Laryngorhinootologie 2021; 100(02): 111-119
DOI: 10.1055/a-1197-6978
Originalarbeit

Evaluation der Ösophagoskopie im Staging und Restaging von Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen

Evaluation of oesophagoscopy for staging and restaging of head and neck squamous cell carcinoma

Authors

  • Lena Weber

    1   Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg, Germany
  • Oliver Blachutzik

    2   Hals-Nasen-Ohrenklinik und Poliklinik, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Germany
  • Veronika Vielsmeier

    1   Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg, Germany
  • Kornelia Andorfer

    1   Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg, Germany
  • Christoph Matthias

    2   Hals-Nasen-Ohrenklinik und Poliklinik, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Germany
  • Julian Künzel

    1   Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg, Germany
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die Ösophagoskopie als Teil der Panendoskopie ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik und Nachsorge von Patienten mit Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen (HNSCC). Zweitkarzinome haben gravierenden Einfluss auf die Therapie der Primärerkrankung. Diese Arbeit soll prüfen, ob die routinemäßige Ösophagoskopie gerechtfertigt ist oder ob prädiktive Faktoren eine Selektion von Patienten mit erhöhtem Risikoprofil erlauben.

Material und Methoden In einem systematischen Review wurden die Inzidenz von Zweitkarzinomen des Ösophagus und die Komplikationsrate der Ösophagoskopie erfasst. Eine retrospektive Auswertung erfolgte am eigenen Patientenkollektiv. Zur Evaluation der gängigen Praxis an deutschen HNO-Kliniken wurde eine Umfrage durchgeführt.

Ergebnisse 1053 Ösophagoskopien bei 800 Patienten mit HNSCC wurden ausgewertet. Es traten 7 (0,9 %) synchrone Zweittumoren auf. In 253 Kontroll-Ösophagoskopien wurden 5 (2 %) metachrone Zweittumoren detektiert. In einem Fall (0,1 %) kam es zu einer iatrogenen Perforation. Ein Zusammenhang zwischen Risikofaktoren (Noxen, Lokalisation Primärtumor etc.) und der Inzidenz von Zweitkarzinomen wurde nicht nachgewiesen. Das Literaturreview ergab eine mittlere gewichtete Inzidenz der Zweitkarzinome für Europa/USA von 1,8 % und 4,1 % für Asien sowie eine Rate der iatrogenen Ösophagusperforation von 0–0,2 %. Die Umfrage zeigte eine routinemäßige Durchführung der Ösophagoskopie im Staging (100 %), in der Nachsorge in 65,3 %.

Schlussfolgerungen Die Ösophagoskopie ist ein sicheres Verfahren zum Ausschluss eines Zweitkarzinoms des Ösophagus. Um eine Patientenselektion nach entsprechendem Risikoprofil – insbesondere in der Tumornachsorge – zu ermöglichen, sind prospektive multizentrische Studien erforderlich.


Abstract

Objective Oesophagoscopy is important in diagnostic and follow up investigation in patients with head and neck squamous cell carcinoma (HNSCC). Second primary malignancies of the oesophagus have major impact on therapy of the primary tumour. Considering the low incidence of oesophageal second primaries and the serious complication of oesophageal perforation routine oesophagoscopy is being discussed.

Material and Methods Incidence of oesophageal second primaries and complication rates in oesophagoscopy were identified in a systematic review. A retrospective analysis was performed in our own patient collective. To evaluate the current practice at German ENT Clinics a survey was conducted.

Results 1053 oesophagoscopies in 800 patients were analysed. In 800 patients seven (0.9 %) synchronous secondary malignancies of the oesophagus occurred. In 253 follow up oesophagoscopies five (2 %) metachronous secondary malignancies were discovered. 14 (1.3 %) complications were detected; oesophageal perforation was only detected in one case (0.1 %). There was no association of certain risk factors with the incidence of secondary malignancies. The review of literature showed an incidence of secondary malignancies for Europe/USA of 1.8 % and for Asia of 4.1 %. Incidence of oesophageal perforation was 0–0.2 %. Survey results showed routine oesophagoscopy in staging (100 %) and regularly in follow up (65.3 %).

Conclusions Oesophagoscopy is a convenient method to detect secondary malignancies of the oesophagus. To allow a selection of patients developing secondary malignancies according to risk profiles further prospective multicentre studies are required.


Einleitung

Die Ösophagoskopie als Teil der Panendoskopie ist traditionell ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik und Nachsorge von Patienten mit Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich (HNSCC). Zweitkarzinome im Ösophagus haben gravierenden Einfluss auf die Therapie der Primärerkrankung und führen zu einer deutlich reduzierten Überlebensrate [1]. Dies macht eine frühzeitige und gründliche Detektion notwendig. Tritt ein Zweitkarzinom innerhalb von 6 Monaten nach Diagnosestellung eines HNSCC auf, wird es als synchron bezeichnet, zu jedem späteren Zeitpunkt als metachron [2].

Die Inzidenzen von Zweitkarzinomen im Ösophagus variieren regional erheblich. In den USA und Europa wird die Inzidenz von synchronen Zweitkarzinomen mit 2–3 % [3] [4] [5] angegeben, in asiatischen Ländern hingegen mit 4–7 % [6] [7]. Wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung von Sekundärtumoren sind ein persistierender Nikotin- und Alkoholabusus [3]. Die Kombination dieser Noxen mit dem Verzehr von Betelnüssen wird für die erhöhte Inzidenz in asiatischen Ländern verantwortlich gemacht [8]. Bisher wurde kein Einfluss des Stadiums des Primärtumors auf die Inzidenz nachgewiesen, jedoch wird diskutiert, ob abhängig von der Lokalisation des Primärtumors ein erhöhtes Risiko für Zweitmalignome bestehen könnte [9]. Patienten mit HPV-assoziierten Tumoren weisen häufig nicht das typische Risikoprofil auf. Dies wirft die Frage auf, ob bei Fehlen von Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit für Zweitkarzinome so niedrig ist, dass im Rahmen des Stagings bei diesen Patienten auf eine Ösophagoskopie verzichtet werden kann. Verlässliche Methoden zur Selektion der zu untersuchenden Patienten sind bisher nicht etabliert.

Das für die Ösophagoskopie verwendete Endoskop kann starr oder flexibel sein. Beide Verfahren bergen Risiken für die Patienten. Schäden an den Zähnen und Schleimhautverletzungen zählen dabei zu den harmloseren Komplikationen. Die Ösophagusperforation mit der Gefahr einer Mediastinitis stellt die gravierendste Komplikation dar. In Bezug auf diagnostische Ösophagoskopien liegt die Inzidenz für Perforationen deutlich unter 1 % [10]. Dabei wird die Mortalitätsrate bei einer ösophagealen Perforation mit 15–20 % angegeben [11].

Ziel dieser Arbeit ist es zu prüfen, ob die starre Ösophagoskopie als Instrument der routinemäßigen Diagnostik und Nachsorge von HNSCC gerechtfertigt ist oder ob prädiktive Faktoren eine Selektion von Patienten mit erhöhtem Risikoprofil erlauben. Wir führten ein systematisches Review zur Ermittlung der Inzidenz von Zweitkarzinomen und der Komplikationsrate der Ösophagoskopie durch. Darüber hinaus haben wir unser eigenes Patientenkollektiv diesbezüglich retrospektiv ausgewertet. Zur Evaluation der gängigen Praxis der Durchführung der Ösophagoskopie im Rahmen der Panendoskopie wurde eine Umfrage mittels Fragebogen an deutschen HNO-Kliniken erstellt.


Material und Methode

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz genehmigt (2019-14060).

Patientenkollektiv

Das Kollektiv dieser retrospektiven Studie setzt sich aus Patienten einer deutschen HNO-Universitätsklinik zusammen. Patienten, bei denen zwischen 2008 und 2018 aufgrund eines HNSCC im Rahmen einer Panendoskopie eine Ösophagoskopie durchgeführt wurde, konnten in die Studie eingeschlossen werden. Kontroll-Panendoskopien wurden vorwiegend bei Patienten mit nichtchirurgischer Primärtherapie oder bei Rezidiv-Verdacht durchgeführt. Bei erhöhtem Operationsrisiko wurde ebenfalls eher auf eine Kontroll-Panendoskopie bei unauffälligem Spiegelbefund und unauffälliger Bildgebung im Restaging verzichtet. Zur Identifikation aller Patienten, auf die die obengenannten Kriterien zutrafen, wurde eine Datenbankabfrage (SAP-SE, Walldorf/Deutschland) mit Operations- und Prozedurenschlüssel (OPS)-Codes durchgeführt. Verwendet wurden die Codes der flexiblen Ösophagoskopie (1-630.0), der starren Ösophagoskopie (1-630.1), der Ösophagogastroskopie (1-631), der Ösophagogastroduodenoskopie (1-632) sowie der Kombination der Panendoskopie bestehend aus flexibler Tracheobronchoskopie (1-620.0), starrer Ösophagoskopie (1-630.1), diagnostischer Laryngoskopie (1-610.0) und diagnostischer Pharyngoskopie (1-611.0). Zu den Patienten wurden Geburtsdatum, Geschlecht, Body-Mass-Index, Nikotinkonsum in pack years, Ausprägung des Alkoholkonsums (anamnestische Angaben, kategorisiert nach Anzahl des Konsums pro Woche), bisherige Tumoren im Aerodigestivtrakt (innerhalb der letzten 5 Jahre) und deren Lokalisation, Lokalisation des Primarius, klinische Befunde im Ösophagus, bereits durchgeführte Radiatio, Datum und Art der Ösophagoskopie, Biopsie-Befunde, das Vorhandensein eines synchronen Tumors, Komplikationen und Art der Komplikationen, eine temporär eingesetzte Magensonde sowie das Vorhandensein eines metachronen Tumors strukturiert erfasst.


Literaturrecherche

Zur Evaluation der bestehenden Evidenz führten wir eine systematische Literaturabfrage nach den Prisma-Kriterien (www.prisma-statement.org) durch. Die Abfrage erfolgte von September bis Oktober 2018 über die Datenbank PubMed (NLM). Folgende MeSH- Begriffe wurden abgefragt: „esophagoscopy OR flexible esophagoscopy AND head and neck cancer AND squamous cell carcinoma”, esophagoscopy AND head and neck cancer AND second primary” und „panendoscopy AND head and neck cancer”. Zudem wurden die Filter „only humans“, „english (language)“ und „abstract available“ angewendet.

Auswahlkriterium geeigneter Arbeiten war die initiale Diagnose eines HNSCC und die Durchführung einer Ösophagoskopie. Der Einschluss in die systematische Übersicht erfolgte für alle Arbeiten, bei denen eine exakte Inzidenz für synchrone Zweitkarzinome im Ösophagus oder eine Inzidenz für Komplikationen im Rahmen der Ösophagoskopie angegeben wurde.


Umfrage

Es erfolgte eine deutschlandweite Umfrage an Hals-Nasen-Ohrenkliniken, um den aktuellen Stellenwert der Ösophagoskopie als diagnostisches Verfahren bei Kopf- und Hals-Tumorpatienten in der klinischen Praxis einzuordnen. Die E-Mail-Adressen der Klinikleitungen wurden uns für den Zweck dieser Umfrage freundlicherweise von der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie zur Verfügung gestellt.

Der Fragebogen beinhaltete 5 Fragen:

  • „Wird die Ösophagoskopie standardmäßig im Staging von Kopf-Hals-Tumorpatienten angewendet?“

  • „Welches Endoskop verwenden Sie zur Ösophagoskopie im Rahmen der Panendoskopie?“
    Auswahl: flexibel oder starr

  • „Halten Sie die Ösophagoskopie im Primärstaging für sinnvoll?“

  • „Führen Sie eine Kontroll-Ösophagoskopie standardmäßig in der Nachsorge durch?“

  • „Halten Sie die Ösophagoskopie im Restaging für sinnvoll?“

Weiterhin bestand die Möglichkeit für einen Freitextkommentar.


Statistik

Die erfassten Daten wurden mit Microsoft Excel für Mac (Microsoft-Excel Version 16.24, Microsoft, Redmond/ Vereinigte Staaten) sowie mit IBM SPSS Statistic Subscription (Version 23, IBM, Armonk/ Vereinigte Staaten) für Mac statistisch ausgewertet (univariate Analysen, exakter Fisher-Test, Chi-Quadrat-Test). Ein p-Wert < 0,05 wurde als statistisch auffällig gewertet.



Ergebnisse

Patientenkollektiv

Insgesamt wurden 1053 Ösophagoskopien bei 800 Patienten ausgewertet. Dieses Kollektiv setzte sich aus 624 Männern (78 %) und 176 Frauen zusammen (22 %). Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Ösophagoskopie betrug 63,9 Jahre. Unter den Patienten waren 558 Raucher (69,8 %), 173 Nichtraucher (21,6 %), bei 69 Patienten (8,6 %) fehlten entsprechende Angaben dazu in der Patientenakte. Die Anzahl der pack years ist [Tab. 1] zu entnehmen. 445 (55,6 %) Patienten gaben einen regelmäßigen Alkoholkonsum an. Dagegen verneinten 69 (8,6 %) Patienten einen Alkoholkonsum, während 286 (35,8 %) keine Angaben dazu machten bzw. keine Angaben dokumentiert waren. Die Ausprägung des Alkoholkonsums ist in [Tab. 2] dargestellt. Die Existenz eines Tumors im Kopf-Hals-Bereich in der medizinischen Vorgeschichte wurde nach Durchsicht der Anamnesen in 102 Fällen (12,8 %) bestätigt und in 698 Fällen (87,2 %) ausgeschlossen. 66 (8,2 %) Patienten hatten zum Zeitpunkt der Ösophagoskopie bereits eine Strahlentherapie in der Anamnese. [Abb. 1] zeigt, dass Mundhöhlen-, Oropharynx- und Larynxkarzinome mit jeweils ca. 25 % die häufigsten Lokalisationen der Primärtumoren in diesem Kollektiv waren.

Tab. 1

Häufigkeit und Menge an Nikotinkonsum gruppiert nach Anzahl der pack years (py), n (%).

pack years

Anzahl (relative Häufigkeit in %)

0

173 (21,6 %)

1–20

 83 (10,4 %)

21–40

243 (30,4 %)

> 40

232 (29 %)

keine Angabe

 69 (8,6 %)

Tab. 2

Ausprägung des Alkoholkonsums, n (%).

Alkoholkonsum

Anzahl (relative Häufigkeit in %)

nie

 69 (8,6 %)

selten (bis 1-mal/Woche)

175 (21,8 %)

moderat (1–2-mal/Woche)

155 (19,4 %)

stark (> 2-mal/Woche)

115 (14,4 %)

keine Angabe

286 (35,8 %)

Zoom
Abb. 1 Lokalisation und Häufigkeit der Primärtumoren. 1-Mundhöhle; 2-Oropharynx; 3-Hypopharynx; 4-Larynx; 5-Nasopharynx; 6-Cancer unknown primary (CUP); 7-andere; 8-multiple Tumoren.

Von den insgesamt 1053 durchgeführten Ösophagoskopien wurden 22 (1,8 %) mit einem flexiblen und 1031 (98,2 %) mit einem starren Endoskop durchgeführt. Bei 34 (4,3 %) Patienten wurden Biopsien aus dem Ösophagus zur Abklärung klinisch auffälliger Befunde genommen. Der histologische Befund ergab hierbei in 10 Fällen unauffällige Schleimhaut, in 7 Fällen ein Plattenepithelkarzinom, in jeweils 6 Fällen eine chronische Entzündung oder ektope Magenschleimhaut und Barett-Ösophagus in 4 Fällen. Ein Patient präsentierte eine Soor-Ösophagitis. Unter den 800 Patienten traten somit insgesamt 7 (0,9 %) histologisch gesicherte synchrone Zweittumoren des Ösophagus auf.

Es wurden 14 Komplikationen (1,3 %) dokumentiert, wobei es sich in nur einem Fall (0,1 %) um eine Perforation des Ösophagus handelte. Die restlichen 13 Komplikationen waren geringfügige Komplikationen wie mukosale Abrasionen, iatrogen induzierte Blutungen und ein dentales Trauma. Keine der aufgetretenen Komplikationen hatte einen letalen Ausgang. Bei 33 (4,1 %) Patienten wurde während oder nach Durchführung der Ösophagoskopie eine temporäre nasogastrale Sonde eingesetzt. Gründe hierfür waren temporäre schwellungsbedingte Schluckunfähigkeit (n = 30) sowie in einem Fall eine Perforation des Ösophagus. In 2 Fällen war in der Patientenakte keine Begründung zu ermitteln.

Insgesamt 253 (31,6 %) der 800 Probanden erhielten im Verlauf der Nachsorge eine Kontroll-Ösophagoskopie. Dabei wurden insgesamt 5 (2 %) metachrone Zweittumoren entdeckt. Diese 5 Zweittumoren wurden nach 9, 12, 18, 36 und 60 Monaten diagnostiziert.

Die Diagnose eines Zweitkarzinoms im Ösophagus (synchron und metachron) führte in 7 Fällen zu einer Ergänzung des kurativen Therapieansatzes, in den anderen 5 Fällen lag eine palliative Situation vor.

Die Merkmale „Geschlecht“, „Rauchen“, „pack years“, „Ausprägung des Alkoholkonsums“, „Lokalisation des Primärtumors“ und „klinischer Befund im Ösophagus“ zeigten statistisch keinen Zusammenhang mit dem Auftreten von Zweitmalignomen (p > 0,05). Für die Merkmale „Tumor des oberen Aerodigestivtrakts in der Vorgeschichte“ und „metachroner Tumor“ lag der ermittelte p-Wert bei 0,032. Folglich zeigte sich hier ein statistisch auffälliger Wert.

In Bezug auf die Häufigkeit von Komplikationen gab es unter Prüfung unterschiedlichster Merkmale und deren Kombinationen keine statistischen Auffälligkeiten.


Literaturrecherche

Zur Ermittlung der bestehenden Evidenz ergab das nach den Prisma-Kriterien durchgeführte systematische Literaturreview eine Anzahl von 887 Arbeiten, die in die Vorauswahl aufgenommen wurden. Die Prüfung auf Eignung der jeweiligen Arbeiten sowie deren Einschluss in die Auswertung ist in [Abb. 2] als Flussdiagramm veranschaulicht.

Zoom
Abb. 2 Flussdiagramm nach Prisma-Kriterien für ein systematisches Review.

In Bezug auf die Inzidenzen für synchrone Zweittumoren im Ösophagus in Europa und den USA ergaben sich Werte zwischen 0 und 11,5 %, mit einem Mittelwert von 2,2 %. Unter Berücksichtigung der genannten Fallzahlen errechnete sich ein gewichteter Mittelwert von 1,8 %. Betrachtet man die Zahlen der Studien aus asiatischen Ländern, so ließen sich dort Werte zwischen 0,8 und 26,9 % finden. Der Mittelwert hierfür lag bei 12,1 % und der gewichtete Mittelwert bei 4,1 %.

Die Inzidenz für die schwerste Komplikation, die iatrogene Ösophagusperforation, wurde in den eingeschlossenen Studien mit 0 bis 0,2 % angegeben. [Tab. 3] enthält eine detaillierte Aufstellung aller ausgewerteten Publikationen aus Amerika [4] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32], Europa [3] [5] [33] [34] [35] [36] [37] [38] [39], Australien [40] und Asien [6] [7] [8] [9] [41] [42] [43] [44] [45] [46] [47] [48] [49] [50] [51] [52].

Tab. 3

Inzidenzen für synchrone Zweitkarzinome im Ösophagus diagnostiziert durch starre oder flexible Ösophagoskopie in Amerika, Europa, Australien und Asien.

Autor

Zeitraum

Standort

Inzidenz für synchrone Tumoren (Anz./%)

Ösophagusperforation (%)

Weaver et al. [12], 1979

1976–1978

Detroit, Michigan

3/124 (2,4 %)

n. a.

Cohn, Peppard [13]*, 1980

1970–1979

Detroit, Michigan

8/267 (3,0 %)

n. a.

Shapsay et al. [14]*, 1980

1977–1978

Boston, Massachusetts

9/150 (6 %)

n. a.

Gluckman et al. [15], 1980

1977–1979

Cincinnati, Ohio

4/259 (1,5 %)

n. a.

Maisel, Vermeersh [16], 1981

1971–1980

Minneapolis, Minnesota

4/449 (0,9 %)

n. a.

McGuirt [17], 1982

n. a.

Winston-Salem, North-Carolina

8/100 (8 %)

n. a.

McGuirt et al. [18], 1982

n. a.

n. a., USA

6/81 (7,4 %)

0/81 (0 %)

Grossmann et al. [19], 1983

1973–1982

Milwaukee, Wisconsin

17/696 (2,4 %)

n. a.

Atkins et al. [20], 1984

1974–1983

Philadelphia, Pennsylvania

3/451 (0,7 %)

n. a.

Leipzig et al. [4], 1985

1983–1984

verschiedene Standorte

7/384 (1,8 %)

n. a.

Schuller, Fritsch [21], 1986

n. a.

Columbus, Ohio

0/53 (0 %)

0/53 (0 %)

Grossmann et al. [22], 1987

1983–1986

Milwaukee, Wisconsin

4/254 (1,6 %)

n. a.

Parker, Hill [23], 1988

1984–1985

Chicago, Illinois

4/208 (1,9 %)

0/208 (0 %)

Shaha et al. [24], 1988

1982–1986

Brooklyn, New York

3/140 (1,7 %)

n. a.

Abemayor et al. [25], 1988

1984–1985

Los Angeles, California

3/150 (2 %)

n. a.

Grossmann et al. [26]*, 1989

1970–1980

Milwaukee, Wisconsin

9/790 (1,1 %)

n. a.

Atabek et al. [27]*, 1990

1980–1986

Camden, New Jersey

5/501 (1 %)

n. a.

Contini et al. [33], 1991

1986–1988

Parma, Italy

3/103 (2,9 %)

n. a.

Dhooge et al. [34], 1996

1990–1992

Gent, Belgien

0/124 (0 %)

n. a.

Cianfraglia et al. [35]*, 1999

1989–1992

Rom, Italien

0/200 (0 %)

n. a.

Davidson et al. [28], 2000

n. a.

Toronto, Canada

0/154 (0 %)

0/154 (0 %)

Stoeckli et al. [5], 2001

1990–1995

Zürich, Schweiz

4/358 (1,1 %)

n. a.

Scherübl et al. [3], 2002

2000–2001

Berlin, Deutschland

4/148 (2,7 %)

0/148 (0 %)

Guardiola et al. [36], 2004

1989–2000

Besancon, Frankreich

10/487 (2 %)

n. a.

Hujala et al. [37], 2005

1992–1999

Turku, Finnland

0/203 (0 %)

n. a.

Hashimoto et al. [29]*, 2005

1995–2000

Sao Paulo, Brasilien

24/326 (7,3 %)

n. a.

Moschler et al. [38], 2006

2000–2004

Kiel, Deutschland

10/87 (11,5 %)

n. a.

Tsao, Damrose [30], 2010

2002–2007

Stanford, California

0/546 (0 %)

3/99 (3 %)

Rodriguez-Bruno et al. [31], 2010

2000–2009

San Francisco, California

0/64 (0 %)

n. a.

Carvalho et al. [39], 2013

2008–2012

Coimbra, Portugal

1/89 (1,1 %)

0/89 (0 %)

Koo et al. [40], 2015

n. a.

Melbourne, Australien

0/112 (0 %)

n. a.

McGarey et al. [32], 2016

2004–2012

Charlottesville, Virginia

0/601 (0 %)

1/601 (0,2 %)

Okumura et al. [6], 1993

1987–1991

Osaka, Japan

11/150 (7,3 %)

n. a.

Ina et al. [41], 1994

1990–1993

Tokyo, Japan

8/127 (6,3 %)

n. a.

Muto et al. [42], 2002

1992–2000

Tokyo, Japan

54/389 (13,9 %)

n. a.

Chow et al. [9], 2009

2000–2006

Hongkong, China

9/118 (7,6 %)

n. a.

Fukuhara et al. [43], 2010

2003–2006

Hiroshima, Japan

17/157 (10,8 %)

n. a.

Morimoto et al. [44], 2010

1999–2006

Osaka, Japan

18/64 (28,1 %)

n. a.

Lee et al. [45], 2010

2008–2009

Kaohsiung, Taiwan

16/69 (23,2 %)

n. a.

Su et al. [7], 2013

2007–2010

Kaohsiung, Taiwan

71/1592 (4,5 %)

n. a.

Hung et al. [8], 2013

2002–2009

Taipei, Taiwan

65/2965 (2,2 %)

n. a.

Chung et al. [46], 2013

2010–2012

Taipei, Taiwan

30/129 (23,3 %)

n. a.

Kim et al. [47], 2014

2010–2012

Seoul, Südkorea

22/308 (7,1 %)

n. a.

Laohawiriyakamol et al. [48], 2014

2009–2011

Songkhla, Thailand

11/89 (12,4 %)

n. a.

Krishnatreya et al. [49], 2015

2010–2011

Indien

35/4184 (0,8 %)

n. a.

Gong et al. [50], 2016

2010–2014

Seoul, Südkorea

24/458 (5,2 %)

n. a.

Huang et al. [51], 2016

2007–2014

Taipei, Taiwan

36/248 (14,5 %)

n. a.

Ni et al. [52], 2018

n. a.

Peking, China

43/160 (26,9 %)

n. a.

Die mit „*“ gekennzeichneten Daten sind der systematischen Übersichtsarbeit von McGarey et al. [32] entnommen. n. a. = not available.


Umfrage

Die Rücklaufquote des Umfragebogens lag bei 29,9 % (49/164). Die Frage nach der standardmäßigen Durchführung der Ösophagoskopie im Staging von Kopf-Hals-Tumorpatienten wurde von allen 49 Kollegen mit „Ja“ beantwortet (100 %).

In 69,4 % erfolgt die starre Ösophagoskopie, in 8,2 % eine flexible Spiegelung und in 11 Kliniken (22,4 %) werden beide Methoden angewandt. Die überwiegende Mehrheit (91,8 %) betrachtet die Ösophagoskopie im Primärstaging als sinnvoll und 65,3 % der Befragten führen auch in der Nachsorge regelmäßig eine Kontroll-Ösophagoskopie durch. Allerdings wird die routinemäßige Kontroll-Ösophagoskopie nur noch von 73,5 % als sinnvoll erachtet.



Diskussion

Die Panendoskopie ist im Rahmen des Stagings von HNSCC eine etablierte Methode zur histologischen Sicherung des Primärtumors, Erfassung der Größenausdehnung, Einschätzung der Operabilität und Detektion von Zweitkarzinomen. Betrachtet man das Patientenkollektiv dieser Studie, geben 70 % einen regelmäßigen Nikotin- und 56 % einen regelmäßigen Alkoholkonsum an. Nach der Theorie der Feldkanzerisierung wird aufgrund der flächigen Angriffszone dieser Noxen prinzipiell von einem erhöhten Risiko für ein Zweitkarzinom ausgegangen [53] [54]. In diesem monozentrischen Patientenkollektiv zeigte sich eine Rate von 0,9 % für synchrone Zweitkarzinome. In Europa und den USA liegt die Inzidenz hierfür im Mittel bei 1,8 %. Das Auftreten synchroner Zweitkarzinome des Ösophagus ist somit in westlichen Ländern als selten einzustufen, allerdings sind die Auswirkungen auf Therapieansatz, Therapieerfolg und die Überlebensrate der Patienten durchaus gravierend. Die Indikation zur Ösophagoskopie liegt in der rechtzeitigen Erkennung eines asymptomatischen Zweitkarzinoms in einem frühen, noch kurativ therapierbaren Stadium [12]. In asiatischen Ländern ergibt sich mit 4,1 % eine etwa 2,5-fach höhere Inzidenz für primäre Zweitkarzinome des Ösophagus. Der deutliche Unterschied lässt darauf schließen, dass dort weitere ursächliche Faktoren existieren. Das Konsumverhalten, insbesondere das Kauen von Betelnüssen sowie der Verzehr von gepökeltem Fleisch (karzinogene Nitrosamine), wird als zusätzlicher Risikofaktor vermutet [55].

Die Inzidenz von metachronen Zweitkarzinomen von 2 % in diesem Kollektiv verdeutlicht, dass die Ösophagoskopie auch in der Tumornachsorge ihren Stellenwert hat. Es ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Patienten in diesem Kollektiv eine routinemäßige Kontroll-Panendoskopie bzw. Kontroll-Ösophagoskopie erhielten. Dies entspricht einem Selektionsbias. Kuhlin et al. plädieren für eine intensive Nachsorge, um die frühe Detektion von Zweitkarzinomen zu sichern [56].

Einige Autoren sehen die routinemäßige Ösophagoskopie kritisch und propagieren eine Selektion von Patienten mit einem gesteigerten Risikopotenzial [31] [32]. Dies gilt beispielsweise bei persistierendem Alkohol- und Nikotinabusus sowie letztlich auch bei klinischen Symptomen wie neu aufgetretener Dysphagie. Unsere Daten ergeben Hinweise, dass bei Zustand nach HNSCC in der Vorgeschichte ein erhöhtes Risiko für metachrone Tumoren besteht. Die Lokalisation des Primärtumors (Oropharynx, Hypopharynx, supra- und transglottisches Larynxkarzinom) könnte nach einer Studie von Su et al. ebenfalls einen Einfluss auf die Inzidenz von synchronen Ösophaguskarzinomen haben [57]. Dieser Zusammenhang konnte in unserer Studie nicht bestätigt werden. Auch Kuhlin et al. konnten weder für die Lokalisation des Primärtumors, noch für Alter, Geschlecht oder TNM-Stadium signifikante Zusammenhänge für die Inzidenz von Zweitkarzinomen identifizieren [56]. Die Literaturdaten erlauben aktuell keine Empfehlung, in welcher Konstellation auf die Ösophagoskopie verzichtet werden kann.

Die Auswertung der Komplikationsraten ergab mit 1,3 % insgesamt einen geringen Wert. Die schwerste Komplikation, die Ösophagusperforation, trat in unserem Kollektiv nur in einem Fall (0,1 %) auf. Die Literaturrecherche ergab mit 0–0,2 % ebenfalls geringe Raten an Ösophagusperforationen. Insgesamt stellt die Ösophagoskopie ein sicheres Verfahren mit einem kalkulierbaren Risiko für den Patienten dar.

Die Umfrage ergab, dass in bis zu 30 % der Kliniken neben der starren Ösophagoskopie auch flexible Spiegelungen durchgeführt werden. Nachteile der starren Ösophagoskopie sind die Notwendigkeit einer Narkose, die Einschränkung bei ungenügender Reklination des Kopfes sowie die Tatsache, dass häufig distal nicht der gesamte Ösophagus dargestellt wird. Je nach Länge des Ösophagoskops wird meist bis ca. 30 cm ab oberer Zahnreihe untersucht. Vor allem der gastroösophageale Übergang als Lokalisation von Barrett-Metaplasien und Adenokarzinomen bleibt dem Untersucher somit häufig verborgen. Die starre Ösophagoskopie ist allerdings im Rahmen der Panendoskopie relativ schnell, einfach und kostengünstig durchzuführen, bietet optimale Sicht auf die Postkrikoid-Region und den proximalen Ösophagus und erlaubt größere Biopsien. Im Rahmen der Umfrage wurde die Möglichkeit der Bougierung zur Auflösung von postradiogenen Stenosen im Rahmen der starren Ösophagoskopie positiv bewertet. Als Nebenaspekt sei die regelmäßige Durchführung der starren Ösophagoskopie vorteilhaft, um für schwierige Fremdkörperentfernungen genügend Routine zu besitzen. Auch in der Ausbildung der Assistenten ist die starre Ösophagoskopie als wichtige Untersuchungsmethode der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde fester Bestandteil.

Flexible Endoskope sind deutlich aufwendiger in der Aufbereitung und kostenintensiv in der Anschaffung. Die flexible Ösophagoskopie ist allerdings in der Regel in Analgosedierung möglich. Dabei können der gastroösophageale Übergang sowie der Magen bis zum Duodenum komplett untersucht werden. Die Erfolgsrate der Biopsien wird in der Literatur für die starre Ösophagoskopie mit 99,3 % und für die flexible Ösophagoskopie mit 80,5 % angegeben [58]. Die S1-Leitlinie Ösophagoskopie erachtet beide Verfahren im Rahmen der Panendoskopie als gleichwertig [59]. Bildgebende Verfahren (CT, MRT, PET/CT) haben als alleinige Screening-Methoden keine ausreichende Sensitivität in der Detektion von Zweitkarzinomen des Ösophagus [22] [36] [60]. Der Nutzen der PET/CT im Staging ist prinzipiell hoch, jedoch aufgrund der Strahlenbelastung und der hohen Kosten sowie der nicht flächendeckenden Verfügbarkeit als Standard kritisch zu bewerten [61]. Vorläuferläsionen oder Frühstadien von Zweitmalignomen des Ösophagus können mit keinem der gängigen bildgebenden Verfahren ausreichend sicher detektiert werden.

Die Inzidenzen von 1–2 % für synchrone bzw. metachrone Zweitkarzinome des Ösophagus in diesem Kollektiv zusammen mit den Resultaten der Umfrage bekräftigen den hohen Stellenwert der Ösophagoskopie im Rahmen des Stagings und Restagings von HNSCC. Die Umfrage zeigt, dass die Ösophagoskopie in den meisten HNO-Kliniken in Deutschland standardmäßig im Staging durchgeführt wird. Auch in der Nachsorge von Patienten mit HNSCC führen ca. 65 % der HNO-Kliniken die Ösophagoskopie durch.


Schlussfolgerung

Der Ausschluss bzw. die Detektion von Zweitmalignomen des Ösophagus im Rahmen des Stagings von HNSCC ist obligat. Dafür ist die Ösophagoskopie als Teil der Panendoskopie ein geeignetes und etabliertes Verfahren. Bildgebende Verfahren ersetzen nicht die endoskopische Untersuchung des Ösophagus. Die Unterschiede in den Komplikationsraten zwischen starrem und flexiblem Endoskop stellen sich so marginal dar, dass keine generelle Empfehlung für eines der beiden Verfahren erfolgen kann. In der Nachsorge erscheint die flexible Ösophagoskopie aufgrund der Durchführbarkeit in Analgosedierung vorteilhaft zu sein.

Die Ergebnisse dieser Studie decken sich hinsichtlich der Inzidenz für synchrone Zweitmalignome und den beschriebenen Komplikationsraten mit den Literaturangaben. Um eine Patientenselektion nach entsprechendem Risikoprofil – insbesondere in der Tumornachsorge – zu ermöglichen, sind prospektive multizentrische Studien erforderlich.



Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

PD Dr. Julian Künzel
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
Germany   
Phone: ++ 49/9 41/94 40   
Fax: ++ 49/9 41/94 40   

Publication History

Received: 26 April 2020

Accepted: 08 June 2020

Article published online:
26 June 2020

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Abb. 1 Lokalisation und Häufigkeit der Primärtumoren. 1-Mundhöhle; 2-Oropharynx; 3-Hypopharynx; 4-Larynx; 5-Nasopharynx; 6-Cancer unknown primary (CUP); 7-andere; 8-multiple Tumoren.
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Abb. 2 Flussdiagramm nach Prisma-Kriterien für ein systematisches Review.