Schlüsselwörter
Coronavirus - COVID-19 - Pandemie - psychosoziale Gesundheit - Quarantäne
Keywords
coronavirus - COVID-19 - pandemic - mental health - quarantine
Einleitung
Im April 2020 unterstand weltweit mehr als ein Drittel der Menschheit Quarantänemaßnahmen,
um die Ausbreitung des neuartigen Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2
(SARS-CoV-2) einzudämmen. Die durch die Infektion mit SARS-CoV-2 ausgelöste Atemwegserkrankung
Corona Virus Disease 2019 (COVID-19) wurde erstmals im Dezember 2019 in der chinesischen
Millionenstadt Wuhan beschrieben und entwickelte sich bereits im Januar 2020 zur Epidemie
in China [1]. Es folgte eine rasche weltweite Ausbreitung, die die Weltgesundheitsorganisation
am 11. März 2020 veranlasste, eine Pandemie zu erklären [2]. Mitte April wurden durch die Johns-Hopkins-Universität 2 Millionen Personen mit
COVID-19 und über 130 000 in Zusammenhang mit COVID-19 Verstorbene in 185 Ländern
dokumentiert (Stand 16.04.2020) [3].
In Deutschland wurde die erste COVID-19-Infektion am 28. Januar 2020 bekannt. Zwei
Monate später stufte das Robert Koch-Institut (RKI) das Risiko von COVID-19 für die
deutsche Bevölkerung als hoch, für Risikogruppen (ältere Personen und/oder mit relevanten
Vorerkrankungen) als sehr hoch ein [4]. Mitte April 2020 verzeichnete das RKI mehr als 130 000 Personen mit COVID-19 und
mehr als 3500 in diesem Zusammenhang Verstorbene hierzulande (Stand 16.04.2020) [5]. Infolge der Ausbreitung von COVID-19 wurde durch Bund und Länder am 22. März 2020,
in Bayern bereits 2 Tage zuvor, ein umfassendes Kontaktverbot verhängt [6]. Dazu zählen die Reduktion der räumlichen Nähe zu anderen Personen auf ein notwendiges
Minimum, Mindestabstand in öffentlichen Räumen zu anderen von mindestens 1,50 Meter
und der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur allein oder mit einer weiteren Person
oder im Kreis der Personen des eigenen Hausstands. Darüber hinaus erließen einige
Bundesländer Ausgangsbeschränkungen, die das Verlassen der eigenen Wohnung und das
Betreten des öffentlichen Raums nur unter Vorliegen eines „triftigen“ Grunds erlauben.
Ziel der bevölkerungsweiten Quarantänemaßnahmen ist die Verlangsamung der Ausbreitung
von COVID-19, um eine Überlastung im Gesundheitsversorgungssystem zu verhindern. Mitte
April 2020 dauerten die Maßnahmen an.
Um die Öffentlichkeit zu schützen und eine Verbreitung von Infektionskrankheiten zu
verhindern, können in schwerwiegenden Fällen Quarantäneverfahren erforderlich sein.
Quarantäne bezieht sich auf die eingeschränkte Bewegung von Personen, die einer Infektionskrankheit
ausgesetzt waren (z. B. Kontakt zu einer erkrankten Person hatten) und die dadurch
ebenfalls infiziert sein können, während Isolation für die eingeschränkte Bewegung
von Personen gilt, von denen bekannt ist, dass sie bereits an einer Infektionskrankheit
erkrankt sind. Die moderne Quarantäne umfasst eine Reihe von Strategien zur Krankheitsbekämpfung,
die einzeln oder in Kombination angewendet werden können, darunter typisch: kurzfristige
freiwillige Ausgangssperre, Beschränkung der Versammlung von Personengruppen, Absage
öffentlicher Veranstaltungen, Schließung von Nahverkehrssystemen und andere Reisebeschränkungen
[7]. Derartige Maßnahmen, die im Zuge von lokalen Ausbrüchen, Epidemien oder Pandemien
staatlich oder vom Individuum selbst getroffen werden, um eine weitere Infektionsausbreitung
zu verlangsamen, können psychosoziale Konsequenzen nach sich ziehen. Besondere Quarantänemaßnahmen
zum Schutz der Gesundheit sind als außergewöhnliche, i. d. R. belastende Lebensereignisse
zu verstehen und stellen einen Einschnitt in das alltägliche Leben dar. Der Zusammenhang
zwischen belastenden Lebensereignissen und negativen Folgen für die psychosoziale
Gesundheit ist lange belegt [8]. Im Zuge von Quarantäne kann sich beispielsweise soziale Isolation negativ auf die
psychische Gesundheit auswirken [9]
[10]. Die (räumliche) Trennung von Angehörigen oder nahestehenden Personen, der Verlust
der Freiheit, die Unsicherheit über den Krankheitsstatus sowie Langeweile und Einsamkeit
können mitunter dramatische Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben [11]. Auch die Ungewissheit über die Dauer der Kontaktbeschränkung kann sich negativ
auf die psychische Verfassung auswirken. Dabei ist es aus Public-Health-Perspektive
wichtig, den potenziellen Nutzen einer obligatorischen Massenquarantäne sorgfältig
gegen psychosoziale Konsequenzen und womöglich assoziierte langfristige Kosten abzuwägen.
Studienziel
Ziel unserer Literaturübersicht ist es, Evidenz über psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen
im Zusammenhang mit früheren relevanten Coronavirus-Ausbrüchen zusammenzutragen. Im
21. Jahrhundert traten bereits 2 schwerwiegende Coronaviren und damit assoziierte
Ausbrüche auf. Der erste schwerwiegende Ausbruch war das Auftreten des schweren a
kuten respiratorischen Syndroms (Severe acute respiratory syndrome/SARS) durch das
SARS-assoziierte Coronavirus (SARS-CoV) in den Jahren 2002 und 2003. Die SARS-Pandemie
verbreitete sich ausgehend von Südchina auf über 30 Länder und führte zu 774 Todesfällen
[12]. Gegenmaßnahmen umfassten, je nach regionaler Betroffenheit, z. B. Reiseverbote,
Zwangsquarantänen und die Schließung von Bildungseinrichtungen und Unterhaltungsbetrieben.
Im Jahr 2012 wurde das Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) identifiziert,
dessen Erstauftreten in Saudi-Arabien verortet wurde [13]. Seitdem kam es wiederholt zu lokalen Ausbrüchen, mit Schwerpunkt auf der arabischen
Halbinsel sowie vereinzelt im Nahen Osten und Südkorea. Im Januar 2020 waren laut
WHO 2494 MERS-CoV-Erkrankungen und 858 Verstorbene dokumentiert [14]. Gegenmaßnahmen umfassten v. a. Quarantänemaßnahmen bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen.
Evidenz über psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen im Zusammenhang mit den
genannten Ausbrüchen können Grundlage für entsprechende Untersuchungsansätze und Handlungsempfehlungen
im Rahmen der COVID-19-Pandemie sein. Dies ist allein äußerst relevant vor dem Hintergrund,
dass die Ausmaße der COVID-19-Pandemie beispiellos und die Tragweite der psychosozialen
Auswirkungen aktuell unklar sind, aber von der WHO als schwerwiegend eingeschätzt
werden [15].
Methoden
Methodische Grundlage für unsere Zusammenschau ist eine Literaturübersicht nach dem
Typ des „Rapid Reviews“. Dabei handelt es sich um eine Form der Evidenzsynthese unter
stark begrenztem zeitlichen Rahmen (i. d. R. unter 5 Wochen Bearbeitung), mit dem
Ziel, zügig Informationen zu dringlichen Themen zur Verfügung zu stellen [16]. Die Methodik ist an systematische Literaturübersichtsarbeiten angelehnt, aber weniger
stringent. In dieser Arbeit erfolgte die Eingrenzung der Suche auf eine etablierte
Datenbank (MEDLINE) und die Vorauswahl der Datenbanktreffer durch 1 Person (FM) und
nur die finale Selektion unabhängig durch 2 Autoren (SR, FM).
Suchstrategie
Es sollten Studien identifiziert werden, die psychosoziale Folgen bei Personen untersuchten,
die entweder zu Hause oder am Arbeitsplatz Quarantänemaßnahmen im Rahmen der SARS-Pandemie
2002/2003 oder MERS-CoV-Ausbrüchen ausgesetzt waren. Dazu wurde am 30. März 2020 eine
Literaturrecherche in der MEDLINE-Datenbank mit der Suchoberfläche von PubMed mit
folgendem Suchalgorithmus durchgeführt: ((quarantine) OR (isolation) OR (social isolation)
OR (social distancing) OR (lockdown) OR (curfew)) AND ((depress*) OR (psych*) OR (anxiety)
OR (PTBS) OR (aggression) OR (suicid*) OR (mental health)) AND ((SARS) OR (MERS) OR
(corona*) OR (pandem*) OR (epidem*)). Eingeschlossen wurden alle Studien, die nach
Titel- und Abstract-Screening und ggf. Volltextanalyse oben genannte Fragestellung
verfolgten und in englischer oder deutscher Sprache publiziert wurden. Ausgeschlossen
wurden Arbeiten, die Folgen bei stationär isolierten Probanden untersuchten. Ergänzend
wurden die Literaturverzeichnisse der nach Titel- und Abstract-Screening selektierten
Arbeiten gesichtet.
Synthesestrategie
Vorab wurde durch 2 Autoren (FM, SR) diskutiert und konsentiert, welche Charakteristika
der inkludierten Studien extrahiert und tabellarisch zusammengefasst werden sollten.
Im Ergebnis wurden Details zu den Studienteilnehmern, dem Studienort, dem Studiendesign,
den Quarantänemaßnahmen, die betrachteten psychosozialen Faktoren infolge der Quarantänemaßnahmen,
die zur Erhebung eingesetzten Instrumente und daraus abgeleitete Hauptergebnisse erfasst.
Ergänzend erfolgte eine narrative Ergebnisdarstellung nach betrachteten psychosozialen
Konstrukten und anderen relevanten Besonderheiten.
Ergebnisse
Literaturrecherche
Die Suche in der MEDLINE-Datenbank ergab 919 Treffer. Davon wurden 904 Artikel nach
Durchsicht von Titeln und Abstracts ausgeschlossen. Nach Sichtung der Literaturverzeichnisse
der in die Vorauswahl eingeschlossenen Artikel konnten 4 weitere relevante Studien
identifiziert werden. Nach Volltextanalyse der 19 Artikel aus der Vorauswahl wurden
13 Artikel eingeschlossen. Sieben Studien [17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23] näherten sich dem Untersuchungsthema mit einem quantitativen Ansatz, 3 [24]
[25]
[26] mit einem qualitativen und 2 [27]
[28] mit gemischten Erhebungsverfahren. Außerdem wurde eine Fallstudie eingeschlossen
[29]. Insgesamt verglichen 4 Studien [18]
[21]
[22]
[28] eine Gruppe, die von Quarantänemaßnahmen betroffen war mit einer anderen, bei der
dies nicht der Fall war. Die verbleibenden Studien [17]
[19]
[20]
[23]
[24]
[26]
[27]
[29] betrachteten lediglich Personen unter Quarantäne. Zu beachten ist außerdem, dass
ein großer Teil der eingeschlossenen Studien [18]
[20]
[21]
[22]
[25]
[26]
[27] ausschließlich oder teilweise Angestellte im Gesundheitswesen betrachtete, da diese
von den SARS- und MERS-CoV-Ausbrüchen besonders betroffen waren. [
Tab. 1
] beschreibt Charakteristika der eingeschlossenen Studien und zentrale Ergebnisse.
Tab. 1
Charakteristika und Ergebnisse von Studien zu psychosozialen Folgen von Quarantänemaßnahmen
bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen vor der COVID-19-Pandemie (n = 13).
|
Studie und Publikationsjahr
|
Studienteilnehmer
|
Studienort
|
Studiendesign
|
Quarantänemaßnahme
|
untersuchte psychosoziale Faktoren
|
Erhebungsinstrumente
|
Hauptergebnisse
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Bai et al. 2004 [22]
|
338 Krankenhaus-mitarbeiter (12,1 % von Quarantäne betroffen, 51 % Frauen)
mittleres Alter: 39,1±9,4
|
Hua-Lien, Taiwan
|
Querschnittstudie
|
aufgrund von möglichem Kontakt zu SARS-Patienten,
Quarantäne für 9 Tage
|
u. a. Kriterien für akutes Stresssyndrom, Stigmatisierung durch Umfeld, Ängstlichkeit
|
selbstdesignter Fragebogen, nach DSM-IV-Kriterien für akutes Stresssyndrom
|
Die Quarantäne erwies sich als der am stärksten assoziierte Faktor für die Entwicklung
eines akuten Stresssyndroms. Die unter Quarantäne stehende Gruppe zeigte im Vergleich
zur Gruppe ohne Quarantäne signifikant höhere Werte bei Erfahrungen von Stigmatisierung
und Ablehnung durch das Umfeld.
|
Cava et al. 2005 [24]
|
21 Personen (76 % Frauen);
Alter: 85,7 % 25–64 Jahre; 9,5 % > 65 Jahre; 4,8 % < 24 Jahre
|
Toronto, Kanada
|
qualitativ
|
im Rahmen des SARS-Ausbruchs 2003, mittlere Dauer: 9 Tage
|
individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews
|
semistrukturiertes Leitfadeninterview
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Belastungen umfassten Angst um die eigene Gesundheit, Langeweile, negative Effekte
bzgl. der Isolation von Mitmenschen und Stigmatisierung. V. a. Stigmatisierungserfahrungen
wurden auch noch nach der Quarantänezeit erlebt. Bleibende Verhaltensänderungen, wie
häufiges Händewaschen oder Meiden von Menschenmengen.
|
DiGiovanni et al. 2004 [27]
|
1509 Einwohner Torontos (43 direkt von Quarantäne betroffen);
195 Angestellte im Gesundheitswesen (keine Angabe zu Alter und Geschlecht)
|
Toronto, Kanada
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Mixed methods
|
10 Tage abzüglich der vergangenen Zeit zu vermutetem SARS-Kontakt
|
Stress, allg. emotionale Reaktionen, Stigmatisierung
|
Interviews, Telefonumfragen, Fokusgruppen
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Quarantäne in Allgemeinbevölkerung: 37,2 % berichteten von emotionalen Problemen wie
Angst, Einsamkeit, Schlaflosigkeit und depressiven Symptomen im Zusammenhang mit der
Quarantäne. 39,5 % waren zudem von Stigmatisierungserfahrungen betroffen.
Angestellte im Gesundheitswesen: 39 % berichteten von relevantem Stress während der
Quarantäne, 68 % von Stigmatisierungserfahrungen.
|
Hawryluck et al. 2004 [23]
|
129 Personen (Geschlecht: keine Angabe)
Alter: 63,3 % 26–45 Jahre; 25,1 % 46–65 Jahre; 8,6 % 18–25 Jahre; 3,1 % > 66 Jahre
|
Toronto, Kanada
|
Querschnittstudie
|
freiwillige Heimquarantäne aufgrund von möglichem Kontakt zu SARS; mediane Dauer:
10 Tage
|
PTBS und depressive Symptome
|
PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88)
depressive Symptome: CES-D (Cut-off: ≥ 16; Max.: 60)
|
Hohe Prävalenz von PTBS (28,9 %) und depressiven Symptomen (31,2 %). Niedriges Einkommen
wurde mit höheren Werten in beiden Scores assoziiert. Längere Dauer der Quarantäne
( ≥ 10 Tage) zeigte ein erhöhtes Risiko für PTBS-Symptome.
|
Jeong et al. 2016 [17]
|
1656 Personen
(57 % Frauen);
Alter: 43,9 ± 19,2
|
Südkorea
|
Längsschnittstudie
|
14-tägige Quarantäne aufgrund von direktem Kontakt zu bestätigten MERS-Patienten
|
Wut und Ängstlichkeit
|
Wut: koreanischer Version des STAXI (Cut-off: ≥ 14)
Ängstlichkeit: GAD-7 (Cut-off: ≥ 10)
|
Während der Isolation: 7,6 % Symptome von Ängstlichkeit; 16,6 % Symptome von Wut.
4–6 Monate nach der Isolation: 3,0 % Symptome von Ängstlichkeit und 6,4 % Symptome
von Wut. Die Prävalenz von Ängstlichkeit konnte somit als wieder normalisiert betrachtet
werden. Risikofaktoren für beide untersuchten Größen zeigten sich u. a. schlechte
Versorgung (mit Lebensmitteln, Haushaltswaren etc.), vorbekannte psychiatrische Erkrankungen
und finanzielle Einbußen während der Quarantäne.
|
Liu et al. 2012 [18]
|
549 Krankenhausmitarbeiter aus Peking (19 % von Quarantäne betroffen; 76,5 % Frauen);
Alter: 35 % 36–45 Jahre; 33 % ≤ 35 Jahre; 32 % ≥ 46 Jahre
|
Peking, China
|
Querschnittstudie
|
Heim- oder Arbeitsquarantäne aufgrund von Kontakt zu SARS-Patienten oder Entwicklung
von SARS-Symptomen; mediane Dauer: 14 Tage
|
Symptome einer Depression, Symptome einer PTBS
|
depressive Symptome: CES-D (3 Gruppen: 1. < 16, 2. 16–24, 3. ≥ 25)
PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20)
|
Starke Assoziation zwischen dem Erleben einer Quarantäne und Ausprägung depressiver
Symptome nach 3 Jahren. 59,5 % der Personen mit CES-D ≥ 25 waren von Quarantäne betroffen.
|
Maunder et al. 2003 [26]
|
Mitarbeiter eines Krankenhauses in Toronto (genaue Zahl nicht angegeben, keine Angabe
zu Alter und Geschlecht)
|
Toronto, Kanada
|
qualitativ
|
freiwillige 10-tägige Quarantäne aufgrund von potenziellem Kontakt mit SARS
|
individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews
|
unstrukturiertere qualitative Interviews
|
Mitarbeiter unter Quarantäne berichteten Bedenken bezüglich ihrer persönlichen Sicherheit,
einer möglichen Ansteckungsgefahr für Familienmitglieder, Stigmatisierung, zwischenmenschlicher
Isolierung, Ängstlichkeit, Wut und Frustration.
|
Mihashi et al. 2009 [19]
|
187 Personen (Mitarbeiter einer Druckerei sowie Mitarbeiter und Studierende einer
Universität und Angehörige; 62,6 % Männer); Alter: 26,3±8
|
Peking, China
|
Querschnittstudie
|
SARS-bedingte Isolation großer Gebiete Pekings, Dauer unbekannt
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allg. psychische Störungen
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GHQ-30 (Cut-off: ≥ 7)
|
26,2 % zeigten 7–8 Monate nach der Quarantänemaßnahme Symptome einer psychischen Störung.
Prädiktive Faktoren waren männliches Geschlecht, beschränkte Aktivitäten, eingeschränkte
Lebensmittelversorgung und in besonderem Maße eine Reduktion des Einkommens.
|
Reynolds et al. 2008 [20]
|
1057 Kontaktpersonen potenzieller SARS-Fälle (63 % Frauen); Alter: 49,2 ± 15,7
|
Kanada
|
Querschnittstudie
|
Dauer im Durchschnitt 8,3 Tage (2–30 Tage)
|
Symptome einer PTBS, Compliance
|
PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88)
|
14,6 % zeigten PTBS-Symptome. Prädiktive Faktoren waren eine längere Quarantänedauer,
die Ausübung eines medizinischen Berufs, Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Quarantänemaßnahmen
als auch eine vollständige Umsetzung der Maßnahmen. Hohe Prävalenzen von sozialer
Isolation (60,6 %), Frustration (58,5 %), Wut (28,6 %) und Angst (22,4 %). Geringe
vollständige Compliance (15,8 %); höher, wenn die Gründe für die Quarantäne bewusst
waren.
|
Robertson et al. 2004 [25]
|
10 Angestellte aus dem medizinischen Sektor (60 % Frauen); Altersrange: 25–58 Jahre
|
Toronto, Kanada
|
qualitativ
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10-tägige Heimquarantäne oder Umsetzung besonderer Schutzmaßnahmen bei der Arbeit
aufgrund von Kontakt zu SARS
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individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews
|
semistrukturierte qualitative Interviews
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Benannte Emotionen waren Angst, Frustration, Wut und Kontrollverlust. Die Notwendigkeit
von klarer Information und Unterstützung wurde hervorgehoben. Auch Stigmatisierungserfahrungen
wurden erlebt.
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Sprang, Silman 2013 [28]
|
398 Eltern (25 % von Quarantäne betroffen, 78 % Frauen); Durchschnittsalter: 37 Jahre
(Range: 18–67 Jahre)
|
USA, Mexiko und Kanada
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gemischte Erhebungsverfahren
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Teilnehmende aus Gebieten, die besonders von H1N1 bzw. SARS betroffen waren; Quarantänedauer
nicht angegeben
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Symptome einer PTBS
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PCL-C (Cut-off: > 25) für Eltern, Elternversion des PTBS-RI („klinischer Cut-off)“
für Kinder
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25 % der Eltern und 30 % der Kinder unter Quarantäne zeigten relevante PTBS-Symptome;
signifikant höher als die der Vergleichsgruppe ohne Quarantäne. Eltern mit relevanten
PTBS-Symptomen hatten in 85,7 % auch ein Kind mit PTBS-Symptomen. Prädiktive Faktoren
für die Entwicklung von PTBS-Symptomen bei Eltern waren weibliches Geschlecht und
junges Alter.
|
Wu et al. 2009 [21]
|
549 Krankenhausmitarbeiter (19 % von Quarantäne betroffen, 76,5 % Frauen); Alter:
47,1 % 36–50 Jahre; 33,8 % ≤ 35 Jahre; 19,1 % ≥ 51 Jahre
|
Peking, China
|
Querschnittstudie
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Arbeits- oder Heimquarantäne unklarer Länge aufgrund von Kontakt zu SARS
|
Symptome einer PTBS
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PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88)
|
Die Gruppe unter Quarantäne zeigte ein signifikant höheres Risiko, PTBS- Symptome
zu entwickeln als die Gruppe ohne Quarantäne.
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Yoon et al. 2016 [29]
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6231 Personen (keine Angabe zu Alter und Geschlecht)
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Südkorea
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Fallstudie
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Quarantäne aufgrund von MERS, Dauer unbekannt
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emotionale Störungen wie Depression
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es wurden Schlüsselfragen zur Ermittlung depressiver Symptome gestellt
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Prävalenz emotionaler Störungen wie Depression: 19,3 %. Davon benötigten 28,7 % weitere
psychologische Betreuung durch lokale Community Mental Health Center
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CES-D = Center for Epidemiologic Studies Depression Scale; DSM-IV = Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders; GAD-7 = Generalizied Anxiety Disorder Scale-7;
GHQ-30 = General Health Questionnaire, 30-Item-Version; H1N1 = Influenza-A/H1N1-Virus,
„Schweinegrippe“; IES-R = Impact of Event Scale, revidierte Form; MERS = Middle East
Respiratory Syndrome; OR = Odds ratio; PCL-C = PTSD Check List Civilian Version; PTSD = Posttraumatic
stress disorder; PTSD-RI = University of California at Los Angeles Posttraumatic Stress
Disorder Reaction Index; SARS = Severe acute respiratory syndrome; STAXI = State-Trait
Anger Expression Inventory
Psychosoziale Folgen während Quarantänebedingungen
Sowohl die qualitativen als auch quantitativen Studien belegten vielfältige psychische
Reaktionen im Zusammenhang mit Quarantäne, darunter Ängstlichkeit [17]
[20]
[22]
[25]
[26]
[27], Sorgen um die eigene Gesundheit oder die von Familienmitgliedern [24]
[26], Einsamkeit [20]
[24]
[26]
[27], Schlaflosigkeit [22]
[27], Wut [17]
[20]
[25]
[26] und erhöhten Stress [22]
[27]. Beispielhaft sah eine Studie [20] die Prävalenzen von Einsamkeit bei 38,5 %, von Wut bei 28,6 % und von Angst bei
22,4 %. Jeong und Kollegen [17] berichteten Wut bei 16,6 % und Ängstlichkeit bei 7,6 % der Befragten unter Quarantäne.
Eine weitere Studie [22] konnte eine starke Assoziation zwischen Quarantäne aufgrund von Kontakt zu SARS-Infizierten
und der Entwicklung eines akuten Stresssyndroms bei Krankenhausmitarbeitern herstellen
(Odds Ratio/OR = 4,1). Die weiteren Studien beschrieben die oben genannten erlebten
Emotionen unter Verwendung qualitativer Methoden [24]
[25]
[26]
[27].
Psychosoziale Folgen nach Quarantänebedingungen
Zur Untersuchung von psychosozialen Folgen von Quarantäne wurde insbesondere auf Symptome
einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) fokussiert [18]
[20]
[21]
[23]
[28]. Hierbei ist eine gute Vergleichbarkeit gegeben, da mit Ausnahme der Studie von
Sprang und Silman [28] in allen relevanten betrachteten Studien die revidierte Impact of Event Scale (IES-R;
[30]) mit einem Cut-off-Wert von ≥ 20 zur Quantifizierung der PTBS-Symptome verwendet
wurde. Hawryluck und Kollegen [23] berichteten eine Prävalenz von 28,9 % bei 129 Befragten, darunter ein großer Anteil
von Mitarbeitern im Gesundheitswesen, wohingegen Reynolds und Kollegen [20] eine Prävalenz von 14,6 % bei 1057 Befragten, ein Querschnitt der Allgemeinbevölkerung,
berichteten. Beim Vergleich von Mitarbeitern im Gesundheitswesen, die unter Quarantäne
standen, mit Personen, die nicht unter Quarantäne standen, war die Quarantänebedingung
mit einem erhöhten Risiko für die Ausbildung von posttraumatischen Stresssymptomen
assoziiert (OR = 2,1) [21]. Eine weitere Studie [28] betrachtete die Häufigkeit von PTBS-Symptomen bei Eltern und deren Kindern unter
Quarantäne, wobei 25 % in der Gruppe der Eltern und 30 % in der Gruppe der Kinder
relevante Symptome benannten. Die Prävalenzen waren signifikant höher als in der Vergleichsgruppe,
die nicht von Quarantänemaßnahmen betroffen war (7 % in der Gruppe der Eltern; 1,1 %
in der Gruppe der Kinder). Bemerkenswert war, dass 85,7 % der Eltern mit PTBS-Symptomen
auch ein Kind mit PTBS-Symptomen hatten.
Des Weiteren betrachteten Studien die Auswirkung von Quarantäne auf die Ausbildung
depressiver Symptome [18]
[23]
[27]
[29]. Liu und Kollegen [18] zeigten eine starke Assoziation zwischen dem Erleben einer Quarantäne und der Ausprägung
depressiver Symptome noch 3 Jahre nach Beendigung der Quarantänemaßnahmen: 59,5 %
der befragten Personen, die eine ausgeprägte depressive Symptomatik (quantifiziert
mit der Allgemeinen Depressionsskala/ADS ≥ 25 [31]) aufwiesen, hatten eine Quarantänemaßnahme erlebt (Anteil der „Quarantänegruppe“
an Gesamtprobanden: 19 %). Personen mit absolvierter Quarantänemaßnahme wiesen eine
um das Fünffache erhöhte Chance (OR = 4,9) für ausgeprägte depressive Symptome auf
im Vergleich zu Personen, die nicht unter Quarantäne standen. Die Prävalenz klinisch
relevanter depressiver Symptome im Nachgang zu Quarantänemaßnahmen lag zwischen 31,2 %
[23] und 38,8 % [18].
Sieben Monate nach Quarantäne berichteten 26,2 % der Befragten relevante Symptome
psychischer Störungen, basierend auf einem Screening mit dem General Health Questionnaire
(GHQ-30 ≥ 7 [19]).
Stigmatisierung durch Quarantäne
Stigmatisierungserfahrungen in Zusammenhang mit Quarantäne untersuchten 6 der betrachteten
Studien [20]
[22]
[24]
[25]
[26]
[27]. Zum Beispiel berichteten DiGiovanni und Kollegen [27], dass 39,5 % der Personen unter Quarantäne Stigmatisierung erlebten. Zu ähnlichen
Ergebnissen kamen auch Reynolds und Kollegen [20], die fanden, dass 34,2 % der Personen unter Quarantäne von Stigmatisierung berichteten.
Dies war auch der Fall bei 34 % von unter Quarantäne stehenden Mitarbeitern in einem
Krankenhaus [22]. In der Vergleichsgruppe ohne Quarantäne gaben dagegen 17 % an, Stigmatisierung
erlebt zu haben. Weitere Stigmatisierungserfahrungen im Zusammenhang mit Quarantäne
wurden in qualitativen Studien geschildert [24]
[25]
[26].
Determinanten für negative psychosoziale Folgen von Quarantäne
Es wurde unter anderem die Assoziation von Einkommensverlusten [17]
[19]
[23], der Dauer der Quarantäne [20]
[23], beeinträchtigter Versorgung mit Lebensmitteln oder Haushaltswaren [17]
[19], vorbekannter psychischer Erkrankungen [17] und des Geschlechts [19]
[28] in Zusammenhang mit psychosozialen Folgen von Quarantäne untersucht. Bezüglich der
Einkommensverluste konnte eine Assoziation mit stärkeren PTBS-Symptomen [23], stärkeren depressiven Symptomen [23] und einem höheren Risiko für Ängstlichkeit [17], Wut [17] und für die Ausprägung von psychischen Störungen [19] gezeigt werden. Anderswo wurde kein Zusammenhang zwischen Einkommensverlusten und
PTBS-Symptomen belegt [20].
Eine längere Quarantänedauer war mit stärkeren PTBS-Symptomen assoziiert [20]
[23].
Über verschiedene Studien hinweg zeigte sich konsistent ein Zusammenhang zwischen
eingeschränkter Versorgung (v. a. mit Lebensmitteln und Haushaltswaren) und erhöhtem
Risiko für Wut und Ängstlichkeit [17] und psychischen Störungen allgemein [19].
Jeong und Kollegen [17] konnten außerdem eine Assoziation zwischen vorbestehenden psychischen Erkrankungen
und dem Erleben von Angst und Wut noch 4–6 Monate nach Beendigung der Quarantänemaßnahmen
zeigen.
Befunde zu Geschlechterunterschieden bei psychosozialen Folgen von Quarantäne waren
inkonsistent: Einmal zeigten Männer ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen
Störungen im Zusammenhang mit Quarantäne [19], ein anderes Mal war weibliches Geschlecht mit stärkeren PTBS-Symptomen infolge
von Quarantänemaßnahmen assoziiert [28]. Insgesamt wurden mögliche Geschlechterunterschiede wenig untersucht.
Besonderheiten bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen
Mitarbeiter im Gesundheitswesen waren v. a. im Rahmen der SARS-Pandemie Gegenstand
vieler Studien [18]
[20]
[21]
[22]
[25]
[26]
[27], da sie SARS-CoV in besonderem Maße ausgesetzt waren. Aufgrund der Exposition am
Arbeitsplatz waren sie häufiger als die Allgemeinbevölkerungen von Quarantänemaßnahmen
betroffen. Die eingeschlossenen Studien hatten selten Vergleichsgruppen, nur 2 Studien
verglichen Mitarbeiter im Gesundheitswesen mit anderen Berufsgruppen [20]
[27]. So zeigten Reynolds und Kollegen [20] eine Assoziation zwischen medizinischen Berufen und stärkeren PTBS-Symptomen im
Vergleich zu anderen Berufsgruppen unter Quarantäne. Mitarbeiter in medizinischen
Berufen erlebten außerdem größere Stigmatisierung. Laut DiGiovanni und Kollegen [27] berichteten 39 % der Mitarbeiter im Gesundheitswesen von relevantem Stress während
der Quarantäne und 68 % von Stigmatisierungserfahrungen. Insbesondere der Anteil an
Personen mit Stigmatisierungserfahrungen war deutlich höher als in der Vergleichsgruppe
(39,5 %).
Diskussion
Ziel dieser Literaturübersicht war es, Evidenz zu psychosozialen Folgen von Quarantänemaßnahmen
bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen vor der COVID-19-Pandemie zusammenzutragen.
Insgesamt konnten 13 Studien identifiziert werden, die konsistent psychosoziale Folgen
von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen bei der SARS-Pandemie 2002/2003 und lokalen
MERS-CoV-Ausbrüchen in den Zehnerjahren beschrieben, darunter Depressivität, Ängstlichkeit,
Wut, Stress, Schlafstörungen, Sorgen, soziale Isolation, Einsamkeit und Stigmatisierung.
Erhöhte psychische Belastungen dieser verschiedenen Formenkreise traten zum einen
bereits während der Quarantänemaßnahmen auf [17]
[24]
[27], zum anderen konnten Studien diese psychischen Belastungen auch noch 4–7 Monate
[17]
[19] und 3 Jahre [18] nach den Quarantänemaßnahmen nachweisen. Hierbei wurden insbesondere depressive
und posttraumatische Belastungssymptome festgestellt. In Studien, in denen Vergleichsgruppen,
d. h. i. d. R. Personen ohne Quarantäneerfahrungen, herangezogen wurden, waren betrachtete
Prävalenzen und Assoziationen von psychischen Faktoren konsistent signifikant verschieden
zuungunsten der Personen mit Quarantäneerfahrungen [17]
[20]
[21]
[22]
[27]
[28].
Einige Studien untersuchten Determinanten der psychosozialen Folgen von Quarantänemaßnahmen
[17]
[19]
[20]
[23]
[25]. Verstärkend auf die Symptombelastungen wirkten eine längere Dauer der Quarantäne
[20]
[23], Einkommenseinbußen [17]
[19] und Einschränkungen in der Versorgung mit Alltagsgütern (Lebensmittel, Haushaltswaren)
[19]. Als mildernd auf die psychische Belastung wurden klare Informationen und soziale
Unterstützung beschrieben [25]. Daneben deuteten Studien an, dass Mitarbeiter im Gesundheitswesen [20] und Personen mit psychischen Vorerkrankungen [19] besonders vulnerable Gruppen für psychische Belastungen in Zusammenhang mit Quarantänemaßnahmen
darstellen. Klare Evidenz zu Alters- oder Geschlechtsunterschieden liefern die betrachteten
Studien nicht.
Die besondere psychische Belastung bei sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen
(z. B. medizinisches und pflegerisches Personal) steht häufig in Zusammenhang mit
einem Rollenkonflikt: Einerseits besteht ein berufliches Verantwortungsgefühl, andererseits
können aufgrund privater Verpflichtungen und Umstände Ängstlichkeit, Sorgen und Schuldgefühle
auftreten, v. a. Familienmitglieder womöglich einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen
[25]. Daraus resultierender Stress und eine gleichzeitig verminderte Fähigkeit zur Stressbewältigung
können wiederum das Auftreten psychischer Erkrankungen begünstigen. Bisherige Studien
berichten Prädiktoren für akute psychiatrische Komplikationen, zu denen insbesondere
soziodemografische Variablen, darunter Tätigkeit im Gesundheitswesen [32]
[33]
[34], gehörten.
Häufig berichteten Personen, die Quarantänemaßnahmen unterstanden, wiederholt v. a.
Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Stigmatisierung [22]
[24]
[25]
[26]
[27]. Dies kann die soziale Distanz, die den Personen in Quarantäne von außen entgegengebracht
wird, verstärken und die psychische Belastung weiter begünstigen [35]. Sind Personen tatsächlich infiziert und erkrankt, kann das insbesondere Stigmatisierung
befördern, was sich negativ auf den Krankheitsverlauf und die damit verbundene psychische
Belastung auswirken kann [36]. Daneben wurde beschrieben, dass irreführende Information als auch das Tragen von
Schutzanzügen oder Atemschutzmasken im öffentlichen Raum bestimmte psychische Reaktionen
verstärken können [37] – mutmaßlich trägt das auch zu Stigmatisierung bei.
Im Umgang mit einer anerkannten Bedrohung kann das Bewusstsein dazu beitragen, die
psychosozialen Folgen zu minimieren. Im Zuge des SARS-Ausbruchs wurde dies allerdings
nicht beschrieben. Die 3 Stadien der rationalen Reaktion auf Angst – Angst, Verleugnung
und Frustration – wurden während des Ausbruchs bei Patienten als auch bei unter Quarantäne
gestellten Personen beobachtet [36]
[38]
[39]. In den betrachteten Studien fehlten Untersuchungsansätze, die die Art und Weise
berücksichtigten, wie Quarantänemaßnahmen erlebt werden und damit psychische Reaktionen
beeinflussen. Von Bedeutsamkeit sind hier etwa die kognitive Bewertung, der Coping-Stil
oder Resilienz in Bezug auf die Bewältigung des außergewöhnlichen belastenden Lebensereignisses
[32]. Zahlreiche Modelle belegen den puffernden sowohl direkten als auch indirekten Effekt
von adaptiven Bewältigungsstrategien auf die psychischen Folgen von belastenden Lebensereignissen
[40]
[41]. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der protektive Effekt von sozialer Unterstützung
[42]. Im Umkehrschluss heißt das, dass Personen mit geringen Resilienzressourcen, maladaptiven
Coping-Strategien, z. B. durch psychische Vorerkrankungen, und geringer sozialer Unterstützung
eine besonders vulnerable Risikogruppe hinsichtlich der Gefährdung der psychosozialen
Gesundheit bei Quarantänemaßnahmen sind.
Ohnehin stellt sich in Anbetracht der belegten negativen Auswirkungen auf die Psyche
die Frage, wie bereits während Quarantänemaßnahmen präventiv oder interventiv gehandelt
werden kann, um Entlastung in der Situation zu schaffen und langfristige Folgen abzumildern.
Vor dem Hintergrund des beispiellosen Ausmaßes der COVID-19-Pandemie, die im April
2020 weltweit Milliarden Menschen bereits einige Wochen unter Quarantänemaßnahmen
hielt, ist die Berücksichtigung der psychosozialen Gesundheit im Krisenmanagement
ein höchst dringlicher Aspekt. Aktuelle Unterstützungsangebote umfassen Public-Health-Informationskampagnen
mit allgemeinen Empfehlungen zum Schutz der psychosozialen Gesundheit (z. B. [15]), Krisen-Hotlines und Telefonseelsorge sowie psychologische Beratung und psychotherapeutische
Behandlung per Videotelefonie. Eine besondere Chance der psychologischen Unterstützung
während Quarantänemaßnahmen können App- und onlinebasierte Programme bieten, deren
Wirksamkeit positiv evaluiert wurde [43]
[44]. Solche Angebote sind niedrigschwellig und kommen ohne den Einsatz personeller Ressourcen
aus, was eine breite Nutzung ermöglicht. Public-Health-Ansätze im Sinne eines psychologischen
Krisenmanagements für die Allgemeinbevölkerung existierten bisher kaum und entstehen
aktuell quasi ad hoc, wie zunächst in China, wo der Fokus auf Telemedizin gelegt wird
[45]. Erste Fallstudien aus Deutschland bestätigen erhöhte psychische Belastungen infolge
von COVID-19 und unterstreichen den Bedarf für eine Public-Health-Agenda, die Maßnahmen
zum Schutz der psychosozialen Gesundheit während der Massenquarantäne hierzulande
forciert [46].
Die hier betrachteten Studien zu psychosozialen Folgen von schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen
vor COVID-19 zeigen zwar deutlich in eine Richtung, lassen aber wichtige Fragen ungeklärt:
es bleiben etwa Hinweise zu relevanten sozidemografischen und sozioökonomischen Variablen
offen. Es wurden die Altersgruppen der über 65-Jährigen weitestgehend nicht beachtet.
Es bleibt offen, wie soziale Ungleichheiten unter Pandemiebedingungen benachteiligte
Gruppen weiter diskriminieren. Intervenierende Faktoren sind wenig beschrieben und
sollten untersucht werden, da sie wichtige Implikationen für Bewältigungsstrategien
liefern. Hierbei ist etwa auch an Einstellungen, Persönlichkeitsfaktoren und Aspekte
der Quarantäne zu denken. Schlussendlich bleiben in den betrachteten Studien Erkenntnisse
zu weiteren relevanten psychischen Konstrukten aus, wie Psychotizimus, Somatisierung,
Substanzmissbrauch und Veränderungen im Sozialverhalten, z. B. Aggressivität und Reizbarkeit.
Es bedarf an dieser Stelle umfangreicher Studien und damit verbunden kurzfristige
Förderungsmöglichkeiten für entsprechende Forschung. Die COVID-19-Pandemie kann auch
als Chance verstanden werden, die psychosozialen Folgen von Pandemiebedingungen besser
zu verstehen und effektive Präventions- und Interventionsmaßnahmen abzuleiten, die
in Zukunft parate Antworten im Zuge eines erfolgreichen Krisenmanagements liefern.
Stärken und Limitationen der Studie
Eine Stärke unserer Arbeit ist die rasche Zusammenschau von Evidenz über psychosoziale
Folgen von Quarantänemaßnahmen, die Anhaltspunkte für Untersuchungs- und Interventionsansätze
während der COVID-19-Pandemie liefert.
Limitierend ist zu bemerken, dass im Zuge der Methodik eines „Rapid Reviews“ nur eine
Datenbank als Quelle genutzt und graue Literatur außer Acht gelassen wurde. Außerdem
erfolgte keine Optimierung der Suchstrategie. Es ist dadurch wahrscheinlich, dass
weitere relevante Arbeiten unberücksichtigt blieben. Daneben erfolgte auch keine Bewertung
der methodischen Qualität der eingeschlossenen Studien, sodass mögliche Verzerrungen
in der Ergebnisdarstellung ebenfalls unberücksichtigt blieben. Schlussendlich ist
die Eingrenzung auf frühere schwerwiegende Coronavirus-Ausbrüche kein logisches Kriterium,
sondern stellt eine Maßnahme zur Praktikabilität unter limitierten Zeitressourcen
dar. Es ist anzumerken, dass psychosoziale Folgen auch bei Quarantänemaßnahmen bei
anderen bedeutsamen Virusausbrüchen, z. B. des Ebolavirus im Jahr 2014 in westafrikanischen
Ländern, beschrieben wurden [47].
Schlussfolgerungen
Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen haben weitreichende
negative Konsequenzen für die psychosoziale Gesundheit. Es besteht dringender Bedarf
an Präventions- und Interventionsansätzen zur Reduktion der psychosozialen Folgen
bereits unter Pandemiebedingungen. Im Zuge des beispiellosen Ausmaßes der COVID-19-Pandemie
sind v. a. breite und niedrigschwellige Public-Health-Maßnahmen als relevanter Bestandteil
des Krisenmanagements gefragt. Gleichfalls zeigt sich die Notwendigkeit grundlegender
Forschung zu den psychosozialen Folgen der COVID-19-Pandemie, die unter Anbetracht
der Größenordnung und Dauer umfassend sein dürften. Dabei sollte die Corona-Krise
auch als Chance verstanden werden, die psychosozialen Folgen von Pandemiebedingungen
zu erforschen und effektive Präventions- und Interventionsmaßnahmen abzuleiten. Das
kann die Response auf vergleichbare Bedrohungen schärfen und möglicherweise kostspielige
und langwierige Folgen deutlich minimieren.
Konsequenzen für Klinik und Praxis
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Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen haben belegbare negative
Folgen für die psychosoziale Gesundheit.
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Angesichts des beispiellosen Ausmaßes der aktuellen COVID-19-Pandemie sind detaillierte
Studien zu psychosozialen Folgen sowie Determinanten und intervenierenden Faktoren
in Assoziation zu Massenquarantänemaßnahmen erforderlich.
-
Aus Public-Health-Perspektive erscheinen breit anwendbare, niedrigschwellige Präventions-
und Interventionsansätze wie telemedizinische Angebote bereits unter Pandemiebedingungen
gangbar. Der Schutz psychosozialer Gesundheit muss integraler Bestandteil im Corona-Krisenmanagement
sein.