Schlüsselwörter
Gicht - Wirbelsäule - Ossäre Destruktionen - Dual-Energy-Computertomografie (DECT)
Key words
gout - spine - bone destruction - dual-energy computed tomography
Anamnese
Eine 67-jährige Patientin stellte sich mit schmerzhafter Schwellung,
Rötung und Überwärmung des rechten Fußes und
distalen Unterschenkels seit unbekannter Zeit in unserer zentralen Notaufnahme vor.
Besonders betroffen waren Sprunggelenk und Fußrücken. Neben einem
Lymphödem imponierten prätibial zwei ca. 3x3 cm messende
Hautdefekte. Die Fußpulse waren beidseits schwach palpabel. Fieber wurde
verneint. Bis auf Nachtschweißigkeit und verminderten Appetit zeigte sich
die vegetative Anamnese unauffällig.
An Vorerkrankungen sind neben einer arteriellen Hypertonie und Adipositas eine
stattgehabte tiefe Beinvenenthrombose links sowie die Hyster- und Adnexektomie bei
Uterus myomatosus zu nennen.
Bisher lebte die Patientin allein in einer eigenen Wohnung und erhielt tageweise
Unterstützung vom ambulanten Pflegedienst sowie der Tochter.
Diagnostik
Laborchemisch zeigten sich deutlich erhöhte Entzündungsparameter
(Leukozyten 17,8 Gpt/l, CrP 147 mg/l). Weiterhin bestand eine
Erhöhung der Nierenretentionsparameter (Kreatinin
149 µmol/l, Cystatin C 1,46 mg/l, GFR
(CKD-EPI: Krea) 81).
Unter Annahme eines Erysipels erfolgte die allgemeinchirurgische stationäre
Aufnahme und Einleitung der intravenösen Antibiose mit Penicillin. Trotz
weiterer symptomatischer Maßnahmen mittels regelmäßiger
Octeniseptumschläge und Analgesie war keine Besserungstendenz zu
verzeichnen. Eine tiefe Beinvenenthrombose und periphere arterielle
Verschlusskrankheits (pAVK) konnten ausgeschlossen werden. Weitere diagnostische
Schritte mittels MRT und CT des oberen Sprunggelenkes (OSG) folgten. Hier zeigten
sich eine Weichteilschwellung, gekammerte Flüssigkeitsansammlungen sowie
multiple Kalkdepots als Zeichen eines chronischen Prozesses. Weiterhin konnten
Erosionen an Fibula, sämtlichen knöchernen Strukturen des
Sprunggelenkes, Mittelfußes und der Ossa metatarsalia III und IV gesehen
werden ([Abb. 1], [2]). Unter Annahme eines lateralen
Sprunggelenksabszesses erfolgte die operative Inzision mit Debridement und
VAC-Anlage.
Abb. 1 MRT Fuß re. (T1 FSE sag.); knöcherne Erosionen
an sämtlichen Strukturen des Sprunggelenkes, Mittelfußes und
der Ossa metatarsalia III und IV; multiple kleinere, unspezifische
Flüssigkeitsansammlungen um das gesamte Fußskelett; Erguss
in OSG und USG. Quelle: Radiologische Kinik, Dresden
Abb. 2 MRT Fuß li. (T2 FSE STIR sag.); ausgedehnte, mehrfach
gekammerte Flüssigkeitsansammlungen der gesamten Cutis und Subcutis.
Quelle: Radiologische Kinik, Dresden
Im resezierten Material wurde mikrobiologisch Streptococcus dysgalactiae
nachgewiesen. Im Verlauf wurden mehrfache Wundrevisionen und VAC-Wechsel am
lateralen OSG rechts sowie letztlich eine plastische Deckung mittels Lappenplastik
und Spalthauttransplantation vom Oberschenkel erforderlich.
Als Ursache für die beklagten Omalgien beidseits konnten in der CT weitere
osteolytische Destruktionen der Acromioclavikulargelenke (AC-Gelenke) und multiple
intraartikuläre Verkalkungen sowie Kalkknoten um die AC- und
Glenohumeralgelenke gesehen werden ([Abb.
3]). Eine chronische Osteomyelitis wurde in Betracht gezogen. Weiterhin
zeigten sich die Sternoklavikular- und -costalgelenke 1 bds. sowie HWK 5/6
befallen.
Abb. 3 CT Thorax; osteolytische Destruktionen der lateralen
Claviculadrittel. Quelle: Radiologische Kinik, Dresden
Im Verlauf traten neu massive lumbosakrale Schmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine
auf. Klinisch bot sich das Bild einer Paraparese der Beine ab L2. MR-morphologisch
wurde eine am ehesten aseptische Entzündung von BWK 12 bis LWK 5
beschrieben. An den Facettengelenken beidseits konnten schwerste
entzündliche Infiltrationen mit Einbruch in die Wirbelbögen sowie
das Os sacrum nachgewiesen werden. Annehmbar bestand auch eine entzündliche
Mitbeteiligung der Bandscheibenfächer LWK 3/4 und LWK 4/5
einschließlich der Grund- und Deckplatten ([Abb. 4], [5]). Ergänzend
erfolgte die MRT-Untersuchung des Beckens. Neben eher chronisch anmutenden
Läsionen juxtakortikal der Iliosakralgelenke (ISG) beidseits, zeigte sich
eine deutliche Synovitis des rechten Hüftgelenkes sowie
Weichteilossifikationen. Zwar vermuteten die Radiologen nach Zusammenschau aller
Befunde und auf Grund des prolongierten Verlaufes am ehesten eine abakterielle
Entzündung wie bei entzündlich-rheumatischer Grunderkrankung oder
atypisch verlaufender Gicht, jedoch war die operative Sanierung und der Ausschluss
einer Spondylodiszitis obligat. Die Entzündungswerte waren trotz
vielfältiger Antibiosen weiter deutlich erhöht (CrP maximal 448
mg/l, PCT stets negativ). Nach Dekompression und Debridement der ISG
beidseits wurde eine dorsale Spondylodese LWK 3 bis SWK 1 vorgenommen. Im Verlauf
wurden drei weitere operative Revisionen erforderlich. Intraoperativ stellte sich
makroskopisch der Verdacht auf eine Tuberkulose. Säurefeste Stäbchen
konnten kulturell nicht nachgewiesen werden. Die mikrobiologische Aufarbeitung des
OP-Materials erbrachte den Nachweis von Enterococcus faecium (VRE) und Escherichia
coli. Es erfolgten resistogrammgerechte Antibiosen. Histologisch zeigten sich
ausgeprägte granulomatöse Entzündungsreaktionen und
Gichttophi ([Abb. 6]). Erst der
polarisationsoptische Nachweis doppeltbrechender Kristalle im mit Ethanol fixierten
Material sicherte eine Arthritis urica ([Abb.
7]). Die Harnsäurekonzentration im Blut betrug bei Aufnahme
369 µmol/l (maximal 442 μmol/l). Die
Patientin verneinte Gichtanfälle in der Vergangenheit. Auch eine
Hyperurikämie war nicht vorbeschrieben.
Abb. 4 MRT LWS (a T1 FSE FS KM, b T2 FSE); schwerste
multisegmentale Spinalkanalstenose Segmente BWK 12 bis LWK 5 durch
Bandscheibenprotrusionen; entzündliche Mitbeteiligung der
Bandscheibenfächer LWK 3/4 und LWK 4/5 mit KM-Enhancement der Grund-
und Deckplatten sowie der Rückenmarkshäute. Quelle:
Radiologische Kinik, Dresden
Abb. 5 Röntgen LWS seitlich; ausgeprägte
Kalksalzminderung sowie Osteodestruktionen im Bereich der Facettengelenke
infolge schwerster entzündlicher Veränderungen. Quelle:
Radiologische Kinik, Dresden
Abb. 6 Histologie der OP-Exzidate im Bereich LWK 4/5; a
spongiöses Knochen- und Weichgewebe mit ausgeprägter
granulomatöser Entzündungsreaktion; b
noduläre Ablagerungen blass eosinophilen homogenen Materials mit
fokal angedeuteten Kristalllücken sowie angrenzendem Saum von
Histiozyten und mehrkernigen Riesenzellen (→). Quelle: Institut
für Pathologie Georg Schmorl, Dresden
Abb. 7 Polarisationsmikroskopie; doppeltbrechende,
büschelartige Kristalle im Ethanol fixierten Material, entsprechend
Gichtkristallen. Quelle: Institut für Pathologie Georg Schmorl,
Dresden
Retrospektiv konnten eine allmähliche Verschlechterung des Allgemeinbefindens
und zunehmende muskulo-skelettale Schmerzen mit folglicher
Mobilitätseinschränkung seit ca. 2 Jahren eruiert werden. Bei der
anfänglich schwer kranken Patientin gestaltete sich die Exploration
schwierig. Später zeigte sich eine gute Erklärung des katastrophal
fortgeschrittenen Gichtbefunds. Als Köchin beschäftigt war die
Patientin bereits lange Zeit dem Alkohol nicht abgeneigt, was jedoch nie zur Sprache
kam. Neben der verzögerten Alkoholanamnese ließen das weibliche
Geschlecht, die untypischen Hautulzerationen und ausgeprägten
ossären Destruktionen atypischer Lokalisation erst spät an das
Krankheitsbild denken. Auch an Händen und Füßen
ließen sich zahlreiche frische und ältere Osteodestruktionen sichern
([Abb. 8] und [9]).
Abb. 8 Röntgen Hand li. dorsovolar; Destruktion des Processus
styloideus ulnae; zystische Läsionen am Köpfchen Phalanx
proximalis III und Phalanx medialis V. Quelle: Radiologische Kinik,
Dresden
Abb. 9 Röntgen Hand re. dorsovolar; multiple zystische
Läsionen mit Randsklerosierung im Bereich der distalen Ulna;
zystische Läsionen in der Basis der Phalanx proximalis III;
zystische Läsionen teils ohne Randsklerosierung an den PIP-Gelenken
II und V. Quelle: Radiologische Kinik, Dresden
Eine Prednisolonstosstherapie führte zur Kontrolle des
Entzündungsgeschehens (CrP 27 mg/l). Parallel wurden
harnsäuresenkende Maßnahmen eingeleitet (Blemaren, Allopurinol),
flankiert von einer Anfallsprophylaxe mit Colchicum. Der
klinische Verlauf wird zeigen, ob künftig eine Interleukin-1-Blockade
erforderlich wird.
Nach insgesamt 5-monatigem Krankenhausaufenthalt konnte die Patientin nach
überstandener, asymptomatischer SARS-CoV2-Infektion zur stationären
akut-geriatrischen Rehabilitation verlegt werden. Die Covid 19-Erkrankung wurde im
Rahmen eines geforderten Screening-Abstriches diagnostiziert. Nach multimodaler
Rehabilitation ist es der Patientin möglich, mit angelegter
Fußheberorthese rechts selbstständig am Rollator 50 m zu laufen.
Wenige Treppenstufen kann sie nur mit viel Hilfestellung bewältigen. Die
Basisaktivitäten des täglichen Lebens meistert sie
größtenteils allein.
Diskussion
In der Regel präsentiert sich die Gichtarthritis als akut einsetzende
Monarthritis mit ausgeprägten lokalen Entzündungszeichen und
massiven Schmerzen [1]
[2]. Das Großzehengrundgelenk ist das
anfänglich am häufigsten betroffene Gelenk [3]. Genaue Angaben zur Prävalenz der
Manifestation der Gichtarthropathie am Achsenskelett sind in der Literatur nicht zu
finden, hingegen einige Fallberichte.
Wichtige Differentialdiagnosen sind die septische Arthritis sowie andere
Kristall-induzierte Arthritiden, allen voran die Calciumpyrophosphat- (CPP-)
Arthritis [3]. Jedoch können auch
aktivierte Arthrosen mit Pfropfarthritis [3],
die Rheumatoide Arthritis, Spondyloarthritiden, Tuberkulose oder die sehr seltene
Multizentrische Retikulohistiozytose mutilierende Gelenkveränderungen
verursachen.
Rückblickend auf die dargestellte Kasuistik gelang die Diagnosestellung der
generalisierten Gichtarthropathie mit bakterieller Superinfektion mittels Biospie
und histologischem Nachweis von Gichttophi. Zu bedenken ist hierbei, dass der Beweis
von Harnsäureablagerungen nur im Nativpräparat (unfixiertes Gewebe)
oder im mit absolutem oder 96%igem Ethylalkohol fixierten Gewebe gelingen
kann. Bei der üblichen Formalinfixation werden die
Harnsäurekristalle herausgelöst. Zu sehen sind meist leicht
bräunlich verfärbte, büschelförmige Gebilde, die im
polarisierten Licht eine starke Doppelbrechung zeigen. Da die
Operationspräparate zunächst ausschließlich
formaldehydfixiert waren, verzögerte sich die Diagnose.
In komplizierten Fällen wie diesem, mit atypischer Manifestation der
Gichtarthropathie, sollten die verschiedenen bildgebenden Möglichkeiten
genutzt und deren Ergebnisse in den klinischen Kontext gesetzt werden.
Die Dual-Energy-Computertomografie (DECT) liefert Informationen über die
chemische Zusammensetzung von Geweben und ermöglicht so deren
Differenzierung. Die Gicht beweisende Natriumurat-Kristalle können so von
Knochen und dystrophen Verkalkungen abgegrenzt werden [4]. Derzeit ist das Verfahren jedoch nur
eingeschränkt an wenigen deutschen Zentren verfügbar [3]. Die Untersuchung sollte demnach nur bei
unklaren Befunden und zum Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen angewandt werden.
In unserem Fall stand es leider nicht zur Verfügung.
Der histopathologische Nachweis von Natriumuratkristallen sollte stets angestrebt
werden [5].
Der Fall demonstriert die Notwendigkeit der interdisziplinären
Zusammenarbeit. Jedoch liefern auch der enge Patientenkontakt und die genaue
Anamnese wichtige Hinweise.