I. Einleitung
Die ambulante vertragsärztliche Versorgung ist nach wie vor geprägt durch den niedergelassenen
Vertragsarzt, der seine Tätigkeit in „freier Praxis“ auszuüben hat (vgl. § 98 Abs. 2
Nr. 13 SGB V, § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV). Die vertragsärztliche Zulassung ist damit weiterhin
Ausgangspunkt jeder Gründungsentscheidung im Vertragsarztrecht. Das Leitbild des zugelassenen
Vertragsarztes ist jedoch durch die Einführung von Medizinischen Versorgungszentren
(MVZ), die auch durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer
und in anderen Rechtsformen als Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) nach § 33 Abs. 2
und 3 Ärzte-ZV gegründet werden können (vgl. § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V), eingeschränkt
worden. Soweit MVZ jedoch nicht durch Vertragsärzte gegründet werden, bei denen bereits
das ärztliche Berufsrecht die ausschließliche Beteiligung berechtigter Gründer garantiert[1], stellt sich insbesondere für Krankenhäuser nach §§ 107, 108 SGB V und für Erbringer
nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3 SGB V die Frage, ob neben deren
Zulassung auch deren innere Struktur dafür maßgeblich ist, ob diese zur Gründung von
MVZ berechtigt sind und welche Rechte diesen gegenüber den MVZ-Trägergesellschaften
zustehen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte mit Urteil vom 19.08.2020[2] darüber zu entscheiden, ob die Beteiligung von Apothekern an einer MVZ-Trägergesellschaft
im Rahmen einer sog. Strohmannkonstruktion als Abrechnungsbetrug zulasten der Kassenärztlichen
Vereinigung (KV) zu bewerten ist. In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt
war ein Apotheker verdeckt an der Trägergesellschaft eines MVZ beteiligt. Unter einem
Strohmann versteht man ein Rechtssubjekt, das bei Geschäften oder sonstigen Rechtshandlungen
für eine andere Person (Hintermann) auftritt, die selbst nicht in Erscheinung treten
will, kann oder darf. Die Entscheidung des BGH gibt Anlass dazu, die Möglichkeiten
und Grenzen der Beteiligung an MVZ auf Träger- und Gründerebene genauer zu beleuchten,
denn unzulässige Vertragsgestaltungen sind nicht nur vertragsarztrechtlich und zivilrechtlich
unzulässig, sondern können auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
II. Die rechtliche Organisation des MVZ im Überblick
Für das Verständnis ist in diesem Zusammenhang zunächst bedeutsam, dass bei MVZ, anders
als bei BAG, grundlegend zwischen der Gründerebene, der Trägerebene und der Betriebs-
bzw. Zulassungsebene zu unterscheiden ist. Diese drei Ebenen sind durch folgende Handlungsbereiche
gekennzeichnet: Der Gründer stellt die rechtliche Einheit dar, die die Gesellschaft
bzw. rechtliche Organisationsform gründet (Gründerebene); diese wiederum betreibt
dann das MVZ (Trägerebene). Die Betriebs- bzw. Zulassungsebene beschreibt die Organisation
des MVZ und die beim Betrieb zu beachtenden rechtlichen Anforderungen.[3] Diese drei Ebenen sind grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen; sie stehen
dabei jedoch miteinander in Wechselwirkung.
Das MVZ ist eine besondere Organisations- und Kooperationsform im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung.[4] Es selbst ist Träger der Zulassung und Adressat der Anstellungsgenehmigung im Rahmen
des Vertragsarztrechts, nicht jedoch die jeweilige Trägergesellschaft, die das MVZ
betreibt.[5]
III. Historische Entwicklung
Die Kooperationsform des MVZ hat sich seit seiner Einführung über die Jahre hinweg
erheblich gewandelt. Während zum Zeitpunkt seiner Einführung im Jahre 2003 durch das
GKV-Modernisierungsgesetz[6] neben Vertragsärzten noch ein sehr weiter Kreis von Leistungserbringern gründungsberechtigt,
die zulässigen Organisationsformen kaum eingeschränkt und eine fachübergreifende Kooperation
vorgeschrieben war, modifizierte der Gesetzgeber das Konzept des MVZ bis heute immer
wieder. Insbesondere der Gründerkreis wurde schrittweise eingeschränkt, da nach der
Begründung des Gesetzgebers die Gefahr bestehe, dass sich Dritte an den MVZ beteiligen,
die ausschließlich wirtschaftliche Interessen mit dem Betrieb eines MVZ verfolgen
würden. Insbesondere wird bei Investoren die Gefahr gesehen, „dass medizinische Entscheidungen von Kapitalinteressen beeinflusst werden.“[7]
Mit dem GKV-VStG[8] aus dem Jahre 2011 wurden daher sowohl der Gründerkreis als auch die rechtlich zulässigen
Organisationsformen weiter eingeschränkt. Während man mit dem GKV-VSG[9] im Jahr 2015 das Erfordernis des fachübergreifenden Charakters aufhob, beschränkte
der Gesetzgeber im Jahr 2019 durch das TSVG[10] die Befugnis zur Gründung von MVZ durch Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen
sowie durch Krankenhäuser noch weitgehender.
IV. Wesentliche Unterschiede der Gründer in Bezug auf die MVZ-Gründungsbefugnis
MVZ können gemäß § 95 Abs. 1a SGB V unter anderem von zugelassenen Ärzten, zugelassenen
Krankenhäusern und Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Abs. 3
SGB V (im Folgenden abgekürzt: näD) gegründet werden. Die nachfolgende Darstellung
beschränkt sich auf diese vorgenannten berechtigten Gründer, weil diese neben Vertragsärzten
den größten Anteil der MVZ-Gründer darstellen.[11]
Zugelassene Ärzte sind nach § 95 Abs. 1a SGB V – im Gegensatz zu zugelassenen Krankenhäusern
und näD – ohne Einschränkung zur Gründung von MVZ berechtigt. Hierbei handelt es sich
um natürliche Personen, welche ohnehin schon aufgrund ihrer Zulassung an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmen.
NäD und zugelassene Krankenhäuser erhalten erst durch die Gründung von MVZ Zugang
zur vertragsärztlichen Versorgung, da sie primär im Bereich der Hilfsmittelversorgung
bzw. im stationären Bereich tätig sind. Aufgrund ihrer Organisationsstruktur als juristische
Personen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass sich auf der Gründerebene natürliche
oder juristische Personen, welche selbst nicht zur Gründung von MVZ nach § 95 Abs. 1a
SGB V berechtigt sind, an diesen beteiligen. Dies ist bei zugelassenen Ärzten – als
natürliche Personen – der Natur der Sache nach ausgeschlossen. Vertragsärzte sind
auch innerhalb von MVZ-Strukturen an das ärztliche Berufsrecht gebunden. Dieses findet
aber weder auf das MVZ selbst noch auf die anderen genannten Leistungserbringer als
berechtigte Gründer Anwendung.[12]
Im Rahmen des TSVG im Jahre 2019 wurde zum einen die Gründungsbefugnis der näD beschränkt.
Diese sind nach § 95 Abs. 1a S. 2 HS 1 SGB V nur noch zur Gründung von sog. „fachbezogenen“
MVZ berechtigt. Wie weit oder eng dieser Fachbezug zu verstehen ist, ist im Einzelfall
streitig.[13] Diese Beschränkung der Gründungsbefugnis stellt gleichzeitig durch § 95 Abs. 6 S. 3
SGB V eine Beziehung zur Betriebsebene her, wenn ein nach dem Inkrafttreten des TSVG
gegründetes MVZ sein Versorgungsangebot erweitert. Dieser regelt:
„Einem medizinischen Versorgungszentrum ist die Zulassung auch dann zu entziehen,
wenn die Gründungsvoraussetzungen des Absatzes 1a Satz 1 bis 3 länger als sechs Monate
nicht mehr vorliegen.“
Bei zugelassenen Krankenhäusern handelt es sich um solche nach §§ 107, 108 SGB V,
also Einrichtungen, die den Krankenhausbegriff nach § 107 SGB V erfüllen und die über
eine Zulassung nach § 108 SGB V verfügen. Dies sind solche Krankenhäuser, die nach
landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt sind (Nr. 1), Plankrankenhäuser
(Nr. 2) und Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der
Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben (Nr. 3). Ihre
Gründungsbefugnis wurde nun ausschließlich hinsichtlich zahnärztlicher MVZ durch das
TSVG beschränkt. Ein zahnärztliches MVZ kann von diesen seither nur noch dann gegründet
werden, wenn dies aus Versorgungsgesichtspunkten (Versorgungsanteil und Versorgungsgrad)
erforderlich ist (§ 95 Abs. 1b SGB V).
V. Urteil des BGH vom 19.08.2020
In dem Urteil des BGH[14] strebte ein Apotheker (Angeklagter Z), der seit der Beschränkung der Gründungsbefugnis
im Jahr 2012 nicht mehr zur Gründung von MVZ berechtigt war, zur Steigerung des Absatzes
der von ihm vertriebenen Arzneimittel die Beteiligung an einem MVZ an. Gemeinsam mit
seinem Rechtsberater entwickelte er die Idee, die gesetzlichen Vorgaben dadurch zu
umgehen, dass er über einen Arzt als „Strohmann“ Anteile an einem MVZ erwirbt. Ein
niedergelassener Vertragsarzt, der Angeklagte D, erklärte sich bereit, „auf dem Papier“
die Funktion eines Gesellschafters einer MVZ-Trägergesellschaft des Angeklagten F
zu übernehmen. Der Angeklagte D sollte seine Gesellschafterrechte ausschließlich gemäß
den Anweisungen des Angeklagten Z ausüben. Z finanzierte den Erwerb der Geschäftsanteile
und stellte D von sämtlichen mit der Beteiligung verbundenen unternehmerischen Risiken
frei. Hierfür erhielt D eine Vergütung in unbekannter Höhe. Er verpflichtete sich,
an Z die Gewinne aus dem Betrieb des MVZ abzuführen. Nach dem Erwerb der Gesellschaftsanteile
durch D kam es zu deutlichen Umsatzsteigerungen in der Apotheke des Z, die insbesondere
auf Verordnungen von Ärzten dieses MVZ beruhten.
Der BGH befand den Angeklagten Z des banden- und gewerbsmäßigen Betruges zulasten
der Kassenärztlichen Vereinigung für schuldig, da ein Fall des Gestaltungsmissbrauchs
anzunehmen sei. Die vorgegebenen formalen Verhältnisse entsprächen nicht den tatsächlichen
Gegebenheiten und seien daher gänzlich nicht abrechenbar.[15] Nach den Feststellungen des BGH war der Angeklagte D ein bloßer „Strohmann“, während
tatsächlich der Angeklagte Z die Funktion eines Gesellschafters der MVZ-Trägergesellschaft
innehatte. Der KV sei insoweit ein Schaden entstanden, obwohl tatsächlich Patienten
behandelt wurden.
Die vertragsarztrechtlich unzulässige Gestaltung fand in dem dem Urteil zu Grunde
liegenden Sachverhalt auf der Trägerebene des MVZ statt.
VI. Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung auf Träger- und Gründerebene
Das BGH-Urteil vom 19.08.2020 illustriert die Grenzen, die den Möglichkeiten der Beteiligung
auf Trägerebene eines MVZ gesetzt sind. Nur berechtigte Gründer nach § 95 Abs. 1a
SGB V dürfen Gesellschafter der Trägergesellschaft eines MVZ sein. Nur dann liegt
eine formal zulässige Gestaltung vor, welche es ermöglicht, die im MVZ erbrachten
Leistungen auch gegenüber der KV abzurechnen.
Darüber hinaus ist einem MVZ gemäß § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V allerdings auch dann die
Zulassung zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen länger als sechs Monate
nicht mehr vorliegen.
Zum Teil wird bereits die Übertragung von Anteilen an einer MVZ-Trägergesellschaft
an einem nichtberechtigten Gründer als ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot gemäß
§ 134 BGB i. V. m. § 95 Abs. 1a SGB V und damit als unwirksam angesehen.[16] Eine solche Auslegung des Gesetzes ist jedoch fragwürdig: Ein Verbot ist dadurch
gekennzeichnet, dass nach Auslegung der Norm ein bestimmtes Rechtsgeschäft schlechterdings
nicht vorgenommen werden soll.[17] Näher liegt es jedoch, dass sich aus § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V „ein anderes ergibt“ im Sinne des § 134 BGB, sodass das Geschäft nicht nichtig ist. Denn das Sozialrecht
sanktioniert den Verstoß gegen die Gründungsvoraussetzungen gesondert. Folge hiervon
ist lediglich die Entziehung der Zulassung und das auch erst dann, wenn die Gründungsvoraussetzungen
sechs Monate nicht mehr vorliegen (vgl. den obigen Wortlaut).[18] Insoweit bestimmt das Sozialrecht selbst eine abweichende Folge, „ein anderes“, auf Grund dieses Verstoßes. Dies soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter vertieft
werden.
1. Grenzen der Beteiligung an berechtigten Gründern
Soweit die Beteiligung von nichtberechtigten Gründern an einem berechtigten Gründer,
wie einem zugelassenen Krankenhaus oder einem näD, im Sinne des § 95 Abs. 1a S. 1
SGB V in Rede steht, ist diese Lösung jedoch weniger eindeutig und wurde durch die
Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden. Wie mit dieser Situation umgegangen
werden könnte, wird im Folgenden aufgezeigt:
Zum Teil wird die Beteiligung an berechtigten Gründern kritisiert oder unter Berücksichtigung
bestimmter Voraussetzungen für unzulässig erachtet. Unter Hinweis auf den oben dargelegten
Willen des Gesetzgebers im Jahre 2011 wird teilweise allein nach dem Umfang der Beteiligung
differenziert. Eine Mehrheitsbeteiligung soll ohne weiteres zulässig sein. Eine Minderheitsbeteiligung
sei hingegen dann unzulässig, wenn diese lediglich als Vehikel zum Betrieb eines MVZ
dient und der Betrieb sowie das unternehmerische Risiko aufgrund der konkreten vertraglichen
Gestaltung faktisch allein beim Investor liegt. Dies sei immer eine Frage des Einzelfalls.[19]
Zum Teil wird aber auch nicht nach dem Umfang der Beteiligung, sondern ausschließlich
nach Wertungsgesichtspunkten differenziert. Eine Beteiligung sei dann unzulässig,
wenn der berechtigte Gründer ein bloßer Strohmann des Hintermanns sei. Dies sei danach
zu werten, ob der berechtigte Gründer zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse
als Antragsteller vorgeschoben wird, das MVZ bei wertender Betrachtung aber von einem
anderen betrieben wird. Dies sei nur dann der Fall, wenn eine genaue Analyse der Innenbeziehungen
zeige, dass der Antragsteller ohne eigene unternehmerische Tätigkeit nur als Marionette
des Hintermanns am Geschäftsleben teilnimmt.[20]
Einer derartigen Auslegung des Gesetzes kann jedoch entgegengehalten werden, dass
sie grundlegenden verfassungsrechtlichen Anforderungen widerspricht und sie – jedenfalls
seit Inkrafttreten des TSVG – nicht mit dem ausgeformten Willen des Gesetzgebers in
Einklang zu bringen ist. Probleme ergeben sich insbesondere mit Blick auf den Vorbehalt
des Gesetzes.
2. Vorbehalt des Gesetzes
Ein jeder Rechtseingriff bedarf einer rechtlichen Grundlage, Art. 20 Abs. 3 Hs. 2
GG. Aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgt für die vollziehende Gewalt das verfassungsrechtliche
Verbot, ohne wirksam gewordene gesetzliche Grundlage tätig zu werden.[21] Dieser Vorbehalt des Gesetzes gilt einfachgesetzlich auch im Sozialrecht gemäß § 31
SGB I.[22]
Soweit man also eine Beteiligung an einem berechtigten Gründer als unzulässig erachtet,
was die Entziehung oder Versagung der Zulassung eines MVZ zur Folge hätte, bedarf
es hierfür einer rechtlichen Grundlage. Im Hinblick auf das Zulassungsrecht kommt
eine teleologische Auslegung des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V in Betracht – eine Auslegung
anhand des Sinns und Zwecks der Regelung. Zu klären ist, ob § 95 Abs. 1a SGB V eine
ausreichende gesetzliche Grundlage dafür bietet, die Zulassung zu entziehen, soweit
sich nicht berechtigte Gründer an berechtigen Gründern beteiligen. Angesichts der
Klarheit des Wortlauts des § 95 Abs. 1a SGB V ist eine derartige Auslegung eher nicht
anzunehmen. Diese Vorschrift bestimmt eindeutig, dass näD oder zugelassene Krankenhäuser
zur Gründung von MVZ berechtigt sind. Eine Anreicherung des Gesetzes mit derart weitreichenden
Anforderungen oder auch Billigkeitserwägungen findet keine Wortlautanknüpfung.
Selbst wenn man also aufgrund der Gesetzesbegründung einen Willen des Gesetzgebers
bejaht, die Berechtigung zur Gründung von MVZ zu begrenzen, muss dieser hierfür selbst
eine rechtliche Grundlage schaffen. Grundrechtswesentliche Entscheidungen sind durch
den Gesetzgeber und nicht durch die Verwaltung zu treffen (Wesentlichkeitstheorie).[23] Die Zulassungsentziehung als erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12
Abs. 1 GG stellt eine solche wesentliche Entscheidung dar.
Zudem liegt auch kein unbestimmter Rechtsbegriff – also ein Begriff, der nicht aus
sich heraus verständlich ist, sondern einen weiten Spielraum zur Interpretation zulässt
– vor, welcher zumindest den Anwendungsbereich der Lehre vom Beurteilungsspielraum
eröffnen würde; was wiederum unter der Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG nur
eingeschränkt zulässig ist.[24] Auch eine richterliche Rechtsfortbildung scheidet dann aus, wenn sich der Richter
über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzen würde und dadurch Rechtspositionen
verkürzt werden.[25]
Wie bereits dargelegt lässt der aktuelle Wortlaut des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V keinen
Spielraum für zusätzliche Anforderungen an die gesellschaftsrechtliche Struktur der
berechtigten Gründer. Dieser bestimmt (Hervorhebung durch die Verfasser):
„Medizinische Versorgungszentren können von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher
Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3, von anerkannten Praxisnetzen nach § 87b Absatz 2 Satz 3, von gemeinnützigen Trägern,
die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden.“
3. Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers
Das mit Erlass des GKV-VStG von 2011 erklärte Ziel, die ambulante Versorgung von Investoren
freizuhalten, kann daher als nicht konsequent umgesetzt bezeichnet werden.[26] Denn schon im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Jahre 2011 hatte der Freistaat
Bayern gefordert, Regelungen aufzunehmen, welche verhindern, dass ein MVZ-Gründer
eine marktbeherrschende Stellung erlangt.[27] Stattdessen nahm man im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zusätzlich die näD in
den Kreis der berechtigten Gründer auf.
Selbst wenn man einen solchen Willen des Gesetzgebers annimmt, hat sich dieser mittlerweile
darauf hin geformt bzw. beschränkt, die Investorentätigkeit bei der Gründung von MVZ
allenfalls zu lenken. Der Gesetzgeber weiß um die komplexen Beteiligungsstrukturen,
welche teilweise im Kontext von MVZ Gründungen bestehen.[28]
Vom Bundesrat als problematisch vorgetragen wurde insbesondere:
„In immer mehr Bereichen der ambulanten ärztlichen Versorgung bilden sich konzernartige
Strukturen aus, oft in der Hand renditeorientierter Unternehmen. In manchen Regionen,
besonders in Ballungsräumen, sind alle oder ein Großteil der Arztsitze einer Fachgruppe
in der Hand desselben Konzerns. Es besteht die Gefahr der Monopolisierung und damit
der Verschlechterung der Patientenversorgung.“[29]
Der Gesetzgeber begrenzte jedoch im Zuge des TSVG sodann lediglich formal die Gründungsbefugnis
der näD und zugelassenen Krankenhäuser und zwar vor dem erklärten Ziel, den
„Einfluss von Kapitalinvestoren ohne medizinisch-fachlichen Bezug zur vertragsärztlichen
Versorgung auf die Versorgungsstrukturen zu begrenzen“[30].
Eingedenk dessen verzichtete der Gesetzgeber also darauf, an die inneren gesellschaftsrechtlichen
Strukturen der berechtigten Gründer weitergehende Anforderungen zu stellen. Vielmehr
übte er seine Einschätzungsprärogative zum Beispiel im Bereich von zahnärztlichen
MVZ dahingehend aus, eine Gründung eines MVZ vom Versorgungsanteil und Versorgungsgrad
im Planbereichs des jeweiligen Krankenhauses abhängig zu machen. Der Gesetzgeber beschränkt
sich somit auf eine marktlenkende Funktion unter besonderer Berücksichtigung von Versorgungsgesichtspunkten.
Der Gesetzgeber hat sich nach alledem nicht generell gegen Investorentätigkeit im
Rahmen der Gründung von MVZ gewandt, sondern als Ziele die Aufrechterhaltung der freien
Arztwahl durch Verhinderung der Monopolisierung, die Begrenzung der ärztlichen Versorgung
auf Ballungsgebiete bzw. die Aufrechterhaltung der Versorgung im ländlichen Bereich
und die allgemeine Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung
durch die Begrenzung des Einflusses von Kapitalinteressen auf ärztliche Entscheidungen
verfolgt.
Angesichts des jedenfalls nach Erlass des TSVG eindeutig geformten und durch die Überarbeitung
des § 95 Abs. 1a, 1b SGB V zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, besteht
für eine weitergehende teleologische Auslegung des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V wenig Raum.
Soweit der Gesetzgeber eine weitergehende Beschränkung für erforderlich halten sollte,
müsste dies zukünftig durch weitere Reformvorhaben geschehen.
VII. Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass den Beteiligungsmöglichkeiten an MVZ auf
Ebene der Trägergesellschaft erhebliche Grenzen gesetzt sind. Diese wurden durch die
Rechtsprechung hinreichend konturiert und sind auch im Gesetz niedergelegt. Demgegenüber
steht jedoch eine weitreichende Beteiligungsmöglichkeit an MVZ auf der Gründerebene,
insbesondere bei zugelassenen Krankenhäusern und näD. Zwar wurde die Gründungsbefugnis
von MVZ im Verlaufe der letzten Jahre immer weiter beschränkt. Hieraus lassen sich
jedoch keine rechtlich verbindlichen Schlüsse auf weitergehende Anforderungen an die
innere gesellschaftsrechtliche Struktur von berechtigten Gründern ziehen. Es bleibt
daher abzuwarten, ob die derzeitigen Beschränkungen der Gründungsbefugnis das Ende
dieser Entwicklung darstellen.
Der Bundesrat schlug im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des TSVG zur weitergehenden
Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern die Aufnahme eines räumlich-regionalen
Bezuges zum Krankenhausstandort, einen fachlichen Bezug des Krankenhauses zum Versorgungsauftrag
des MVZ sowie eine Verpflichtung zur Erfüllung des gesamten Versorgungsauftrages des
jeweiligen Fachgebiets vor.[31] Von der Aufnahme dieser im Vergleich zum Status quo weitergehenden Beschränkungen
sah der Gesetzgeber bisher jedoch im humanmedizinischen Bereich ab, sondern hat Einschränkungen
von zur Gründung berechtigten Krankenhäusern durch das TSVG nur bei zahnärztlichen
MVZ vorgenommen.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
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