Schlüsselwörter
systemic lupus erythematosus - classification criteria - diagnosis - fever
Key words
Klassifikationskriterien - Diagnose - Fieber - Systemischer Lupus erythematodes
Die neuen European League Against Rheumatism (EULAR)/American College of
Rheumatology (ACR) 2019 Klassifikationskriterien für den systemischen Lupus
erythematodes (SLE) [1]
[2] sind primär ein wissenschaftliches
Werkzeug. Sie dienen der Definition einer Gruppe von Patientinnen und Patienten, die
möglichst eindeutig an einem SLE leiden, um sie in klinische
Prüfungen und translationale Forschungsprojekte einschließen zu
können. Würde man die Diagnose SLE von Klassifikationskriterien
abhängig machen, hätte das rechtliche Implikationen für die
SLE-Therapie. SLE-Medikamente dürften dann Patienten, die die
Klassifikationskriterien nicht erfüllen, nicht mehr zulassungskonform
gegeben werden – und auch der umgekehrte Fall einer inadäquaten
SLE-Therapie nur auf Basis falsch positiver Klassifikationskriterien wäre
denkbar. Arztbriefe, in denen das steht, sind in diesem Punkt eigentlich fehlerhaft.
EULAR und ACR sind diesbezüglich zu Recht sehr streng. Dass es in der
Realität aber Überlappungen zwischen der Klassifikation und der
Diagnose gibt, ist offensichtlich. Daher ist es eine spannende Frage, wie weit die
neuen Kriterien helfen können, die Diagnose individueller Patientinnen und
Patienten zu verbessern. Zu Beginn werden wir versuchen, die wesentlichen
Neuigkeiten in den EULAR/ACR 2019-Kriterien darzustellen und zu
begründen. Danach ist es aus Gründen der genauen Differenzierung
wichtig, nochmals die wesentlichen Unterschiede zwischen Klassifikation und Diagnose
zu diskutieren. Im dritten Teil wird es dann darum gehen, was wir davon wirklich
für die Diagnose brauchen können.
ACR und SLICC-Kriterien
Die ACR-Kriterien aus dem Jahr 1982 [3] und
ihre geringfügige Modifikation aus dem Jahr 1997 [4] kennen wir vermutlich alle im Wesentlichen
auswendig. Mit der Regel, dass irgendwelche vier der elf Kriterien erfüllt
sein mussten, waren sie zwar nicht wirklich intuitiv, aber leicht zu merken.
Getrieben durch einen sehr sauberen wissenschaftlichen Zugang mit relativ
großen SLE- und Kontroll-Kohorten identifizierten sie wichtige,
häufige Manifestationen und mit antinukleären Antikörpern
(ANA), Antikörpern gegen doppelsträngige DNA (dsDNA) und Sm sowie
den 1997 besser definierten Anti-Phospholipid-Antikörpern auch wesentliche
immunologische Charakteristika. Auch der Ansatz kumulierter Kriterien, die nicht
gleichzeitig vorhanden sein müssen, ist seither unverändert
geblieben. Der Erfolg war durchschlagend. Die ACR-Kriterien haben nicht nur die
Wissenschaft standardisiert, sondern seither auch unser Bild der Erkrankung
geprägt.
Erst dreißig Jahre später gab es mit den Klassifikationskriterien der
Systemic Lupus International Collaborating Centers (SLICC)-Gruppe [5] neue SLE-Kriterien. Dabei wurde strategisch
beschlossen, die Grundstruktur unverändert beizubehalten. Es waren jetzt
vier von siebzehn Einzelkriterien. Der SLICC-Gruppe waren neben einer Modernisierung
zwei Aspekte besonders wichtig, nämlich die Absicherung einer
Autoimmun-Erkrankung und die Erhöhung der Sensitivität. Die
Autoimmunität wurde dadurch abgebildet, dass aus einer deutlich erweiterten
Zahl immunologischer Kriterien jetzt auch mindestens eines erfüllt sein
musste. Die Sensitivität wurde durch eine Verbesserung von Definitionen,
unter anderem bei Blutbildveränderungen, aber auch durch Aufteilung der
hämatologischen Domäne und Erweiterung der mukokutanen und
neuropsychiatrischen Manifestationen um eine ganze Anzahl z. T. seltener
Formen erhöht. Die beiden Ziele wurden erreicht, die erhöhte
Sensitivität aber um den Preis einer geringeren Spezifität. Neben
dem subakut cutanen Lupus erythematodes (SCLE) und der Alopezie kam die wichtige
Regel hinzu, eine histologisch zu einem SLE passende Nephritis in Kombination mit
ANA oder Anti-dsDNA-Antikörpern als für die Klassifikation
ausreichend zu akzeptieren.
Die EULAR/ACR 2019-Klassifikations-Kriterien
Die EULAR/ACR 2019-Klassifikations-Kriterien
Das gemeinsame Kriterienprojekt von EULAR und ACR hatte einige ehrgeizige Ziele [6]. Numerisch ging es darum, die hohe
Spezifität der ACR-Kriterien aufrecht zu halten, aber gleichzeitig die
Sensitivität zu erhöhen, wenn möglich in die
Größenordnung der SLICC-Kriterien. Das beruhte darauf, dass gerade
für die Klassifikation eine verminderte Spezifität ein reales
Problem darstellt. Wenn zu viele Patientinnen und Patienten in einer SLE-Studie in
Wirklichkeit gar keinen SLE haben, können unter Umständen wirksame
Medikamente ihre Wirksamkeit für die Erkrankung gar nicht zeigen. Die
Spezifitätslücke bewegte sich bei den SLICC-Kriterien in einer
Größenordnung bis 25% [7]. Das numerische Ziel wurde durch die EULAR/ACR-Kriterien
erreicht. Die Spezifität der ACR-Kriterien wurde gehalten und die
Sensitivität der SLICC-Kriterien praktisch erreicht – der minimale
Unterscheid war bei weitem nicht signifikant [1]
[2].
Inhaltlich war das Ziel, gut verwendbare und lehrbare Kriterien zu entwickeln, die
möglichst gut die klinische Realität abbilden und bei der
frühen Klassifikation von Patientinnen und Patienten mit SLE helfen. Zwei
grundsätzliche Überlegungen standen am Beginn des Projektes.
Einerseits wurde von Anfang an geplant, die Position der ANA in den Kriterien zu
hinterfragen und vermutlich zu ändern. Andererseits war klar, dass wir allen
Kriterien individuelle Gewichte geben würden [6]. Die neue Position der ANA beruht darauf,
dass sie hoch sensitiv, aber gerade in der Abgrenzung zu anderen
Autoimmun-Erkrankungen nicht spezifisch sind – z. B. im Gegensatz zu
Anti-Sm-Antikörpern. Sowohl bei den ACR-Kriterien als auch bei den
SLICC-Kriterien wurden positive ANA aber genauso behandelt wie positive
Anti-Sm-Antikörper. Hingegen werden ANA in der klinischen Routine als
Screening-Test eingesetzt. Das entspricht bei Klassifikationskriterien dem
Eingangskriterium.
Tatsächlich ergab eine systematische Literatursuche mit nachfolgender
Metaregression, dass fast alle SLE-Patientinnen und Patienten positive ANA haben
oder hatten [8]. Das
95%-Konfidenzintervall macht es sehr unwahrscheinlich, dass bei einem
ANA-Titer von zumindest 1:80 mehr als 3,2% eines Kollektivs ANA-negativ sein
würden. In den Kohorten waren es jeweils weniger als 1%. Das
Experten-Delphi-Verfahren zeigte, dass fast zwei Drittel der Experten Zweifel am
ANA-negativen SLE hatten [9] und die ANA
wurden in der Folge nicht nur vom Steering Committee , sondern auch von den
zusätzlichen Experten als Eingangskriterium bestätigt, die an der in
„nominal group technique“ durchgeführten
Kriterien-Auswahlkonferenz teilnahmen [10].
Während primär nur positive ANA in indirekter Immunfluoreszenz auf
HEp-2-Zellen analysiert wurden [8], zeigte
sich bei der Zusammenstellung der Kohorte, dass aus
Verfügbarkeitsgründen eine erweiterte Definition notwendig war, die
positive ANA aus alternativen Tests einschloss [1]
[2]. Jemals positive ANA sind damit
für die EULAR/ACR 2019-Klassifikationskriterien ein obligates
Einschlusskriterium. Dabei zählen auch historisch positive Ergebnisse.
SLE-Patientinnen und Patienten, die nie positive ANA hatten, können aber
nicht klassifiziert werden.
Die Gewichtung der Kriterien ergibt sich aus der ärztlichen Logik. Es ist
offenkundig, dass orale Ulzera viel mehr Ursachen haben können und damit
viel unspezifischer sind als eine histologisch gesicherte proliferative
Lupusnephritis. In diesem Punkt hatten die SLICC-Kriterien bereits das
grundsätzlich weiterhin verwendete System von vier aus den nun siebzehn zu
erfüllenden Kriterien aufgegeben. Da die mit einem SLE kompatible Nephritis
in der Nierenbiopsie gemeinsam mit positiven ANA oder Anti-dsDNA-Antikörpern
bereits für die SLICC-Klassifikation ausreichte [5], hatte die histologisch gesehene
Lupusnephritis de facto das dreifache Gewicht eines anderen Kriteriums. Die
EULAR/ACR-Kriterien führen das nun konsequent fort. Dafür
steht heute mit der Multiparameter-Entscheidungsanalyse ein wissenschaftliches
Instrument zur Verfügung [11]
[12]. Unter der Annahme, dass sonst alle
Parameter gleich sind, werden immer Paare von Kriterien gegeneinander getestet.
Immer muss die ganze Expertengruppe, gegebenenfalls nach ausführlicher
Diskussion, einstimmig entscheiden, welche Paarung (noch) eindeutiger die Erkrankung
zeigt. Das ergibt nach vielen Runden, im Fall der EULAR/ACR-Kriterien waren
es 72, ein relatives Gewicht für jedes einzelne Kriterium [12]. Die endgültigen (in weiteren
Schritten adaptierten und vereinfachten) Gewichte [1]
[2] sind aufsteigend in [Tab. 1] abgebildet. 10 Punkte reichen
für die Klassifikation. Oft genügen dafür 2 Kriterien.
Tab. 1 Das Gewicht der unterschiedlichen Kriterien in den
EULAR/ACR 2019-Kriterien.
Punkte
|
Kriterien
|
2
|
Fieber, Delir, Alopezie, orale Ulzera,
Anti-Phopholipid-Antikörper
|
3
|
Leukopenie, Psychose, vermindertes C3 ODER C4
|
4
|
Thrombopenie, Autoimmunhämolyse, SCLE oder DLE,
Proteinurie, vermindertes C3 UND C4
|
5
|
Krampfanfall, Pleura- oder Perikarderguss
|
6
|
ACLE, akute Perikarditis, Gelenkbeteiligung, Antikörper
gegen dsDNA und/oder Sm
|
8
|
Histologisch Lupusnephritis Klasse II oder V
|
10
|
Histologisch Lupusnephritis Klasse III oder IV
|
SCLE subakut cutaner Lupus erythematodes, DLE discoider Lupus erythematodes,
ACLE akut cutaner Lupus erythematodes.
Um bei einer einigermaßen überschaubaren Liste zu bleiben, wurden
Kriterien nur in Betracht gezogen, wenn sie bei mehr als 1% der Patientinnen
und Patienten auftraten. Das führte z. B. dazu, dass die Listen der
SLICC-Kriterien für die mukokutanen und neuropsychiatrischen Manifestationen
[5] wieder reduziert wurden. Neben den
einzelnen Kriterien aus den ACR- und SLICC-Kriterien-Sets, die automatisch in die
Kriteriengenerierung einbezogen wurden, wurde auch ausführlich nach neuen
Kriterien gesucht. Das war die Hauptaufgabe des Delphi-Verfahrens [9] und wurde durch eine groß angelegte
internationale Früh-SLE-Kohorte [13]
und eine Fragebogenstudie [14] mit der Lupus
erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e.V., einer bundesweiten Teilorganisation der
RheumaLiga, ergänzt. Die nach dem Delphi-Verfahren und den
ergänzenden Studien zu hohe Zahl von 43 Kriterien wurde durch die
Auswahlkonferenz in „nominal group technique“ auf knapp die
Hälfte reduziert [10]. Das einzige
wirklich neue Kriterium, nicht-infektiöses Fieber, stammt aus der
Frühkohorte und dem Patientenfragebogen. Bei einzelnen Kriterien, wie
Delirium, Psychose oder akuter Perikarditis, wurden die Definitionen an
international übliche Standards angepasst [15]. In vielen Fällen zeigten sich die SLICC-Definitionen bereits
als sehr gut geeignet [1]
[2].
Im Rahmen der Kriterien-Auswahl-Konferenz wurde diskutiert, wie weit einzelne
Kriterien möglicherweise zusammenhängen. Das war bei den bisherigen
Kriterien des ACR und der SLICC-Gruppe nicht analysiert worden, ist aber insofern
wichtig, als die Methodik der Klassifikationskriterien deren Unabhängigkeit
voraussetzt. Die mögliche Häufung einzelner Kriterien bei denkbaren
Untergruppen von SLE-Patientinnen und Patienten wurde in der Folge systematisch
untersucht [16]. Dabei wurde zunächst
die SLE-Frühkohorte analysiert. In der Folge wurden die Ergebnisse in der
Euro-Lupus-Kohorte verifiziert. Dabei zeigten sich einerseits doch klare
Assoziationen zwischen verschiedenen mukokutanen Manifestationen, zwischen den 3
hämatologischen Manifestationen, zwischen Anti-dsDNA und
Anti-Sm-Antikörpern und zwischen verschiedenen
Anti-Phospholipid-Antikörpern. Das führte dazu, dass diese
Manifestationen in Domänen angeordnet wurden ([Tab. 2]) und in jeder Domäne nur das
eine Kriterium mit der höchsten Punktezahl gezählt werden darf [1]
[2] – eine wichtige Korrektur der
Trennung in den SLICC-Kriterien. Andererseits fanden sich über die
Domänen hinaus aber keine Zusammenhänge. Die unterschiedlichen
Organbeteiligungen erwiesen sich als unabhängig.
Tab. 2 Die unterschiedlichen Domänen in den
EULAR/ACR 2019-Kriterien.
Punkte
|
Kriterien
|
Niere
|
Proteinurie, histologisch Lupusnephritis Klasse II oder V bzw.
Klasse III oder IV
|
Mukokutan
|
Alopezie, orale Ulzera, SCLE, DLE, ACLE
|
Serosa
|
Pleura- oder Perikarderguss, akute Perikarditis
|
Muskuloskeletal
|
Gelenkbeteiligung
|
Blut
|
Leukopenie, Thrombopenie, Autoimmunhämolyse
|
Neuropsychiatrisch
|
Delir, Psychose, Krampfanfall
|
Konstitutionell
|
Nicht-infektiöses Fieber
|
SLE-Antikörper
|
Anti-dsDNA-Antikörper, Anti-Sm-Antikörper
|
Komplement
|
Vermindertes C3 oder C4, vermindertes C3 und C4
|
Anti-Phospholipid
|
Anti-Cardiolipin-,
Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörper,
Lupus-Antikoagulans
|
SCLE subakut cutaner Lupus erythematodes, DLE discoider Lupus erythematodes,
ACLE akut cutaner Lupus erythematodes.
Noch ein Problem musste im Klassifikations-Kriterien-Projekt gelöst werden:
Praktisch alle SLE-Organmanifestationen treten auch bei anderen Erkrankungen als dem
SLE auf. Zum Teil existieren sie auch als eigenständige Erkrankungen, wie
der cutane Lupus erythematodes (LE) oder das Anti-Phospholipid-Syndrom,
z. T. kommen viele alternative Ursachen in Betracht, wie bei der
Polyarthritis oder der Leukopenie. Grundsätzlich gibt es dafür
mehrere Lösungsansätze. Wenn man Kriterien ohne Rücksicht
auf alternative Erklärungen zählt, ist das schlecht für die
Spezifität – und überhaupt nicht kompatibel mit unserem
Vorgehen in der klinischen Routine. Wenn man andere Erkrankungen
ausschließt, kommt es erstens zum Ausschluss von Overlap-Situationen wie dem
Rhupus, dem RA-SLE-Overlap, für die SLE-Klassifikation. Andererseits ist ein
gegenseitiger Ausschluss kritisch. Wenn SLE-Kriterien den vorhergegangenen
Ausschluss eines Sjögren-Syndroms verlangen und andererseits
Sjögren-Kriterien den Ausschluss eines SLE verlangten, wäre dieser
zirkuläre Schluss bei zudem verwandten Krankheitsbildern nicht mehr
auflösbar.
Als Alternative kommen konkrete Ausschlussdiagnosen für einzelne Kriterien in
Betracht, wie sie die ACR-Kriterien [3] und
die SLICC-Kriterien [4] beinhalten. Das
führt aber bei konsequenter Aufzählung zu einer extrem langen, nicht
mehr übersichtlich darstellbaren Liste. Die Lösung, die daher
für die EULAR/ACR-Kriterien gefunden wurde ([Tab. 3]), ist grundsätzlich einfach:
gezählt werden nur Einzelkriterien, für die es keine
wahrscheinlichere alternative Erklärung gibt [1]
[2]
[15]. Eine Polyarthritis wird also bei
Anti-CCP-positiven Patientinnen nicht gezählt, weil dann die rheumatoide
Arthritis die wahrscheinlichere Ursache ist. Das funktioniert sehr gut, setzt aber
ein ausreichendes medizinisches Wissen voraus und ist in Datenbanken oft nicht
abgebildet. Daher sehen wir z. T. jetzt auch Publikationen, die für die
EULAR/ACR-Kriterien eine viel schlechtere Spezifität finden [17]
[18]
[19]
[20]. Das beruht zum Großteil darauf,
dass diese Regel nicht angewendet wird, was aber inkorrekt ist.
Tab. 3 Die Grundregeln der EULAR/ACR 2019-Kriterien.
Nur bei Verdacht
|
Kriterien nur anwenden, wenn ein SLE ernsthaft möglich
ist
|
ANA als Eingangskriterium
|
Immer ANA-negative Patienten sind nicht als SLE
klassifizierbar
|
Alternative Diagnosen
|
Kriterien zählen nur, wenn keine andere Ursache
wahrscheinlicher ist
|
Historisch zählt
|
Kriterien werden gezählt, wenn sie einmal erfüllt
waren
|
Nicht notwendig simultan
|
Kriterien müssen nicht gleichzeitig erfüllt
sein
|
Krankheit, nicht Immunologie
|
Zumindest ein klinisches Kriterium muss erfüllt sein
|
Domänen
|
Innerhalb einer Domäne zählt nur das
höchstbewertete Kriterium
|
Additive Gewichte
|
Klassifikation ab 10 Punkten gesamt, egal wie viele Kriterien
|
Warum ist Klassifikation nicht Diagnose?
Warum ist Klassifikation nicht Diagnose?
Obwohl wir alle täglich Diagnosen stellen, überlegen wir selten, was
methodisch hinter einer Diagnose steckt. Wie bei fast allen ärztlichen
Tätigkeiten geht es um die eine Patientin oder den einen Patienten meist
unmittelbar vor uns. Das Ziel ist, individuell die Prognose und die sinnvollste
Therapie festzulegen – was auch bedeuten kann, keine Therapie zu empfehlen.
Alle anderen Patientinnen und Patienten sind in diesem Moment nicht in unserem
Fokus. Sie dienen in diesem Fall vielleicht gerade noch als Muster, mit dem wir die
konkrete Person vor uns vergleichen. Tatsächlich sind es diese Muster, die
wir wiedererkennen und die uns hoffentlich in die richtige Richtung lenken. Bewusst
oder unbewusst agieren wir mit Wahrscheinlichkeiten. Das fängt mit der
Vortest-Wahrscheinlichkeit an, im typischen Fall mit der alten Regel
„seltene Erkrankungen sind selten“. Weitere Tests sind immer dann
sinnvoll, wenn sie die Vortest-Wahrscheinlichkeit relevant erhöhen oder
vermindern können. Gerade bei komplexen Erkrankungen wie dem SLE ist dabei
der Ausschluss anderer Erkrankungen ebenso von Bedeutung wie der
unterstützende Befund. Zunächst geht es meist darum, erste objektiv
pathologische Befunde zu sichern. Haben wir aber die Schwelle überschritten,
dass die Diagnose SLE rational in Frage kommen könnte, gibt es also
genügend Indizien für diese relativ seltene Diagnose, müssen
meist andere Diagnosen ausgeschlossen werden. Kommen Infektionen,
hämatologische Erkrankungen oder vielleicht Medikamente in Betracht? Sind
wir uns der Abgrenzung zu anderen Autoimmunerkrankungen wie der
Hashimoto-Thyreoiditis, des Sjögren-Syndroms oder des primären
Anti-Phospholipid-Syndroms sicher? Erst solche Abwägungen können
dann zu einer einigermaßen sicheren Diagnose eines SLE führen.
Dafür verwenden wir unser gesamtes ärztliches Wissen und sammeln
„auf allen Kanälen“ Informationen, von der Familienanamnese
bis zu den aktuellen Beschwerden, vom „Bauchgefühl“ bis zur
genauen klinisch-physikalischen Untersuchung, von Vorbefunden bis zum aktuellen
Labor mit Autoantikörpern, Komplement Differentialblutbild und Urinanalyse.
Häufig werden gezielte Fragen auch aus Listen gestellt, sei es aus
Klassifikationskriterien oder aus Aktivitätsscores [21]
[22]. Das Ergebnis ist eigentlich eine
Arbeitshypothese, die in Folge manchmal auch geändert werden muss. Da die
Diagnose in der Regel die Grundvoraussetzung für die entsprechende Therapie
darstellt, werden wir im Zweifel die Diagnose stellen und die notwendigen
Maßnahmen einleiten. Der Verlauf darf uns dann aber auch eines Besseren
belehren. Wissenschaftlich ausgedrückt ist die Sensitivität nun, bei
konkreten Patienten, wichtiger als die Spezifität.
Klassifikation ist grundsätzlich anders [23]
[24]
[25]. Zwar ist auch hier die Aufgabe, zu
klären, ob die Patientin oder der Patient in die „Schublade“
SLE passt, aber eigentlich geht es gar nicht um sie oder ihn. Wir benötigen,
um die Wirksamkeit neuer Medikamente beweisen oder die Erkrankung besser erforschen
zu können, eine Gruppe von Individuen mit dem gleichen Krankheitsbild. Auch
wenn diese Forschung hoffentlich vielen einzelnen Patientinnen und Patienten zu Gute
kommen wird, geht es methodisch nur um dieses „Kollektiv“.
Außer bei Sicherheitssignalen spielt die oder der einzelne auch in der
Auswertung keine relevante Rolle. Daher ist auch die oben hervorgehobene
Sensitivität nicht so wichtig. Dadurch wird vielleicht das Kollektiv etwas
kleiner, was bei der Rekrutierung stört. Sonst hat eine geringere
Sensitivität wenig Einfluss, so lange sie nicht zum systematischen
Ausschluss wichtiger Patientengruppen führt. Hingegen ist die
Spezifität kritisch. Im Gegensatz zur Diagnose, die wir jederzeit
ändern könnten, ist es praktisch nicht möglich, in eine
klinische Prüfung eingeschlossene Patientinnen oder Patienten wieder
herauszunehmen. Selbst bei translationalen Studien ist das nur im Ausnahmefall
möglich – der Ausschluss von Patienten, weil ihre Daten nicht ins
Konzept passen, wäre ja das Ende wissenschaftlicher Integrität. Bei
Klassifikationskriterien spielt daher die Spezifität die entscheidende
Rolle.
Würde man also die Klassifikationskriterien als Maßstab der
SLE-Diagnose verwenden, bestünde die Gefahr, Patientinnen und Patienten
nicht zu diagnostizieren, die dennoch einen SLE haben – und die
entsprechende Therapie dringend benötigen. Es ist schon deshalb zu
gefährlich, sie für die Diagnose zu verwenden. Aus Sicht von EULAR
und ACR wäre der Einsatz als Diagnosekriterien unangemessen. In anderen
Gebieten gibt es z. T. auch Diagnose-Kriterien. Gut funktionieren sie v. a. bei
umschriebenen Krankheitsbildern, die zudem möglichst durch technische
Untersuchungen diagnostiziert werden können. Auch für den SLE wurden
solche Kriterien diskutiert [26]. Bei dieser
komplexen Erkrankung war das schon wegen der Diskrepanz zwischen einer machbaren
Liste und der Unzahl möglicher Krankheitsmanifestationen unrealistisch.
Deshalb waren ja die elf Kriterien so einfach zu lernen – auch wenn die elf
Kriterien 1982 in Wirklichkeit 20 [3] und ab
1997 21 [4] einzelne Befunde inkludierten.
Nicht einmal die viel ausgedehnteren SLICC-Kriterien mit 43 einzelnen Punkten [5] bilden auch nur einigermaßen die
Vielfalt des SLE ab. Es ist daher kein Zufall, dass weder EULAR noch ACR
Diagnosekriterien unterstützen.
Da die untersuchte Patientengruppe häufig über mehrere Kontinente
zusammengestellt wird, ist für die Klassifikation eine überschaubare
Zahl genau definierter und international umsetzbarer Kriterien ohnedies unabdingbar.
Darüber hinaus gehen Klassifikationskriterien aber auch methodisch anders
vor. Im Gegensatz zum ausschließenden Vorgehen bei der Diagnose versuchen
Klassifikationskriterien die Erkrankung in erster Linie positiv zu definieren. Sind
die Punkte erfüllt, ist die Klassifikation gegeben. Wie bereits
erwähnt, ist der Ausschluss bestimmter Erkrankungen im Vorfeld für
Klassifikationskriterien ungewöhnlich und eher problematisch. Nur bei den
Einzelkriterien wird die Genauigkeit erhöht, indem Fehlzuweisungen vermieden
werden. Aber das liegt nicht auf der gleichen Ebene.
Helfen die Klassifikationskriterien für die Diagnose?
Helfen die Klassifikationskriterien für die Diagnose?
Mit all diesen Warnhinweisen im Hinterkopf können wir jetzt der Frage
nachgehen, wie weit die neuen Klassifikationskriterien für die Diagnose
helfen können. Dabei werden wir erst die konkrete Struktur und die einzelnen
Kriterien erörtern. Anschließend sollen mögliche Lehren
für die SLE-Diagnose aus den im SLE-Projekt erhobenen Daten diskutiert
werden.
Das Eingangskriterium positiver ANA reflektiert ja bereits primär die
Tatsache, dass wir ANA normalerweise als Screening-Parameter verwenden [6]
[27]. Interessanterweise schränken das
die neuen Klassifikationskriterien etwas ein, indem sie die Sensitivität
aufzeigen. Während die Metaregression aus den publizierten ANA-Daten von
13 080 SLE-Patientinnen und Patienten zeigen, dass der ANA-negative SLE sehr
selten ist, beweisen sie gleichzeitig, dass er vorkommt [8]. Bei einem ANA-Titer von 1:80 oder
höher betrug die Sensitivität 97,8% mit einem
95%-Konfidenzintervall von 96,8–98,5%. Bei 1:160 oder
höher wären es 95,8% (94,1–97,1%) gewesen.
Bei einer seltenen Erkrankung macht das die Diagnose sehr unwahrscheinlich [28] – die Vortestwahrscheinlichkeit
sinkt für Frauen von etwa 1:1000 auf etwa 1:50 000 und für
Männer von etwa 1:10 000 auf etwa 1:500 000. Ganz
ausschließen lässt sich der SLE mit negativen ANA im Einzelfall aber
nicht.
Es ist in Deutschland diagnostisch oft legitim, ANA von minimal 1:160 anzusetzen,
aber das im Bewusstsein, dass dieser Schritt zu Gunsten einer etwas höheren
Spezifität (86,2 vs 74,7%) die Sensitivität ein wenig
verringert. Hilfreich sind vielleicht noch 2 andere Aspekte. Die positiven ANA
gelten auch historisch, weil sie auch auf Anti-dsDNA-Antikörpern basieren
können, die unter optimaler Therapie manchmal verschwinden. Während
der Endphase des Projekts wurden Daten publiziert, dass die Sensitivität vom
konkreten Zellsubstrat abhängig ist [29]. Schlechte Tests bringen weniger Sicherheit, sodass es wichtig ist,
möglichst konkret zu wissen, wie gut die einem selbst zur Verfügung
stehenden Testsysteme funktionieren. Für die Qualitätskontrolle im
Immunologielabor ist das klinische Feedback bei Inkompatibilität von
Befunden noch wichtiger als die internen Kontrollmechanismen.
Die Gewichtung der einzelnen Kriterien [1]
[2]
[12] entspricht durchaus der unterschiedlichen
Gewichtung in der Diagnose ([Tab. 1]). Diese
relativen Gewichte wurden mit einer Gruppe von weltweiten Experten entwickelt und
basieren auf einem praktisch kompletten Konsens in der Diskussion dieser Gruppe.
Daher sind sie vermutlich direkt zu übernehmen. Dabei fehlen aber viele
seltene Manifestationen des SLE. Was die mukokutanen Manifestationen angeht, ist die
Liste der SLICC-Kriterien weitestgehend lehrbuchartig komplett [5]. Manche dieser Manifestationen sind aber wie
der Lupus erythematodes tumidus [30] nur
selten mit einem SLE assoziiert. Auch die SLICC-Liste der neuropsychiatrischen
Manifestationen ist deutlich länger und beinhaltet manche sehr seltene
Manifestationen [5], aber noch immer nicht
alle. So fehlt z. B. die Chorea, die im Rahmen des SLE auch vorkommen kann [31]. Andere seltene Manifestationen betreffen
fast alle Organsysteme. Es gibt die Lupuspneumonitis und die interstitielle
Lungenerkrankung beim SLE [32], die
Lupus-Myositis [33], die Lupus-Hepatitis und
die Lupus-Pankreatitis [34] und so
ungewöhnliche Manifestationen wie interstitielle Zystitis [35] oder Hyperkalzämie [36]. Besonders mehrere solcher seltener
Manifestationen würden die Wahrscheinlichkeit eines SLE deutlich
erhöhen, auch wenn die Kriterien-Manifestationen fehlen.
Fieber als neues Kriterium ist für den frühen SLE sicher ein
relevantes Argument [134]. Wichtig dabei sind wie für die Klassifikation
wirkliches Fieber (per Definition >38,3°C), die Persistenz und vor
allem der präzise Ausschluss von Infektionen. Letzteres ist auch deshalb
besonders wichtig, weil Infektionen beim aktiven SLE noch immer die wichtigste
Todesursache darstellen [37]. Ein hohes CRP
(>70 mg/L oder >7 mg/dL) sollte immer besonders an
eine bakterielle Infektion denken lassen, auch wenn das höhere CRP hin und
wieder im Rahmen einer Serositis oder Gelenkbeteiligung eines SLE vorkommt. Im
Zweifel ist eine antiinfektive Therapie indiziert.
Wichtig und unmittelbar anwendbar sind auch 2 Lehren, die die Autoantikörper
betreffen. Einerseits wurde für die Anti-dsDNA-Antikörper definiert,
dass nur Tests mit einer Testspezifität von mindestens 90% gegen
adäquate Krankheitskontrollen, also nicht gegen Gesunde, gezählt
werden dürfen [1]
[2]. Das gilt typischerweise für den
gut gemachten CLIFT (Crithidia luciliae-Immunfluoreszenztest) und für den
Farr-Assay oder Radioimmunassay bei einem Cut-off von 25, aber nicht für
ELISA-Ergebnisse. Daher müssen wir alle die Charakteristika der uns lokal
zur Verfügung stehenden Tests kennen – und dürfen die
Bedeutung nicht spezifischer Tests auch für die Diagnose nicht
überschätzen. Manche der anderen Tests haben ihre Rolle eher in der
Verlaufskontrolle, für Diagnose wie Klassifikation sind sie nicht spezifisch
genug. Und für die Anti-Phospholipid-Antikörper ist wichtig, dass
auch IgA-Antikörper gewertet werden dürfen [1]
[2], die beim SLE häufiger sind [38]. Es reicht ein Test; die Kontrolle nach
mindestens 12 Wochen wie beim Anti-Phospholipid-Syndrom (APS) [39] ist nicht erforderlich. Aber andererseits
haben Anti-Phospholipid-Antikörper für den SLE auch ein ziemlich
geringes Gewicht [1]
[2].
Schließlich sind auch noch die meisten der Grundregeln ([Tab. 3]) für die Diagnose verwendbar.
Es sollte niemand eine Krankheitsdiagnose bekommen, der nicht krank ist. Daher muss
auch für die Diagnose zumindest ein klinischer Befund gefordert werden
– wobei da eine Zytopenie im Blutbild oder eine relevante Proteinurie von
mehr als 0,5 g/Tag oder 0,5 g/g Kreatinin ausreicht. Eine
Lupusnephritis ohne Proteinurie ist im Übrigen sehr unwahrscheinlich, daher
sind auch die Zylinder aus dem Kriterium verschwunden. Genauso kann die Zuordnung
gut verwendet werden. Wenn etwas besser durch eine andere Erkrankung, ein Medikament
oder ähnliches erklärt wird, sollte es nicht dem möglichen
SLE zugerechnet werden. Dass auch historische Befunde gewertet werden sollen, wenn
sie gesichert sind, und dass Symptome nicht gleichzeitig vorkommen müssen,
ist für die Diagnose genauso korrekt wie für die Klassifikation. Und
schließlich sind in Grenzen auch die Domänen ([Tab. 2]) zu berücksichtigen. Wir
wissen aus dem EULAR/ACR-Kriterien-Projekt, dass innerhalb dieser
Domänen Assoziationen bestehen [17].
So können Schleimhautulzera oder die Alopezie schlicht eine Manifestation
eines cutanen LE darstellen und auch Zytopenien kommen gehäuft vor.
Letzteres gilt im Übrigen genauso für wichtige Differenzialdiagnosen
im Bereich infektiöser oder hämatoonkologischer Erkrankungen.
Dennoch wird im Gegensatz zur Klassifikation im Individualfall geprüft
werden müssen, ob weitere Befunde nicht doch die Wahrscheinlichkeit
erhöhen. Die Diagnose gibt hier mehr Freiheiten als die Klassifikation.
Mehr Freiheit gibt die Diagnose schließlich auch noch im Cut-off. Auch wenn
die Skala der EULAR/ACR-Kriterien diskontinuierlich ist (es gibt ja nur
ganze Zahlen), steigt die Wahrscheinlichkeit eines SLE mit dem numerischen Wert an,
vermutlich sogar weitgehend linear. Der Cut-off von 10 ergab in der
Validierungskohorte eine Sensitivität von 96% und eine
Spezifität von 93% [1]
[2]. Für die Klassifikation gelten
diese mindestens 10 Punkte. Aber auch 8 oder 9 Punkte könnten für
einen SLE sprechen, während im Einzelfall 10 oder 11 Punkte einen SLE nicht
beweisen werden.
Weitere Lehren für die Diagnose SLE aus dem
EULAR/ACR-Klassifikationskriterien-Projekt
Weitere Lehren für die Diagnose SLE aus dem
EULAR/ACR-Klassifikationskriterien-Projekt
Zum Teil kann man nicht nur aus den einzelnen Kriterien für die SLE-Diagnose
lernen, sondern auch aus den Manifestationen, die nicht gut genug zwischen dem SLE
und anderen Erkrankungen unterschieden haben. Bei 2 häufigen Manifestationen
[14], nämlich der Fatigue und dem
Raynaud-Syndrom, die viele SLE-Patientinnen und Patienten subjektiv deutlich
beinträchtigen [40], stellte sich
sogar heraus, dass sie bei anderen Erkrankungen, die zunächst einem SLE
ähnelten, häufiger vorkamen als beim frühen SLE [13].
Immunologisch war eigentlich schon im Vorfeld zu erwarten gewesen, dass Anti-Ro- und
Anti-La-Antikörper, die für das Sjögren-Syndrom noch
typischer sind als für den SLE und auch bei der Systemischen Sklerose
vorkommen können, in der Differenzierung nicht helfen würden. Das
bestätigte sich auch aus den Daten der SLE-Frühkohorte [13]. Ein weiteres immunologisches Konzept
schaffte es hingegen durch das Experten-Delphi-Verfahren [9] und sogar noch durch die Auswahlkonferenz
[10] und scheiterte nur an der
Umsetzbarkeit [15]: multiple Autoantikörper sind beim SLE typisch [41]. Es gelang aber nicht, dass in eine Form zu
bringen, in der dieses Konzept im Rahmen der Klassifikationskriterien funktioniert
hätte, ohne redundant zu den bereits inkludierten Autoantikörpern zu
sein. Dennoch kann es in der Diagnose der Erkrankung helfen. Ein (nicht
spezifischer) Autoantikörper ist meist kein ausreichendes Zeichen
für den SLE. Mehrere unabhängige Antikörper – wobei
durchaus der indirekte Nachweis über Manifestationen (wie die Thrombopenie)
gilt, sprechen hingegen sehr für die Erkrankung.
Und abschließend ist es vielleicht noch sinnvoll, auf die im Rahmen des
Kriterienprojekts mehrfach ausführlich diskutierte Abgrenzung zwischen dem
SLE und dem primären APS einzugehen. Dabei ist es entscheidend, sich vor
Augen zu führen, was das APS per se mit sich bringen kann [42]. APS-Manifestationen sind die Livedo
racemosa, eine meist eher milde Thrombopenie, die Libman-Sacks-Endokarditis und
viele der ischämischen ZNS-Läsionen, die in der Abgrenzung zur
ZNS-Vaskulitis so wichtig sind [31]
[43]. Diese Manifestationen sollten daher auch
nicht für einen SLE gewertet werden, wenn
Anti-Phospholipid-Antikörper nachweisbar sind.
Zusammenfassung
Die neuen EULAR/ACR-Klassifikationskriterien für den SLE dienen wie
auch die alten ACR- und SLICC-Klassifikationskriterien primär
wissenschaftlichen Zielen. Sie sollten nicht direkt für die Diagnose
verwendet werden, weil sich Diagnose und Klassifikation klar unterscheiden und trotz
der recht hohen Sensitivität noch immer Patientinnen und Patienten
fälschlicherweise nicht diagnostiziert und nicht behandelt würden.
Hingegen können viele Details der Kriterien auch im diagnostischen Alltag
helfen, rechtzeitig an die Erkrankung zu denken und ihre Wahrscheinlichkeit besser
abzuschätzen. Ergänzt werden sie durch zusätzliche
Informationen aus dem langjährigen internationalen Projekt zur Entwicklung
der Kriterien.