Immer mehr Studien zeigen, dass das Coronavirus-induzierte, schwere akute respiratorische
Syndrom (COVID-19) mit einer schweren Gerinnungsstörung assoziiert werden kann. Dies
ist nicht neu für RNA-Viren. Das Ebolavirus (Filovirus), das Lassa-Virus (Arenavirus)
oder das Dengue-Fieber-Virus (Flavivirus) sind bekannt als Auslöser einer Koagulopathie
und hämorrhagischen Fiebers. Im Gegensatz zu diesen Viren verursacht das Coronavirus
aber, laut der vorliegenden Berichte und unserer Erfahrung in Tübingen nach, keine
hämorrhagischen Komplikationen. Im Gegensatz dazu erfüllen mehr als zwei Drittel der
nicht überlebenden COVID-19-Patienten die Kriterien für eine disseminierte intravaskuläre
Gerinnung (DIC). Die Störung der Gerinnung und Fibrinolyse im Lungenkreislauf und
der bronchoalveoläre Raum sind wahrscheinlich wichtige Faktoren für die Pathogenese
von ARDS bei COVID-19. Ackermann und Kollegen berichteten
über verbreitete Thrombosen mit Mikroangiopathie und Verschluss der pulmonalen Kapillaren
sowie signifikantes Gefäßwachstum durch intussuszeptive Angiogenese. Die Mikrothrombi
waren sogar 9 × häufiger nachweisbar als bei der Influenza. Derzeit gehen wir davon
aus, dass sowohl Krankheitserreger (Viren) als auch schädigungsassoziierte molekulare
Muster (DAMPs) aus verletztem Wirtsgewebe die Monozyten aktivieren. Aktivierte Monozyten
setzen entzündungsfördernde Zytokine und Chemokine frei, die Neutrophilen, Lymphozyten,
Thrombozyten und vaskuläre Endothelzellen stimulieren. Monozyten und andere Zellen
exprimieren Gewebefaktor und Phosphatidylserin auf ihren Oberflächen und leiten die
Gerinnung ein. Gesunde Endothelzellen behalten ihre Antithrombogenität bei, indem
sie Glykokalyx und sein Bindungsprotein Antithrombin exprimieren. Geschädigte Endothelzellen
bei COVID-19-Infektion werden nach Störung der Glykokalyx und Verlust von Antikoagulansproteinen
prokoagulatorisch.
Zusätzlich beobachtet man bei COVID-19-assoziierten DIC signifikante Veränderungen
im Fibrinolysesystem, z. B. Fibrinolysis Shutdown. Obwohl der Rezeptor für die SARS-CoV-2-Bindung,
ACE2, in Thrombozyten nicht nachgewiesen ist, zeigen die Thrombozyten von COVID-19-Patienten
basal und nach Aktivierung eine erhöhte P-Selektin-Expression. Darüber hinaus aggregierten
Thrombozyten von COVID-19-Patienten schneller und zeigten eine erhöhte Ausbreitung
sowohl auf Fibrinogen als auch auf Kollagen. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine SARS-CoV-2-Infektion
mit einer Thrombozytenhyperreaktivität verbunden ist, die zur Pathophysiologie von
COVID-19 beitragen kann.
Auch wenn neue Informationen über die Koagulopathie bei COVID-19 immer noch im Fluss
sind, gibt es mittlerweile ausreichende Hinweise darauf, dass thrombotische Gerinnungsstörungen
in schweren Fällen recht häufig sind. Im Vergleich zur hohen Inzidenz von thrombotischen
Ereignissen sind Blutungskomplikationen bei COVID-19 sehr selten. Daher kann eine Standardantikoagulationstherapie
bei COVID-19 dringend empfohlen werden. Die offene Frage bleibt jedoch: mit welchem
Antikoagulans (Heparin oder Argatroban) und welcher Dosierung (prophylaktisch oder
therapeutisch)?