Aktuelle Rheumatologie 2021; 46(02): 97-98
DOI: 10.1055/a-1295-3548
Editorial

Editorial Risikostratifizierung

Editorial Risk stratification
Peter Oelzner
 

    Nahezu alle entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind gekennzeichnet durch eine große Variabilität der Schwere des Krankheitsverlaufs mit entsprechend differenter Prognose. Auch das Ansprechen auf die wachsenden therapeutischen Interventionsmöglichkeiten ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Ferner sind individuelle Risikofaktoren bedeutsam für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Therapienebenwirkungen. Risikostratifizierung zielt auf das frühzeitige Erkennen von Risiken für schwere Krankheitsverläufe, Entwicklung bedrohlicher Organmanifestationen, Therapieresistenz und Therapienebenwirkungen und die Ableitung entsprechender Konsequenzen für Diagnostik und Therapie.


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    Peter Oelzner

    Bei der Rheumatoiden Arthritis (RA) ist aufgrund des variablen Verlaufs der Erkrankung und häufiger Komorbiditäten eine Risikostratifizierung besonders für therapeutische Entscheidungen von Bedeutung. Sowohl Risiken für Therapieresistenz als auch für unerwünschte Ereignisse müssen berücksichtigt werden, um die Therapie so wirksam wie nötig und so verträglich wie möglich zu gestalten. Risikofaktoren für Therapieversagen, und schwere Infektionen bei RA werden von Katinka Albrecht, Anne Regierer und Anja Strangfeld dargestellt. Basierend auf den aktuellen Erkenntnissen geben die Autorinnen Praxis-relevante Empfehlungen für eine Differenzialtherapie der RA bei Infektions- und Malignomanamnese, kardiovaskulärer Komorbidität und in Abhängigkeit von der Lebenssituation. Der Therapieentscheidung sollte immer eine individuelle Risiko-Nutzen-Analyse zugrunde liegen. Neben der Suppression der Entzündung ist die Verhinderung struktureller Schäden am Gelenk, welche mit dem Ausmaß des funktionellen Defizits assoziiert sind, ein wichtiges Therapieziel bei RA. Aktuelle Aspekte zur Messung der radiologischen Progression bei RA werden von Alexander Pfeil und Koautoren dargestellt.

    Bei Patienten mit Kollagenosen und systemischen Vaskulitiden dient die Risikostratifizierung einer frühzeitigen Identifizierung von Patienten mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung schwerer Organmanifestationen mit potenziell ungünstiger Prognose im Hinblick auf Mortalität und Verlust von Organfunktionen. Die Risikostratifizierung soll somit dazu beitragen, diese Patienten einer rechtzeitigen am zu erwartenden Krankheitsverlauf adaptierten Therapie zuzuführen. Dies muss zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem durch konsequente therapeutische Intervention irreversible Schäden vermieden oder zumindest begrenzt werden können.

    Schwere und Prognose-bestimmende Organmanifestationen bei Systemischer Sklerose (SSc) sind interstitielle Lungenerkrankung (ILD), pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH), renale Krise und kardiale Beteiligung. Digitale Ulcerationen tragen wesentlich zur Minderung von Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit bei. Die genannten SSc-Manifestationen weisen differente und typische Assoziationen mit demographischen Faktoren, klinischen Befunden und unterschiedlichen SSc-spezifischen Autoantikörpern auf, welche für die Risikostratifizierung genutzt werden können. Für SSc-ILD und PAH ist außerdem eine Risikostratifizierung für einen progredienten Verlauf bzw. eine erhöhte 10-Jahresmortalität möglich, welche die Basis für eine differenzierte Therapie liefert.

    Risikofaktoren eines ungünstigen Verlaufs der Lupus-Nephritis (LN) sind initiale irreversible Nierenfunktionseinschränkung im Zusammenhang mit irreversiblen chronischen Läsionen in der Nierenbiopsie, unzureichend kontrollierte arterielle Hypertonie, ausgeprägte initiale Proteinurie, männliches Geschlecht sowie eine fehlende Reduktion der Proteinurie auf < 0,5–0,8 g/d innerhalb von 12 Monaten nach Beginn der Remissionsinduktion. Frühestmögliche Diagnose und Therapie sowie Reinduktion bei ausbleibender Remission können entscheidend zur Minimierung des Risikos beitragen.

    Trotz Verbesserung der Prognose infolge früherer Diagnosestellung und einer an die Krankheitsschwere adaptierten Therapie bleibt die Mortalität bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV) erhöht und nicht wenige Patienten entwickeln chronische Schäden. Im Rahmen der Risikostratifizierung bei AAV sind Risikofaktoren für schwere Krankheitsverläufe mit erhöhter Mortalität und für die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz, für Rezidive, schwere Infektionen und Malignome zu unterscheiden, welche im Sinne einer Risikominimierung bei der Betreuung von AAV-Patienten genutzt werden können.

    Wichtige Aspekte der Risikostratifizierung bei SSc, LN und AAV werden von Peter Oelzner und Gunter Wolf dargestellt.

    Chronische Schmerzen sind ein potenzielles Problem bei allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Neben der Therapie mit Krankheits-modifizierenden Substanzen ist daher die analgetische Pharmakotherapie bei vielen Patienten zumindest als Bedarfsmedikation notwendig. Aufgrund des spezifischen Nebenwirkungspotenzials der verschiedenen Substanzgruppen sowie der hohen Rate an Komorbiditäten bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist eine Risikostratifizierung mit dem Ziel eines differenzierten und nebenwirkungsarmen Einsatzes von Analgetika sehr wichtig. Aspekte des gastrointestinalen, kardiovaskulären, renalen und hepatischen Risikos von NSAR und Coxiben, Risiken anderer Substanzgruppen, Besonderheiten der Analgetika-Therapie in der Schwangerschaft sowie Strategien zur Risikominimierung der Analgetika-Therapie werden von Thorsten Eidner und Koautoren dargestellt.

    Mit den interdisziplinär unter Mitarbeit von Rheumatologen, Pharmakoepidemiologen und Nephrologen entstandenen Beiträgen möchten wir einen Überblick zur Risikostratifizierung ausgewählter Problemfelder der Rheumatologie geben, der im Interesse unserer Patienten helfen soll, gefährdende Risikokonstellationen vor Entstehung von Schäden frühzeitig zu erkennen und ungünstige Folgen durch aktives Handeln zu vermeiden.

    Im Namen der Autoren, Ihr Prof. Dr. med. Peter Oelzner


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    Interessenkonflikt

    Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

    Korrespondenzadresse

    Prof. Dr. med. Peter Oelzner
    Klinik für Innere Medizin III
    FB Nephrologie/Rheumatologie & Osteologie/Endokrinologie & Stoffwechselerkrankungen
    Am Klinikum 1
    07740 Jena

    Publication History

    Article published online:
    08 April 2021

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    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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