Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2021; 56(10): 691-702
DOI: 10.1055/a-1226-4756
Topthema
CME-Fortbildung

Perioperatives Management psychiatrischer und neurologischer Dauermedikation

Anaesthetic Implications of Psychotropic and Neurologic Agents
Melanie Bischoff
,
Andreas Redel

Zusammenfassung

Etwa ein Drittel aller Patienten, die sich einem operativen Eingriff unterziehen, nehmen chronisch Psychopharmaka ein. Neben Depressionen und Psychosen stellen chronische Schmerzen sowie Angst- und Panikstörungen die häufigsten Indikationen dar. In den vergangenen 30 Jahren stieg die Häufigkeit der Verordnung von Psychopharmaka um das 7-Fache. Fast alle Psychopharmaka interagieren mit Medikamenten, die perioperativ häufig gegeben werden, beispielsweise mit 5-HT3-Antagonisten, Sympathomimetika oder Opioiden. Einige der Medikamente weisen eine enge therapeutische Breite auf und nicht alle Medikamente können perioperativ pausiert werden. Im Rahmen der präoperativen Risikoevaluation ist daher eine Prüfung im Einzelfall notwendig. Der Anästhesist muss zudem bei Gabe bestimmter Medikamente während der Narkose besondere Vorsicht walten lassen oder ganz auf diese verzichten.

Bei der Therapie vieler neurologischer Erkrankungen stellen Medikamente die zentrale Säule dar. Häufig begegnen dem Anästhesisten Patienten mit einer Epilepsie, mit Morbus Parkinson oder mit einer Myasthenia gravis, die eine entsprechende medikamentöse Therapie erhalten. Das perioperative Pausieren der Medikamente lässt zumeist eine Befundverschlechterung der neurologischen Grunderkrankung befürchten. Auf die möglichst rasche postoperative Einnahme der Dauermedikation ist daher besonderer Wert zu legen.

Etwa ein Drittel aller Patienten, die sich einer Operation unterziehen, nehmen chronisch Psychopharmaka ein, vor allem aufgrund von Depressionen oder Psychosen. Ebenso begegnen dem Anästhesisten oft Patienten mit einer medikamentösen Therapie wegen Epilepsie, Morbus Parkinson oder Myasthenia gravis. In der präoperativen Risikoevaluation ist daher sorgfältig zu prüfen, welche Medikamente pausiert werden können bzw. fortgeführt werden müssen.

Abstract

More than a third of all patients undergoing surgery take psychotropic agents on a regular basis. Aside from classical indications like depression and psychosis these drugs are often prescribed for treatment of pain, anxiety and panic disorder. Over the last 30 years the frequency of prescription of psychotropic drugs increased by seven times. Of note, drug interactions of psychoactive medications and anaesthetic agents are common, and the therapeutic range is narrow. Since not all of these agents can be stopped uncritically, careful assessment of risks and benefits is obligatory. The anaesthesiologist has to take special care or avoid the use of certain medications.

Medical treatment is crucial for the treatment of several neurological disorders. Frequently, anaesthesiologists are faced with common diseases like seizure disorders, Parkinsonʼs disease and Myasthenia gravis. Perioperative withdrawal of specific medication implies the risk of recurrence of the neurological symptoms. Therefore, these drugs should be continued postoperatively as soon as possible.

Kernaussagen
  • Abruptes Absetzen von Psychopharmaka kann zu Entzugssymptomen führen. Bei längerfristigem Pausieren besteht die Gefahr der Aggravierung der psychiatrischen Symptomatik.

  • Trotz möglicher Interaktionen mit im Rahmen der Anästhesie verwendeten Medikamenten wird die Einnahme von Psychopharmaka nach Risiko-Nutzen-Abwägung meist fortgeführt.

  • Der Anästhesist muss mit dem Nebenwirkungsprofil der Substanzen vertraut sein und dieses bei der Auswahl anästhesierelevanter Medikamente beachten.

  • Ein Großteil der Antidepressiva und Antipsychotika unterliegt dem Metabolismus im CYP450-System. Einige Substanzen führen zu einer Enzyminduktion oder Enzyminhibition. Dies verursacht Wechselwirkungen mit ebenfalls in diesem Enzymsystem metabolisierten Substanzen (z. B. Benzodiazepine, Opioide).

  • Besonders Antipsychotika und trizyklische Antidepressiva können die kardiale Reizleitung beeinflussen und zu einer Verlängerung der QT-Zeit im EKG führen.

  • Unter fortgesetzter Einnahme von Monoaminoxidase-Inhibitoren sind die Kontraindikationen für indirekte Sympathomimetika, Tramadol und Pethidin zu beachten.

  • Lithium hat eine geringe therapeutische Breite und wird renal eliminiert. Perioperativ sind Spiegelbestimmungen erforderlich. Für größere Eingriffe sollte die Medikation pausiert werden.

  • Bei neurologischen Grunderkrankungen besteht durch Pausieren der Dauermedikation das Risiko der akuten Verschlechterung der Grunderkrankung mit potenziell lebensbedrohlichen neurologischen Störungen.

  • Im Fokus des perioperativen Managements bei neurologischen Grunderkrankungen stehen die Kenntnis über mögliche Interaktionen und das Beachten entsprechender Kontraindikationen.



Publication History

Article published online:
26 October 2021

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