Aktuelle Dermatologie 2020; 46(11): 459-460
DOI: 10.1055/a-1248-7092
Editorial

Anaphylaxie – ein weites Feld

Anaphylaxis – A Wide Range
C. Bayerl
 
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Prof. Dr. med. Christiane Bayerl

Die Zeit der Anaphylaxien auf Hymenopteren und die Saison der Stichprovokationen haben wir nun hinter uns gelassen. Aber es gibt ja noch mehr zu Anaphylaxien zu berichten – es ist mit Fontane gesprochen „ein weites Feld“.

Bei der Medikamenten-induzierten Anaphylaxie ist die Mortalität höher als bei Nahrungsmittel- und Insektengiftanaphylaxien. Kardiovaskuläre Symptome treten häufiger auf. Die Verläufe können therapierefraktär verlaufen, sodass eine 2-malige Adrenalingabe notwendig wird. „Drug naive“ Patienten“, die zuvor nie Kontakt mit dem Inhaltsstoff eines Medikamentes hatten, können dennoch über Kreuzreaktionen Anaphylaxien entwickeln [1] [2]. Neben den „klassischen“ IgE-vermittelten Reaktionen haben wir IgE-unabhängige Mechanismen kennengelernt, z. B. G-Protein (MRG-PX, Mast-Zell related G-Protein auf der Oberfläche von Mastzellen)-vermittelte Reaktionen, über die wir uns die Anapyhlaxien auf Fluorchinolone, Opioide, Röntgenkontrastmittel und neuromuskuläre Muskelrelaxantien erklären. Über Aktivierung des Komplement-Weges läuft die Komplementaktivierungs-abhängige Pseudoallergie (CARPA) mit Bindung an Komplementrezeptoren auf der Mastzelle, für die als Beispiel Anaphylaxien auf Polyethylenglycol, auf Paclitaxel oder nach der intravenösen Gabe von Eisen aufzuführen sind [1] [2].

In der Schwangerschaft werden Hauttestungen möglichst vermieden. Anaphylaxien sind in der Schwangerschaft selten, aber gefürchtet, da sie mit Blutdruckabfall der Mutter, mit intrapartaler Asphyxie des Kindes bis hin zu hypoxischer Hirnschädigung enden können. Bei einer Multigravida wurde eine Sektion in der 37. Schwangerschaftswoche geplant. Ein Cephalosporin der zweiten Generation, Cefotetan, war zuvor mehrfach gut vertragen worden. Medikamentenallergien waren nicht bekannt. Es erfolgte eine Testung von Cefotetan 1:100 am Unterarm. Innerhalb von Sekunden traten Urtikaria, Dyspnoe und Erbrechen bei der Mutter und eine Bradykardie beim Kind auf. Sauerstoff, Antihistaminika, Hydrokortison wurden gegeben, Epinephrin wurde nicht eingesetzt. Es folgte eine Notfall-Sektio in Intubationsnarkose. Das Neugeborene zeigte einen Apgar von 5, der sich nach 5 min auf einen Apgar 8 besserte. Die Mutter wurde internsiv-medizinisch versorgt und erholte sich ebenfalls. Die Inzidenz von Cefotetan-Anaphylaxien bei prophylaktischer Gabe bei Kaiserschnitt wird mit 1,4 % angegeben; Daten zu Anaphylaxien bei der Hauttestung mit dieser Substanz liegen nicht vor. Es bleibt unklar, warum der Hauttest erfolgte (Kasuistik Korea) [3]. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel für eine Patientin, die eine Anaphylaxie bereits bei der Hauttestung entwickelt hat, obwohl sie das Medikament bisher gut vertragen hatte. Vermutlich war die Sensibilisierung über die vorausgegangenen Gaben erfolgt. Eine Kasuistik einer Patientin berichtet über Dyspnoe, Urtikaria, Vomitus und Anaphylaxie mit intensivpflichtiger Versorgung 4 Stunden nach Oralverkehr mit ihrem Partner. Die Patientin hatte in der Kindheit eine Penicillinallergie. Ihr Partner hatte Amoxicillin wegen einer Ohrinfektion eingenommen. Amoxicillin kann ins Sperma gelangen. Präventiv wäre in diesem Fall ein Kondom gewesen, da die Partnerin eine Penicillinallergie hat [4]. Wohlgemerkt handelt es sich bei dieser Kasuistik nicht um eine Sperma-Allergie, die vermutlich auf einer Sensibilisierung bei Hundehalterinnen auf Can f 5 gegenüber männlichen Hunden beruht, wobei Can f 5 verwandt zum Prostata-Kallikrein des Mannes ist [5]; dennoch, eine insgesamt seltene Anaphylaxie-Konstellation.


Ihre

Christiane Bayerl, Wiesbaden


Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Christiane Bayerl
Klinik für Dermatologie und Allergologie Wiesbaden
Helios, Dr. Horst Schmidt Kliniken
Hauttumorzentrum Wiesbaden
Ludwig-Erhard-Straße 100
65199 Wiesbaden
Deutschland   

Publication History

Article published online:
18 November 2020

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Prof. Dr. med. Christiane Bayerl