Fall 1
Anamnese
Der 50-jährige männliche Patient wurde mit rezidivierenden Fieberschüben bis 39 °C
seit 6 Monaten in einem externen Krankenhaus vorstellig. Neben einem Gewichtsverlust
von ca. 30 kg, Fatigue und Haarverlust beklagte der Patient Husten mit wenig weißlichem
Auswurf. Bei Belastung verspürte der Patient zunehmend Dyspnoe.
Der aus der Türkei stammende Patient gab einen Nikotinkonsum von 30 Packungsjahren
an. Er arbeitete unter anderem als Lagerist mit Metallteilen und war im Siebdruck
tätig. Rheumatische Erkrankungen waren bei dem Patienten oder in seiner Familie nicht
bekannt.
Klinische Untersuchung
In der klinischen Untersuchung fielen Schwellungen im Bereich der Augenlider beidseits
sowie schmerzhafte makulopapulöse Exantheme im Bereich der Hände inkl. Nagelfalzbeteiligung
auf ([Abb. 1]). In der Auskultation hörte man eine basal betonte Sklerosiphonie beidseits. Die
SpO2 unter Raumluft betrug 93 % in Ruhe und die Atemfrequenz 20/min.
Abb. 1 Fall 1: Schmerzhafte Veränderungen im Bereich beider Handaußenflächen.
Laborchemie
Die Leukozyten und der CRP-Wert waren unauffällig. Ferritin war mit 665 ng/ml (n < 150)
erhöht. In der Laborchemie zeigte sich der Rheumafaktor grenzwertig erhöht. Der ANA
und die ANCA-Werte präsentierten sich normwertig. Der Kreatinkinase-Wert lag im Referenzbereich.
Diagnostik
Eine High-Resolution-CT-Untersuchung des Thorax zeigte eine fibrosierende interstitielle
Lungenerkrankung mit diffusen, jedoch Oberlappen-betonten Retikulationen und Traktionsbronchiektasen
([Abb. 2]).
Abb. 2 Fall 1: CT-Thorax beim ersten stationären Aufenthalt, exemplarische Schnitte koronar
und axial.
In der Folge wurde eine Bronchoskopie zur weiteren Abklärung durchgeführt. Aus der
transbronchialen Biopsie ließ sich lediglich atrophes Bronchialepithel nachweisen,
und in der EBUS-TBNA zeigte sich ein unauffälliger Befund. Die BAL enthielt vorwiegend
schaumige Makrophagen und einen Lymphozytenanteil von 10 %. Eine Therapie mit Ciprofloxacin
wurde begonnen.
Auf Wunsch des Patienten erfolgte die vorzeitige Entlassung.
Verlauf
Der Patient stellte sich nach weiteren 4 Wochen erneut in einem externen Krankenhaus
aufgrund persistierender Fieberschübe vor.
Lungenfunktion und Blutgasanalyse
In der Lungenfunktion wurde eine restriktive Ventilationsstörung diagnostiziert (totale
Lungenkapazität 2,28 l, 28 % vom Soll). Die Diffusionskapazität war nicht messbar.
Die Blutgasanalyse zeigte unter Raumluft eine schwere Hypoxämie mit einem pO2 von 39 mmHg und unter 2 l O2/min einen Anstieg auf 61 mmHg.
Weitere Diagnostik
Die Echokardiografie inkl. TEE und die Abdomensonografie gestalteten sich bis auf
eine Splenomegalie und Hepatomegalie unauffällig. Bei der gastroenterologischen Endoskopie
ließen sich lediglich eine geringgradige Gastritis und eine Sigma-Divertikulose nachweisen.
Zur weiteren Abklärung wurde eine Knochenmarkspunktion durchgeführt, die sich, bis
auf etwas verminderte B-Zellen, unauffällig zeigte. In der Lumbalpunktion, der CT-Abdomen,
der MRT des Schädels und der Diagnostik auf spezifische Immunglobuline ließen sich
keine Pathologien erkennen. Es erfolgte eine PET-CT-Untersuchung, die lediglich eine
Mehranreicherung im Bereich der interstitiellen Lungenveränderungen detektierte mit
einem maximalen SUV-Wert von 4,3.
Ein empirischer Therapieversuch mit 30 mg Prednisolon wurde initiiert, der jedoch
ohne klinische Besserung verblieb.
Weiterer Verlauf
Der Patient wurde nach 4-wöchiger Behandlung bei Progress der Dyspnoe und zur Evaluation
der interstitiellen Lungenerkrankung überwiesen. Klinisch zeigte sich eine deutliche
AZ-Minderung von ECOG 0 auf ECOG 3. Die Hypoxämie zeigte sich deutlich progredient
([Abb. 3]). Die HRCT-Bildgebung zeigte eine deutliche Progredienz der fibrosierenden Lungenerkrankung,
ohne dass das Muster eindeutig zuordenbar war ([Abb. 4]).
Abb. 3 Fall 1: FiO2 in %, pO2 in mmHg und O2/min über die Zeit dargestellt. C: Cyclophosphamid, Ig: Immunglobuline.
Abb. 4 Fall 1: HRCT, exemplarische Schnitte koronar und axial.
Es erfolgte eine Bronchoskopie mit transbronchialer Biopsie. In der histologischen
Aufarbeitung ließen sich neben einer diskreten Pneumozytenaktivierung und einer leichten
Verminderung von alveolaren Schaumzellen geringe Zeichen einer chronisch organisierenden
Pneumonie erkennen. Aufgrund der o. g. Allgemeinsymptome, der Hautmanifestation und
den interstitiellen Lungenveränderungen wurde eine pulmonale Beteiligung bei Erkrankung
aus dem rheumatischen Formenkreis in Betracht gezogen. Eine Urinuntersuchung inklusive
Sediment war unauffällig. In der Gelenksonografie bei bestehenden Gelenkschwellungen
präsentierten sich keine entzündlichen Veränderungen. Bei bestehenden Gottron’schen
Papeln (streckseitig betonte rötlich-livide Papeln) wurde eine Kapillarmikroskopie
durchgeführt. Es zeigten sich im Bereich der Nagelfalzkapillaren vermehrte Torquierungen,
einzelne avaskuläre Zonen, Ektasien und Blutungen, verdächtig für eine Dermatomyositis.
Laborchemisch wurde eine erweiterte rheumatologische Antikörperdiagnostik (insbesondere
in Richtung Derma-tomyositis) durchgeführt. Unter anderem war ANA, Mi-2, Jo1, PmScl
und RNP negativ.
Fall 2
Die 66-jährige Patientin stellte sich in einem externen Haus mit einer ca. 2-monatigen
Vorgeschichte von Abgeschlagenheit, Leistungsminderung, Gelenkschmerzen und schleichend
zunehmender Dyspnoe vor. Es wurde zunächst unter der Vorstellung einer rheumatoiden
Arthritis probeweise mit Methotrexat und Prednisolon behandelt. Die Therapie musste
aufgrund einer Leberwerterhöhung abgebrochen werden. Anschließend wurde die Patientin
in der rheumatologischen Abteilung aufgenommen. Wegen einer rasch zunehmenden respiratorischen
Insuffizienz mit ausgeprägtem restriktiven Atemmuster am Ventilator wurde die Patientin
auf unsere pneumologische Intensivstation verlegt. Aufgrund der hypoxämischen respiratorischen
Insuffizienz erfolgte nach Ausschöpfen verschiedener Maßnahmen, wie z. B. Bauchlagerung,
die Implantation einer veno-venösen extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO).
Klinische Untersuchung
Die Patientin war bei Übernahme intubiert und analgosediert. In der Lungenauskultation
hörte man eine basale Sklerosiphonie. Auffallend waren leicht livide, erythematöse,
minimal über dem Hautniveau liegende Effloreszenzen an den Metacarpophalangeal-Gelenken
und proximalen Phalangen ([Abb. 5]).
Abb. 5 Fall 2: Handinnen- und -außenseite mit makulopapulösen Veränderungen inkl. betroffener
Nagelfalz.
Laborchemie
Die Entzündungsparameter (Leukozyten und CRP) präsentierten sich gering erhöht, PCT
normwertig. Der Ferritin-Wert zeigte sich mit 21 825 ng/ml (n < 150) deutlich erhöht.
ANA, ANCA waren negativ. Der Kreatinkinase-Wert war im Normbereich.
Diagnostik
In der HRCT zeigten sich z. T. geografisch angeordnete Milchglastrübungen und Konsolidierungen
mit basaler Betonung. Innerhalb der Verdichtungen war ein positives Aerobronchogramm
zu erkennen ([Abb. 6]). Weitere Untersuchungen wie Echokardiografie, Abdomensonografie, Eiweißelektrophorese,
manuelles Differenzialblutbild, Blutkulturen, Urindiagnostik, CT-Abdomen, CT-Kopf
erbrachten keine neuen Erkenntnisse. Die BAL ergab keinen wegweisenden Befund. Mikrobiologische
Untersuchungen unter bereits vorbestehender Antibiotika-Therapie verblieben negativ.
Auf eine transbronchiale Probengewinnung wurde bei erhöhter Blutungsneigung unter
ECMO-Therapie verzichtet.
Abb. 6 Fall 2: HRCT, exemplarische Schnitte koronar und axial.
Diagnose
Beide Fälle zeichneten sich durch eine rasch progrediente und ausgeprägte hypoxämische
respiratorische Insuffizienz in Kombination mit den gezeigten streckseitig-betonten
rötlich-lividen Effloreszenzen (Gottronʼsche-Papeln) und Mechanikerhänden aus. Der
CK-Wert war in beiden Fällen nicht über die Norm erhöht und die Bestimmung von Dermatomyositis-assoziierten
Antikörpern (sog. Myositisblot) negativ. Unter dem V. a. eine amyopathische Dermatomyositis
wurde der im Standard-Myositisblot nicht erfasste MDa5-Antikörper (Melanoma-differentiation-associated
gene 5 intracellular pathogen sensor) nachgefordert. In beiden Fällen war dieser hochpositiv,
sodass sich die Diagnose der amyopathischen Dermatomyositis mit rapider progredienter
interstitieller Lungenerkrankung (RP-ILD) bestätigte.
Therapie und Verlauf
Fall 1: Zunächst wurde eine Therapie mit 500 mg Prednisolon über 3 Tage und anschließender
Dosisreduktion begonnen. Parallel dazu wurde eine Cyclophosphamid-Therapie mit 1 g
appliziert, und es wurden mehrfach Immunglobuline (je 30 g) gegeben ([Abb. 3]). Bei erneuter Verschlechterung unterhalb einer Prednisolon-Dosis von 40 mg wurde
die Dosis intermittierend wieder auf 80 mg erhöht.
Bei Entlassung aus der stationären Behandlung, nach dem 3. Zyklus Cyclophosphamid,
war der Patient kardiopulmonal stabil und konnte selbstständig kurze Strecken gehen.
Es bestand eine Sauerstoffabhängigkeit (3 – 4 l/min) in Ruhe und unter Belastung.
Im weiteren Verlauf wurden 6 weitere Zyklen Cyclophosphamid im monatlichen Intervall
verabreicht. Zuletzt bestanden weiter eine restriktive Ventilationsstörung und ein
Sauerstoffbedarf von 6 l/min in Ruhe. Eine Listung zur Lungentransplantation wurde
eingeleitet.
Fall 2: Es erfolgte eine Prednisolon-Therapie mit 3 × 1 g über 3 Tage und im Anschluss weiter
in reduzierter Dosis. Zudem wurden 3 Zyklen Cyclophosphamid (je 1 g) verabreicht.
Parallel wurde eine Therapie mit Tofacitinib (5 mg 2-mal täglich) eingeleitet ([Abb. 7]).
Abb. 7 Fall 2: Tidalvolumina im Verlauf unter invasiver Beatmung (maximaler Driving Pressure
15 mbar, im Verlauf ähnliche Druckamplituden). Besserung initial durch Steroidstoß,
im Verlauf ausgeprägte restriktive Ventilationsstörung ohne Veränderung durch Immunmodulation.
C: Cyclophosphamid, R: Rituximab.
Trotz dieser Maßnahmen zeigten sich die respiratorische Insuffizienz (exemplarisch
das Tidalvolumen, [Abb. 7]) und die interstitiellen Veränderungen weiter progredient. Daher wurde ein Therapieversuch
mit Rituximab (1000 mg), ohne wesentliche Besserung, unternommen. Der gesamte Verlauf
war von mehreren septischen Episoden unter Immunsuppression geprägt. Schließlich verstarb
die Patientin nach 99 Tagen an der ECMO.
Diskussion
Polymyositis und Dermatomyositis sind entzündliche Erkrankungen aus dem rheumatischen
Formenkreis, die bevorzugt Muskeln und Haut betreffen. Allerdings gibt es Verläufe,
die nur eine geringe Muskelbeteiligung aufweisen.
Eine klinische amyopathische Dermatomyositis (CADM) wird typischerweise charakterisiert
durch klassische dermatologische Befunde ohne bzw. mit minimaler Muskelbeteiligung.
Es wird geschätzt, dass um 20 % der Patienten mit Dermatomyositis eine CADM aufweisen
[1]. Typische Hautmanifestationen sind Gottronʼsche-Papeln, sog. Mechanikerhände, palmare
Effloreszenzen, Schleimhautbeteiligungen und Glatzenbildung [2].
Es wurde mehrfach gezeigt, dass CADM-Patienten ein erhöhtes Risiko aufweisen, eine
rasch progrediente interstitielle Lungenerkrankung (RP-ILD) zu entwickeln, insbesondere
bei Nachweis des MDa5-AK [3], der mit einer besonders schweren pulmonalen Verlaufsform bei CADM assoziiert ist
[4]. Hautveränderungen gehen der pulmonalen Beteiligung meist voraus [5]
[6]. Erstmals wurde der Antikörper 2005 beschrieben [7]. Die Prävalenz scheint in der asiatischen Bevölkerung höher zu sein [8]. Eine Assoziation mit Malignität konnte im Gegensatz zu anderen Autoantikörpern
bislang nicht nachgewiesen werden [6]
[9].
Die pulmonalen Manifestationen sind mannigfaltig. Lungenfunktionell zeigen sich eine
Restriktion sowie eine Hypoxämie in der Blutgasanalyse. Meist werden in der HRCT Milchglastrübungen,
Retikulationen und Konsolidierungen mit Betonung der Lungenbasis beschrieben. Die
BAL ist teils lymphozytär geprägt, und in der transbronchialen Biopsie lassen sich
Histologien ähnlich der nicht-spezifischen interstitiellen Pneumonie oder der organisierenden
Pneumonie finden [9].
Die Therapie der CADM-assoziierte RP-ILD basiert auf einer Immunsuppression. Etabliert
ist in der Akutphase eine hochdosierte Glukokortikoidgabe, jedoch werden steroidrefraktäre
Fälle in bis zu 50 %, insbesondere bei niedrig dosierter Gabe beschrieben [6]. Große randomisiert-kontrollierte Studien fehlen. In Fallberichten wurden neben
Cyclophosphamid insbesondere Rituximab [10]
[11], Calcineurininhibitoren, Antimetabolite und in neueren Publikationen auch der Januskinase-Inhibitor
Tofacitinib [12]
[13] eingesetzt. In Fallserien gibt es auch Hinweise für einen möglichen Nutzen der Plasmapherese
[14].
Neben hohen Ferritin-Werten [15] sind hohe Antikörpertiter des Anti-MDa5-AK mit der Krankheitsaktivität [16] assoziiert und können zur Therapiekontrolle herangezogen werden [15]
[17].
Trotz Einsatz einer breiten und differenzierten immunsupprimierenden Therapie wird
jedoch über eine hohe Letalität bis zu 84 % berichtet [18].
Zusammenfassend sollte bei Patienten mit auffälligen Hautveränderungen an den Händen
und rapid progressiver interstitieller Lungenerkrankung eine amyopathische Dermatomyositis
in Betracht gezogen werden. Bestätigend kann der Anti-MDa5-Antiköper bestimmt werden.