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DOI: 10.1055/a-1205-3242
Verzögerte Diagnose und fehlerhafte Therapie von Basalzellkarzinomen
Delayed Diagnosis and Incorrect Treatment of Basal Cell Carcinomata- Zusammenfassung
- Abstract
- Klinischer Fall
- Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
- Stellungnahme der dermatologischen Poliklinik
- Dermatologisches Gutachten
- Stellungnahme zum Gutachten
- Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
- Gesundheitsschaden
- Medizinische und rechtliche Interpretation
- Literatur
Zusammenfassung
Eine 68-jährige Patientin wurde von einer dermatologischen Poliklinik unter der klinischen Verdachtsdiagnose von Basaliomen im Bereich der Stirn und des Ohres über 20 Monate topisch mit 5 % Imiquimod-Creme behandelt, ohne dass eine bioptische Sicherung vorgenommen wurde. Die danach erfolgte dermatohistologische Diagnostik ergab ein sklerodermiformes und ein noduläres Basalzellkarzinom. Eine operative Therapie erfolgte wegen mehrfacher mangelnder Tumorfreiheit der Exzisionsränder während multipler stationärer Aufenthalte.
Die Schlichtungsstelle bejahte einen ärztlichen Behandlungsfehler. Die Exzision stellt nach Facharztstandard die Therapie der ersten Wahl des Basalzellkarzinoms dar. Auch bei Patientenwunsch nach einer narbenfreien Therapie in kosmetisch sichtbaren Bereichen ist der ärztliche Entscheid zu einer Externatherapie bei klinischer Einordnung als Basalzellkarzinom vom sklerodermiformen bzw. nodulären Typ ohne histopathologische Sicherung als vermeidbare Fehlentscheidung einzuordnen. Spätestens bei Nichtabheilung nach der Erstbehandlung mit Imiquimod-5 %-Creme hätten zwingend eine Probebiopsie und eine histologische Befundsicherung erfolgen müssen. Es lag ein Befunderhebungsmangel vor, der zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden führte.
Der klinische Verdacht auf ein Basalzellkarzinom sollte zeitnah durch eine Probebiopsie oder Totalexzision dermatohistologisch bestätigt werden. Eine Therapie des Basalzellkarzinoms mit topischem Imiquimod ist nur für superfizielle Basalzellkarzinome indiziert; bei Nichtansprechen nach 12 Wochen ist eine andere Therapie zu wählen.
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Abstract
A 68-year-old female patient presented to the outpatient clinic of a Department of Dermatology under the clinical suspected diagnosis of basaliomas in the area of the forehead and ear. Without bioptic confirmation, she was treated topically with 5 % imiquimod cream for 20 months. The later dermatohistological diagnosis revealed a sclerodermiform and a nodular basal cell carcinoma. A subsequent surgical therapy had to be carried out in multiple in-patient stays since tumour-free excision margins could not be achieved.
The Independent Medical Expert Council (IMEC) affirmed a medical treatment error. Surgical excision is the first-line therapy for basal cell carcinoma according to medical specialist standards. Even if a patient wishes to have a scar-free therapy in cosmetically visible areas, the medical decision to use topical imiquimod therapy is to be classified as an avoidable error, if a basal cell carcinoma is of the scleroderma or nodular type. At the latest in the case of non-healing after initial treatment with imiquimod 5 % cream, a skin biopsy with a dermatohistological work-up would have been mandatory. There was a lack of diagnostic procedures, which led to a reversal of the burden of proof regarding the causality of the treatment error for the damage that occurred.
The clinical suspicion of a basal cell carcinoma should be promptly confirmed dermatohistologically by a biopsy or total excision. A therapy of basal cell carcinoma with topical imiquimod is only indicated for superficial basal cell carcinoma; if no response is observed after 12 weeks, another therapeutic modality should be chosen.
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Klinischer Fall
Aus den von der Schlichtungsstelle herangezogenen Krankenunterlagen, auch der vor- und nachbehandelnden Ärzte, ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:
Die 68-jährige Patientin wurde vom Hausarzt mit der Verdachtsdiagnose von Basaliomen im Bereich der Stirn rechts und der rechten Ohrkante in einer dermatologischen Poliklinik vorgestellt. Es wurde die Verdachtsdiagnose eines sklerodermiformen Basalioms an der Stirne rechts bestätigt; für die Hautveränderung an der Ohrkante rechts wurde die Verdachtsdiagnose eines Ekzems gestellt. Laut Patientenkartei ist im Stirnbereich eine zweizeitige operative Therapie als Indikation dokumentiert. Zur Nachfolgekonsultation 3 Wochen später wurden der Stirnherd klinisch als sklerodermiformes Basaliom von 1,2 × 1,2 cm diagnostiziert sowie der Verdacht auf ein Basaliom im Halsbereich geäußert und eine Externabehandlung mit 5 % Imiquimod eingeleitet. Nach Absetzen der Lokaltherapie 5 Wochen später aufgrund deutlicher Entzündung war eine Größenreduktion im Stirnbereich sowie am Hals nachzuweisen. Retroaurikulär fiel ein neuer Herd von 1,0 cm im Durchmesser auf, der mit den Differenzialdiagnosen Ekzem/Basaliom dokumentiert wurde. Die Imiquimod-Therapie wurde fortgesetzt. Zwischenzeitliche Kontrollen dokumentierten eine Befundbesserung, jedoch keine Abheilung. Eine Empfehlung zur Hautbiopsie war nach 3 Monaten aktenkundig. Weitere 5 Wochen später wurde die Diagnose eines Basalioms an der Stirn und der Verdacht auf ein Basaliom an der Ohrhelix sowie der Verdacht auf eine Lokalanästhesieunverträglichkeit geäußert und erneut 5 %-Imiquimod-Creme verordnet. Es erfolgte eine Weiterleitung an die Allergie-Abteilung zum Allergieausschluss mit Testung, die negativ ausfiel. Nach inzwischen 9 Monaten erfolgten Hautstanzbiopsien in Lokalanästhesie mit histologischer Sicherung eines Basalioms Ohrrand rechts sowie einer chronischen Entzündung im Stirnbereich. Nach einem weiteren Monat erfolgte trotz Besprechung der OP-Möglichkeiten erneut eine Imiquimod-Therapie im Ohrbereich. Nach zwischenzeitlichen Kontrolluntersuchungen mit dokumentiertem Basaliomnachweis wurde nach 20 Monaten die stationäre Einweisung in die Klinik für Dermatologie zur operativen Behandlung des mittlerweile 1,5 × 2,0 cm messenden Basalioms im Ohrmuschelbereich rechts sowie einer Probeexzision im Stirnbereich vorgenommen. Aufgrund der Größe des Basalioms erfolgte die Weiterleitung an die HNO-Klinik, wo schließlich in Vollnarkose die Exzision des Tumors an der Ohrhelix rechts mit dem histologischen Befund eines infiltrativen Basalioms mit Ulzerationen seitlich randbildend sowie eine Probeexzision an der Stirn rechts mit dem histologischen Nachweis eines sklerodermiformen Basalioms durchgeführt wurde. Während der Intubationsnarkose kam es zum Herausbruch des Haltezahnes einer Brücke. Im Rahmen der stationären Nachexzision des Stirnherdes mit direktem Wundverschluss sowie der Exzision des Tumors am Ohransatz wurde nach histologischer Befundung erneut eine nicht in toto durchgeführte Exzision nachgewiesen, sodass bei einem weiteren stationären Aufenthalt erneute Exzisionen in Allgemeinanästhesie erforderlich wurden. Eine Exzision des Tumors am Ohransatz im Gesunden war histologisch erneut nicht zu sichern. Eine alleinige Nachbeobachtung wurde vorgeschlagen. Es erfolgten 5 weitere stationär durchgeführte Exzisionen über mehrere Jahre, bis histologisch Tumorfreiheit an den Exzisionsrändern nachgewiesen werden konnte.
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Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Durch die Patientin wurde die Behandlung durch Ärzte des Universitätsklinikums der Kliniken für Dermatologie, HNO-Heilkunde und Anästhesie bemängelt. Infolge nicht fachgerechter bzw. Unterlassung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen mit Fehldiagnosen im Bereich Dermatologie sei es zu einer starken Zeitverzögerung indizierter operativer Maßnahmen gekommen. Die Durchführung der operativen Therapie multipler Basaliomherde im Bereich der HNO-Heilkunde sei fehlerhaft und nicht fachgerecht erfolgt, sodass durch Mehrfachoperationen über einen langen Zeitraum eine starke psychische und physische Belastung eingetreten sei. Als fehlerbedingte Anästhesiefolge sei es zu einem Zahnverlust gekommen, der eine zahntechnisch aufwendige Versorgung erforderlich habe werden lassen. Im Folgenden werden lediglich die Beanstandungen der Patientin bzgl. der dermatologischen Behandlung behandelt.
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Stellungnahme der dermatologischen Poliklinik
Auf den Vorwurf fehlerhaften Handelns wurde mit einer eigenen Darstellung der Sachverhalte durch die Fachgebiete reagiert. Behandlungsfehler wurden in Abrede gestellt. Die Poliklinik für Dermatologie wies darauf hin, dass die unterschiedlichen Lokalisationen der Hautveränderungen außer im Stirnbereich zu differenzialdiagnostischen Erwägungen und diagnosebezogenen Therapiemaßnahmen geführt hätten. Aufgrund des kosmetischen Ergebnisses bei operativen Maßnahmen und zurückhaltender Patientenmeinung zur Exzision sei eine Imiquimod-Therapie mit gutem Ansprechen eingeleitet worden. Aufgrund ausbleibender Abheilung seien dringend operative Maßnahmen angeraten worden. Aufgrund des Wunsches der Patientin nach alternativen Methoden sowie Vorstellung in der Allergieabteilung sei eine Verzögerung im Behandlungsablauf eingetreten.
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Dermatologisches Gutachten
Der beauftragte dermatologische Gutachter traf folgende Kernaussagen: Durch Ärzte der dermatologischen Poliklinik sei bei klinisch dokumentiertem Verdacht auf ein sklerodermiformes Basaliom im Stirnbereich sowie differenzialdiagnostischer Erwägung eines Basalioms im Helixbereich rechts zunächst eine Imiquimod-Behandlung (5 %-Creme) durchgeführt worden. Nach Fachinformation bestehe eine Zulassung für dieses Präparat für oberflächliche Basaliome, da nur hierfür laut wissenschaftlichen Kenntnisstandes eine ausreichende Heilungsquote erreichbar sei. Bei klinischem Verdacht eines Basalioms sklerodermiformen Typs sei diese Therapie kontraindiziert. Eine nichtchirurgische Tumortherapie der Haut ohne vorherige histologische Sicherung berge die hohe Gefahr der klinischen Fehlbeurteilung in sich. Der Tumor im Bereich der Ohrkante sei später histologisch als solides Basaliom eingeordnet und ebenfalls nicht fachgerecht mit Imiquimod therapiert worden. Das kleine Basaliom im Halsbereich sei problemlos mittels Shave-Exzision zu entfernen gewesen. Die anamnestische Angabe einer Lokalanästhesieunverträglichkeit sei für die Zeitverzögerung operativer Behandlungen nicht maßgebend. Der angegebene dokumentierte Wunsch der Patientin für alternative, nicht operative Therapieformen sei für den Therapieablauf mit langzeitiger Verordnung von Imiquimod-5 %-Creme bei nicht bestehender Indikation für den ärztlichen Entscheid als untergeordnet zu bewerten. Die Unterlassung der histologischen Diagnosesicherung mittels Probebiopsien unter der Imiquimod-Therapie sowie langzeitige Kontrollen ohne gesicherte klinische Tumorabheilung, aber bei mehrfacher Verordnung von Imiquimod, seien für die Verzögerung der operativen Maßnahmen sowie wesentlich für die Zeitverzögerung von der klinischen Erstdiagnose bis zur Überweisung an die HNO-Klinik zur operativen Therapie verantwortlich. Dies sei als Fehler ärztlichen Handelns durch Ärzte der Poliklinik für Dermatologie zu bewerten.
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Stellungnahme zum Gutachten
Zu dem Gutachten wurden von der dermatologischen Poliklinik folgende Einwendungen erhoben:
Der Entscheid für eine Initialtherapie mittels Imiquimod sei aufgrund des Patientenvorbehaltes gegen eine operative Therapie bei Aufklärung über die Möglichkeit des Nichtansprechens erfolgt. Eine Probebiopsie sei einer Operation gleichzusetzen. Die später angedachten Probebiopsien seien durch den Verdacht auf eine Lokalanästhesieunverträglichkeit verzögert worden. Die Patientin sei dem Allergieausschluss nicht zeitnah nachgekommen. Aufgrund des histologischen Erstbiopsieergebnisses einer inflammatorischen Reaktion im Stirnbereich seien ebenso wie im Ohrbereich Befundkontrollen als indiziert anzusehen. Die Therapie mit Imiquimod bei nichtsuperfiziellem Tumor sei als Einzelfallentscheidung möglich. In wissenschaftlichen Studien sei belegt, dass Imiquimod prinzipiell bei allen Basalzellkarzinomen eine Wirksamkeit zeige. Es sei dem Wunsch der Patientin gefolgt worden.
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Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
In Würdigung der medizinischen Dokumentation und der Stellungnahmen der Beteiligten gelangte die Schlichtungsstelle zu folgender Bewertung des Sachverhaltes:
Aufgrund des klinischen Erstbefundes wurde durch die dermatologische Poliklinik im Bereich der Stirn rechts die Diagnose eines sklerodermiformen Basalzellkarzinoms gestellt sowie differenzialdiagnostisch im Bereich der Helix des rechten Ohres ein Basaliom in Erwägung gezogen. Im weiteren Verlauf sind klinisch im Halsbereich rechts sowie Ohrrandbereich weitere Befunde im Sinne von Basalzellkarzinomen klinisch dokumentiert. Ohne histopathologische Gewebeuntersuchungen mit diagnostischer Sicherung erfolgten langzeitige Wiederholungsbehandlungen mittels Imiquimod-5 %-Creme. Imiquimod mit nachgewiesener antitumoraler Aktivität hat laut Fachinformation eine Zulassung nur für superfizielle Basalzellkarzinome mit jedoch geringeren Heilungsquoten als operative Therapiemaßnahmen. Exzisionen stellen nach Fachstandard die Therapie erster Wahl dar. Auch bei Patientenwunsch nach einer narbenfreien Therapie in kosmetisch sichtbaren Bereichen ist der ärztliche Entscheid zu dieser Externatherapie bei klinischer Einordnung als Basalzellkarzinom vom sklerodermiformen Typ als vermeidbare Fehlentscheidung einzuordnen, da laut Kenntnisstand dieser Basaliomtyp schwer therapierbar ist und selbst unter operativen Maßnahmen eine höhere Rezidivrate aufweist. Der alleinige Entscheid zur Therapie mittels Imiquimod nach klinischem Befund ohne histopathologische Sicherung ist auch im Ohrhelixbereich als nicht dem Fachstandard entsprechend einzuordnen. Spätestens bei Nichtabheilung nach einer Erstbehandlung mit Imiquimod-5 %-Creme hätten zwingend eine Probebiopsie, die bei entsprechender Entnahmetechnik meist kosmetisch gute Narbenverhältnisse nach sich zieht, und eine histologische Befundsicherung erfolgen müssen. Die weitere zeitliche Verzögerung der Exzisionstherapie durch den Allergieausschluss gegenüber einem Lokalanästhetikum war nicht vertretbar. Es liegt zu diesem Zeitpunkt ein Befunderhebungsmangel vor.
Eine fehlerhafte Unterlassung der medizinisch gebotenen Befunderhebung führt dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden, wenn sich bei der gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und wenn sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde.
Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt: Es war nach Lage der Akten davon auszugehen, dass bei Durchführung einer Probebiopsie an Stirn und Ohrhelix und anschließender histologischer Aufarbeitung sich ein den späteren Befunden entsprechendes Ergebnis gezeigt hätte. Hierauf nicht mit einer zeitnahen Operation zu reagieren, wäre angesichts der ggf. eintretenden erheblichen Größenzunahmen der Basalzellkarzinome als schwerer Fehler zu bewerten.
Zusammenfassend wurde von der Schlichtungsstelle festgehalten, dass es vor dem Hintergrund der im Rahmen der dermatologischen Behandlung festgestellten Befunderhebungsmängel und der daraus folgenden Beweislastumkehr für den Kausalitätsnachweis ausreicht, dass die zu unterstellende fundamentale Verkennung des zu erwartenden Befundes oder die Nichtreaktion darauf generell geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen.
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Gesundheitsschaden
Die Beweislastumkehr bezieht sich im vorliegenden Fall auf folgenden primären und typischerweise damit verbundenen sekundären Gesundheitsschaden:
Die Gesamtverzögerung der Einleitung operativer Maßnahmen dauerte vom Behandlungsbeginn bis zur Überweisung an die Klinik für HNO-Heilkunde über 20 Monate. Dieser Zeitraum ist geeignet, ein umfangreiches Wachstum der Basaliome an Stirn und Ohrhelix unerkannt zu lassen und zieht dann notwendigerweise umfangreiche Exzisionen und Nachexzisionen nach sich.
Bei korrektem Vorgehen der fachdermatologischen Behandlung wäre nach ärztlicher Erfahrung ein in Ausmaß und Größe wesentlich kleinerer operativer Eingriff im Bereich Stirn, Ohrkante, Ohransatz und retroaurikulär rechts möglich gewesen. Möglicherweise wäre ein einzelner ambulanter Eingriff ausreichend gewesen; damit wären kosmetisch wesentlich günstigere Narbenverhältnisse zu erwarten gewesen.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadensersatzansprüche im dargestellten Rahmen für begründet und empfahl, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.
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Medizinische und rechtliche Interpretation
Der dargestellte Fall ist sehr komplex und in mehrerer Hinsicht von Interesse: Einerseits lag eine erhebliche Verzögerung der Diagnostik vor, die von der Schlichtungsstelle als schwerer Befunderhebungsmangel mit daraus folgender Beweislastumkehr für die Kausalität des Schadens gewertet wurde, andererseits erfolgte mit der Imiquimod-Therapie des sklerodermiformen und des nodulären Basalzellkarzinoms eine nicht leitliniengerechte Therapie, die nicht dem Facharztstandard entsprach. Separat, und hier nicht betrachtet, wären die Behandlungsfehlervorwürfe gegen die HNO-Klinik zu bewerten, an die die Patientin für die operative Therapie weitergeleitet wurde, zu der sich die Universitätsklinik für Dermatologie nicht in der Lage sah. Eine gerade bei sklerodermiformen Basaliomen im Gesichtsbereich indizierte mikrografische Dermatochirurgie [1] wurde dort nicht durchgeführt, sodass es zu zahlreichen inkompletten Exzisionen und Rezidiven kam, die vermutlich hätten verhindert werden können. Da war der bei der Intubationsnarkose vom Anästhesisten beschädigte Zahn für die Patientin offenbar der „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“.
Das Basalzellkarzinom (BZK) ist der häufigste Tumor in Mitteleuropa mit ständig steigender Inzidenz [2]. Die Diagnose wird primär klinisch gestellt, im typischen Fall eines nodulären BZK aufgrund des erythematösen, transparenten Tumors mit „Perlchensaum“, radiären Teleangiektasien und möglicher Exulzeration ([Abb. 1]). Zur Diagnosesicherung eines BZK soll gemäß der deutschen Leitlinie die histologische Untersuchung je nach Größe des Tumors und therapeutischem Ansatz nach Biopsieentnahme und/oder nach therapeutischer Exzision am Exzisionsmaterial erfolgen [3]. Es wird insbesondere darauf hingewiesen, dass sich die subklinische Ausbreitung gerade bei dem klinisch sklerodermiformen, histologisch fibrosierend wachsenden Subtyp mit ausreichender Sicherheit nur histologisch feststellen lässt [3]. Verspätet diagnostizierte BZK („neglected“) können zu großen Tumoren heranwachsen und eine erhebliche Gewebszerstörung mit hoher Morbidität und sogar Letalität verursachen [4].


Über den exakten Zeitpunkt der durchzuführenden dermatohistologischen Diagnostik gibt die Leitlinie keine Auskunft, jedoch dürfte die Verzögerung einer grundsätzlich möglichen und mit geringem Risiko einhergehenden Hautbiopsie zur Diagnosesicherung über viele Monate, wie im vorliegenden Fall, nicht dem Facharztstandard entsprechen. Im berichteten Fall war offenbar die Patientin selbst zurückhaltend mit der Einwilligung in die Biopsie. Während eine Biopsie in Respektierung der Patientenautonomie selbstverständlich nur mit rechtswirksamer Einwilligung nach Aufklärung möglich ist und die Patientin daher letztlich die Entscheidung traf, fehlte es aber an der eindringlichen, wiederholten und dokumentierten Information der Ärzte der dermatologischen Poliklinik über die Indikation zur Biopsie und die möglichen aus ihrer Ablehnung resultierenden Folgen. Verweigert sich ein Patient einer nach Facharztstandard gebotenen Diagnostik, sollte dies immer in der Patientenakte detailliert dokumentiert werden; auch eine schriftliche Ablehnungsbestätigung ist zu Beweiszwecken hilfreich.
Lehrreich ist in diesem Zusammenhang ein 2009 vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedener Fall [5]. Ein Patient wurde als Notfall in einer chirurgischen Klinik aufgenommen, da er kolikartige Schmerzen im Bauchbereich verspürte. Man vermutete zunächst einen Harnleiterstein, diagnostizierte aber nach einer Computertomografie des Abdomens eine Pankreasschwanzzyste, die punktiert und unter Antibiotikagabe mit einer Drainage versehen wurde; dadurch kam es zu einem Rückgang der Raumforderung. Eine Woche später verlegte man den Patienten in die Klinik für Gastroenterologie und Innere Medizin. Nach Entfernung der Drainage traten wieder Bauchbeschwerden auf, auch kam es zu einem Anstieg der Entzündungsparameter; anschließend war die Pankreasschwanzzyste sowohl sonografisch als auch radiologisch erneut nachweisbar. Dennoch bestand der Kläger wegen privater Verpflichtungen darauf, den stationären Aufenthalt abzubrechen. 1 Jahr später trat beim Patienten eine Makrohämaturie auf, die auf eine Fistelung zwischen Pankreaszyste und Niere zurückzuführen war; der Patient klagte auf Arzthaftung, da er nicht über die Gefahr einer Fistelbildung aufgeklärt worden war. Er bestritt aber nicht, dass er von den behandelnden Ärzten auf mögliche lebensbedrohliche Komplikationen des Behandlungsabbruchs hingewiesen wurde; dieses war nach Urteil des OLG Düsseldorf ausreichend. Ein Kausalzusammenhang zwischen einer Behandlung und einem Gesundheitsschaden wird durch eine sachwidrige eigene Willensentscheidung eines Patienten zum Behandlungsabbruch unterbrochen [6]. Das OLG Düsseldorf wies aber auch darauf hin, dass den Arzt eine sekundäre Darlegungslast für eine Behandlungsverweigerung und für die Therapieaufklärung trifft, wobei das Fehlen jeglicher Anhaltspunkte dafür in der Behandlungsdokumentation zu Beweiserleichterungen für den Patienten führen kann [5].
Als Behandlungsfehler bestätigt, aber letztlich aufgrund des Befunderhebungsfehlers für die Haftung der dermatologischen Poliklinik nicht ausschlaggebend, war die langfristige Therapie des sklerodermiformen und des nodulären Basalzellkarzinoms mit einer 5 % Imiquimod enthaltenden Creme. Imiquimod ist ein Toll-like-Rezeptor-Agonist (TLR7 und 8), der durch die Induktion proinflammatorischer Zytokine und weiterer Mediatoren sowohl die angeborene als auch die zelluläre Immunantwort aktivieren und hierdurch eine zielgerichtete Abtötung von Tumorzellen induzieren kann [1]. Gemäß der aktuellen deutschen Leitlinie kann Imiquimod-5 %-Creme zur Therapie von superfiziellen BZK genutzt werden, vorzugsweise wenn Kontraindikationen gegen eine OP bestehen [1]. Nach der Fachinformation des Präparates sind Indikationen für den Einsatz Condylomata acuminata, das superfizielle Basalzellkarzinom und aktinische Keratosen bei Erwachsenen. Folgender Warnhinweis wird gegeben: „Das Therapieergebnis des mit Imiquimod-Creme behandelten Tumors sollte 12 Wochen nach Ende der Behandlung beurteilt werden. Ist der behandelte Tumor nicht vollständig abgeheilt, sollte eine andere Therapie angewendet werden.“ Die Behandlung des sklerodermiformen und des nodulären Basalzellkarzinoms mit Imiquimod war daher nicht nur bez. der Behandlungsindikation, sondern auch bez. der Behandlungsdauer außerhalb der Zulassung des Medikaments (off label); für eine Off-Label-Therapie treffen den Arzt besondere Aufklärungspflichten. Wie ein neues systematisches Review zeigt, hat Imiquimod bei nodulären BZK jedoch durchaus eine (der Dermatochirurgie allerdings unterlegene) klinische und histologische Abheilungsrate von über 70 % mit einer Rezidivrate von 1,80 % [7]. Es kann damit zwar eine Off-Label-Behandlungsoption für noduläre BZK darstellen, sollte allerdings den Situationen vorbehalten bleiben, in denen Patienten einen chirurgischen Eingriff (dokumentiert) ablehnen oder dieser kontraindiziert ist.
Der klinische Verdacht auf ein Basalzellkarzinom sollte zeitnah durch eine Probebiopsie oder Totalexzision dermatohistologisch bestätigt werden. Eine Therapie des Basalzellkarzinoms mit topischem Imiquimod ist nur für superfizielle Basalzellkarzinome indiziert; bei Nichtansprechen nach 12 Wochen ist eine andere Therapie zu wählen.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Literatur
- 1 Lang BM, Balermpas P, Bauer A. et al. S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom der Haut – Teil 2: Therapie, Prävention und Nachsorge: S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom – Teil 2. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 214-231
- 2 Lang BM, Grabbe S. [Diagnosis and treatment of basal cell carcinoma: A question of the risk of recurrence]. Hautarzt 2020; 71: 580-587 Im Internet: http://dx.doi.org/10.1007/s00105-020-04628-w
- 3 Lang BM, Balermpas P, Bauer A. et al. S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom der Haut – Teil 1: Epidemiologie, Genetik und Diagnostik: S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom – Teil 1. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 94-104
- 4 Eichelmann K, Garcia-Melendez ME, Vázquez-Martínez OT. et al. Neglected skin carcinomas: What should not be. J Eur Acad Dermatol Venereol 2016; 30: 367-368
-
5
OLG Düsseldorf.
Urteil vom 03. Dezember 2009 – I-8 U 183/08 –, juris.
-
6
OLG Braunschweig.
Urteil vom 11. März 2004 – 1 U 77/03 –, juris.
- 7 Huang CM, Kirchhof MG. Topical Imiquimod as a Treatment Option for Nodular Basal Cell Carcinoma: A Systematic Review. J Cutan Med Surg 2020;
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
31 July 2020
© 2020. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Lang BM, Balermpas P, Bauer A. et al. S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom der Haut – Teil 2: Therapie, Prävention und Nachsorge: S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom – Teil 2. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 214-231
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- 3 Lang BM, Balermpas P, Bauer A. et al. S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom der Haut – Teil 1: Epidemiologie, Genetik und Diagnostik: S2k-Leitlinie Basalzellkarzinom – Teil 1. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 94-104
- 4 Eichelmann K, Garcia-Melendez ME, Vázquez-Martínez OT. et al. Neglected skin carcinomas: What should not be. J Eur Acad Dermatol Venereol 2016; 30: 367-368
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5
OLG Düsseldorf.
Urteil vom 03. Dezember 2009 – I-8 U 183/08 –, juris.
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6
OLG Braunschweig.
Urteil vom 11. März 2004 – 1 U 77/03 –, juris.
- 7 Huang CM, Kirchhof MG. Topical Imiquimod as a Treatment Option for Nodular Basal Cell Carcinoma: A Systematic Review. J Cutan Med Surg 2020;

