PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(04): 111
DOI: 10.1055/a-1215-2555
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Ein unerwarteter Besuch

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(Quelle: Hans-Ulrich Wilms)

Es geschah an einem Sonntagvormittag, im Süden Äthiopiens. Wir waren mit unserem äthiopischen Führer in einem Geländewagen unterwegs. Irgendwo zwischen Hügeln, Rundhütten, sogenannten „Tukuls“, Maisfeldern und ganz viel Grün hielt er plötzlich an, um an einem unscheinbaren Anwesen einen jungen Mann nach einem Kaffee zu fragen – das sei hier kein Problem, das wäre so in Ordnung.

Der junge Mann schob die Blätter der False Banana zur Seite und bat uns näherzutreten. Sogleich kamen einige kleine Kinder neugierig herbei, bis sich auch eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm zeigte und mit unserem Guide ins Gespräch kam. Es folgte das Geschenk eines Einblicks, den wir ohne die spontane Idee unseres Guides wohl niemals erhalten hätten:

Wir durften die Rundhütte in Augenschein nehmen und die beeindruckende Deckenkonstruktion aus Maispflanzen bewundern. Ein Feuer brannte, Maiskolben wurden in der Glut geröstet. Mit unserem Wunsch nach einem Kaffee wurden die hierfür notwendigen Vorbereitungen getroffen: eine Tonplatte auf die Feuerstelle gelegt, eine Kanne mit Wasser gefüllt. Die Dame des Hauses machte sich daran, die grünen Bohnen auf der Platte hin- und herzuschieben, damit sie möglichst gleichmäßig die dunkelbraune Farbe annahmen, die wir von Kaffeebohnen kennen. Anschließend kurz abkühlen lassen, dann in einem tiefen Holzbehälter mit einem Metallmörser zerstampfen. Jetzt kochte auch das Wasser in der Kanne auf dem Feuer, das Kaffeepulver wurde hinzugefügt und alle umstehenden Menschen (inzwischen waren wohl alle verfügbaren Nachbarn herbeigeeilt) warteten gespannt darauf, dass der Kaffee sich am Ausgießer zeigte. Sofort wurde die Kanne vom Feuer genommen, etwas kaltes Wasser hinzugefügt und die Kanne nach kurzer Wartezeit erneut aufs Feuer gestellt. Wenige Momente später war der Kaffee endgültig fertig. Die Gäste wurden gebeten, draußen auf einer bereitgestellten Bank Platz zu nehmen. Unser Guide übersetzte, dass man hier den Kaffee nur mit einer Prise Salz zu sich nehme, was die Spannung auf das Geschmackserlebnis noch erhöhte.

Nachdem die kleinen Tassen eingeschenkt waren, warteten etwa 20 Menschen gespannt auf die Reaktion der unerwarteten weißhäutigen Besucher und ihres sehr dunkelhäutigen Landsmannes.

Ich konnte es nicht lassen und machte das berühmte Zeichen mit dem Daumen nach oben – und erntete glückliches Klatschen für die Chefin der Kaffeezeremonie von allen Umstehenden.

Als wir nach dem Abschied wieder im Auto saßen, waren wir einhellig der Meinung, dass die Menschen auf dem Anwesen und ihre Nachbarschaft uns genauso beobachtet hatten wie wir sie. Wir hoffen sehr, dass wir uns nicht danebenbenommen haben …

Dr. Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
24 November 2021

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