Schlüsselwörter
Hypothenar-Hammer-Syndrom - Vibrationssyndrom - Berufskrankheit - Raynaud-Phänomen
- akrale Durchblutungsstörungen
Key words
hypothenar hammer syndrome - occupational disease - hand-arm vibration syndrome -
Raynaud’s phenomenon - acral circulatory disorders
Einleitung
Die Abklärung von Beschwerden in der oberen Extremität in Form von Schwellungszuständen,
Schmerzen und Kribbelparästhesien gehört zu der alltäglichen Routine in einer gefäßmedizinischen
Praxis. Während im venösen Gefäßsystem Thrombosen (Paget-von-Schroetter-Syndrom) und
im Lymphgefäßsystem chirurgische oder onkologische Eingriffe (v. a. Mammakarzinom)
häufigste Ursachen für die klinische Beeinträchtigung sind, kann man im arteriellen
Gefäßsystem funktionelle und organisch fixierte Durchblutungsstörungen unterscheiden.
Im Besonderen sind Abklärungen von Handbeschwerden wie ein Raynaud-Phänomen oder sensoneurologische
Auffälligkeiten im akralen Bereich zu nennen. Nicht selten werden diese Patienten
von chirurgischen Kollegen vorgestellt, um vaskuläre Ursachen im Rahmen der Diagnostik
eines Karpaltunnelsyndroms oder muskuloskelettale Störungen auszuschließen. Aus der
Sicht des Gefäßmediziners sind neben arteriosklerotischen Durchblutungsstörungen oder
der Thrombangiitis obliterans das Hypothenar- bzw. Thenar-Hammer-Syndrom (HHS) und
die vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen der Hand von Bedeutung. Ein einwandfreier
Kraft- und Präzisionsgriff ist vor allem in handwerklichen und künstlerischen Berufen
unabdingbar. Da bestimmte Krankheitsentitäten mit erheblichen Einschränkungen auf
dem Arbeitsmarkt für die Betroffenen einhergehen können, sind sie in den meisten Ländern
als Berufserkrankung anerkannt [1]. Neben den therapeutischen lassen sich auch versicherungsrechtliche Konsequenzen
aus einer korrekten Diagnosestellung ableiten.
Pathophysiologische und epidemiologische Aspekte bestimmter Krankheitsbilder
Pathophysiologische und epidemiologische Aspekte bestimmter Krankheitsbilder
Das Hypothenar-(HHS)/Thenar-Hammer-Syndrom (THS)
Die Arteria ulnaris speist im Handbereich den oberflächigen Hohlhandbogen und versorgt
über die Aa. digitales palmares communes den 3.–5. Finger. Die Arteria radialis ist
für die Versorgung des Daumens und Zeigefingers über die Arteria princeps pollicis
verantwortlich. Der radial gebildete tiefe Hohlhandbogen dient vorwiegend der metakarpalen
Versorgung (Aa. metacarpales palmares). Beide Hohlhandbögen kommunizieren in ca. einem
Drittel der Fälle über den Ramus palmaris superficialis der A. radialis und den Ramus
palmaris profundus der A. ulnaris. Es existieren Bereiche im Verlauf der A. radialis
et ulnaris, die aufgrund ihrer anatomischen Lage für einer von außen ausgeübten Gewalteinwirkung
und einen Gefäßschaden besonders prädisponiert sind ([Tab. 1]).
Tab. 1
Prädisponierende Lokalitäten für einen Gefäßschaden.
A. radialis (Thenar-Hammer-Syndrom)
|
A. ulnaris (Hypothenar-Hammer-Syndrom)
|
Bereich Os scaphoideum/Os trapezium
|
Guyon-Loge
|
Ossa metacarpales II/III
|
|
Stumpfe Verletzungen führen zu einem Schaden der Tunica intima, sodass subendotheliale
Gefäßstrukturen eine Gerinnungsaktivierung und einen Gefäßverschluss bewirken. Einmalig
stumpfe Verletzungen können einen thrombotischen Gefäßverschluss verursachen. Wiederholte
Gewalteinwirkungen führen zu einer aneurysmatischen Aufweitung des Gefäßes ([Abb. 1]), die eine Gefahr für thromboembolische Ereignisse bürgt.
Abb. 1 Darstellung einer aneurysmatischen Erweiterung der A. ulnaris in der Guyon-Loge (12 mm
Länge und 7 mm im Durchmesser (Vgl. Gegenseite 3 mm)) im Colour Power Angio Mode (Philips
Epiq7).
Durch Untersuchungen an Patienten mit Raynaud-Phänomen, an dem 5–20 % der Normalbevölkerung
leiden, konnten Prävalenzen des HHS von 1,13–1,70 % [2]
[3]
[4]
[5] ermittelt werden. Die Daten sprechen dafür, dass der Anteil der HHS/THS-Patienten
in der Gesamtpopulation < 1 % beträgt.
Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen
Im Frequenzbereich von 8–1000 Hz treten schädigende Veränderungen an Knochen, Gelenken
sowie Gefäßen und Nerven im Schulter-Arm-Hand-Bereich ein [6]. Der Frequenzbereich ≤ 25 Hz wird hauptsächlich von Armen, Schulter, Nacken und
Kopf übertragen und adsorbiert mit der Folge einer Arthrose im Akromioklavikulargelenk
und der Osteochondrosis dissecans im Ellenbogengelenk. Höhere Frequenzen mit einem
Hauptbereich von 25–500 Hz wirken sich auf Handgelenk und Hand aus (vasospastisches
Syndrom, Karpaltunnelsyndrom, Lunatummalazie, Kahnbeinpseudoarthrose) [7]
[8]. Das vasospastische Syndrom (besser Vibrationssyndrom der Finger) beinhaltet eine
Durchblutungsstörung und eine Nervenschädigung.
Die pathophysiologischen Mechanismen der vibrationsinduzierten Durchblutungsstörung
sind bisher nicht ausreichend geklärt [9]. Es handelt sich um eine funktionelle Durchblutungsstörung als Folge einer reflexartigen
Vasokonstriktion. Nach einer chronischen Vibrationsexposition kommt es zu Verletzungen
der Gefäßinnenhaut, die nicht selten durch zusätzliche Scherkräfte begünstigt werden
[10]. In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Arbeiter mit chronischer Vibrationsexposition
folgende laborchemische Auffälligkeiten aufwiesen, die die Vasokonstriktion unterhalten:
erhöhte Spiegel an Endothelin sowie von-Willebrandt-Faktor und Thrombomodulin. Folgend
wird die Thrombozytenmigration erhöht, was eine zusätzliche Freisetzung von Thromboxan
A2 als gefäßverengendes Hormon verursacht [11]
[12]
[13]. Eine späte Folge ist die Hypertrophie der glatten Gefäßmuskulatur und konsekutive
Erhöhung des peripheren Strömungswiderstands. Es kommt somit zu einer Funktionsstörung
des Endothels (endotheliale Dysfunktion), die auch an der nicht betroffenen oberen
Extremität nachzuweisen ist. Im Vollbild der Erkrankung bestehen systemische Veränderungen
(Zunahme alpha-2-adrenerge Rezeptoren, Transmitterpersistenz, Abnahme von alpha-1-adrenergen
Rezeptoren) mit komplexen Dysfunktionen im zentralen und autonomen Nervensystem [11]. Die nervalen Schädigungen sind durch demyelinisierende Prozesse gekennzeichnet
und betreffen die Thermozeption, Nozizeption sowie die Mechanozeption [14]
[15].
Der Anteil der europäischen Arbeiter mit Vibrationsexposition schwankt zwischen 14
und 34 % und erreicht im Bausektor bis zu 63 % [16]. Untersuchungen in tropischen und subtropischen Ländern führen zu dem Schluss, dass
die Perfusionsstörungen im Rahmen einer Hand-Arm-Vibrationsbelastung maßgeblich auch
von den thermischen Umweltbedingungen abhängen. Su et al. konnten belegen, dass unter
wärmeren klimatischen Bedingungen v. a. neurologische Pathologien die Symptomatik
prägen [17]. Eine italienische Verlaufsuntersuchung von 249 Vibrationsexponierten ergab eine
Prävalenz an einem Vibrationssyndrom mit Fingerabblassung nach 3 Jahren von 10,8 %;
erstmalig war die Symptomatik nach durchschnittlich 2-jähriger Exposition bemerkt
worden [18]. Andere Studien erbrachten durchschnittliche Expositionszeiten von ca. 11 (n = 271)
bis 20 Jahren (n = 165), bis sensoneurologische oder vaskuläre Symptome auftraten
[19]
[20].
Andere akrale Durchblutungsstörungen
Die Thrombangiitis obliterans (TA) ([Abb. 2]) ist eine schubweise verlaufende entzündliche Gefäßerkrankung [21]. Hauptrisikofaktoren sind der chronische Nikotinabusus und das männliche Geschlecht
vor dem 50. Lebensjahr. Über immunpathologische Gefäßwandprozesse resultieren thrombotische
Verschlüsse, sodass entweder Kollateralen oder auch Teil-/Komplettreperfusionen ehemals
verschlossener Arterien (Matorell-Zeichen) ersichtlich sind [22]
[23]. Charakteristisch sind akrale Läsionen nach Bagatellverletzungen, die einen Mischbefund
aus Perfusionsstörung und Inflammation darstellen [24]. Die PAVK zeigt eher selten einen isolierten Befund im Bereich der Hände und tritt
häufig mit arteriosklerotischen Veränderungen der A. subclavia auf. Embolische Komplikationen
bei Vorhofflimmern kommen ebenso vor. Vaskulitiden sind Raritäten.
Abb. 2 Patient mit Thrombangiitis obliterans und akralen Läsionen an D1–D3 nach Bagatellverletzung.
Der häufigste Vorstellungsgrund in der gefäßmedizinischen Praxis im Bereich der oberen
Extremität wird die Abklärung eines Raynaud-Phänomens, einer akralen Schmerzsymptomatik
oder einer akralen Läsion sein. Im Folgenden soll auf das HHS und THS sowie das Vibrationssyndrom
der Finger fokussiert werden, da für diese Entitäten die Kenntnis oft nur marginal
ist.
Diagnostische Herangehensweise
Diagnostische Herangehensweise
Kritische organische Durchblutungsstörung
Zunächst muss eine kritische Extremitätenischämie ausgeschlossen werden. Neben der
üblichen klinischen Untersuchung mit Inspektion (Haut-, Fingernagel- und Muskelstatus)
und Pulsstatus sollte ein Allen-Test erfolgen. Da dieser sehr untersucherabhängige
Testergebnisse erbringen kann, wird die Objektivierung unter Hinzunahme der Doppler-
oder Duplexsonografie empfohlen [25]. Die akrale optische Pulsoszillografie kann bereits eine organische Durchblutungsstörung
(HHS, THS, TA, arterielle Embolie, PAVK) detektieren. Ein unauffälliger Oszillographiebefund
schließt jedoch eine relevante Durchblutungsstörung nicht aus weil Gefäßverschlüsse
komplett über das Hohlhandbogensytem kompensiert werden können und aneurysmatische
Gefäßerweiterungen die Pulsatilität des freiwegigen Gefäßssystems nicht beeinflussen
müssen ([Abb. 3]).
Abb. 3 Akrale optische Pulswellensoszillografie (OPO, AngE-System Fa SYCO MeData GmbH) der
Finger (rot = rechte Hand, blau = linke Hand), Patient mit nachgewiesenem Hypothenar-Hammer-Syndrom
rechts. OPO mit seitengleichem, unauffälligem Befund (D1 links reduzierte Pulsatilität,
DD Störartefakt).
Es muss bei jedem Patienten aus diesem Grund eine duplexsonografische Untersuchung
erfolgen. Hochfrequente Linearschallköpfe sind hierfür gut geeignet und heutzutage
ubiquitär vorhanden. Eine Arbeitsgruppe konnte Durchmesser für die A. ulnaris bei
gesunden Frauen von 1,8 ± 0,32 mm und bei gesunden Männern von 2,2 ± 0,46 mm nachweisen
[5].
Kann eine organische Durchblutungsstörung mit den genannten diagnostischen Mitteln
nicht ausgeschlossen werden oder macht eine weitergehende Intervention dies erforderlich,
sind Schnittbilduntersuchungen oder Angiografien durchzuführen. Die Limitierung von
CTA und MRA liegt in der Feinauflösung im akralen Bereich. Die Hypothenarregion kann
gut beurteilt werden und mögliche Zusatzinformationen (Knochenbeurteilung, Weichteilapparat)
zur Sonografie erbringen. Die digitale Subtraktionsangiografie hat hingegen im akralen
Bereich einen hohen diagnostischen Stellenwert. Zudem lassen sich im gleichen Schritt
therapeutische Maßnahmen planen oder durchführen. Aus der eigenen Erfahrung ergibt
sich nicht selten das Problem eines akralen Vasospasmus nach der Kontrastmittelapplikation,
sodass eine Pharmakoangiografie nötig ist. Die vermutete Grunderkrankung muss weitere
diagnostische Schritte nach sich ziehen ([Tab. 2]). Organische Durchblutungsstörungen ohne kritische Extremitätenischämie machen eine
sofortige Intervention/Operation nicht notwendig.
Tab. 2
Weiterführende diagnostische Verfahren bei organischen Durchblutungsstörungen der
Hand.
ursächliche Erkrankung
|
diagnostische Auswahl
|
PAVK
|
Anamnese, Screening nach KHK und CAVK
|
Thrombangiitis obliterans
|
Anamnese, Screening Beindurchblutung
|
arterielle Embolie
|
LZ-EKG, ggf. transösophageale Echokardiografie
|
Funktionelle Durchblutungsstörung
Liegt keine organische Durchblutungsstörung vor, bleibt Zeit für eine detaillierte
differenzialdiagnostische Abklärung. Während bei kritischer organischer Durchblutungsstörung
die Anamneseerhebung zunächst symptomorientiert erfolgen kann, ist bei funktionellen
Durchblutungsstörungen (organisch kompensierten Durchblutungsstörungen) die Anamnese
maßgeblich für die weiteren diagnostischen Schritte. Es gibt 4 wesentliche Entitäten,
die in der differenzialdiagnostischen Abklärung eine Rolle spielen: das Thoracic-outlet-Syndrom
(TOS), das Karpaltunnelsyndrom, das primäre Raynaud-Phänomen und andere Ursachen für
ein sekundäres Raynaud-Phänomen.
Unter Vibrationsbelastung treten Nervenschädigungen als Kribbelparästhesien oder Taubheitsgefühl
zunächst nach Vibrationsbelastung und später auch spontan auf. Sie werden in der Regel
3 Jahre vor den vaskulären Beschwerden bemerkt und betreffen meist alle Finger [26]. Ein spezieller Befall mit Zugehörigkeit zu einem Nervenversorgungsgebiet ist verdächtig
auf ein Karpaltunnelsyndrom oder kann auch Hinweise auf eine Läsion des N. ulnaris
in der Guyon-Loge (DD-Kompression durch ein Aneurysma der A. ulnaris) geben. Die vaskulären
Veränderungen treten als Raynaud-Phänomen in Erscheinung und können im Anfall auch
mit Parästhesien, Taubheit und Schmerzen einhergehen. Eine Daumenbeteiligung spricht
gegen ein primäres Raynaud-Phänomen. Klassischerweise zeigt das Raynaud-Phänomen eine
Tricolore-Symptomatik. In der wissenschaftlichen Literatur werden biphasische Verläufe
(am häufigsten Abblassung und Zyanose) oder sogar auch das alleinige Abblassen der
Finger als Raynaud-typisch bewertet [27]
[28]. Sind nur einzelne Finger betroffen oder fehlt eine Hyperämiephase, deutet dies
stark auf eine organische Durchblutungsstörung hin. Da oft eine Raynaud-Symptomatik
angegeben wird, jedoch bei Vorstellung überwiegend nicht präsentiert werden kann,
helfen Fotodokumentationen. Es sollte darauf geachtet werden, dass diese die Handrücken
und die Handinnenflächen bei erhobenen Händen (zur Personenidentifikation) abbilden.
Meist können diese erst bei der zweiten Konsultation dementsprechend gesichtet werden.
Klinische Tests zum Ausschluss eines Karpaltunnelsyndroms (Phalen-, Tinel-Test) müssen
immer erfolgen. Eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit von Nervus medianus und
Nervus ulnaris ist in der Regel bei funktionellen Durchblutungsstörungen ratsam.
Das Thoracic-outlet-Syndrom sollte neben klinischen Testungen (Roos-, Adson- und Halstead-Test)
auch mit Funktionsduplexsonografien oder akralen optischen Funktionspulsoszillografien
objektiviert werden. Hilfreich sind hierbei oft Unterstützungen in der Testdurchführung
durch Kollegen der physikalischen Medizin oder Physiotherapie.
Die Abklärung eines sekundären Raynaud-Phänomens beinhaltet meist eine weitreichende
laborchemische Diagnostik (Kollagenosen, rheumatoide Arthritis etc.) und Tumorsuche
(z. B. Plasmozytome, solide Tumoren etc.). Aber auch Nebenwirkungsprofile von Medikamenten
(Ergotamine etc.) oder andere Berufsexpositionen müssen bedacht werden (Vinylchlorid-Krankheit).
Der positive prädiktive Wert für das Vorliegen einer Kollagenose ist allein durch
die Kapillarmikroskopie höher als durch die Laborwertbestimmung. Die generell mangelnde
Verfügbarkeit der Methode kann durch die fehlende Abrechnungsmöglichkeit bei hohem
zeitlichem Aufwand begründet sein.
Spezielle Abklärung bei vibrationsinduzierten Schäden
Für vibrationsbedingte Gefäß- und Nervenschädigungen gibt es aus der Arbeitsmedizin
spezielle Untersuchungsmethoden, die einem normierten Ablauf unterliegen und standardisiert
ausgewertet werden können. Gibt es Hinweise auf einen vibrationsbedingten Gefäß- oder
Nervenschaden, sollten die folgenden Untersuchungen erfolgen:
-
Abblassungs-Score nach Griffin ([Abb. 4], vaskuläre Komponente)
-
Kältebelastungstest (standardisiert nach DIN ISO 14835-1:2016 Abkühlung auf 12 °C
über 5 Minuten) für vaskuläre Komponente
-
systolische Fingerdruckmessung vor und nach Kältebelastung (nach DIN ISO 14835-2:2005)
-
Thermometrie mit Wiedererwärmungszeit nach Kältebelastung (nach DIN ISO 14835-1:2016)
-
Thermografie nach Kältebelastung (nicht standardisiert)
-
Sensibilitätsprüfung für nervale Komponente
-
Druckempfinden mit dem Semmes-Weinstein-Monofilament oder mit Stimmgabel (Rydell-Seiffert)
-
Pallästhesiometrie mit 31,5 Hz oder 125 Hz (nach DIN ISO 13091-1/2:2003)
-
Quantitativ sensorische Testung
Abb. 4 Darstellung der rechten Hand mit möglichen Score-Werten (Griffin-„Ablassungs-Score“):
Abblassung und Hyperämie oder Abblassung und Zyanose sind klinische Symptome, die
eine Punkteerfassung möglich machen (Maximalwert 24 Punkte pro Hand).
Die Ergebnisse der vaskulären und nervalen Testung führen zu einer Schweregradbeurteilung.
Im Jahr 2018 wurden durch ein internationales Konsortium Kriterien definiert, die
den Schweregrad des Vibrationssyndroms der Finger beschreiben ([Tab. 3]). Die vaskuläre Komponente wurde nur anhand des klinischen Kriteriums der Abblassung
graduiert. Die standardisierten Funktionstestungen für die vaskuläre Komponente dienen
jedoch exzellent dazu, die funktionelle Vasokonstriktion zu provozieren.
Tab. 3
Stadieneinteilung der vaskulären und neurologischen Komponente nach internationalen
Konsensus-Kriterien (ICC 2018) [modifiziert nach [29]].
vaskuläre Komponente
(nach Griffin-Score, max. 24 Punkte)
|
neurologische Komponente
(anhaltende Symptomatik > 20 Minuten, 2 von 3 standardisierte Verfahren (Semmes-Weinstein-Monofilament,
Vibrationswahrnehmung, Temperaturwahrnehmung), mind. ein Finger im Medianus- und Ulnarisversorgungsgebiet)
|
ICC-Stadium
|
Symptome
|
ICC-Stadium
|
Symptome
|
0 V
|
keine Abblassungsattacken
|
0N
|
kein Taubheitsgefühl oder Kribbeln der Finger
|
1 V
|
Griffin-Abblassungs-Score 1–4
|
1 N
|
intermittierendes Taubheitsgefühl und/oder Kribbeln der Finger
|
2 V
|
Griffin-Abblassungs-Score 5–12
|
2N
|
intermittierendes Taubheitsgefühl und/oder Kribbeln der Finger + Verlust der sensorischen
Wahrnehmung in mindestens 1 Finger; nachgewiesen durch 2 oder mehr valide Methoden:
Druckwahrnehmung, Temperaturwahrnehmung, Vibrationswahrnehmung
|
3 V
|
Griffin-Abblassungs-Score > 12
|
3 N
|
intermittierendes Taubheitsgefühl und/oder Kribbeln der Finger + Verlust der sensorischen
Wahrnehmung in mindestens 1 Finger; nachgewiesen durch 2 oder mehr valide Methoden:
Druckwahrnehmung, Temperaturwahrnehmung, Vibrationswahrnehmung + Symptome und objektiver
Nachweis der beeinträchtigten Fingerfertigkeit (Purdue-pegboard-Test)
|
Therapeutische Optionen
Vorgehen beim Hypothenar-/Thenar-Hammer-Syndrom
Konservative Therapiemaßnahmen bei HHS/THS-Patienten wurden überwiegend in den vorliegenden
Fall-Kontroll-Untersuchungen erfolgreich angewandt [30]
[31]. In den publizierten Fallberichten scheiterten konservative Therapiestrategien hingegen
oft. Bei fehlenden Hinweisen auf eine kritische Ischämie scheint auch bei darstellbaren
segmentalen Okklusionen eine konservative Therapie empfehlenswert [32]. Neben der therapeutischen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten, Heparin oder
NOAK bzw. Thrombozytenaggregationshemmung (ASS, Clopidogrel, Calciumcarbasalt) werden
verschiedene vasoaktive Substanzen wie Prostaglandin E1 Aloprostadil, das Prostacyclin-Analogon
Iloprost und Fibrinolytika wie Alteplase in der wissenschaftlichen Literatur erwähnt.
Außerdem wurde mit Pentoxifyllin, Kalzium-Antagonisten vom Dihydropyridin- und Benzothiazepin-Typ
sowie dem Alpha-Adrenorezeptor-Antagonisten Buflomedil behandelt [33]
[34]
[35]
[36]
[37].
Endovaskuläre Verfahren, v. a. die lokale Lysetherapie, sind Bestandteil eines multimodalen
Therapiekonzepts und folgten in den Fallbeschreibungen zumeist gescheiterten konservativen
Therapiemaßnahmen bei Patienten mit HHS. Lokale Lysetherapien wurden mit Erfolgsraten
von bis zu 46 % beschrieben [38]. Untersuchungen und Berichte zur Anwendung von Drug-Eluting-Ballons sind noch Raritäten.
Eine Stentimplantation scheint im Bewegungssegment prognostisch nicht sinnvoll zu
sein. Fogarty-Manöver wurden vereinzelt beschrieben.
Gefäßchirurgische Eingriffe mit Resektion pathologischer Segmente und folgender End-zu-End-Anastomose
oder Venen-Arterien-Interposition dominierten in der Literatur. Alleinige Ligaturen
des pathologischen Gefäßsegments sowie lokale Rekonstruktionen kommen selten zum Einsatz.
Yuen et al. erarbeiteten einen pathologiespezifischen Workflow: nach gescheiterter
konservativer Therapie und erfolgloser Katheter-gestützter Fibrinolyse sollte das
thrombosierte Segment reseziert werden. In Abhängigkeit vom Abstrom in den Fingerbereich
und von der Länge des resezierten pathologischen Gefäßsegments erfolgte eine direkte
Anastomose oder eine Gefäßinterposition. Eine Ligatur ohne Herstellung der Gefäßkontinuität
war nur bei Fehlen von Ischämiezeichen zulässig [32]. Betrug das resezierte Gefäßsegment weniger als 2 cm und war der oberflächige Hohlhandbogen
kompetent, erfolgte eine direkte Gefäßanastomose. Bei aneurysmatischen Gefäßveränderungen
sollte ein chirurgisches Vorgehen in Betracht gezogen werden. Sind diese thrombosiert,
kann bei kritischer Ischämie zunächst einer lokalen Lysetherapie erfolgen [32]. Material der Gefäßinterposition waren vorwiegend körpereigene Venen (V. saphena
magna, V. cephalica, V. basilica, Fußrückenvene). Die Offenheitsraten variierten in
Abhängigkeit der Arbeitsgruppe.
Für die thorakale Sympathektomie gibt es keine konsistente Datenlage. Eine Arbeitsgruppe
untersuchte Daten von insgesamt 728 Anwendungen (endoskopische transthorakale Sympathektomie,
perkutane Radiofrequenz-Sympathektomie und offene thorakale Sympathektomie) bei Patienten
mit Fingerischämien (primäres und sekundäres Raynaud-Phänomen). Ein positiver Effekt
wurde postoperativ bei 92 % der Patienten mit primärem und bei 89 % der Betroffenen
mit sekundärem Raynaud-Phänomen gemessen. Der Langzeiteffekt (bis zu 17 Jahre) war
vor allem beim primären Raynaud-Phänomen mit 58 % deutlich schlechter als in der Gruppe
mit sekundärem Raynaud-Phänomen (89 %). Eine Ulkusabheilung war in 95 % der Fälle
festzustellen [39]. Im Langzeit-Follow-up bei HHS-Patienten kamen Dethmers et al. zu dem Ergebnis,
dass die thorakale Sympathektomie keine Therapieverbesserung zur alleinigen Gefäßinterposition
erbrachte [40].
Vorgehen bei vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen
Ein sekundäres Raynaud-Phänomen kann über die Behandlung der grundlegenden Erkrankung
minimiert werden. Dies bedeutet bei vibrationsinduzierten Durchblutungsstörungen die
Expositionsreduktion. Das Meiden von Vibrationswerkzeugen, nasskaltem Wetter oder
windigen Wetterlagen kann vasospastische Anfälle minimieren. Hierzu ist eine Optimierung
des Arbeitsplatzes, der Arbeitsabläufe und ggf. auch der Arbeitsgeräte nach Analyse
durch den Arbeitgeber nötig. Sauni et al. zeigten in einer Umfrage unter Patienten
mit Vibrationskrankheit, dass 8,5 Jahre nach Diagnosestellung etwa jeder dritte Befragte
eine Besserung der vaskulären und sensoneurologischen Beschwerden bemerkte. Je kürzer
die berufliche Vibrationsexposition war, desto höher war die Wahrscheinlichkeit der
Symptomminderung. Eine Veränderung des Arbeitsplatzes wurde nur sehr selten praktiziert
[41]. Dupuis et al. sahen 2–6 Jahre nach Expositionsstopp bei 54 % eine Verbesserung
der Beschwerden, nur bei 7 % zeigte sich der Befund aggraviert [42]. Der Gebrauch von vibrations- und schlagdämpfenden Handschuhen kann den Vibrationseffekt
um fast 86 % reduzieren [43].
Komplementäre und alternative Therapieformen wie Akkupunktur und Biofeedback sowie
die Einnahme von essenziellen Fettsäuren, Ginkgo-Extrakten, Antioxidantien, L-Arginin
und Glukosaminoglykanen, der Gebrauch von speziellen Handschuhen sowie die Low-Level-Lasertherapie
bei Raynaud-Patienten wurden in einer Metaanalyse von 20 randomisierten klinischen
Studien von Malenfant et al. untersucht. Aufgrund des schlechten Studiendesigns konnte
keine abschließende Beurteilung erfolgen [44]. Ein apparatives Gefäßtraining (z. B. Knetbälle oder Finger-Expander) kann die periphere
Hämodynamik verbessern.
Konservative Therapieversuche bei vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen mit vasodilatierenden
Medikamenten werden regelmäßig angewandt. Eine Evidenz liegt nicht vor. Medikamentöse
Behandlungsversuche können mit Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin- und Diltiazem-Typ
durchgeführt werden. Ebenso begrenzt ist die Datenlage für den Einsatz des Alpha-1-Adrenorezeptorantagonisten
Prazosin, des Angiotensin-Rezeptorblockers Lorasartan und des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers
Fluoxetin [45]. Salben mit hoher Nitratkonzentration (≥ 2 %, internationale Apotheke) sind häufig
angewandte Topika im Raynaud-Anfall. Der Phosphodiesterase-5-Inhibitor Sildenafil
und der Endothelin-Rezeptorantagonist Bosentan werden bei Sklerodermie eingesetzt
und fanden bisher bei HHS/THS oder Vibrationssyndromen nicht eingesetzt [46]. Die Gabe von Aspirin 75–100 mg wurde nicht ausreichend untersucht und ist nur bei
gleichzeitig bestehender PAVK einsetzbar [45]. Eine Modifikation kardiovaskulärer Risikofaktoren, insbesondere der Nikotinkarenz,
kann sowohl bei vibrationsinduzierten Durchblutungsstörungen als auch beim HHS/THS
das Krankheitsbild positiv beeinflussen.
Endovaskuläre und gefäßchirurgische Eingriffe kommen bei dieser Patientengruppe nicht
infrage. Eine thorakale Sympathektomie sollte nur bei schwere Anfallssymptomatik durchgeführt
werden.
Funktionseinschränkung und Begutachtung
Funktionseinschränkung und Begutachtung
Um eine Funktionseinschränkung der Hand bei funktionellen oder organischen Durchblutungsstörungen
vorzunehmen, ist eine Beurteilung der anamnestischen und objektivierbaren apparativen
Befunde nötig. Besteht eine große Diskrepanz muss an eine Aggravation gedacht werden.
Entsprechende Möglichkeiten zur Beurteilung der Fingerfertigkeit im Alltag mit dazugehörigem
Berufs-/Freizeitmodul bietet der DASH-Fragebogen (DASH = Disabilities of the Arm,
Shoulder and Hand). Dieser kann auch als Verlaufsdiagnostikum genutzt werden. Neuropsychologische
Assessments, wie der Purdue-pegboard-Test oder der Nine-hole-peg-Test etc., objektivieren
die Fingerfertigkeit. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Handkraftmessung mit einem
Handdynamometer nur die grobe Krafteinschränkung der Hand misst und lange Zeit nach
Erkrankungsbeginn ohne Pathologien bleibt. Bei auffälligen Testergebnissen sollte
stets nach anderen Ursachen wie kognitiver Beeinträchtigung oder anderen neurologischen
Erkrankungen gefahndet werden.
Die messbare Funktionseinschränkung ist Grundlage für die Bewertung der Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE). Explizite MdE-Empfehlungen liegen nicht vor. In Deutschland
sind vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen seit 1979 unter der Nummer BK 2104
anerkannt, wogegen das Hypothenar-Hammer-Syndrom (BK 2114) erst seit dem Jahr 2015
als entschädigungsrelevante Berufskrankheit gilt [47]
[48]. Jeder Arzt hat laut § 202 SGB VII die Pflicht, den Verdacht auf eine Berufskrankheit
der Unfallversicherung mit den entsprechenden Formularen anzuzeigen.
Berufsgruppen mit besonderer Exposition für HHS/THS und vibrationsbedingte Schädigungen
im Finger- und Handbereich sind Dachdecker, Zimmermänner, Kfz-Mechaniker, Möbeltransporteure,
Installateure, Schreiner, Mechaniker, Elektriker, Maschinisten, Forstarbeiter, Gärtner,
Bergleute oder Steinbohrer sowie auch Landwirte, da sie häufig handgehaltene Vibrationsgeräte
einsetzen und ihre Hand als Hammerersatz einsetzen [49]
[50]. Bestimmte Sportarten wie Handball, Schlägersportarten, Kampfsportarten, Frisbeewerfen
oder auch Sportarten, bei denen der Handballen in fixierter Position verweilt (Fahrrad-/Motorradfahren),
erhöhen das Risiko für ein HHS [51]. Deren Identifikation ist bei versicherungsrechtlichen Fragestellungen von großer
Bedeutung.
Voraussetzung für die Anerkennung des HHS/THS als BK 2114 ist die Trias aus Nachweis
einer schädigenden Einwirkung, den typischen Gefäßveränderungen und dem Ausschluss
anderer Ursachen. Häufig liegen schnittbildgebende Verfahren oder angiografische Bilder
durch vorangegangene Therapien vor. Die Schwierigkeit in der Begutachtung liegt darin,
den kausalen Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung zu begründen. Die einmalige
stumpfe Gewalteinwirkung mit nachweisbarer Gefäßläsion reicht zur Anerkennung aus.
Eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht nicht [48]
[49]. Nach Fingeramputation dienen die gutachterlichen Standardwerke als Hilfe zur Bemessung
der individuellen MdE.
Bei vibrationsbedingten Krankheitserscheinungen bei BK 2104 liegt die Schwierigkeit
im Nachweis der Erkrankung (Vollbeweis). Über den Technischen Aufsichtsdient der Berufsgenossenschaften
liegen meist ausführliche Befunde zur beruflichen Exposition vor. Es wird angenommen,
dass nur eine dauerhafte Vibrationsexposition über Monate bis Jahre eine Gefäß- und
Nervenschädigung auslöst.
Ein Unterlassungszwang ist für die Anerkennung der BK 2104 nötig. Somit kann die Berufserkrankung
nur anerkannt werden, wenn die berufliche Tätigkeit unterlassen wird. Je kürzer die
berufliche Vibrationsexposition ist, umso wahrscheinlicher ist auch eine Symptomminderung
durch Vibrationskarenz. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es Untersuchungen
der universitären Arbeitsmedizin in Mainz, die zu wertvollen Anhaltspunkten für die
gutachterliche Bewertung geführt haben (Staffelung 10, 20 und 30 von 100) [52].
Zusammenfassung
Patienten mit Beschwerden an den oberen Extremitäten und insbesondere im Handbereich
sind keine Seltenheit in der gefäßmedizinischen Praxis. Neben Venen- und Lympherkrankungen
spielen arterielle Durchblutungsstörungen eine Rolle. Oft müssen sie unter differenzialdiagnostischer
Absicht bei chirurgischen Krankheitsbildern im muskuloskelettalen Bereich oder dem
Karpaltunnelsyndrom ausgeschlossen werden. Es dominieren Kribbelparästhesien und das
Raynaud-Phänomen. Neben den bekannten Ursachen müssen das Hypothenar-/Thenar-Hammer-Syndrom
und das Vibrationssyndrom der Finger ausgeschlossen werden, da deren Diagnose auch
versicherungsrechtliche Konsequenzen hat. Das diagnostische Hauptaugenmerk beim Hypothenar-/Thenar-Hammer-Syndrom
liegt im bildmorphologischen Nachweis der Gefäßläsion, wohingegen beim Vibrationssyndrom
der Finger vaskuläre und nervale Pathologien mit Provokationstests objektiviert werden
müssen. Den maßgeblichen Therapieansatz beim Vibrationssyndrom der Finger stellt die
Expositionsprophylaxe dar. Medikamentöse Maßnahmen können sich an denen des sekundären
Raynaud-Phänomens orientieren. Das Hypothenar-/Thenar-Hammer-Syndrom kann mit einer
kritischen Extremitätenischämie einhergehen. In diesen Fällen ist eine Lumen-eröffnende
Maßnahme erforderlich. Überwiegend werden in der Literatur hierfür Bypassoperationen
angeführt. In der Begutachtung muss die anamnestisch angegebene Funktionseinschränkung
mit den objektivierbaren Parametern abgeglichen werden. Die Bemessung der MdE ist
stets individuell zu treffen. Hilfreich kann ein interdisziplinärer Austausch mit
den Kollegen der Handchirurgie oder Ergotherapie sein. In der gefäßmedizinischen Praxis
sollte eine Grundkenntnis dieser Entitäten bestehen. Wenn ein Zusammenhang zwischen
den Gefäßpathologien und der beruflichen Tätigkeit wahrscheinlich ist, gilt nach § 202
Sozialgesetzbuch VII die Verpflichtung für jeden Arzt, den Berufskrankheitsverdacht
zur Anzeige zu bringen.