Klinischer Fall
Aus den von der Schlichtungsstelle herangezogenen Krankenunterlagen, auch der vor-
und nachbehandelnden Ärzte, ergibt sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:
Die 34-jährige Patientin stellte sich in der Praxis eines Hautarztes vor, der die
Diagnose eines korialen Naevus im Gesichtsbereich stellte und sie laut Patientenkartei
über Risiken und mögliche Narbenbildung einer operativen Therapie aufklärte. Eine
erneute Konsultation der Patientin erfolgte 8 Monate später, wobei laut ärztlichem
Bericht die operative Entfernung des Naevus durch die Patientin gewünscht wurde. Die
Operationsvorbereitung mit Lokalanästhesie 0,5 ml 2 %ig Scandicain sowie Abtragung
des Naevus mittels Elektrokoagulation erfolgte laut ärztlicher Dokumentation unter
motorischer Unruhe. Zur Elektrochirurgie kam ein Gerät ohne genaue Typbezeichnung
der Firma Erbe zur Anwendung. Die Wunde wurde mittels eines Schutzpflasters versorgt.
Eine Wiedervorstellung der Patientin erfolgte nach 4 Wochen, wobei im OP-Gebiet ärztlich
der Befund einer „schwärzlichen Verfärbung“ festgestellt und patientenseits eine Unzufriedenheit
mit dem kosmetischen Ergebnis geäußert wurde.
Weitere 4 Wochen später stellte sich die Patientin in einer weiteren Hautarztpraxis
vor, wobei der Befund einer Narbe mit deutlicher Pigmentierung erhoben wurde sowie
differenzialdiagnostisch ein Melanom in Erwägung gezogen wurde. Es erfolgte in Lokalanästhesie
die Exzision mit histologischer Befundung, wobei ein persistierender Compoundnaevus
nach Vorbehandlung diagnostiziert wurde. Die Nachkontrolle 3 Monate später wies einen
etwas erhabenen Narbenzustand auf.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Die Patientin bemängelte die operative Behandlung ihres Muttermales im Gesichtsbereich
und war der Auffassung, dass die Behandlung durch den erstbehandelnden Hautarzt fehlerhaft
erfolgt sei und daraus nachfolgend ein kosmetisch entstellender Narbenzustand sowie
eine Nachbehandlung resultiert sei.
Stellungnahme des Dermatologen
Stellungnahme des Dermatologen
Auf den Vorwurf fehlerhaften Handelns entgegnete der Hautarzt, aufgrund erheblicher
motorischer Unruhe bei Angstzustand der Patientin hätte sich der Operationsablauf
problemhaft gestaltet. Die Elektrokoagulation wäre ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Dermatologisches Gutachten
Dermatologisches Gutachten
Der beauftragte dermatologische Gutachter traf folgende Kernaussagen: Das wichtigste
Ziel der operativen Behandlung melanozytärer Naevi, auch bei ästhetischer Indikation,
sei die histopathologische Befunderhebung mit vollständiger Gewebeaufarbeitung, sodass
destruktive Verfahren, u. a. Elektrodessikation oder Elektrokoagulation, als kontraindiziert
anzusehen seien.
Bei der Patientin sei im Rahmen der Rezidivoperation durch die histopathologische
Untersuchung das Vorliegen eines persistierenden Compoundnaevus im Gesichtsbereich
nachgewiesen worden, der in der Praxis des Hautarztes unvollständig entfernt worden
sei, sodass die Narbe ein melanozytäres Rezidiv zeigte. Als Standardtherapie eines
melanozytären Naevus sei sowohl bei medizinischer als auch ästhetischer Indikation
die Exzision mit histologischer Untersuchung anzusehen. Die Elektrokoagulation sei
aufgrund der Destruktion von Gewebe sowie häufigen Auftretens von Narben insbesondere
auch bei ästhetischer Indikation als therapeutisches Verfahren abzulehnen.
Die Wahl des therapeutischen Verfahrens der Elektrokoagulation sei als fehlerhaftes
ärztliches Handeln einzuordnen. Die durch die nachbehandelnde Praxis erfolgte Operation
des Rezidivnaevus sei als Folge der fehlerhaften Ersttherapiemaßnahme zu bewerten.
Auch eine regelhafte operative Exzision sei mit Narbenbildungen verbunden und somit
der entstandene Gesamtnarbenzustand nicht als Fehler der Elektrokoagulation zu bewerten.
Stellungnahme zum Gutachten
Stellungnahme zum Gutachten
Der erstbehandelnde Hautarzt entgegnete, dass der Gutachter nach Aktenlage ohne klinischen
Befund die Diagnose Compoundnaevus in die Bewertung einbezogen habe und dadurch falsche
Schlussfolgerungen gezogen worden seien. Sowohl nach klinischem Befund als auch in
der Auflichtmikroskopie seien keine Pigmentablagerungen zu sehen gewesen. Es hätte
sich um einen typischen korialen Naevus gehandelt. Deshalb sei das schonende Koagulationsverfahren
angewandt worden. Das Koagulationsverfahren sei ein Standardverfahren der operativen
Dermatologie. Die aufgetretene Narbenbildung stehe nicht im Zusammenhang mit seinem
Eingriff.
Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
In Würdigung der medizinischen Dokumentation und der Stellungnahmen der Beteiligten
schloss sich die Schlichtungsstelle dem Gutachten im Ergebnis an.
Die elektrochirurgische Therapie eines Naevus im Gesicht erfolgte aus kosmetischer
Indikation und stellt aufgrund des klinischen Befundes als auch des zu erwartenden
ästhetischen Ergebnisses bei der Wahl der angewandten Therapiemethode besondere Anforderungen.
Die Technik der Elektrokoagulation dermaler Naevi entspricht aufgrund der problembehafteten
Tiefensteuerung der Epidermiszerstörung mit zum Teil unvollständiger Gewebedestruktionen
und somit dem Risiko eines Rezidivnaevus nicht dem Fachstandard. Nach Fachempfehlungen
sowie gültigen AWMF-Leitlinien melanozytärer Naevi, deren Diagnose nach histologischem
Befund gesichert ist, war die Wahl des gewebedestruierenden Verfahrens der Elektrokoagulation
nach Fachstandard nicht indiziert.
Die in der Stellungnahme zum Gutachten durch den Hautarzt geäußerte Meinung, dass
die Elektrokoagulation bei ästhetischer Indikation als besonders schonendes Verfahren
zu bevorzugen sei, entsprach nach allgemeiner Fachmeinung und wissenschaftlicher Publikation
nicht der Allgemeingültigkeit. Bei sicher vollständiger Naevusentfernung durch Elektrokoagulation
ist mit einem erhöhten Risiko zur Narbenbildung zu rechnen. Die in der Stellungnahme
durch den Hautarzt vor der operativen Entfernung aufgeführte diagnostische Maßnahme
einer Auflichtmikroskopie konnte laut Patientenkarteikarte nicht nachvollzogen werden
und ließ somit einen melanozytären Naevus nicht ausschließen. Die Wahl der therapeutischen
Methode der Elektrokoagulation war bei dem aus ästhetischer Indikation vorgenommenen
Eingriff als fehlerhaftes ärztliches Handeln zu beurteilen.
Korrekt war die gutachterliche Darstellung, dass die nach Rezidivoperation verbliebene
Narbenbildung nicht als Folge der Elektrokoagulationstherapie zu bewerten sei.
Gesundheitsschaden
Bei korrektem Vorgehen wäre nach ärztlicher Erfahrung mit folgendem Verlauf zu rechnen
gewesen:
Die erfolgte Rezidivoperation des Naevus im Gesichtsbereich nach der Ersttherapie
war als Folge des fehlerhaften ärztlichen Handelns zu bewerten. Die nach dem Eingriff
verbliebene Narbenbildung wäre auch bei Wahl der Exzision als Ersttherapieverfahren
zu erwarten gewesen.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadensersatzansprüche im dargestellten Rahmen für begründet
und empfahl, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.
Medizinische und rechtliche Interpretation
Medizinische und rechtliche Interpretation
Die Elektrochirurgie ist ein bewährtes Verfahren in der dermatologischen Praxis; Kaufmann
nennt als Vorteile die leichte Handhabung und die gute Hämostase mit entsprechender
Zeitersparnis [1]. Als Nachteil der Elektrochirurgie sind die thermische Wundrandschädigung und damit
die verlängerte Wundheilungsdauer zu erwähnen. Ob die kosmetischen Ergebnisse sich
im Vergleich zwischen Skalpell-Exzision und Elektrokauterisierung tatsächlich unterscheiden,
ist mangels entsprechender Studien nicht evidenzbasiert zu beantworten; eine HNO-ärztliche
vergleichende Studie bei der Neck Dissection ergab keine Unterschiede im kosmetischen
Ergebnis und in der Patientenzufriedenheit [2].
Im vorliegenden Fall stand jedoch im Zentrum der Diskussion die Frage, ob die destruktive
Entfernung eines „Compound-Naevus“ ([Abb. 1]) mittels der Elektrochirurgie indiziert war. Durch die Destruktion der Läsion steht
kein Gewebematerial für eine dermatohistologische Untersuchung zur Verfügung; eine
Diagnose eines möglicherweise vorliegenden malignen Melanoms wird dadurch verunmöglicht
oder verzögert. Diese Überlegung betrifft auch andere destruktive Verfahren wie die
Lasertherapie, weshalb sich in dem Standardwerk „Lasertherapie der Haut“ zutreffend
die Bemerkung findet, die Laserbehandlung melanozytärer Nävi werde wegen der potenziellen
Verzögerung der Diagnose neoplastischer Veränderungen kontrovers diskutiert [3]. In einer Arbeit aus der Arbeitsgruppe von Dummer wurde über 12 Fälle von malignen
Melanomen berichtet, die nach Lasertherapie von pigmentierten Läsionen auftraten [4]. Die Autoren empfehlen eine sorgfältige Untersuchung aller pigmentierten Läsionen
mittels Auflichtmikroskopie und repräsentativen Biopsien in Kombination mit einer
genauen Nachbeobachtung bei einer geplanten Lasertherapie von Naevi. Die DDG-Leitlinie
„Melanozytäre Nävi“ aus dem Jahr 2006, die allerdings zwischenzeitlich nicht aktualisiert
wurde, äußerte sich sehr klar kritisch zu destruktiven Verfahren bei der Entfernung
von Naevi [5]: „... sollen grundsätzlich nur solche Verfahren zur Anwendung kommen, die das Gewebe
nicht zerstören oder schädigen und die eine vollständige histopathologische Aufarbeitung
ermöglichen. Als kontraindiziert werden daher alle destruktiven Verfahren ohne histopathologische
Aufarbeitung wie die Behandlung mittels Laserablation, Kryotherapie, photodynamischer
Therapie etc. angesehen. Auch die Behandlung mittels Elektrodesikkation führt zu schwerwiegenden
Artefakten am Gewebe und ist daher bei melanozytären Nävi nicht indiziert.“
Abb. 1 Faziale Naevuszellnaevi (nicht dem berichteten Fall entsprechend).
Melanozytäre Compound-Naevi ohne klinische oder auflichtmikroskopische Zeichen der
Malignität oder der Dysplasie sind keine medizinische Indikation für eine Behandlung;
falls sie für Patienten kosmetisch störend sind, können sie auf Wunsch entfernt werden,
wobei die Exzision mit dermatohistologischer Untersuchung des Präparates die Methode
der Wahl ist. Gewebsdestruierende Methoden könnten allenfalls dann vertretbar sein,
wenn die Patienten über das verbleibende Risiko einer mangelnden Beurteilbarkeit der
kompletten Entfernung der Läsion aufgeklärt und dieses in Kauf zu nehmen bereit sind.
Im konkreten Fall war aufgrund des Naevus-Rezidivs nach Elektrokürettage eine Nachexzision
erforderlich. Da auch bei einer primären dermatochirurgischen Exzision, sofern diese
den Compound-Naevus nur unvollständig entfernt hätte, ein Rezidiv hätte auftreten
können, könnte argumentiert werden, dieses Rezidivrisiko wohne jeder Naevusentfernung,
mit gleich welcher Methode auch immer, immanent inne.
Der vorliegende, insofern durchaus kontrovers zu diskutierende Fall zeigt die Notwendigkeit
einer umfassenden Aufklärung und ihrer Dokumentation gerade bei kosmetischen dermatologischen
Prozeduren.
Melanozytäre Compound-Naevi ohne klinische oder auflichtmikroskopische Zeichen der
Malignität oder der Dysplasie können aus kosmetischer Indikation entfernt werden,
wobei die Exzision mit dermatohistologischer Untersuchung des Präparates die Methode
der Wahl ist. Gewebsdestruierende Methoden könnten allenfalls dann vertretbar sein,
wenn die Patienten über das verbleibende Risiko einer mangelnden Beurteilbarkeit der
kompletten Entfernung der Läsion aufgeklärt und dieses in Kauf zu nehmen bereit sind.
Der vorliegende Fall zeigt die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung und ihrer
Dokumentation gerade bei kosmetischen dermatologischen Prozeduren.