Von Kopf bis Fuß – Schmerzen besser erkennen und behandeln
In den letzten Jahren gab es viele neue Erkenntnisse und Entwicklungen auf dem Gebiet
der chronischen Schmerzerkrankungen. Das vorliegende Themenheft soll den Lesern diese
aktuellen Neuigkeiten der Nervenheilkunde praxisnah vermitteln. Wir haben das Thema
in 2 Teile aufgeteilt: Die neuropathischen Schmerzen wurden von den Mitarbeitern aus
Kiel und die Kopfschmerzerkrankungen von den Mitarbeitern aus Hamburg bearbeitet.
Mit einer Prävalenz von bis zu 10 % sind neuropathische Schmerzen ein wichtiges Krankheitsbild
und gelten als therapeutische Herausforderung. So leidet jeder fünfte Patient, der
eine schmerztherapeutische Spezialeinrichtung aufsucht, unter neuropathischen Schmerzen.
Basierend auf der 2019 erschienenen S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
(DGN) haben Manon Sendel und Dilara Kersebaum eine Reihe von Artikeln zusammengestellt,
die ein grundsätzliches Verständnis für Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen
vermitteln und mit klinischen Beispielen eine Orientierung für das praktische Vorgehen
geben sollen. Es lassen sich, je nach Befundlage, „sichere“, „wahrscheinliche“, „mögliche“
und „unwahrscheinliche“ neuropathische Schmerzen voneinander unterscheiden, dafür
vermittelt der Diagnostikteil dieses Artikels das Handwerk. Praktisch sind zudem die
Verweise auf eventuelle „Red Flags“: Beispielsweise sollten Sensibilitätsstörungen
im betroffenen Areal den Kliniker/die Klinikerin aufmerksam werden lassen: Liegt eine
symptomatische Trigeminusneuralgie vor?
Auch im Therapieteil, unterteilt in Erst-, Zweit- und Drittlinienmedikamente, werden
die Leser eine Vielzahl praktischer Hinweise finden, die einer Frustration im Falle
eines vermeintlichen Nichtansprechens vorbeugen und die Compliance begünstigen sollen.
So sollten Therapieziele klar formuliert werden: Eine Schmerzreduktion um ≥ 30 –50
% ist realistisch. Weiterhin werden verschiedene Schmerzsyndrome und Schmerzätiologien
sowie die Herausforderungen, die der Umgang mit ihnen birgt, vorgestellt, einige relevant
aufgrund ihrer Häufigkeit, wie von Sophie-Charlotte Fabig diskutiert, andere aufgrund
ihrer Seltenheit, über die Janne Gierthmühlen berichtet. Als zweithäufigste Ursache
für Berufsunfähigkeit in Deutschland stellt der Rückenschmerz ein Mischbild aus nozizeptiver
und neuropathischer Schmerzkomponente dar, worauf von Josephine Lassen näher eingegangen
wird. Die Leser finden auch hier „Red Flags“, mögliche Ätiologien und Therapiemöglichkeiten,
die ihnen den Umgang mit diesem „Mixed-Pain“- Syndrom erleichtern werden. Der CME-Artikel
zum CRPS stellt Epidemiologie, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie dezidiert
dar und ist somit eine herausragende Möglichkeit, sich Wissen und Kompetenz zu dem
früher u. a. als M. Sudeck oder Kausalgie bekannten Syndrom anzueignen. Wertvolle,
klinische Erfahrungen der spezialisierten Autoren mit Abbildungen vermitteln den Lesern
Informationen, die über das klassische Lehrbuchwissen hinausgehen.
Kopfschmerzerkrankungen sind das tägliche Brot für Neurologen und Nervenärzte. In
bis zu 80 % der Fälle handelt es sich um primäre Kopfschmerzsyndrome (Migräne, trigemino-autonome
Kopfschmerzen (TAK) und Spannungskopfschmerzen (SKS). Wichtig ist die Medikamentenanamnese,
um einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz (MIKS) nicht zu übersehen. Genau diese
3 Themengebiete werden in den Übersichtsarbeiten in diesem Themenheft exzellent aufgearbeitet.
Bei allen steht der Kliniker und die Aktualität im Vordergrund, was für die Migräne
seit der Verschreibungsfähigkeit von CGRP-Antikörpern sehr wichtig ist. Darüber referiert
Ruth Ruscheweyh. Wann soll man Antikörper verschreiben, welche Therapien müssen vorher
versucht worden sein, mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen? Die Frage wie lange
man therapieren muss ist genauso wichtig wie das Aufzeigen von Alternativen. Bei den
trigemino-autonomen Kopfschmerzen mit dem Clusterkopfschmerz als wichtigsten Vertreter
gibt es ebenfalls Neues.
Die Beschreibung der indometacinsensitiven Syndrome in der Abgrenzung ist gerade für
den Kliniker wichtig und wird von Christian Ziegeler und Kuan-Po Peng beschrieben.
Man würde erwarten, dass auch hier die CGRP-Antikörper Mittel der Wahl seien, aber
die Studienlage ist uneinheitlich. Das führte dazu, dass die europäische Zulassungsbehörde
diese Medikamentenklasse nicht für die Behandlung von Clusterkopfschmerz zugelassen
hat, obwohl wir gerade für diese schreckliche Kopfschmerzvariante so dringend neue
Therapien brauchen und Fallserien die Wirksamkeit zumindest bei einigen Patienten
nahelegen. Das dritte Review von Zaza Katsarava beschäftigt sich mit der Diagnose
und Therapie des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes- eine Variante der chronischen
Migräne die besonders schwer zu behandeln ist. Etwa 1 % der Bevölkerung leidet an
dem Problem und die Dringlichkeit wird schon dadurch deutlich das bis zu 10 % der
Patienten in einer Spezialambulanz wegen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes
vorstellig werden. Meist besteht bereits eine primäre Kopfschmerzerkrankung, aufgrund
derer der Medikamentenübergebrauch initial erfolgte. Während der Analgetikaübergebrauch
häufig zu einem dumpfdrückenden, dem Spannungskopfschmerz ähnlichen Schmerz führt,
kommt es unter Triptanen entweder zu einem migräneartigen, pochenden Dauerschmerz
oder zur Häufung der Attacken. Therapeutisch hilft nur die konsequente Reduktion der
Schmerzmittel. Wann soll man einen ambulanten Entzug oder einen stationären Entzug
empfehlen, ist die Gabe von Kortison sinnvoll, was sind Prädikatorten für die Chronifizierung?
Wir lernen jedes Jahr mehr zu diesem im klinischen Alltag sehr häufigen Problem und
der Stand des Wissens wird hier gerade für den klinisch tätigen Arzt sehr gut zusammengefasst.
Wir hoffen, dass in unserer Auswahl für jeden Leser etwas Neues dabei ist und wünschen
viel Spaß beim Durcharbeiten.
Ralf Baron, Kiel, und Arne May, Hamburg