Ong CWM.
et al.
Epidemic and pandemic viral infections: impact on tuberculosis and the lung: A consensus
by the World Association for Infectious Diseases and Immunological Disorders (WAidid),
Global Tuberculosis Network (GTN), and members of the European Society of Clinical
Microbiology and Infectious Diseases Study Group for Mycobacterial Infections (ESGMYC).
Eur Respir J 2020;
56: 2001727
DOI:
10.1183/13993003.01727-2020
Im Zentrum der Übersichtsarbeit und 18 Konsensusstatements standen virale Infektionskrankheiten,
die vorrangig die Lunge betreffen und eine systemische Immunsuppression hervorrufen:
SARS (severe acute respiratory syndrome), MERS (Middle East respiratory syndrome),
HIV, Influenza A(H1N1)pdm/09 und COVID-19. Basis der Statements von Catherine Wei
Min Ong von der Nationalen Universität von Singapore und Kollegen war eine umfangreiche
Literaturrecherche und Auswertung, deren ausführliche Ergebnisse neben den Statements
in dem umfangreichen, frei verfügbaren Übersichtsbeitrag dargestellt sind.
18 Konsensusstatements
Ganz allgemein stellten die Experten fest:
-
Große Tröpfchen erhöhen das Risiko für virale Atemwegsinfektionen durch eine direkte
Übertragung.
-
Virale Atemwegsinfektionen treten häufiger bei älteren Patienten (mit und ohne Komorbiditäten)
und bei Kindern auf.
-
Ältere Patienten entwickeln mit höherer Wahrscheinlichkeit ein akutes Atemnotsyndrom
(acute respiratory distress syndrome, ARDS) als jüngere, und es gibt ein altersabhängiges
Sterberisiko.
-
Antikörper können Atemwegsviren neutralisieren und in der Folge das Risiko für wiederkehrende
Infektionen verringern.
COVID-19-spezifische Aspekte umfassen die folgenden konsentierten Statements:
-
Die Impfung mit Bacille Calmette-Guérin könnte einen Schutz gegen COVID-19 ermöglichen.
Dies muss in randomisiert-kontrollierten Studien belegt werden.
-
Eine schwere COVID-19-Erkrankung ist mit einer raschen Virusreplikation, einer massiven
Zellinfiltration der Lunge und einer erhöhten proinflammatorischen Zytokin/Chemokin-Antwort
assoziiert.
-
Eine hohe initiale SARS-CoV-2-Last in den Atemwegen, ein Alter über 65 Jahren und
Komorbiditäten der Infizierten sind mit einem ungünstigeren Verlauf von COVID-19 assoziiert.
Entsprechend sollte Patienten mit diesen Risikofaktoren besondere Beachtung geschenkt
werden.
-
Auf ein besonders hohes Risiko für eine Intensivpflichtigkeit weisen folgende Parameter
hin: Kombination von CT-Befunden (Milchglastrübung und Konsolidierungen), klinische
Atmungsparameter (SpO2 und PaO2/FIO2) und Bluttests (C-reaktives Protein, Lymphozytenzahlen, Fibrinogen, D-Dimere, Interleukin-6).
Interaktionen von Infektionen haben die folgenden Statements zum Thema:
-
Bei HIV-Infizierten ist die CD4-T-Zellzahl wesentlich für die Bestimmung der Ätiologie
der Lungeninfektion.
-
Eine durch eine TB induzierte zeitweise Immunsuppression kann die Anfälligkeit für
Influenzaviren erhöhen.
-
TB-Patienten weisen im Zusammenhang mit Influenza-Infektionen eine Exzess-Mortalität
auf.
Die weiteren Statements beziehen sich wieder auf das Management der COVID-19-Erkrankung
und die Infektionskontrolle auf Populationsebene:
-
Chloroquin und Hydroxychloroquin haben das Potenzial, die Erfolgsrate der COVID-19-Therapie
zu verbessern, was in randomisiert-kontrollierten Studien untersucht werden muss.
-
Öffentliche und soziale Distanzmaßnahmen reduzieren das Risiko für eine SARS-CoV-2-Übertragung.
-
Die geeignete Nutzung von Gesichtsmasken durch symptomatische Patienten und ihre Kontaktpersonen
(chirurgische Masken für die Allgemeinbevölkerung, N95 für im Gesundheitswesen Tätige,
wenn bei Aktivitäten Aerosole freigesetzt werden) reduzieren das SARS-Cov-2-Infektionsrisiko
durch die Minimierung der Verbreitung von Infektionskernen in Tröpfchen von isolierten
symptomatischen Patienten.
-
SARS-CoV-2 bleibt in der Umwelt auf verschiedenen Oberflächen über Tage hinweg infektiös.
-
Soziale Schutzmaßnahmen und spezifische nationale Notfallpläne können die durch Epidemien
und Pandemien von viralen Atemwegsinfektionen entstehenden Belastungen des Gesundheitswesens
und der Sozioökonomie reduzieren.
-
Stigmatisierung und soziale Diskriminierung betreffen alle Gruppen von Virusinfizierten,
aber ganz besonders Minderheiten.
-
Eine späte Einführung eines nationalen Lockdowns kann alleine effektiv sein, um die
Last von COVID-19 zu verringern, kann aber ernstzunehmende Einflüsse auf Gesellschaft
und Ökonomie haben.
Das Konsensuspapier stellt umfassend den aktuellen Kenntnisstand dar, der sich allerdings
rasch weiter entwickelt. Die Autoren verweisen auch auf die Konsequenzen der COVID-19-Krise:
Die dadurch zu erwartende ökonomische Krise wird die Möglichkeiten für das öffentliche
Gesundheitswesen limitieren, und es sind neue Strategien im Gesundheitswesen zu diskutieren.
In Ländern mit begrenzten Ressourcen drohen Unterernährung und eine Zunahme mangelernährungs-assoziierter
Erkrankungen wie der TB.
Friederike Klein, München