seit dem 1. April 2020 ist mir die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, im Team der
Herausgeber unseres bewährten Journals „Ultraschall in der Medizin“ mitwirken zu dürfen.
Diese persönliche Herausforderung fällt nun in eine Zeit, die durch den Ausnahmezustand
der SARS-CoV-2-bedingten Pandemie geprägt wird. Vieles, was uns bis dato selbstverständlich
erschien, wird nun infrage gestellt und Prioritäten haben sich in enormer Geschwindigkeit
radikal verändert. Prägend für die aktuellen Wochen ist unter anderem eine in dieser
Intensität nie dagewesene Verzahnung zwischen Wissenschaft, Politik und gesellschaftlichem
Leben: Pressekonferenzen des RKI werden zum medialen Höhepunkt des Tages, selbst die
Boulevardpresse bringt epidemiologische Grafiken auf dem Titelblatt und teils kleine
virologische Studien werden zeitnah von Politikern in Fernsehansprachen zitiert. Hierin
spiegelt sich meines Erachtens in besonderem Maße die Verantwortung der wissenschaftlichen
Publikationsorgane wider, denn nur durch eine zeitnahe Bearbeitung, kritische Auseinandersetzung
und kompetente Selektion können wissenschaftliche Neuigkeiten auch in einer politisch-gesellschaftlichen
Diskussion genutzt werden. Ich hoffe hierzu einen bescheidenen Beitrag leisten zu
können.
Unabhängig von dem dominierenden Pandemie-Thema möchte ich im Folgenden auf eine aktuelle
Empfehlung der Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe hinweisen. Diese bezieht sich
auf die Anwendung der zellfreien DNA-Analyse, auch als nichtinvasiver Pränataltest
(NIPT) bezeichnet. Die Empfehlung wurde vom Board der Sektion in Absprache mit dem
DEGUM-Vorstand entworfen. In den aktuellen berufspolitischen Entscheidungen bezüglich
dieses insbesondere für die Detektion der Trisomie 21 entworfenen Screeningtests wurden
Stellungnahmen und Einwände seitens der Pränataldiagnostiker wenig berücksichtigt.
Das Kernproblem liegt darin, dass der NIPT als Alternative und Ablösung des Ersttrimester-Screenings
wie auch der diagnostischen Punktionen etabliert wird. Hierbei wird ignoriert, dass
die Zielsetzung des Ersttrimester-Screenings weit über die Erkennung der Trisomie
21 hinausgeht. Schwangere sind in der Regel überrascht zu hören, dass 90 % der fetalen
bzw. kindlichen Fehlbildungen, wie z. B. die Spina bifida, in der Regel nicht chromosomalen
Ursprungs sind. Auch die Verbreitung des frühen Präeklampsie-Screenings mit der Option
einer ASS-basierten Prävention droht ins Abseits gedrängt zu werden. Nicht zuletzt
entspricht der NIPT nicht den Kriterien eines diagnostischen Tests. Daher ist der
gezielte Einsatz diagnostischer Punktionen weiterhin erforderlich.
In den letzten Jahren wurden auch in „Ultraschall in der Medizin“ hervorragende Empfehlungen
und Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht. Gegen die aktuell bedenklichen Entwicklungen
in der Qualität der Ersttrimester-Diagnostik konnten sie jedoch nur begrenzt Einfluss
nehmen.
Aus diesem Grund haben sich die Sektionsleitung und das Board der Sektion Gynäkologie
und Geburtshilfe in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der DEGUM dazu entschlossen, die
Kernbotschaften in „10 goldene Regeln für die Durchführung eines NIPT-Tests“ zu komprimieren.
Diese sollen allen in der Schwangerschaftsvorsorge mit dem Thema involvierten Kollegen
als Hilfestellung dienen. Sie wurden aktuell auf der DEGUM-Homepage veröffentlicht
(https://www.degum.de/fileadmin/dokumente/sektionen/gynaekologie/Informationen_zum_Fach/NIPT-10-goldene-Regeln_AK_v2020-02-17.pdf).
Wir möchten sie aufgrund ihrer zentralen Bedeutung auch in der „Ultraschall in der
Medizin“ darlegen und hoffen auf diese Art und Weise eine möglichst große Breite an
NIPT-anwendenden Kollegen erreichen zu können.
Ich freue mich nun auf die weitere Zeit als Mitherausgeber der „Ultraschall in der
Medizin“.
Ihr Markus Hoopmann
10 goldene Regeln für die Durchführung eines NIPT-Tests
Board d. Sektion Gyn/Geb, 17.02.2020
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NIPT erfordert eine ärztliche Aufklärung und genetische Beratung nach dem Gendiagnostikgesetz
(GenDG).
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NIPT erlaubt derzeit zuverlässige Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer Trisomie
21, 18 und 13, aber keine Aussagen zu strukturellen Fehlbildungen. Diese machen jedoch
den Großteil der perinatal relevanten Anomalien aus. Auch lassen sich die meisten
anderen Chromosomenstörungen und syndromalen Erkrankungen nicht erkennen.
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NIPT erfordert eine qualifizierte Ultraschalluntersuchung, idealerweise vor der Blutabnahme
und nach der 12. SSW.
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Bei sonografisch nachgewiesenen Fehlbildungen oder erhöhter Nackentransparenz ist
die diagnostische Punktion (CVS oder Amniozentese) Mittel der Wahl, um Chromosomenstörungen
erkennen zu können und einen unnötigen Zeitverlust bis zur endgultigen Diagnose
zu vermeiden.
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Im Rahmen einer NIPT-Untersuchung sollte grundsätzlich der fetale bzw. schwangerschaftsspezifische
Anteil an der zellfreien DNA angegeben werden. Die „Fetal Fraction“ ist ein Qualitätsparameter
mit großem Einfluss auf die Testgüte.
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Ein ergebnisloser NIPT ist ein abklärungsbedürftiger Befund. In diesem Kollektiv
finden sich mehr Chromosomenstörungen, insbesondere Trisomien 13 und 18 sowie Triploidien.
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NIPT ist ein Screening-Test. Bei einem auffälligen NIPT ist eine diagnostische Punktion
obligat anzubieten. Die Indikationsstellung zum Schwangerschaftsabbruch darf nicht
auf einem isolierten NIPT-Befund beruhen.
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NIPT auf Veränderungen der Geschlechtschromosomen sollten nicht routinemäßig durchgeführt
werden.
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Der Einsatz von NIPT zur Bestimmung des Risikos für seltene autosomale Aneuploidien
und strukturelle Chromosomenstörungen, insbesondere Mikrodeletionen und monogenetische
Erkrankungen beim Fötus, kann derzeit nicht generell empfohlen werden.
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Bei Zwillingsschwangerschaften, nach künstlicher Befruchtung und bei Adipositas hat
NIPT eine höhere Versagerquote und es liegen nur eingeschränkt Daten zur Testgüte
vor.