physiopraxis 2021; 19(01): 12-13
DOI: 10.1055/a-1329-3722
Profession

„Die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Neurorehabilitation sind immens“ – Interview

 

    Prof. Dr. med. Stefan Knecht ist Facharzt für Neurologie und spezielle neurologische Intensivmedizin. Er ist überzeugt davon, dass besonders der Neuroreha das dicke Ende der Pandemie noch bevorsteht. Denn viele der jetzt intensivmedizinisch versorgten, schwererkrankten Patienten mit COVID-19 werden nach der Akutbehandlung eine neurologische Frührehabilitation benötigen.


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    Abb.: StMTK (St. Mauritius Therapieklinik Düsseldorf)

    Herr Prof. Knecht, welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Neurorehabilitation?

    Wir sehen in der aktuellen Situation alles von Klinikräumungen hin bis Kliniküberfüllungen. Wobei die Räumungen im Wesentlichen durch Quarantänisierung von Mitarbeitern verursacht werden. Wenn Sie so wollen, ist das die verkürzte oder komprimierte Form des demografischen Wandels, nämlich kränkere Patienten und weniger Mitarbeiter.

    Neben der jetzigen Unruhe wird bei COVID-19 meiner Einschätzung nach das dicke Ende aber erst noch kommen. Ein Großteil der intensivmedizinisch versorgten, schwererkrankten Patienten mit COVID-19 wird nach der Akutbehandlung eine neurologische Frührehabilitation, meist mit intensivmedizinischen Vorhaltungen benötigen. Diese Plätze sind knapp. Das Verständnis für dieses Problem existiert jedoch bisher noch nicht in allen für dieses Thema zuständigen Landesregierungen.

    Mit dem Tagungsmotto „Neurorehabilitation im demografischen Wandel“ legte der Kongress der Deutschen Gesellschaften für Neurorehabilitation (DGNR) und Neurotraumatologie und klinische Neurorehabilitation (DGNKN) im Dezember einen Fokus auf die immer älter werdende Bevölkerung. Wie kann Neurorehabilitation in den nächsten Jahrzehnten anders und effizienter werden und dabei human bleiben?

    Die Alterung unserer Bevölkerung begleitet uns ja schon eine ganze Weile und sie wird sich weiter fortsetzen. Zusätzlich werden in den nächsten Jahren aber die Erwerbspersonen, also die Menschen zwischen 25 und 67, wegbrechen. Denn der ausladende Teil der Bevölkerungspyramide bewegt sich über die Pensionsgrenze und danach folgt nur noch eine schmale Taille. Die Erwerbsgruppe wird dadurch um 8 Millionen Menschen kleiner über die nächsten 20 Jahre – plus oder minus einige 100.000 Zugewanderte. Dadurch werden in den nächsten Jahren weniger Berufstätige mehr Bedürftige versorgen müssen. Und das wird sich besonders in so personalkritischen Bereichen wie der Neurorehabilitation niederschlagen. Die große Frage ist, wie das gehen soll.

    Fehlende Plätze in der Neurorehabilitation sind ein brennendes Thema. Ein aktueller Schwerpunkt sind Bruchlinien derzeitiger Versorgungsstrukturen.

    Neuroreha hat nur noch wenig mit Kur und immer mehr mit Krankenhausmedizin zu tun. Das ist aber noch nicht hinreichend angekommen in der Sozialgesetzgebung, bei Krankenkassen und in der Politik. Die Frage ist, wie teuer die resultierende Fehlversorgung noch werden soll, bevor die Akteure die notwendige Transformation des Systems angehen.

    Lösungsvorschläge – Bewilligung aussetzen

    Als in der ersten COVID-Welle der Genehmigungsvorbehalt für neurologische Anschlussreha ausgesetzt wurde, waren Patienten durchschnittlich sechs Tage früher in derReha – eine sinnvolle Maßnahme, findet Prof. Dr. med. Stefan Knecht.

    Verzögerungen
    der Reha von stark eingeschränkten und komplikationsgefährdeten Patienten durch umständliche Anträge grenzt an fahrlässige Körperverletzung.

    Neuroreha umfasst immer mehr Krankenhausmedizin.

    Dass Neuroreha Krankenhausmedizin umfasst, zeigt sich am eindrücklichsten in der Neurofrühreha. Die meisten Bundesländer haben hier zum Glück schon reagiert und Frühreha-Abteilungen in den Neurorehazentren zu Krankenhausabteilungen umgewandelt. Nur die aktuelle Landesregierung in NRW etwa scheint zu glauben, man könne den umgekehrten Weg gehen, indem man neurologische Kliniken in Regelkrankenhäusern mit Neurofrühreha beauftragt.

    Die oft langwierigen Beantragungsverfahren nach klinischer Akutbehandlung, die eine unmittelbar anschließende professionelle Rehabilitation des Patienten erst einmal blockieren, stehen schon länger in der Diskussion. Wie sind die aktuellen Erfahrungen dazu, auch während der COVID-19 Pandemie?

    Nehmen Sie das Beispiel Genehmigungsvorbehalt für Neurorehabilitation: Die heute übliche formalistisch umständliche Prüfung eines Antrages auf Kur ist nachvollziehbar, wenn ein Patient zu Hause ist, stabil und wenig betroffen. Wenn Patienten nach einem Schlaganfall im Krankenhaus hingegen stark eingeschränkt und durch Immobilität komplikationsgefährdet sind, grenzt jede Verzögerung einer Neurorehabilitation an fahrlässige Körperverletzung.

    Die Aussetzung des Genehmigungsvorbehaltes für neurologische Anschlussrehabilitation während der ersten COVID-Welle hat uns gezeigt, dass das Bewilligungsverfahren völlig verzichtbar ist. Die Versorgung hat bestens geklappt. Patienten waren im Mittel sechs Tage früher in der Neuroreha und die Rehadauer war nicht verlängert. Stattdessen sind durch Abbau der Wartezeiten auf einen Schlag 5.000 Krankenhausbetten für die Versorgung anderer Patienten frei geworden.

    Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR) und der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurorehabilitation e. V. (DGNKN)


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    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    08. Januar 2021

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    Abb.: StMTK (St. Mauritius Therapieklinik Düsseldorf)