Abb. 1 Das Coronavirus SARS-CoV-2 verbreitet sich überwiegend durch Tröpfcheninfektionen.
Doch auch Aerosole aus der Atemluft scheinen eine Rolle bei der Ü
bertragung zu spielen [13]. (Quelle: Thieme Gruppe)
„In diesem Jahr ist alles anders“, sagte die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes
(DHV) in ihrer Videobotschaft zum Internationalen Hebammentag am 5. Mai 2020 [6]. Ein Jahr, in dem zahlreiche Feierlichkeiten geplant waren, um die Arbeit von Pflegefachpersonen
zu würdigen. Es ist das Internationale Jahr der Pflegenden und Hebammen. Zwei Berufsgruppen,
die durch die Corona-Pandemie wie viele Angehörige medizinischer Berufe vor ungeahnte
Herausforderungen gestellt sind.
Zeit der Ungewissheit: Der Beginn der Pandemie
Zeit der Ungewissheit: Der Beginn der Pandemie
Rund vier Monate sind vergangen, seit mit einem Patienten aus Bayern der erste bestätigte
Fall der Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) in Deutschland bekannt wurde [4]. Knapp einen Monat später, Mitte Februar 2020, mehrten sich Berichte über ein Infektions-Cluster
im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg. Auf einer Karnevalssitzung im Ort Gangelt
hatte sich eine Reihe von Menschen mit dem Virus infiziert [15]. Der Landkreis wurde in der Folge zu einem Risikogebiet erklärt.
Als leitende Hebamme in den Städtischen Kliniken Mönchengladbach, nur knapp 40 Kilometer
von Gangelt entfernt, war Claudia Moll unmittelbar mit dem Infektionsgeschehen in
dem Risikogebiet konfrontiert. „Es fing an, dass Kolleginnen involviert waren, die
aus dem Kreis Heinsberg kommen“, erinnert sich die 52-Jährige. „Jeder kannte jemanden,
der mit auf der Karnevalssitzung war, sodass große Unsicherheit herrschte und jeder
sich gefragt hat: Könnte ich Teil dieser Infektionskette sein? Es hat eine Weile gedauert,
bis wir wussten, wie wir mit dieser Entwicklung umgehen sollten.“
Diese Zeit der ersten Ungewissheit hat auch Daniela Degen erlebt. Sie ist freiberufliche
Hebamme in Köln, wo es mit 225 Fällen pro 100000 Einwohnern, verglichen mit anderen
Landkreisen, relativ viele bestätigte COVID-19-Fälle gibt [12]. „Ich war erst mal vollkommen verunsichert und wusste nicht, wie ich überhaupt weiterarbeiten
soll“, schildert sie ihre Gefühle von Anfang März. „Es war total unklar, wie man sich
bei Wochenbettbesuchen verhalten sollte. Und es war kaum möglich, überhaupt an Informationen
zu kommen.“
Wie sich eine Klinik auf die Krise einstellt
Wie sich eine Klinik auf die Krise einstellt
Zu Beginn der Pandemie beruhen alle Informationen über das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2)
auf Daten, die in Zusammenhang mit dem ersten beschriebenen Ausbruch in der chinesischen
Stadt Wuhan gesammelt wurden. Es sind nur wenige Fälle von Schwangeren und von Geburten
dokumentiert. Doch durch die schnelle und weltweite Verbreitung des Virus wächst auch
das Wissen rasant. Täglich kommen neue Erkenntnisse über Infektionswege, Krankheitsverlauf
und Folgen von COVID-19 hinzu.
COVID-19
Häufigste Symptome
Neben verbreiteten Symptomen wie Fieber, Husten und Halsschmerzen treten bei einem
Großteil der Patienten Geruchs- und Geschmacksstörungen auf [13]. In einer Multicenter-Studie der Universität Mons in Belgien wurden 417 Patienten
mit milden bis moderaten COVID-19-Symptomen aus 12 europäischen Krankenhäusern befragt.
85,6 % bzw. 88,0 % der Teilnehmer gaben an, an olfaktorischer bzw. gustatorischer
Dysfunktion zu leiden [9].
Übertragungswege
Als Hauptübertragungsweg von SARS-CoV-2 gilt weiterhin die Tröpfcheninfektion. Darüber
hinaus wurden Coronavirus-RNA-haltige Aerosole in der Ausatemluft von Patienten oder
in Patientenzimmern nachgewiesen. Da auch beim normalen Sprechen und Singen Aerosole
freigesetzt werden, ist derzeit davon auszugehen, dass diese bei der Verbreitung von
COVID-19 eine größere Rolle spielen könnten, als zunächst vermutet. Eine Übertragung
über kontaminierte Oberflächen ist vor allem in der direkten Umgebung von infizierten
Personen nicht auszuschließen. Daneben konnten PCR-positive Stuhl- und Konjunktivalproben
nachgewiesen werden. Welche Bedeutung diese beiden Übertragungswege haben und ob es
sich dabei um vermehrungsfähige Viren handelt, ist noch unklar.
Im medizinischen Bereich sollten alle potenziellen Übertragungswege in Betracht gezogen
werden. Deshalb empfiehlt das RKI die Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung
(PSA) bestehend aus Schutzkittel, Einweghandschuhen, dicht anliegender Atemschutzmaske
(FFP2 bzw. FFP3 oder Respirator bei ausgeprägter Exposition gegenüber Aerosolen, z. B.
bei Intubation) und Schutzbrille [13].
Inkubationszeit
Die Zeit von der Ansteckung bis zum Symptombeginn liegt unverändert bei 1–14 Tagen
(Median 5–6 Tage) [13].
Infektiosität
Ab wann ein Patient mit COVID-19 ansteckend ist, lässt sich noch nicht mit Sicherheit
sagen. Bisherige Daten weisen darauf hin, dass bereits zwei Tage vor Symptombeginn
eine relevante Infektiosität besteht und diese einen Tag vor Beginn der Symptome ihren
Höhepunkt erreicht. Auch wie lange die Infektionsgefahr anhält, ist nicht abschließend
geklärt. In ersten Untersuchungen enthielten Rachenabstriche bis zu vier Tage nach
Symptombeginn vermehrungsfähige Viren, Sputumproben bis zu acht Tage [13].
Krankheitsverlauf
Durch die wachsende Anzahl an Daten lässt sich mittlerweile gut erkennen, dass es
keinen typischen Verlauf von COVID-19 gibt: Die Erkrankung variiert von Patient zu
Patient und kann auch asymptomatisch bleiben [13]. So ergab z. B. die viel diskutierte „Heinsberg-Studie“ mit 919 Teilnehmern bei
22 % der positiv getesteten Probanden einen asymptomatischen Verlauf [15]. Am häufigsten scheinen jedoch Verläufe mit milder bis moderater Ausprägung zu sein.
Ein schwerer Krankheitsverlauf mit Lungenversagen oder Tod ist seltener, wird aber
auch bei Personen ohne Vorerkrankung und bei jüngeren Menschen beobachtet [13].
Risikogruppen
Als Risikogruppen, die besonders häufig von schweren Verläufen betroffen sind, gelten
weiterhin Personen ab 50–60 Jahre und Personen mit Vorerkrankungen der Lunge / des
Herzens, mit chronischen Lebererkrankungen, Diabetes mellitus, Krebserkrankungen und
geschwächtem Immunsystem. Auch stark adipöse Menschen und Raucher sind gefährdet [13].
Medikation und Impfung
Bisher steht weder eine Medikation noch eine Impfung gegen COVID-19 zur Verfügung.
Es gibt jedoch eine ganze Reihe potenzieller Impfstoffe. Zehn davon werden aktuell
in klinischen Studien untersucht [13].
Immunität
Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 scheinen die Patienten spezifische Antikörper
gegen das N- und das S-Protein des Coronavirus zu entwickeln. Diese sind im Durchschnitt
nach 5–12 Tagen (IgM) bzw. nach 14 Tagen (IgG) im Blut nachweisbar. Wie stabil die
Immunität ist und wie lang sie andauert, wird jedoch erst durch serologische Längsschnittuntersuchungen
geklärt werden können [13]
Claudia Moll berichtet, dass der Kreißsaal der Städtischen Kliniken Mönchengladbach
sich rasch auf die neue Situation eingestellt hat: „Zuerst beschränkten sich Maßnahmen
wie die Erfassung von Risikofaktoren mithilfe eines Fragebogens auf Frauen aus dem
Risikogebiet Heinsberg. Dann wurde relativ schnell ein Fragebogen entwickelt, den
jede Frau ausfüllen muss, bevor sie den Kreißsaal betritt.“ Darin gehe es um Fragen,
wie: Hatten Sie schon mal einen positiven Abstrich? Hatten Sie in letzter Zeit Fieber?
Hatten Sie Kontakt zu Personen mit bestätigter Infektion? Insgesamt müssten die Frauen
zehn Fragen beantworten. Je nachdem, welche mit „Ja“ beantwortet würden, fände dann
eine Risikoeinschätzung statt. „Auf diese Weise können Frauen mit Verdacht auf COVID-19
schnell identifiziert und separiert werden“, erklärt Moll.
Auch für bestätigte COVID-19-Fälle und für Verdachtsfälle entwickeln die Städtischen
Kliniken Mönchengladbach ein methodisches Vorgehen. Claudia Moll berichtet, dass für
die ambulante Betreuung der betroffenen Frauen ein separater Bereich vorgesehen sei,
in dem Ultraschalluntersuchungen oder Blutabnahmen stattfinden könnten. Um mögliche
Infektionsketten einzuschränken, sei als einzige Kontaktperson eine speziell geschulte
Oberärztin für die Betreuung der Frauen vorgesehen. Für die Geburt selbst stehe ein
genauer Ablaufplan zur Verfügung, an den sich betroffene Frauen streng halten müssten.
Moll: „Der Plan sieht vor, dass die Frau in der Klinik anruft und ihr Kommen ankündigt,
sobald sie Wehen verspürt. Wenn sie das Gelände betritt, muss sie sich erneut melden,
um an einem speziellen Hintereingang in Empfang genommen zu werden. In der Zwischenzeit
kann sich das Kreißsaalpersonal umziehen. Die Frau wird dann in einen Isolationskreißsaal
geleitet, den wir speziell für Frauen mit bestätigter Infektion oder mit ausstehendem
Testergebnis vorgesehen haben.“
Claudia Moll berichtet, dass für die betroffenen Frauen die kontinuierliche Betreuung
durch eine Hebamme vorgesehen sei, da der Isolationskreißsaal von so wenig Personal wie möglich
betreten werden dürfe. Die Frau verbleibe die gesamte Geburt über in dem Kreißsaal.
Wenn sie ihr Kind nach der Geburt bonden wolle, sehe eine Standardanweisung vor, dass
sie bestimmte Hygieneregeln einhalten müsse. Dazu gehöre, dass sie die Oberflächen
mit Seifenlauge abwaschen und einen Mund-Nasen-Schutz tragen müsse. Moll erklärt:
„Sie bleibt nach der Geburt zwei Stunden in diesem Kreißsaal und wird dann auf die
Wöchnerinnenstation verlegt. Hier ist wieder ein separiertes Zimmer für sie vorgesehen,
in dem sie die gesamte Zeit über mit ihrem Kind bleibt. Alle Untersuchungen, wie beispielsweise
die U2 durch den Kinderarzt, finden in diesem Zimmer statt.“
Neue Normalität: Wochenbettbesuche auf Abstand
Neue Normalität: Wochenbettbesuche auf Abstand
Auch Daniela Degen passt ihre Besuche bei den Familien an die neuen Gegebenheiten
an. Dabei hilft ihr in den ersten Tagen der Corona-Pandemie eine Facebook-Gruppe,
in der sie sich mit anderen Hebammen zu den drängendsten Fragen austauscht. „Kurz
darauf ist auch der Informationsfluss vom DHV angelaufen“, berichtet sie. „Wir haben
ganz klare Verhaltensregeln bekommen, was wir bei Wochenbettbesuchen beachten müssen.“
Dazu zählt z. B. die Empfehlung, Besuchskontakte generell auf ein Minimum zu reduzieren
und zu prüfen, ob eine Beratung per Video oder Telefon möglich und sinnvoll ist. Degen
handhabt es so: „Termine, die wirklich wichtig sind, wie die ersten Tage nach der
Geburt, versuche ich weiterhin real vorzunehmen. Wenn es aber im weiteren Verlauf
darum geht, Fragen zu klären, für die nicht unbedingt der persönliche Kontakt nötig
ist, ermögliche ich diese durch Videotelefonie oder durch ein normales Telefonat.
So kann ich trotzdem für die Familie da sein, aber eben virtuell.“
Auch für ihre Kurse zur Geburtsvorbereitung und Babymassage, die Degen in der Elternschule
„Neue Kölner e. V. “ anbietet, muss sie sich komplett umstellen. Mitten in einem laufenden
Wochenendkurs erhält sie die Nachricht vom lokalen Gesundheitsamt, dass die Elternschule
zum Schutz der weiteren Ausbreitung von COVID-19 geschlossen werden muss. „Ich fand
es furchtbar, die Eltern so im Regen stehen zu lassen“, berichtet die 45-Jährige.
„Zuerst hatte ich auch gar nicht das technische Equipment, wie Mikrofon und Kamera,
um meine Kurse online fortzuführen. Auch meine Internetverbindung hat nicht gereicht.
Es hat knapp drei Wochen gedauert, bis ich diese Stolpersteine überwunden hatte.“
Degen berichtet, dass sie und ihre Kolleginnen viele Tage und Stunden investiert hätten,
um neue Konzepte zu erarbeiten, damit die Kurse der Elternschule auch online weiterlaufen
konnten.
Nähe lässt sich nur bedingt ersetzen
Nähe lässt sich nur bedingt ersetzen
Für Hebammen ist es ein großer Vorteil, dass sie bestimmte Beratungen und Kurse für
die Zeit der Coronakrise auch telefonisch oder online durchführen können und dass
diese, gemäß der Sonderregelungen, die der DHV erwirkt hat, nun auch abrechenbar sind.
Alle Probleme, die durch die Kontaktbeschränkungen entstehen, lassen sich dadurch
allerdings nicht lösen. „Die Kolleginnen berichten teilweise von erheblichen Einkommenseinbußen,
weil viele Termine nicht mehr wahrgenommen werden“, sagt DHV-Vorsitzende Ulrike Geppert-Orthofer.
„Leider können auch die Sonderregelungen diesen Nachfragerückgang nicht ausgleichen.
Das zeigt, dass Hebammenarbeit eine sehr intime Tätigkeit ist, die Nähe erfordert.
Und da greifen virtuelle Lösungen eben nur bedingt.“
Diese Erfahrung macht auch Daniela Degen. Ihr fehlt die Nahbarkeit, das Zwischenmenschliche,
das ihr Beruf normalerweise mit sich bringt. Dazu gehöre, Wöchnerinnen mal in den
Arm zu nehmen, wenn es ihnen nicht gut gehe oder das Baby zu halten, wenn die Mutter
kurz etwas zu Hause erledigen müsse. „Das sind Dinge, die ich im Moment vermeide“,
erklärt die Hebamme. „Ich versuche, so wenig Körperkontakt wie möglich mit den Familien
aufzunehmen. Auch wenn ich mir die Kinder anschaue, mache ich das immer erst mal mit
Abstand, um wirklich nur das Allernötigste am Baby selbst zu verrichten.“ Dadurch
fühle sie sich allerdings sehr gehemmt und habe immer ein bisschen das Gefühl, ein
Eindringling zu sein, der in das Nest Familie komme und Überträger des Virus sein
könne, sagt Degen.
Die Lücken im System
Auch Kreißsaalleiterin Claudia Moll schildert von sich und ihren Kolleginnen die Sorge,
potenziell Überträgerin von SARS-CoV-2 zu sein: „Die Angst, sich anzustecken ist schon
da. Dabei geht es aber zunächst gar nicht um die eigene Gesundheit, sondern um die
Befürchtung, Kolleginnen oder Risikopersonen in der Familie anzustecken.“ Die Nähe,
die ihr Beruf erfordert, ist für Moll und ihre Kolleginnen normalerweise ganz selbstverständlich.
Doch in der jetzigen Situation, so sagt sie, mache man sich den körperlichen Kontakt
zu den Gebärenden manchmal sehr viel mehr bewusst als früher.
Beide Hebammen geben an, dass sie derzeit gut mit Schutzkleidung ausgestattet seien.
Auch wenn sie zwischendurch erfinderisch werden mussten und sich – wie Claudia Moll
und ihr Team – z. B. Visiere selbst gebastelt haben.
Optimal ist die Versorgung mit Schutzausrüstung jedoch weiterhin nicht, wie Geppert-Orthofer
sagt. „Es gibt immer noch Kolleginnen in Kliniken, die uns berichten, dass sie den
gesamten Acht-Stunden-Dienst über den gleichen Mund-Nasen-Schutz verwenden müssen.
Und auch einigen freiberuflichen Hebammen mangelt es weiterhin an Schutzkleidung.“
Die DHV-Präsidentin beklagt, dass es noch keine einheitliche Regelung für die Verteilung
von Schutzausrüstung an Hebammen gäbe und dass die Kolleginnen in diesem Punkt sehr
auf sich allein gestellt seien. Doch zumindest für die Kosten, die Hebammen für Schutzausrüstung
aufbringen müssen, konnte der Verband eine befristete Regelung mit den gesetzlichen
Krankenkassen aushandeln (s. Kasten).
Auch in vielen anderen Bereichen kämpft der Verband weiter für die Rechte der Hebammen.
„Die Coronakrise zeigt uns ganz deutlich die Lücken im System“, sagt Geppert-Orthofer.
„Wir nehmen wahr, dass überhaupt nicht erkannt wurde, wie wichtig die Zeit der Familienbildung
für die Gesundheit der Familie und für Mutter und Kind ist und damit letztlich für
die Grundlage unserer Gesellschaft.“ Anders ist es für sie nicht zu erklären, dass
im Zuge von Besuchsbeschränkungen für kranke und pflegebedürftige Menschen in manchen
Kliniken auch keine Begleitperson mehr im Kreißsaal zugelassen wurde. Eine Einschränkung,
die bei vielen werdenden Müttern zu heller Aufregung und letztlich zu einem Ansturm
auf Geburtskliniken geführt hat, bei denen das Kreißsaalverbot für den Partner nicht
galt. Auch der DHV und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
(DGGG) haben sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, auch weiterhin eine Begleitperson
für die Geburt zuzulassen [3]
[5]. Die meisten Kliniken haben die Beschränkungen daraufhin wieder aufgehoben.
An anderen Stellen sind jedoch noch keine Verbesserungen in Sicht. „Hebammen werden
bei vielen Verordnungen schlichtweg vergessen!“, kritisiert Geppert-Orthofer. So erhielten
die Kolleginnen immer noch nicht in allen Bundesländern einen Platz für die Kindernotbetreuung.
Außerdem fehle ein Rettungsschirm für freiberufliche Hebammen, der Einkommenseinbußen
durch die Corona-Pandemie auffangen könne. Und natürlich gehe es darum, Fachkräfte
aus dem Gesundheits- und Pflegebereich generell besser zu bezahlen und sie stärker
in Entscheidungen einzubinden. Die DHV-Präsidentin zieht daraus folgenden Schluss:
„Aus meiner Sicht ist das der entscheidende Punkt, den wir aus der Krise lernen müssen
– dass wir aktuell ein Wertesystem haben, das nicht widerspiegelt, welche Berufe unser
Überleben und unsere Gesundheit sichern oder fördern. Das ist natürlich keine Aufgabe,
die der Hebammenverband allein bewältigen kann. In meinen Augen wird das die große
gesellschaftliche Herausforderung: es zu schaffen, nicht zur alten Normalität zurückzukehren.“
Positives Geburtserlebnis – auch in Zeiten der Corona-Pandemie
In einer Pressemitteilung vom 18.05.2020 nimmt der DHV Stellung zur Maskenpflicht im Kreißsaal für Gebärende, die in erster Linie das Infektionsrisiko von Hebammen, Ärztinnen und Ärzten reduzieren
soll. Der Verband weist darauf hin, dass der Mund-Nasen-Schutz Frauen daran hindern
könne, frei zu atmen, was jedoch zur Schmerzerleichterung und Verarbeitung der Wehen
äußerst wichtig sei. Deshalb spricht er sich dafür aus, Abstriche bei den Frauen durchzuführen,
damit ihr Infektionsstatus bei oder kurz nach der Aufnahme in die geburtshilfliche
Abteilung relativ sicher bekannt sei. Und es müsse gewährleistet sein, dass ausreichend
Schutzausrüstung für medizinisches Personal zur Verfügung stehe. Würden Hebammen,
Ärztinnen und Ärzte eine medizinische Maske tragen, erübrige sich der Mund-Nasen-Schutz
für die Gebärende, begründet der DHV.
Auch die WHO erinnert mit einprägsamen Infografiken daran, dass Frauen ein Recht auf
ein positives Geburtserlebnis haben, ganz gleich ob mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion
oder ohne. Mehr Infos unter: https://www.who.int/reproductivehealth/publications/emergencies/COVID-19-pregnancy-ipc-breastfeeding-infographics/en/
Warum die Krise auch Chancen bietet
Warum die Krise auch Chancen bietet
Ulrike Geppert-Orthofer betont auch, dass es gerade während der Corona-Pandemie wichtiger
denn je sei, Schwangere, Mütter und Familien bestmöglich zu betreuen. Hebammen begleiten
Frauen in einer der entscheidendsten Lebensphasen und haben dadurch auch die Möglichkeit,
frühzeitig auf Sorgen und Nöte der Frauen aufmerksam zu werden. Die ungewisse Entwicklung
der Coronakrise kann in der Zeit der Schwangerschaft als besonders bedrohlich erlebt
werden. Neben der Angst vor der Viruserkrankung für die eigene Gesundheit und die
des Babys können die Eltern durch finanzielle Unsicherheiten und durch die fehlende
familiäre Unterstützung z. B. durch Großeltern belastet sein [14].
Doch es lässt sich auch Positives berichten. Denn eine Zeit, in der alles auf den
Kopf gestellt ist, bietet auch die Möglichkeit, viele Gewohnheiten zu hinterfragen.
So hat Daniela Degen die Kontaktbeschränkungen in der Zeit des Lockdowns für ihre
Wochenbettbesuche als überaus positiv wahrgenommen: „Die Eltern mussten sich nicht
mehr rechtfertigen, dass sie noch keinen Besuch haben wollten. Es war einfach klar,
dass niemand kommen konnte. Dadurch habe ich in den Familien eine unglaubliche Ruhe
und Friedlichkeit erlebt. Das war wirklich schön für das Baby und für die frischgebackenen
Eltern.“
Claudia Moll macht im Kreißsaal in Mönchengladbach ähnliche Erfahrungen: „Man merkt
deutlich, dass weniger Publikumsverkehr herrscht. Und da im Kreißsaal auch nur eine
Person dabei sein darf und kein Wechsel stattfindet, haben wir das Gefühl, viel mehr
wahrzunehmen und einen engeren Bezug zur Begleitperson und natürlich zu der Gebärenden
aufbauen können.“ Und sie erzählt, dass die Schwestern von der Wochenbettstation viel
seltener mit Stillproblemen konfrontiert seien. Moll und ihre Kolleginnen führen das
darauf zurück, dass die Frauen weniger Ablenkung durch Besuche hätten und sich stärker
ihrem Baby widmen könnten. Daniela Degen sieht das genauso, denn auch bei ihren Wochenbettbesuchen
in Köln kommt es während der Kontaktbeschränkungen kaum zu Stillproblemen. „Die Frauen
glauben, ständig mit ihrem Umfeld in Austausch sein zu müssen“, schließt die Hebamme
daraus, „dadurch sind sie manchmal abgelenkt und legen das Baby nicht direkt an, wenn
die ersten Hungerzeichen kommen. Aktuell stelle ich das kaum noch fest, weil die Frauen
sich wirklich auf ihre kleine Familie konzentrieren können.“
Relevanz von SARS-CoV-2 für Schwangerschaft und Geburt
Insgesamt ist die Datenlage zu Schwangerschaften und Geburten SARS-CoV-2-positiver
Mütter weiterhin gering, sodass alle Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt vorsichtig
interpretiert werden müssen.
Schwangere mit COVID-19 scheinen vor allem milde bis moderate Symptome zu entwickeln, auch asymptomatische Verläufe sind zu beobachten. In einer Fallserie
aus New York wurden innerhalb von zwei Wochen 215 Frauen, die zur Geburt in das Krankenhaus
kamen, auf eine SARS-CoV-2-Infektion getestet. 15,4 % der nasopharyngealen Abstriche
waren positiv. 13,5 % der infizierten Frauen waren asymptomatisch. Nur vier Frauen zeigten bei ihrer Aufnahme Symptome wie Husten, Fieber oder Kurzatmigkeit,
drei weitere entwickelten Symptome während ihres Klinikaufenthalts [14]
[16].
Ob Schwangere ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 haben als nicht-schwangere Frauen, lässt sich noch nicht eindeutig sagen. Die meisten
Studien deuten bisher nicht darauf hin: An einer multizentrischen Studie des UK Obstetric
Surveillance System (UKOSS) nahmen 16749 Patienten teil, die aufgrund einer Infektion
mit SARS-CoV-2 stationär behandelt werden mussten. Darunter 427 Schwangere (6 %),
von denen 40 (9 %) intensivmedizinisch betreut werden mussten. Der Anteil war vergleichbar
mit nicht-schwangeren Frauen der gleichen Altersgruppe. Auch eine höhere Sterblichkeit
konnte nicht ermittelt werden [14]
[11]. Zwei Studien mit kleinen Fallzahlen kommen dagegen zu dem Ergebnis, dass schwangere
Frauen mit COVID-19 signifikant häufiger zu schweren oder kritischen Krankheitsverläufen
neigen als nicht-schwangere Frauen [2]
[19].
Ob durch COVID-19 ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten besteht, ist noch unklar. Bisher werden nur Einzelfälle beschrieben, bei denen SARS-CoV-2-positive
Frauen eine Fehlgeburt erlitten [10]
[1]. In einem Fallbericht konnte in diesem Zusammenhang eine Infektion der Plazenta
festgestellt werden [1].
Entscheidend für den Krankheitsverlauf scheint der Infektionszeitpunkt zu sein: In
der UKOSS-Studie wurden die meisten Frauen vor allem im späten zweiten und dritten Trimester hospitalisiert. Das stimmt mit den Erkenntnissen zu anderen respiratorischen Viruserkrankungen überein,
bei denen Frauen in der späten Schwangerschaft zu schwereren Verläufen neigten. Schwangere
sollten sich daher insbesondere in der fortgeschrittenen Schwangerschaft durch strikte
Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln vor einer Ansteckung schützen [10].
Für eine vertikale Übertragung von SARS-CoV-2 von der Mutter auf das Baby (prä- oder intrapartal) gibt es nur sehr wenige Hinweise.
In zwei Fallberichten gelang der Nachweis von IgM im neonatalen Serum. Da IgM nicht
plazentagängig ist, könnte das eine Infektion in utero beweisen [8]
[20]. Aufgrund der kleinen Fallzahlen und weiterer Limitationen sind die Ergebnisse jedoch
vorsichtig zu bewerten. Zudem zeigt die Mehrzahl der Neugeborenen von SARS-CoV-2-positiven
Mütter keine Krankheitszeichen [14]
[13].
Ein Nachweis von SARS-CoV-2 in der Muttermilch gelang bisher nicht. Daher ist davon auszugehen, dass die Übertragung
des Virus von der Mutter auf das Baby vor allem durch eine Tröpfcheninfektion nach
der Geburt stattfand [14]
[13].
Verschiedene Studien legen nahe, dass COVID-19 mit einer Hyperkoagulabilität einhergeht [18]
[17]. Da es in der Schwangerschaft physiologisch zu einer verstärkten Blutgerinnung kommt,
ist es wahrscheinlich, dass das Risiko für maternale Venenthrombosen durch eine Infektion mit SARS-CoV-2 zusätzlich erhöht ist. Verringerte Mobilität
durch Quarantäne oder Krankenhausaufenthalte sind weitere Risikofaktoren [14]. Deshalb sollte bei Frauen mit bestätigter Infektion oder mit Verdacht auf COVID-19
eine Prophylaxe für venöse Thromboembolien (VTE) mit niedermolekularem Heparin erwogen werden [13]
[14].