Aktuelle Dermatologie 2020; 46(11): 478-481
DOI: 10.1055/a-1158-1823
Kasuistik

Disseminierte, therapieresistente Hautulzerationen bei einem 51-jährigen Patienten – Der Fall eines multifokalen Pyoderma gangraenosum

Disseminated Skin Ulcers in a 51-Year Old Patient – A Case of Multifocal Pyoderma gangrenosum
S. Darr-Foit
Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena, Jena
,
D. Miguel
Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena, Jena
,
J. Tittelbach
Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena, Jena
,
P. Elsner
Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena, Jena
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Bei dem Pyoderma gangraenosum (PG) handelt es sich um eine seltene autoinflammatorische Erkrankung aus der Familie der neutrophilen Dermatosen, welche aufgrund ihrer zahlreichen klinischen Varianten und Differenzialdiagnosen bei zum Teil unbefriedigendem Therapieansprechen selbst für Dermatologen eine große Herausforderung darstellen können. Berichtet wird über einen 51-jähringen Mann mit multiplen, hartnäckigen Ulzerationen der Extremitäten, bei dem unter systemischer Kortikosteroid- und Ciclosporin A-Therapie unter adaptierten Wundbehandlungen ein gutes Therapieansprechen verzeichnet werden konnte.


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Abstract

Due to its multiple clinic variants and differential diagnoses, it could be very challenging even for dermatologists to diagnose pyoderma gangrenosum, a rare auto-inflammatory disease from the spectrum of neutrophil dermatoses with sometimes inadequate therapeutic response. We report on the case of a 51-year old male with multiple recalcitrant ulcers of the extremities that showed a good response to the treatment with systemic corticosteroids and ciclosporine A in addition to specific wound therapy.


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Einleitung

Ein Pyoderma gangraenosum kann idiopathisch, in Zusammenhang mit Systemerkrankungen oder im Rahmen von autoinflammatorischen Syndromen auftreten [1]. Häufig wurde dabei die Assoziation zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder rheumatoider Arthritis sowie zu hämatoonkologischen Erkrankungen und soliden Malignomen nachgewiesen. Darüber hinaus wurden verschiedene Komorbiditäten wie arterielle Hypertonie, nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus (NIDDM) und Störungen des Fettstoffwechsels beschrieben [2]. In die Entscheidung über das Therapieregime sollte die möglicherweise zugrundeliegende Systemerkrankung einbezogen werden.


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Fallbericht

Wir berichten über einen 51-jährigen Patienten, bei dem bei Erstvorstellung über 7 Jahre rezidivierende, schmerzhafte Ulzerationen im Bereich der Beine und Arme bestanden. Anamnestisch lagen bis auf eine mit Enalapril behandelte arterielle Hypertonie und einen Nikotinabusus keine weiteren Erkrankungen vor. Bisherige Therapien mit Clobetasol-17-propionat-Creme, Octenidin-Hydrochlorid-Lösung, Polyurethan-Schaumverbänden sowie eine Kompressionstherapie der Unterschenkel führten zu einer unzureichenden Befundkontrolle. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit und eine chronisch venöse Insuffizienz waren bereits ausgeschlossen worden.

Bei Erstvorstellung zeigten sich an den oberen und unteren Extremitäten unter Betonung der Unterschenkel mehrere 3 – 8 cm messende, randbetont hyperpigmentierte Maculae bis Plaques neben rundlichen bis polyzyklischen, scharf begrenzten Ulzera mit infiltrierter Wundumgebung und teilweise unterminiertem Ulkusrandbereich ([Abb. 1 a, b]). Labortechnisch konnte eine leichte Erhöhung der Leukozytenzahl bei normwertigem C-reaktivem Protein (CRP) nachgewiesen werden. Pankreas-Enzym-Parameter, HbA1c-Wert, antinukleärer-Antikörper-Titer (ANA), die Titer der Antineutrophilen-Antikörper (c-ANCA, p-ANCA) und relevante Parameter des Komplement-Systems (CH50, C3, C4) erwiesen sich als unauffällig. Die Infektionsserologien von humanem Immundefizienz-Virus (HIV) und Hepatitis B und C sowie der Tuberkulosesuchtest waren negativ. Innerhalb der Immunfixationselektrophorese im Serum konnten deutliche Banden vom Typ IgG-Lambda und vom Typ IgA-Lambda nachgewiesen werden. Zudem zeigte sich in der Protein-Elektrophorese ein erhöhter Beta-Globulin-Spiegel mit 22,8 % (8,4 – 13,1 %). Die Laktatdehydrogenase im Serum erwies sich als nicht erhöht. Die Immunfixation im 24-h-Sammelurin zeigte keine Bence-Jones-Proteinurie. Die daraufhin durchgeführte Analyse eines Knochenmarkbiopsates konnte den Verdacht auf eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) weder sicher bestätigen noch ausschließen. Innerhalb der zytogenetischen Analyse fehlte in 3 von 20 beurteilten Metaphaseplatten ein Y-Chromosom, was eine Abberation bei myeloproliferativem Syndrom (MPS), akuter myeloischer Leukämie (AML), myelodysplastischem Syndrom (MDS) oder lymphoproliferativen Erkrankungen darstellen, jedoch auch als konstitutioneller Y-Chromosomverlust gewertet werden kann. Low-dose-Knochen-Computertomografie, Röntgenaufnahme des Thorax sowie Sonografie des Abdomens ergaben keine Hinweise auf eine Organbeteiligung.

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Abb. 1 a, b Rundliche bis polyzyklische, scharf begrenzte Ulzerationen mit infiltrierter Wundumgebung und teilweise unterminiertem Randbereich bei gelblich bis nekrotischen Wundauflagerungen an den Unterschenkeln eines 51-jährigen Patienten mit multifokalem Pyoderma gangraenosum vor Einleitung einer Systemtherapie.

Die dermatohistologische Untersuchung einer Biopsie vom Ulkusrandbereich bot bei negativen Erregerfärbungen (Gram, Ziehl-Neelsen, Grocott, Fite-Faraco, PAS [Periodic acid-Schiff]) zusammenfassend das Bild einer abszedierenden Entzündung, welche mit einem PG vereinbar war. Unter der Diagnose eines multifokalen PG leiteten wir eine Systemtherapie mit Prednisolon 1 mg/kg Körpergewicht in absteigender Dosierung auf 10 mg/d innerhalb von 3 Monaten ein. Zusätzlich erfolgte die regelmäßige Applikation von Clobetasol-17-propionat unter antiseptischer Behandlung mit Octenidin-Hydrochlorid-Lösung. Nach einem 2-monatigen Behandlungsintervall konnte eine vollständige Abheilung der Ulzera unter Ausbildung von bräunlich-hyperpigmentierten, narbig-atrophen Residuen erreicht werden ([Abb. 2 a, b]), welche allerdings nach vollständigem Ausschleichen der Prednisolontherapie kurzfristig wieder aufflammten. Im weiteren Verlauf erfolgten nach Rücksprachen mit dem betreuenden Hämatoonkologen Systemtherapien mit Ciclosporin A in einer Dosierung von 3 mg/kg Körpergewicht (KG) und anschließend mit Methotrexat 15 mg/Woche, wobei beide Therapien jeweils aufgrund von unerwünschten Wirkungen kurzfristig beendet wurden. Die Behandlung mit einem Biologikum wurde vom Patienten bisher abgelehnt. Schließlich konnte innerhalb einer erneuten Systemtherapie mit Prednisolon in einer Dosierung von 6 mg/d in Kombination mit niedrigdosiertem Ciclosporin A in einer Dosierung von 2 mg/kg KG eine ausreichende Befundkontrolle bei guter Verträglichkeit erzielt werden.

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Abb. 2 a, b Klinisches Bild unter Kortikosteroid-Systemtherapie nach 2-monatigem Behandlungsintervall unter Ausbildung von bräunlichen, narbig-atrophen Residuen.

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Diskussion

Das Pyoderma gangraenosum wurde erstmalig 1930 als eine seltene inflammatorische, neutrophile Dermatose mit chronisch-schubweisem Verlauf beschrieben, welche sich durch das Auftreten von solitären oder multiplen, schmerzhaften Ulzerationen mit lividen und unterminierten Wundrändern präsentiert. In bis zu 50 % der Fälle wird gegenwärtig die Assoziation zu Systemerkrankungen beobachtet. Die deutliche Beeinflussung der Lebensqualität von Betroffenen beruht v. a. auf der Hartnäckigkeit und Schmerzhaftigkeit der Läsionen sowie schließlich der Ausbildung von kosmetisch entstellenden Narben. Die Prävalenz wird mit 3 – 10/Million angegeben. Das PG tritt vorwiegend bei Erwachsenen jungen bis mittleren Alters auf, wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind [3] [4]. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist bis heute unbekannt, und ihre Pathophysiologie konnte bis heute nicht vollständig geklärt werden. In nahezu 50 % der Fälle werden Auslöser wie Traumata, z. B. Stiche oder Bisse bzw. chirurgische Eingriffe als initiierende oder verschlechternde Faktoren beobachtet [5]. Typischerweise manifestiert sich das PG im Bereich der Haut der Beine. Es kann prinzipiell jedoch an jeder Körperstelle auftreten, wobei auch extrakutane Beteiligungen, bspw. okulär, pulmonal oder renal beschrieben wurden [4].

Eine multifaktorielle Genese mit Kombination aus einer Neutrophilen-Dysfunktion, dem Einfluss inflammatorisch wirksamer Mediatoren einschließlich IL-1β, IL-8, IL-17 und TNF-α sowie einer genetischen Prädisposition wird vermutet. Die prädominierende Rolle der neutrophilen Granulozyten kann innerhalb von Histologie, dem Pathergiephänomen und dem Zusammenspiel mit weiteren Neutrophilie-bedingenden Faktoren erklärt werden [1] [6]. Marzano et al. erachten Interleukin (IL)-1 als entscheidenden Mediator in der Pathophysiologie von autoinflammatorischen neutrophilen Dermatosen, wobei dessen Interaktion mit Interleukin-17 zu einer Neutrophilenaktivierung und -rekrutierung führen kann [7]. Im Allgemeinen sollte der Behandlungsansatz eines PG einer Kombination aus Lokal- und Systemtherapie unterliegen. Eine initiale Systemtherapie mit Prednisolon zielt dabei auf einen Rückgang von Erkrankungsprogress und dessen Stabilisierung bei aggressivem Verlauf ab. In einer vergleichenden Arbeit von Ormerod et al. konnte kein Unterschied bez. der Anwendung einer Initialtherapie mit Prednisolon oder Ciclosporin in Bezug auf das Therapieansprechen bei PG nachgewiesen werden [8]. Eine Kombination von Kortikosteroiden und Immunsuppressiva bzw. Zytostatika, z. B. Ciclosporin A, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Cyclophosphamid, findet Anwendung bei steroidrefraktären Erkrankungsfällen oder unter der Vorstellung einer Steroideinsparung [9].

Im Falle von sekundärer Superinfektion sollten Kortikosteroide mit Antibiotika kombiniert werden. Weitere Therapieoptionen bestehen in der Vergabe von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) und Biologika, wie TNF-Alpha-Inhibitoren, dem IL-12/23-Antikörper Ustekinumab oder dem IL-1-Rezeptor-Antagonisten Anakinra [10] [11]. Canakinumab, ein humaner monoklonaler Antikörper, der IL-1ß selektiv blockiert, induzierte bei 60 % der damit behandelten kleinen Patientengruppe eine komplette und bei 20 % der Patienten eine partielle Remission innerhalb eines Studienzeitraumes von 16 Wochen [12].

Die Lokaltherapie umfasst die Anwendung von Wundauflagen mit dem Ziel der Kontrolle von Exsudation, der Verbesserung des Auto-Debridements, dem Schutz der Wundumgebung und der Analgesie. Der Gebrauch von spezifischen antimikrobiellen Substanzen wird dabei nicht empfohlen. Tiefe Wunden können nach Einleitung der Steroidtherapie von einer Behandlung mit Vakuum-Pumpen profitieren. Bei milden Formen kann topisches Tacrolimus Erfolge erzielen [13]. Positive Therapieberichte finden sich in der aktuellen Litaratur zudem über die intraläsionale Applikation von Triamcinolonacetonid und aktiviertem Protein C [11].

Aufgrund des Pathergie-Phänomens werden chirurgische Behandlungen nur in Kombination mit einer immunsuppressiven Therapie und bei Patienten mit stabilem Erkrankungsverlauf empfohlen [14].

Unser Patient erfüllt alle klassischen diagnostischen Kriterien für das Pyoderma gangrenosum [15]. Die im dargestellten Fallbericht erhobenen immunelektrophoretischen Befunde legen das Vorliegen einer Paraproteinämie als hämatologischer Grunderkrankung bei einem multifokalen PG nahe, wobei trotz umfassender Untersuchungen eine abschließende internistische Diagnosestellung bisher nicht erfolgen konnte. Der Patient wird daher halbjährlichen hämatoonkologischen Kontrolluntersuchungen zugeführt. Wir müssen in dieser Konstellation bei ihm von einer längeren Therapienotwendigkeit bez. des Pyoderma gangraenosums ausgehen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Susanne Darr-Foit
Universitätsklinikum Jena
Klinik für Hautkrankheiten
Erfurter Str. 35
07743 Jena
Deutschland   

Publication History

Article published online:
17 June 2020

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Abb. 1 a, b Rundliche bis polyzyklische, scharf begrenzte Ulzerationen mit infiltrierter Wundumgebung und teilweise unterminiertem Randbereich bei gelblich bis nekrotischen Wundauflagerungen an den Unterschenkeln eines 51-jährigen Patienten mit multifokalem Pyoderma gangraenosum vor Einleitung einer Systemtherapie.
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Abb. 2 a, b Klinisches Bild unter Kortikosteroid-Systemtherapie nach 2-monatigem Behandlungsintervall unter Ausbildung von bräunlichen, narbig-atrophen Residuen.