Neues beim Schlaganfall
Gerne haben wir die Aufforderung der Herausgeber der Nervenheilkunde angenommen, ein
Schwerpunktheft mit dem Thema „Neues beim Schlaganfall“ zu organisieren. Unser Dank
gilt den Autorinnen und Autoren, die ein aktuelles Bild der Prävention und Therapie
zerebraler Durchblutungsstörungen darstellen.
Deutschland hat wahrscheinlich die beste Schlaganfallversorgung der Welt. Es gibt
fast nirgendwo eine vergleichbare Dichte von Stroke Units und in keinem anderen Land
wird ein so hoher Prozentsatz der Schlaganfallpatienten auf einer Stroke Unit behandelt.
Zudem tragen 23 Telemedizinnetzwerke dazu bei, die Schlaganfall-Akutversorgung auch
in ländlich geprägten Gebieten zu optimieren. Daher kann es nicht überraschen, dass
Deutschland im weltweiten Vergleich einen sehr hohen prozentualen Anteil der Patienten
mit zerebraler Ischämie aufweist, die eine systemische Thrombolyse bzw. eine mechanische
Thrombektomie erhalten, wie Tobias Neumann-Haefelin und Kollegen in diesem Heft diskutieren.
Wie Hans C. Diener und Christian Gerloff berichten, ist für die Primärprävention des
Schlaganfalls nunmehr eindeutig erwiesen, dass Acetylsalicylsäure keine präventive
Wirkung hat, sondern lediglich die Rate an Blutungskomplikationen erhöht. Erfreulich
ist die Beobachtung, dass mit den GLP1-Agonisten zum ersten Mal eine Gruppe von Antidiabetika
bei Patienten mit Diabetes mellitus auch das Schlaganfallrisiko reduziert. Wie von
Peter A. Ringleb et al. dargestellt, lag ein Forschungsschwerpunkt in der Sekundärprävention
des Schlaganfalls zuletzt auf Studien zur dualen Thrombozytenaggregationshemmung in
der Frühphase nach Hochrisiko-TIA oder leichtem bis mittelschwerem ischämischem Schlaganfall.
Hier weisen sowohl Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure als auch Ticagrelor plus Acetylsalicylsäure
eine höhere Effektivität gegenüber einer Monotherapie mittels Acetylsalicylsäure auf,
wobei die duale Thrombozytenaggregationshemmung allerdings mit einer erhöhten Blutungsrate
einhergeht, die den Einsatz in der Praxis limitiert. Nachdem randomisierte Studien
keine höhere Effizienz einer oralen Antikoagulation gegenüber Acetylsalicylsäure nach
Embolic Stroke of Undetermined Source (ESUS) nachweisen konnten, suggerieren Subgruppenanalysen,
dass selektierte ESUS-Patienten von einer oralen Antikoagulation profitieren könnten,
was derzeit Gegenstand randomisierter Studien ist. Eckhard Schlemm et al. fokussieren
in ihrem Artikel zur Therapie des akuten ischämischen Schlaganfalls auf die Datenlage
zu rekanalisierenden Akuttherapien, zu adjuvanten neuroprotektiven bzw. immunmodulatorischen
Behandlungsansätzen und zur Prozessoptimierung in der hospitalen Akutversorgung. Wie
von Maximilian Sprügel, Hagen Huttner und Stefan Gerner zusammengefasst, hat sich
die Therapie der zerebralen Blutungen in den letzten Jahren nur wenig geändert. Leider
waren eine ganze Reihe von prospektiven Therapiestudien negativ oder neutral. In der
Sekundärprävention von zerebralen Sinus- oder Venenthrombosen erscheint der Einsatz
von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien eine mögliche Alternative zur
Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten zu sein, wie in der Übersichtsarbeit von Christian
Weimar und Florian Masur dargestellt. Eine orale Antikoagulation ist zudem für die
Schlaganfallprävention im Zuge einer Kardioversion oder der linksatrialen Katheterablation
bei Vorhofflimmern relevant. Im Kontext der „weltmeisterlichen“ Zahlen kardialer Interventionen
in Deutschland sei auf den diesbezüglichen Übersichtsartikel verwiesen.
Die Artikel dieses Themenheftes verdeutlichen erneut, dass der Schlaganfall ein attraktives
Forschungsthema und seine Prävention und Akutbehandlung von immanenter Bedeutung ist.
So sind allein im Jahr 2019 etwa 26752 Publikationen zum Thema Schlaganfall erschienen.
In diesem Jahr stellt allerdings die COVID-19-Pandemie im Mittelpunkt des weltweiten
Forschungsinteresses. So wurden zu diesem Thema allein in den ersten 6 Monaten des
Jahres 2020 bereits 36152 Artikel veröffentlicht. Konsekutiv haben Hans-Christoph
Diener und Peter Berlit diesem Themenheft einen Artikel zur Relevanz der COVID-19-Pandemie
für die Schlaganfallversorgung vorangestellt.