordome sind seltene (Prävalenz weniger als 1 zu
1 000 000 Einwohner), infiltrativ wachsende Tumore, welche
aus Resten der Chorda dorsalis (Notochord) im Bereich der
Wirbelsäule hervorgehen und in etwa 10–20% der
Fälle Metastasen bilden. Am häufigsten sind sie im Bereich
des Steißbeins und des Clivus zu finden [186], einzelne Fälle von ektopen Chordomen (bspw. im
Pharynx) sind in der Literatur beschrieben [122]. Die Therapie der Wahl ist die komplette chirurgische
Entfernung der Tumore, gefolgt von einer adjuvanten Strahlentherapie. Die
Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit liegt
gegenwärtig bei 50%. In Zukunft könnten
immuntherapeutische [60] und andere
gezielte Behandlungsansätze [185]
die Prognose dieser Tumore verbessern.
3.3.6 Neuroblastome
Neuroblastome sind bösartige neuroektodermale Neubildungen des
sympathischen Nervensystems, welche die am häufigsten auftretende
solide Neoplasien des Kindesalters darstellen. Insgesamt weisen
Neuroblastome eine Inzidenz von 1 zu 100 000 Personen pro Jahr auf,
der Halsbereich ist dabei in nur circa 5% der Fälle
betroffen. 90% davon werden in den ersten 5 Lebensjahren
diagnostiziert, Jungen erkranken häufiger als Mädchen [125]. Bei Diagnosestellung weisen bereits
50% der betroffenen Patienten hämatogene Metastasen in
Knochenmark, Knochen, Leber, Gehirn oder Haut auf. Zumeist treten
Neuroblastome spontan auf, in 1–2% sind sie erblich bedingt.
Hier besteht unter anderem eine Assoziation mit dem M. Hirschsprung, dem
Undine-Syndrom, dem Costello-Syndrom (CDKN1C-Mutationen), dem
Noonan-Syndrom, der Neurofibromatose Typ 1, dem Li-Fraumeni-Syndrom
(TP53-R337H-Mutationen), dem ROHHAD-Syndrom, dem
Beckwith-Wiedemann-Syndrom (CDKN1C-Mutationen), dem Sotos- und
Weaver-Syndrom. In das „International Neuroblastoma Risk Group
(INRG)“-Staging-System fließen radiologische Ausdehnung und
Metastasierungsstatus ein. Die INRG-Klassifikation berücksichtigt
darüber hinaus Patientenalter, histopathologische Eigenschaften,
MYCN-Status, Chromosom 11q-Aberrations-Status, Ploidiegrad und das
Risikoprofil vor Therapie [37]. Die Klinik
der betroffenen Patienten hängt von der Lokalisation des
Primärtumors ab, oftmals sind die Patienten asymptomatisch oder
leiden unter uncharakteristischen Symptomen. Die meisten Neuroblastome
produzieren Katecholamine, was bereits pränatal zu maternaler
Tachykardie, Hypertonus und Emesis führen kann. Die Konzentration
von Vanillinmandelsäure bzw. Homovanillinsäure im Urin ist
bei mehr als 90% der betroffenen Patienten erhöht. Zur
Behandlung von Neuroblastomen werden in der Regel multimodale
Behandlungskonzepte, welche Chirurgie, Radiotherapie und Polychemotherapie
einschließen, eingesetzt. Erste positive Fallberichte zu
immuntherapeutischen Ansätzen sind vor kurzem veröffentlicht
worden [55]. Bei Diagnosestellung vor
Beendigung des ersten Lebensjahres beträgt das
Fünfjahres-Gesamtüberleben gegenwärtig
86–95%, bei älteren Kindern sinkt es auf
24–68% [182].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org). International
Neuroblastoma Risk Group (http://www.inrgdb.org). NIH National Cancer
Institute (https://www.cancer.gov/publications/pdq/information-summaries).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche
Krebsgesellschaft (http://www.krebsgesellschaft.de); Deutsche
Kinderkrebsstiftung (http://www.kinderkrebsstiftung.de);
Fördergesellschaft Kinderkrebs-Neuroblastom-Forschung e.V.
(http://www.neuroblastoma.de); Deutsche
Hirntumorhilfe e.V. (http://www.hirntumorhilfe.de).
3.3.7 Extra-adrenale Paragangliome
Extra-adrenale Paragangliome (Synonym/früher: Glomustumore)
sind stark vaskularisierte Neubildungen, welche von chromaffinen Zellen des
sympathischen und parasympathischen Nervensystems ausgehen. Sie weisen eine
Inzidenz von weniger als 1 zu 100 000 Personen im Jahre auf [19]. Extra-adrenale Paragangliome zeigen
zumeist ein gutartiges biologisches Verhalten, jedoch muss mit einer
Entartungswahrscheinlichkeit von 2–13% gerechnet werden
(„malignes Paragangliom“). Hierbei kommt es vornehmlich zur
lymphogenen Metastasenbildung [22], die
Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit wird bei diesen
Malignomen mit 40–77% angegeben [143]. Die meisten Paragangliome treten sporadisch auf. Bei
30–40% der Fälle wird jedoch eine familiäre
Häufung beobachtet, oftmals im Rahmen autosomal-dominant vererbter
familiärer Phäochromozytom-Paragangliom-Syndrome, welche auf
unterschiedlichen Mutationen der mitochondrialen Succinat-Dehydrogenase
(SDH) beruhen. Hier werden 3 Formen (PGL1, PGL3, und PGL4) unterschieden,
welche klinisch nicht eindeutig abgrenzbar sind und genetisch diagnostiziert
werden. Darüber hinaus treten sie gehäuft bei Patienten mit
von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL-Syndrom), Neurofibromatose Typ 1 (NF 1), oder
Multipler endokriner Neoplasie Typ II (MEN-II) auf. Das weibliche Geschlecht
scheint bevorzugt von Paragangliomen betroffen zu sein, der Median des
Erkrankungsalters liegt im mittleren Lebensalter. Typische anatomische
Lokalisationen sind die Karotisgabel (60% der Fälle), das
Foramen jugulare, das Mittelohr (vom N. glossopharyngeus ausgehend) oder der
N. vagus in seinem Verlauf (5% der Fälle).
Glomus-caroticum-Tumore sind zumeist symptomlos und lateral (nicht
vertikal!) im Bereich des Halses verschieblich, was als Fontaine-Zeichen
bezeichnet wird [136]. Sollte es zu einer
Kompression des N. vagus durch den Glomus-caroticum-Tumor kommen,
können ähnlich wie beim Glomus-vagale-Tumor
Schluckbeschwerden, Heiserkeit oder das Horner-Syndrom auftreten.
Während Glomus-jugulare-Tumore ein vergleichsweise aggressives
Wachstumsverhalten im Bereich des Felsenbeines zeigen, sind
Glomus-tympanicum-Tumore eher langsam wachsend. Klinisch kann bei diesen
beiden Paragangliomen ein pulsatiler Tinnitus oder eine einseitige
Hörminderung auftreten. Diagnostisch kommen primär
Sonografie, MRT und 18F-Dopa-PET zum Einsatz, zur Differenzierung von
Glomus-jugulare- und Glomus-tympanicum-Tumoren wird die Computertomografie
eingesetzt. Die komplette chirurgische Entfernung nach vaskulärer
Embolisation ist der gegenwärtige Goldstandard bei der Behandlung
von Paragangliomen [173]. Nicht-resektable
Tumore werden strahlentherapeutisch behandelt [120]
[190], in der
metastasierten Situation werden Chemotherapie [90]
[137] bzw. zielgerichtete
Therapeutika wie der Tyrosinkinaseinhibitor Sunitinib eingesetzt [102].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: NIH National Cancer Institute
(https://www.cancer.gov/publications/pdq/information-summaries)
3.3.8 Weichteilsarkome
Sarkome sind seltene bösartige Tumore des mesenchymalen Gewebes,
welche mit einer Inzidenz von 1,8–5 von 100 000 Personen im
Jahr auftreten und circa 1% aller Kopf-Halsmalignome ausmachen [146]
[209]. 80–90% der Weichteilsarkome betreffen
Erwachsene, 10–20% Kinder und Jugendliche [116]. Als Risikofaktoren für das
Auftreten von Weichteilsarkomen zählen eine stattgehabte
Strahlentherapie, das chronische Lymphödem (Lymphangiosarkom),
Exposition gegenüber chemischen Substanzen wie Thoriumdioxid,
Vinylchlorid und Arsen (hepatische Angiosarkome) sowie Infektionen mit HIV-
und HH8-Viren (Kaposi-Sarkom). Ein gehäuftes Auftreten von
Weichteilsarkomen wird unter anderem bei Patientinnen und Patienten mit
Gardner-Syndrom (APC-Mutation), Li-Fraumeni-Syndrom (TP53-Mutation),
Gorlin-Syndrom (PTC-Mutation), Tuberöse
Sklerose/Bournville-Krankheit (TSC1- oder TSC2-Mutation),
Neurofibromatose Typ1/M. Recklinghausen (NF1-Mutation), und
Werner-Syndrom/Adulte Progerie (WRN-Mutation) beobachtet. In der
WHO-Klassifikation von 2020 werden mehr als 100 Sarkomentitäten
unterschieden (www.who.int bzw. www.iarc.fr).
Zu den häufigsten Weichteilsarkomen im Kopf-Halsbereich
zählen Fibrosarkome, Leiomyosarkome, neurofibromatöse
Sarkome wie der maligne periphere Nervenscheidentumor, Synovialzellsarkome,
Liposarkome, Angiosarkome und Rhabdomyosarkome [5]. Typischerweise präsentieren sich Weichteilsarkome im
Kopf-Halsbereich als schmerzlose Schwellung, sie bilden vornehmlich
hämatogene Metastasen. Nach Gewebesicherung erfolgt die
histopathologische Begutachtung typischerweise unter Einbindung
überregionaler Referenzzentren. Zum Staging werden MRT- und CT-,
gegebenenfalls auch PET/CT-Untersuchungen eingesetzt. Therapeutisch
wird bei Sarkomen primär eine vollständige chirurgische
Entfernung der Läsion mit großem Sicherheitsabstand
angestrebt. In den meisten Fällen kommen jedoch multimodale und auf
die jeweilige Sarkomentität abgestimmte, individuelle
Therapiekonzepte zum Einsatz. Diese beinhalten zudem chemo- und
radiotherapeutische Behandlungsregime, gegebenenfalls in Kombination mit
regionaler Hyperthermie [96]
[105]. Zur weiteren Verbesserung der
Behandlungsqualität werden Krankheitsverläufe von
Sarkompatienten heutzutage in Registern wie dem Interdisziplinären
Deutschen Sarkomregister (GISAR) dokumentiert. Da bislang nur einzelne
Sarkomentitäten ein Ansprechen auf eine Therapie mit
Immuncheckpoint-Inhibitoren gezeigt hatten, könnten z. B.
Kombinationen mit onkolytischen Viren oder Vakzinen bzw. neuartige
immuntherapeutische Ansätze in Zukunft effektivere und
nebenwirkungsärmere Behandlungsstrategien für Sarkome
darstellen. Die durchschnittliche
Fünf-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit wird mit 75%
angegeben, sie unterscheidet sich jedoch stark zwischen den einzelnen
Sarkomentitäten [5]. Ebenso weisen
gut differenzierte Sarkome eine bessere Prognose auf als entsprechende
schlecht differenzierte Neubildungen [57]
[58].
Fibrosarkome entstehen aus (Myo)fibroblasten und bilden etwa
1–3% aller Sarkome. In der Kindheit auftretende Fibrosarkome
weisen eine günstigere Prognose auf als im späteren
Lebensalter entstehende Fibrosarkome [131]
[200]. Mit bisher etwa 100
veröffentlichten Fällen infantiler Fibrosarkome, von welchen
bereits 40% bei Geburt diagnostiziert wurden, sind diese Tumore sehr
selten [75].
Leiomyosarkome gehen aus glatten Muskelzellen hervor. Dabei werden kutane
Tumore, welche aus den Mm. arrector pilii der Haarfollikel entstehen,
von subkutanen Neoplasien, welche ihren Ursprung aus der glatten
Gefäßmuskulatur nehmen, unterschieden. Kutane Leiomyosarkome
treten seltener als subkutane Leimyosarkome auf und scheinen weniger
aggressiv zu sein (Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit
66,9 vs. 52,1%; [168]).
Maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST, nicht mehr
gebräuchliche Synonyme: Malignes Schwannom, neurogenes
Sarkom, Neurofibrosarkom) sind bösartige Neubildungen
peripherer Nerven, welche mit einer Inzidenz von 1 zu 100 000
Personen auftreten und 5% aller Weichteilsarkome ausmachen. Der
Kopf-Halsbereich ist dabei in 10 bis 20% der Fälle
betroffen. Maligne periphere Nervenscheidentumore können sporadisch
auftreten oder aus Neurofibromen hervorgehen, z. B. im Rahmen einer
Neurofibromatose Typ 1 (M. Recklinghausen;>50% der
Fälle [6]). Die Prognose solcher
Tumore im Kopf-Halsbereich ist mit einer
Fünfjahres-Überlebensrate von circa 15–20%
sehr ungünstig [134].
Synovialzellsarkome können an den unterschiedlichsten Stellen des
Kopf-Halsbereiches auftreten, am häufigsten sind sie im Hypopharynx
lokalisiert [87]
[155]. Es wird vermutet, dass diese
bösartigen Neoplasien aus undifferenzierten bzw. pluripotenten
mesenchymalen Stammzellen hervorgehen, ihr genauer Ursprung ist jedoch
unklar. 90–95% dieser malignen Tumore zeigen eine t (x; 18)
(p11.2-q11.2)-Chromosomen-Translokation [45]. Die Inzidenz wird auf 0,65 pro 100 000 Personen im
Jahr geschätzt. Ungefähr 5–10% aller Sarkome
sind Synovialzellkarzinome. Die meisten Fälle werden bei Patienten
in zwischen der dritten und fünften Lebensdekaden beobachtet, ein
Drittel der Fälle tritt vor dem 20. Lebensjahr auf.
Liposarkome sind seltene maligne Tumoren des Fettgewebes, welche eine
Inzidenz von 1 zu 100 000 Personen im Jahr aufweisen und in 4
Subtypen unterteilt werden: Gut differenzierte Liposarkome
(40–45%), myxoide/rundzellige Liposarkome
(30–35%), pleomorphe Liposarkome und schlecht differenzierte
Liposarkome (10%; [146]). Sie
treten vornehmlich bei Männern im höheren Lebensalter
(Median 7. Dekade) auf, die
Fünf-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit liegt im Mittel bei
67% [206]. Zur histopathologischen
Differenzierung zwischen Lipomen und Liposarkomen wird die MDM2- oder
CDK4-Amplifikation bestimmt [4]. Zwischen
3 und 8% der Liposarkome sind im Kopf-Halsbereich anzutreffen. Gut
differenzierte Liposarkome metastasieren in der Regel nicht. Schlecht
differenzierte Liposarkome hingegen weisen höhere Rezidiv- und
Metastasierungsraten als andere Subtypen von Liposarkomen auf und sind
äußerst selten im Kopf-Halsbereich zu finden [68]
[130].
Bislang wurde in der Literatur von weniger als 50 Fällen von
Liposarkomen im Kopf-Halsbereich berichtet, von welchen 10 im Bereich der
Mundhöhle, 3 im Bereich des Halses und 3 im Bereich des Pharynx
lokalisiert waren [145].
Angiosarkome weisen ein sehr aggressives biologisches Verhalten auf und sind
zumeist an UV-Licht-exponierten Stellen der Haut (ungefähr zwei
Drittel der Fälle) und somit oftmals im Kopf-Halsbereich
lokalisiert. Von diesen Tumoren sind häufig ältere
Männer betroffen. Das Fünfjahres-Gesamtüberleben
liegt bei 30–40%. Darüber hinaus werden eine
stattgehabte Strahlentherapie, chronische Lymphödeme und Karzinogene
wie Vinylchlorid, Thoriumdioxid oder Arsen als Risikofaktoren für
die Entwicklung von Angiosarkomen angesehen. Diese Sarkome treten auch im
Rahmen von genetischen Erkrankungen wie der Neurofibromatose, dem
Retinoblastom, Morbus Ollier, Maffuci-Krankheit, Xeroderma pigmentosum und
dem Klippel-Trenaunay-Syndrom auf [29].
Rhabdomyosarkome sind bösartige Neubildungen der quergestreiften
Muskulatur, welche eine Inzidenz von 1 zu 170 000 Personen im Jahr
aufweisen. Im Median liegt das Diagnosealter bei 5 Jahren. Diese malignen
Tumore treten am häufigsten im Kopf-Halsbereich (ca.
35–40%) auf [46]. Als
pathogenetisch relevant wird eine Chromosomen-Translokation angesehen, aus
welcher die Fusion zweier für Transkriptionsfaktoren kodierenden
Gene resultiert. Eine Häufung dieser Tumore findet sich bei
Patienten mit Neurofibromatose Typ 1, Retinoblastom oder Li-Fraumeni-Syndrom
[149]. Histologisch wird eine
embryonale, alveoläre, pleomorphe und
spindelzellartige/sklerosierende Form unterschieden. Während
das embryonale Rhabdomyosarkom v. a. Kinder betrifft und eine
günstigere Prognose aufweist, findet sich das aggressive
alveoläre Rhabdomyosarkom vornehmlich bei Jugendlichen [127]. Die mittlere
Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit liegt bei
40–54% [147]. Im Gegensatz
dazu sind Rhabdomyome gutartige Tumore der quergestreiften Muskulatur,
welche sich primär kardial manifestieren, jedoch sehr selten auch
extrakardial auftreten können. Bislang sind weniger als 200
Fälle extrakardialer Rhabdomyome in der Literatur beschrieben. Diese
werden in fetale (vorwiegend im Kopf-Halsbereich lokalisiert), adulte
(vorwiegend bei Männern, Häufigkeitsgipfel in der 5.
Lebensdekade, im Kopf-Halsbereich aufgefunden) und genitale (vorwiegend bei
Frauen zu finden, vaginal) Neoplasien unterteilt [110]
[111]
[158]. Bei
vollständiger Entfernung der Tumore wurden keine Rezidive beobachtet
[59].
Das Kaposi-Sarkom ist eine durch das Humane Herpesvirus Typ 8
ausgelöste maligne vaskuläre Neoplasie im Bereich der Haut,
Schleimhäute und inneren Organe, welche insbesondere bei
immunkompromittierten Individuen auftritt [7]. Dabei werden klassische (bevorzugt im Beinbereich bei
älteren Männern aus dem Mittelmeerraum und Osteuropa),
endemische (Kinder und junge Erwachsene in der Subsahararegion),
HIV-assoziierte und iatrogene Formen (durch medikamentöse
Immunsuppression, z. B. nach Organtransplantation) unterschieden,
wobei nur das klassische Kaposi-Sarkom ein wenig aggressives biologisches
Verhalten zeigt. Klinisch finden sich
rot-bräunliche/purpurfarbene, leicht erhabene Plaques oder
Knötchen, welche v. a. im Bereich der inneren Organe
ulzerieren und schwere Blutungen hervorrufen können. Therapeutisch
kommen chirurgische Maßnahmen sowie Radio- und Chemotherapie zum
Einsatz. Bei den HIV-assoziierten und iatrogenen Formen wird zudem eine
(soweit möglich) Wiederherstellung der Immunkompetenz angestrebt
[212].
Weiterführende Informationen
Für medizinisches Fachpersonal: Leitlinie der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e.V. (AWMF; http://www.awmf.org). NIH National Cancer
Institute (https://www.cancer.gov/publications/pdq/information-summaries).
Für betroffene Patientinnen und Patienten: Deutsche
Sarkom-Stiftung (http://www.sarkome.de). Deutsches
Krebsforschungszentrum (http://www.krebsinformationsdienst.de).