Das 10-jährige türkischstämmige Mädchen wurde aus einer auswärtigen Klinik übernommen
mit hohem Fieber seit 2 Wochen sowie heftigen Bauchschmerzen. Es war eine Appendektomie
durchgeführt worden, mikroskopisch zeigte die Appendix eine lymphofollikuläre Invasion
mit der histologischen Diagnose einer katarrhalischen Appendizitis. Intraoperativ
wurde eine ausgeprägte Lymphadenitis mesenterialis mit Enteritis und Aszites beschrieben.
Zu den weiterhin persistierenden Bauchschmerzen klagte das Mädchen über ausgeprägte
multitope Myalgien und Arthralgien. Im Alter von 3 Jahren war eine Purpura Schönlein-Henoch
(PSH) durchgemacht worden. 2 Wochen vor der Erkrankung trat eine Rachenentzündung
ohne Erregernachweis auf.
Weitere Diagnostik
Im Röntgen-Thorax war ein diskreter Pleuraerguss zu sehen, die Sonografie des Abdomens
war unauffällig. Eine Ganzkörper-MRT zeigte im Bereich der gesamten Muskulatur in
der STIR-Sequenz eine deutliche Signalanhebung passend zu einer Myositis ([
Abb. 5
]).
Abb. 5 Die MRT zeigt in der STIR-Sequenz multiple muskuläre Signalanhebungen passend zu
einer Myositis.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch war aufgrund der ethnischen Herkunft ein familiäres Mittelmeerfieber
zu diskutieren. Allerdings beträgt die Fieberdauer hierbei maximal 5 Tage. Eine systemische
juvenile Arthritis war aufgrund des fehlenden zirkadianen Fieberrhythmik und des Hautbefunds
nicht typisch. Für eine leukozytoklastische Vaskulitis im Sinne einer PSH war das
Kind zu krank.
Der Schlüssel zur Verdachtsdiagnose waren die von der Mutter fotografierten livedoartigen
Effloreszenzen im Bereich der Unterarme. In der Gesamtkonstellation mit Fieber, Myalgien
und Livedo retikularis wurde die Verdachtsdiagnose einer Polyarteriitis nodosa (PAN)
gestellt.
Bestätigungsdiagnostik
Eine MRT-Angiografe der Abdominalgefäße zeigte einen unauffälligen Befund. Als nächster
Schritt wurde eine tiefe Muskelbiopsie angeschlossen, bei der allerdings histologisch
keine Arterien nachgewiesen werden konnten. Erst in der konventionellen Angiografie
konnte der Nachweis von multiplen Aneurysmen in der Arteria hepatica erbracht und
die Diagnose einer PAN gesichert werden ([
Abb. 6
]).
Abb. 6 Konventionelle selektive Angiografie: Nachweis multipler Aneurysmen in der Arteria
hepatica und Verzweigungen.
Die nachträglich eingetroffene Molekulargenetik erbrachte eine heterozygote Mutation
im MEFV-Gen (M964V), das ADA2-Gen war nicht mutiert.
Diskussion
Die PAN ist eine nekrotisierende Vaskulitis der mittleren und kleinen Arterien. Arteriolen,
Kapillaren und Venen sind nicht betroffen. Eine Glomerulonephritis ist ebenso nicht
vorhanden wie der Nachweis von antineutrophilen cytoplasmatischen Antikörpern (ANCA)
[1]. Die Krankheit wurde erstmalig von Kussmaul und Maier 1866 beschrieben unter dem
Titel „Über eine bisher nicht beschriebene eigenthümliche Arterienerkrankung (Periarteriitis
nodosa), die mit Morbus Brightii und rapid fortschreitender allgemeiner Muskellähmung
einhergeht“ (Dt. Archiv für klinische Medizin, Leipzig 1866;1:484–518).
Der Hautbefund zeigte zunächst den typischen Befund einer PSH. Das Krankheitsgefühl
des Mädchens mit ausgeprägten Myalgien und Bauchschmerzen sowie das hohe Entzündungslabor
ließen aber an eine PAN denken. Die namensgebenden knötchenförmigen Hauteffloreszenzen
treten nur bei einem geringen Teil der Patienten auf. Eine der größten Studie aus
der Türkei mit 133 Patienten (darunter 66 Kinder und Jugendliche) zeigte eine Pannikulitis
bei nur 27 % der pädiatrischen Patienten [1]. Die häufigsten Manifestationen waren dabei Fieber (76 %), Myalgien (72 %), Bauchschmerzen
(61 %), Arthralgien (73 %)und Livedo retikularis (55 %). Eine ähnliche Verteilung
der klinischen Symptome wurde auch in der bislang größten Kohorte 2013 in England
beschrieben [2]. In einer Übersichtsarbeit der französischen Vasculitis study group an 348 erwachsenen
Patienten zeigte sich, dass Knoten nur zu 17 %, Purpura zu 22 % und Livedo zu 17 %
vorkommen. Allgemeinsymptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Myalgien und Arthralgien
sowie eine periphere Neuropathie waren die häufigsten Symptome und Befunde [3]. Auch PSH-typische Veränderungen wurden bei der PAN beschrieben [4].
Die häufig auftretenden gastrointestinalen Symptome sind teilweise sehr heftig, sodass
immer wieder Appendektomien erfolgten [5]–[7].
Da die bunte und eher unspezifische Symptomatik oft nicht gleich an das Krankheitsbild
der PAN denken lässt, ist mit einer mittleren Diagnoseverzögerungsdauer von 7 Monaten
zu rechnen [3]. Aus klinischer Sicht ist bei unklarem Fieber, schlechtem Allgemeinzustand mit Muskel-
und Bauchschmerzen sowie vaskulitischen Effloreszenzen, Pannikulitis oder Knoten eine
PAN zu erwägen. Die Erkrankung kann allerdings auch in lokalisierter Form auftreten
mit einem isoliertem Organ- oder Extremitätenbefall [8], [9].
Mittlerweile ist eine genetische Variante der PAN bekannt geworden, die DADA-2-Erkrankung
mit Defizienz der Adenosin-Deaminase. Es wird verursacht durch eine Mutation im ADA-2-Gen.
Bei DADA-2 sind neben der PAN-Symptomatik frühzeitige zerebrale Insulte charakteristisch.
Jedoch ist auch hierbei die klinische Symptomatik breit und unspezifisch und keines
der Symptome oder Befunde treten mit einer Häufigkeit von über 50 % auf [10].
Darüber hinaus sind assoziierte genetische Mutationen im MEFV-Gen bekannt. In der
Studie von Sönmez 2019 fand sich bei 24 von 65 untersuchten Patienten mindestens eine
Mutation in diesem Gen [1]. Auch bei unserer Patientin war eine heterozygote Mutation an typischer Stelle (M694V)
nachweisbar.
Klassifikationskriterien
Die EULAR-Kriterien von 2010 fordern zur Diagnose den histopathologischen Nachweis
einer nekrotisierenden Vaskulitis oder angiografische pathologische Veränderungen
plus eines der weiteren 5 Kriterien: Hautbeteiligung, Myalgien, arterielle Hypertonie,
periphere Neuropathie, Nierenbeteiligung [11] (siehe Kasten). Die in unserem Fall – in der MRT gesehene – Myositis ist in den
o. g. Kriterien nicht enthalten.
KLASSIFIKATIONSKRITERIEN DER KINDLICHEN PAN
Nachweis einer nekrotisierenden Vaskulitis der mittleren und kleinen Gefäße oder eine
angiografische Auffälligkeit mit Aneurysmen, Stenosen oder Okklusion einer mittleren
oder kleinkalibrigen Arterie plus eines der folgenden 5 Kriterien:
-
Hautbeteiligung (Livedo reticularis, Hautknoten oder -infarkte)
-
Myalgie oder muskulärer Druckschmerz
-
Bluthochdruck > 95. Altersperzentile
-
Periphere Neuropathie (sensorisch periphere Neuropathie oder motorische Mononeuritis
multiplex)
-
Nierenbeteiligung (Proteinurie > 0,3 g/24 Std oder > 30 mmol/mg der Urinalbumin/Creatinin-Ratio
im Spontanurin; Hämaturie oder Erythrozytenzylinder, > 5 Erythrozyten/High-power-Feld,
Erythrozytenzylinder im Sediment oder entsprechend 2 + im Urinsticks; oder eingeschränkte
Nierenfunktion berechnet nach der glomerulären Filtrationsrate (Schwartzsche Formel)
< 50 % unter dem Normalbereich
Die Diagnosesicherung kann grundsätzlich histopathologisch mittels einer Biopsie befallener
Strukturen der Haut oder der Muskulatur erfolgen. Bei der Muskelbiopsie ist eine tiefe
gezielte Probenentnahme zu anzuraten – z. B. über eine vorherige Lokalisation mittels
MRT [12]. Dabei wird eine Muskelprobe von ca. 2,5 cm Länge und 0,5 cm Durchmesser empfohlen
(persönliche Mitteilung Fr. Priv.-Doz. Dr. Holl-Ulrich, Vaskulitiszentrum Marienkrankenhaus
Hamburg). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine Arterie einzuschließen, ohne die
eine Diagnose nicht möglich ist.
Ein histologisch fehlender Nachweis schließt eine PAN nicht aus, da die Verteilung
von Läsionen in der Muskulatur sehr heterogen sein kann [12]. In der Studie von Sönmez 2019 hatten 109/133 Patienten eine Biopsie (der Haut bei
94, der Muskulatur bei 6, der Niere bei 9). Wie von den Autoren erwähnt, zeigten alle
eine nekrotisierende Vaskulitis. Andere Studien wiesen mit 20–35 % eine eher geringere
Sensitivität auf [12], [18].
Der andere Hauptpfeiler der Diagnose ist der angiografische Nachweis von Aneurysmen.
In den Klassifikationskriterien, wie auch in den aktuellen SHARE-Empfehlungen der
europäischen Fachgesellschaft, wird die konventionelle Angiografie als Goldstandard
empfohlen [11], [12]. Die zugrunde liegenden Arbeiten beziehen sich vor allem auf die Studien von Brogan
aus dem Jahre 2000 und dem erweiterten Patientenklientel von Eleftheriou aus dem Jahre
2013, die über die größte Single-Center-Kohorte mit 69 Patienten berichten [2]. Dabei wurde die konventionelle Angiografie als sensitiver im Vergleich zur Sonografie
oder CT-Angiografie beschrieben. Allerdings sind keine vergleichenden Daten zwischen
konventioneller Angiografie und MRT-Angiografie erwähnt. In einer anderen Studie wurde
für die konventionelle Angiografie eine Sensitivität von 89 % und eine Spezifität
von 90 % ermittelt [19]. Allerdings ist zu beachten, dass auch diese Untersuchung anfangs oder nach Steroidtherapie
negativ sein kann [12]. In der Studie von Sönmez 2019 wurde bei 92/133 eine CT-Angiografie durchgeführt,
dabei wurden bei 69 renale Nierenarterienaneurysmen gefunden, 17 wiesen Leberarterienaneurysmen
auf.
Die konventionelle Angiografie hat somit den Vorteil einer guten Detaildarstellung
kleiner Aneurysmen und ist der MRT- und CT-Angiografie in der Auflösung überlegen.
Dabei ist zu beachten, dass alle intraabdominellen Gefäße (Truncus zöliacus, Art.
renalis, mesenterica, hepatis) einschließlich ihrer peripheren Äste untersucht werden
müssen. In einem frühen Stadium der Erkrankung oder unter Therapie kann es allerdings
sein, dass Aneurysmen bildgebend nicht nachweisbar sind. Die konventionelle selektive
Angiografie kann als invasives Verfahren allerdings auch mit Komplikationen behaftet
sein und sollte deshalb nur von erfahrenen Untersuchern durchgeführt werden.
Neben den typischen Aneurysmen hat Brogan 2002 auch nichtaneurysmatypische Gefäßveränderungen
bei der renalen Angiografie beschrieben, wie Perfusionsdefekte, Kollateralarterien,
fehlende Aufzweigung (Crossing) peripherer Nierenarterien und verzögerte Entleerung
der Arterien [15]. Die Sensitivität und Spezifität des angiografischen Nachweises von Nierenarterienaneurysmen
für die Diagnose PAN war 43 % bzw. 69 % und konnte für die Sensitivität gesteigert
auf 80 % werden, wenn nichtaneurysmatische Veränderungen hinzugenommen wurden. Allerdings
sank dabei die Spezifität auf 50 %. Zudem wurden auch Gefäßveränderungen in den hepatischen,
splenalen und viszeralen Arterien gesehen [15].
Andere Autoren empfehlen eine noninvasive Diagnostik. Özcakar berichete über 9 Patienten
mit den Symptomen Bauchschmerzen, Fieber, Fatigue und Myalgien. Hierbei konnte bei
7 die Diagnose mit Dopplerultraschall und bei 4 mit zusätzlicher CT-Angiografie gestellt
werden [17]. Auch wenn dazu keine vergleichende Studie existiert, ist davon auszugehen, dass
die Sensitivität der jeweiligen Methode vor allem durch mangelnde räumliche Auflösung
und/oder Bewegungsartefakte beeinträchtigt wird. Unter dieser Voraussetzung kann die
Diagnostik mit nicht invasiven Methoden ohne Strahlenexposition wie Sonografie und
MRT begonnen werden. Als sensitivste Methode zum Nachweis kleiner Aneurysmen z. B.
in der atemverschieblichen Leber muss jedoch die Katheterangiografie angesehen werden
([
Abb. 6
]).
Therapie
Die Therapie sieht induktiv hochdosierte Steroidgaben vor sowie Cyclophosphamidpulse
bei schwerem Befall. Aufgrund des jugendlichen Alters unserer Patienten haben wir
anstelle von Cyclophosphamid eine Therapie mit Mycophenolatmofetil begonnen. Mit diesem
Medikament wurde unlängst in England eine Studie durchgeführt (MYPAN), deren Ergebnisse
noch ausstehen [20]. Zudem haben wir eine Therapie mit Low-dose-ASS begonnen. Bei fehlendem Ansprechen
kommen Biologika zum Einsatz (TNF-α-Blocker, B-Zell-Depletion, IL-6-Blockade). Zur
Dauer der Erhaltungstherapie existieren keine klaren Daten. Sie sollte aber nicht
vor 12–36 Monaten in Remission beendet und dann über ca. 6 Monate ausgeschlichen werden
[12].
Einhaltung ethischer Richtlinien
Der korrespondierende Autor bestätigt, dass eine Genehmigung der Eltern der Patientin
sowie der Patientin selbst zur Veröffentlichung dieses Fallberichts vorliegt.