Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2020; 30(05): 287-289
DOI: 10.1055/a-1186-2195
Originalarbeit

Erfahrungen von PhysiotherapeutInnen mit der Behandlung von Covid-19-PatientInnen – eine narrative Beschreibung der Auswirkungen auf das Personal

Experiences of Physiotherapists in the Treatment of COVID-19 – A Narrative Description of Effects on the Staff
1   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
2   Posture and Motion Group, Universitatsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Ulrike Mohring
1   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Alexander Glaser
1   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Ulrike Scholz
1   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Ulrich Christian Smolenski
1   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Der Artikel stellt eine Zusammenfassung persönlicher Eindrücke dar, die PhysiotherapeutInnen bei Behandlung von COVID-19-PatientInnen auf der Intensivstation erleben. Es werden seelische und körperliche Eindrücke geschildert und weitere Auswirkungen auf soziale und alltägliche Belange aufgezeigt. Von zentraler Bedeutung sind dabei weniger die Ängste, sondern eher die Sorgen. Die Arbeit mit COVID-19-Patienten zeigt Auswirkungen auf alle Bereich des privaten und beruflichen Umfeldes der KollegInnen.


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Abstract

The article is a summary of personal impressions that physiotherapists experience when treating COVID-19 patients in intensive care units. Mental and physical impressions are described and further effects on social and daily concerns are shown. Of central importance are not so much the fears as the worries. The work with COVID-19 patients shows effects on all areas of the private and professional environment of colleagues.


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Hintergrund

Die Herausforderungen für das medizinische Personal im Krankenhaus der Maximalversorgung waren schon immer hoch. Schwerstbetroffene PatientInnen, langwierige Krankheitsverläufe und teilweise noch wenig etablierte Therapieoptionen der interventionell ausgerichteten Einrichtungen stellen die behandelnden TherapeutInnengruppen immer wieder vor Herausforderungen. Dies betrifft sowohl den ärztlichen, als auch nichtärztlichen Bereich und in zweiter Instanz die Nachfolgeversorger wie Rehabilitationseinrichtungen und ambulante Weiterbetreuer.

Mit Auftreten der Sars-Cov-2-Infektionen wurden die Anforderungen für viele Akteure im Gesundheitssystem noch einmal deutlich verändert.

Die Notwendigkeit mit Sars-CoV-2 infizierte/infektiöse Patienten, auch in Beatmungssituation, mit physiotherapeutischen Methoden zu behandeln, hat in letzter Zeit zugenommen. Die ersten PatientInnen mit „Z.n. COVID-19“ und Langzeitbeatmung gelangen auf die Stationen der Frührehabilitation. Eine im Gesamtkontext des Krankenhauses eher seltene Anforderung ist die Behandlung von (noch) infektiösen Patienten auf Intensiv- oder Infektionsstationen. Aus der täglichen Erfahrung sind bisher vor allem in der Pflege die psychischen Auswirkungen kommuniziert. Wenn (lediglich) wenige Angestellte unter Vollschutz die risikobehafteten Patienten behandeln müssen, kamen zu Beginn der Versorgung von COVID-19-Patienten an unserem Klinikum immer mal Fragen auf wie: „Warum werden wir geopfert“?

Im vorliegenden Beitrag stellen, anders als bisher, ausschließlich PhysiotherapeutInnen des Universitätsklinikums Jena die Anforderungen an Ihren neuen Berufs-„alltag“ vor, die auch für ITS-, IMC- und Herzzentrumerfahrene zutreffen.

Psychische Auswirkungen

Im Bereich der PhysiotherapeutInnen gab es Freiwilligenmeldungen. Hochengagierte MitarbeiterInnen, die auch sehr erfahren im Umgang mit Intensivpatienten waren, meldeten sich zur Behandlung von infektiösen PatientInnen. Dennoch ist ein gewisses Anspannungsverhalten durchaus nachzuvollziehen.

Als positiv und entlastend in diesem Sinne wurde wahrgenommen, dass die MitarbeiterInnen weder bei Einarbeitung noch bei Behandlung unter Zeitdruck standen, ausreichend geschult wurden und in gewissem Rahmen ein geschütztes Arbeitsumfeld vorfinden konnten. Weiterhin wirkte sich entlastend aus, dass vor der ersten Therapie An- und v. a. Auskleidungsübungen unter simulierten Infektionsbedingungen durchgeführt wurden. Auch die Gewissheit, ausreichend personalisierte Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung zu haben, zeigte eine positive Wirkung. Die intensiven Schulungen wurden durch MitarbeiterInnen der Krankenhaushygiene im 1:1 Modus durchgeführt. Von geschultem Fachpersonal angeleitet zu werden, hatte ausgesprochen beruhigende Effekte. Videobasierte oder papierhafte Anleitungen scheinen nicht den gleichen Effekt zu haben, sind als Repetitorium aber sicherlich gut geeignet. Erst bei sicherem Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung wurden die PhysiotherapeutInnen in die Infektionsbereiche eingeschleust.

Weiterhin behandelten die TherapeutInnen auf der „COVID-Intensivstation“ immer zu zweit. Dadurch gab es eine externe Kontrolle und ggf. Hilfe durch eine vertraute, zweite Person. Etwaige Schwierigkeiten bei der Therapie konnten somit gewissermaßen auf 4 Schultern verteilt werden. Die Doppelbehandlung wurde als Sicherungsmaßnahme empfunden. Die TherapeutInnen fühlten sich „nicht auf sich allein gestellt“.

Eine Aussage einer TherapeutIn: „Auf der „Normalstation“ […] arbeite ich allein, da die Patienten, im Vergleich zur ITS, teilweise belastbarer sind. Das komplette Team der Station unterstützt mich sehr und steht mir bei Fragen immer zur Seite. Es ist mir bewusst, dass ich mich bei meiner Arbeit am Patienten einem großen Risiko aussetze. Ich habe keine Angst bei meiner Arbeit, aber den nötigen Respekt vor der Erkrankung. Und der ist meiner Meinung nach sehr wichtig“.

Bei direkter Befragung wurde angegeben, dass auch im kollegialen Umfeld Kontakte durch KollegInnen gemieden wurden.


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Körperliche Auswirkungen

Das Arbeiten unter Vollschutz mit FFP2-Maske ist deutlich anstrengender als üblich. Angelegte Schutzausrüstung verursacht bei längerer Anwendung, wie hinlänglich aus dem Internet ersichtlich, Druckstellen und Hautirritationen im Gesicht. Bei der physiotherapeutischen Therapie traten diese Nebenwirkungen nur teilweise auf. Echte Hautläsionen wurden bislang nicht beobachtet. Die schlicht geringere Anzahl von therapiebedürftigen Infektionspatienten am Haus zeichnet sich dafür ursächlich, dass die Therapieeinheiten unter Vollschutz nur wenig angefragt werden. Die gleichzeitig stationär behandlungspflichtige Patientenzahl, die an COVID-19 erkrankt waren, lag nie über n=20. Das war in anderen Häusern durchaus anders. Bei möglichweise zunehmender PatientInnenzahl ist von stärkerer Irritation der Gesichtshaut auszugehen. Kontakt zum betriebsärztlichen Dienst wegen Vorsorge einer Hautverletzung besteht durch die Einrichtungsleitung. Empfohlen wurde eine übliche Hautpflege und wenn möglich die Nutzung von Masken verschiedener Hersteller. Auch hier, mit dem AMD, war die Zusammenarbeit exzellent und die Anfrage wurde schnellstmöglich abgearbeitet.

Dennoch sind die Prozeduren, die zur Behandlung notwendig sind, insgesamt körperlich deutlich anstrengender als im Nicht-Pandemie-Modus. Allein das Ankleiden mit häufigem Händedesinfizieren und exaktem Anlegen aller Komponenten dauert 15–20 Minuten. Die anschließende Einschleusung und Behandlung der PatientInnen, die sich möglicherweise beatmet in Bauchlage oder 130 Grad-Lage befinden, lässt häufig auch nur eingeschränkte Therapiemöglichkeiten zu. Im hiesigen Fall waren alle PatientInnen wach und ansprechbar. Suboptimale Bedingungen und gegebenenfalls wenig oder nichtkooperative PatientInnen, die oft zusätzlich adipös und multimorbide sind, stellen die BehandlerInnen vor enorme Herausforderungen. Initial wurde mit 30 Minuten Therapie und anschließendem Ausschleusen und Ablegen der PSA gerechnet. Die reelle Behandlungszeit wird von den KollegInnen mit 60–90 Minuten angegeben.


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Auswirkungen auf den Tagesverlauf

Die benötigten Zeitressourcen sind aktuell für 2 TherapeutInnen einzuplanen. Möglicherweise stellt sich auch hier schnell eine Routine ein, die dann auch häufigere Alleinbehandlungen ermöglichen. Selbstverständlich vermindert sich die relative Gesamtbehandlungszeit mit Zunahme der in der gleichen Struktureinheit behandlungsbedürftigen PatientInnen, da An- und Auskleidezeit als Konstante anzusehen sind. Wechseln die TherapeutInnen allerdings von intensivmedizinisch betreuten Patienten auf infektiologische Normalstationen sind An- und Auskleidezeit wieder für jede Organisationseinheit extra zu bedenken. Die mitunter enormen körperlichen Anstrengungen unter Vollschutz sind zu berücksichtigen. Es ist optimal, den Mitarbeitern nach Ausschleusen aus dem Infektionsbereich ein Pausenintervall einzuräumen. Nach Therapie benötigen die BehandlerInnen bis zu 30 Minuten, „um wieder klar im Kopf zu werden und wieder aufzutanken“. Diese Aussage ist bspw. im Kontext der erschwerten Atmung in Vollschutz gefallen. Die notwendigen Regenerationszeiten werden derzeit gewährt.

Durch den oben genannten Zeitbedarf kommt es unweigerlich zu Verschiebungen im Tagesablauf der physiotherapeutischen BehandlerInnen. Letztlich werden für einen Patienten 2 TherapeutInnenstunden „verbraucht“, die anderen PatientInnen dann nicht zur Verfügung stehen. In der aktuellen Situation wird dies „aufgefangen“, weil die elektiven Behandlungszahlen und Versorgungsnotwendigkeiten in den großen Akuthäusern deutlich zurückgefahren wurden. Mit der selektiven Lockerung der Lock-down-Verfügungen ist vorstellbar, dass wieder ein höheres Patientenaufkommen bewältigt werden muss und dies unter Pandemiebedingungen Schwierigkeiten bereiten könnte. Es ist davon auszugehen, dass die PhysiotherapeutInnen, die nicht COVID-19-Patienten behandeln eine höhere Anzahl an Patienten versorgen müssen, wenn die Belegungssituation der Akuthäuser wieder in Richtung Normalsituation gelangt.


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Auswirkungen auf das private Umfeld

Die KollegInnen berichteten davon, dass sowohl sie selbst, als auch deren Kinder gemieden wurden. Es ist umso schwieriger zu verstehen, als dass die Betroffenen selbst mindestens einmalig/Wo abgestrichen werden. Es sind Berichte im Internet veröffentlicht worden, bei dem Pflegekräfte, die COVID-19-Patienten therapierten, ebenfalls gemieden wurden [1] [2]. Es wurde von den BehandlerInnen berichtet, dass die Kontakte außerhalb der Wohnung über das gebotene Maß hinaus reduziert wurden. In einem Fall wurde auch innerhalb des Wohnumfeldes ebenfalls zu den Kindern Abstand gehalten, aus Sorge vor Ansteckung des Kindes, weil dieses eine Abschlussklasse besucht und keinesfalls wegen einer Infektion fehlen darf. Das spiegelt womöglich den o.g. Respekt vor einer COVID-19-Erkrankung und begleitende Unsicherheiten wieder. Aus infektiologischer Sicht, ist ein sozialer Rückzug innerhalb des engsten Familienkreises sicher nicht notwendig und womöglich psychisch ungünstig.


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Forderungen für die therapeutischen Berufsgruppen

Bei Versorgung infektiöser COVID-19-Patienten muss der allgemein höheren Belastungssituation Rechnung getragen werden. Dies betrifft nicht nur den personellen, zeitlichen, und körperlichen Mehraufwand. Entsprechende monetäre Absicherung durch die Kostenträger muss Berücksichtigung finden. Zur Kalkulation können die dargestellten Erfahrungswerte herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass die neben den körperlichen ebenfalls auftretenden psychischen Belastungen nicht von allen TherapeutInnen gleich gut verarbeitet werden können. Ängste vor Infektion oder auch stark belastende Patientenschicksale sowie die geschilderten möglichen Auswirkungen auf den Privatbereich der BehandlerInnen müssen seelisch aufgefangen werden. Allen MitarbeiterInnen (auch der Pflege) sollte Zugang zu Strukturen der psychologischen seelsorgerischen Mitbetreuung und Supervision zur Verfügung stehen. Hemmschwellen für die Wahrnehmung solcher Angebote sollten identifiziert und abgebaut werden.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Norman Best
Institut für Physiotherapie
Universitätsklinikum Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena

Publikationsverlauf

Eingereicht: 18. Mai 2020

Angenommen: 25. Mai 2020

Artikel online veröffentlicht:
08. Juni 2020

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