Die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems in Deutschland ist für die Dauer der
Corona-Krise allseits zur obersten Priorität erklärt worden. Die ärztliche und pflegerische
Versorgung ist gefragter und geforderter denn je. Die Ärztinnen und Ärzte in Kliniken
und Praxen sehen sich mit komplexen und völlig neuartigen Situationen und Problemen
konfrontiert. Es fehlt an gesundem Fachpersonal, ausreichender Schutzausrüstung und
Behandlungskapazitäten, um Patienten bei bestehender Verdachtsdiagnose zu untersuchen
und zu behandeln. Zudem verzeichnen Kliniken und niedergelassene Ärzte in Hochschulambulanzen
und Praxen immense Patientenrückgänge von bis zu 90 %, weil die Patienten nicht vor
die Tür gehen wollen und ihre aufschiebbaren Termine absagen.
Um den Praxisbetrieb aufrechterhalten zu können und um sich und andere angemessen
zu schützen, müssen Praxisinhaber genauso wie andere Unternehmer in diesen Zeiten
umdisponieren. Dazu gehört für viele auch das – wohlmöglich erstmalige – Ausschöpfen
der Möglichkeiten der Telemedizin und dabei insbesondere der Videosprechstunde. Einige
Dinge müssen in diesem Zusammenhang besonders beachtet werden:
Wer darf per Videosprechstunde fernbehandeln?
Wer darf per Videosprechstunde fernbehandeln?
Die Fernbehandlung ist berufsrechtlich zulässig – in fast allen Ärztekammerbezirken
auch in ausschließlicher Form, d. h. ohne vorherigen direkten Arzt-Patienten-Kontakt.
Einzige Ausnahme bildet nach wie vor die LÄK Brandenburg. Vertragsärzte müssen zudem
weitergehende Regelungen zu Voraussetzungen und Grenzen der Telemedizin beachten.
Seit Anfang 2019 obliegt es in Absprache mit dem jeweiligen Patienten dem behandelnden
Vertragsarzt, aufgrund therapeutischer Erwägungen zu entscheiden, ob er einen Patienten
im Wege der Videosprechstunde fernbehandeln kann. Die Möglichkeit der Videosprechstunde
für Vertragsärzte ist nicht mehr auf den Zweck der Verlaufskontrolle bei definierten
Krankheitsbildern und bestimmten Indikationen beschränkt. In der vertragszahnärztlichen Versorgung allerdings ist die Videosprechstunde bislang nur für die Beratung und
Unterstützung von besonders pflegebedürftigen und körperlich eingeschränkten Personen
vorgesehen. Beschränkungen bestehen auch in der psychotherapeutischen Versorgung; dort dürfen Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung des
Patienten grundsätzlich nicht im Wege der Videosprechstunde durchgeführt werden.
Der Umfang der „online“ erbrachten Leistungen darf grundsätzlich 20 % nicht überschreiten.
Welche Maßnahmen können in der Videosprechstunde vorgenommen werden?
Welche Maßnahmen können in der Videosprechstunde vorgenommen werden?
Grundsätzlich kann der behandelnde Arzt jede Art der Beratung und Behandlung vornehmen,
die ohne physischen Kontakt zum Patienten medizinisch möglich und ärztlich vertretbar
ist. Seit Anfang 2019 ist insbesondere auch das Verschreiben von Arzneimitteln ohne
vorherigen Arzt-Patienten-Kontakt erlaubt.
Die Durchführung von Videosprechstunden oder sonstigen Formen der Fernbehandlung entbindet
den Arzt – egal ob privatärztlich oder vertragsärztlich tätig – jedoch nicht von seinen
Sorgfaltspflichten. Auch im Rahmen der Fernbehandlung muss stets der aktuelle medizinische
Standard eingehalten werden. Insbesondere bei schweren und komplexen Erkrankungen
des Patienten ist ein (zusätzlicher) persönlicher physischer Kontakt mit dem Patienten
möglicherweise unumgänglich. Im Zweifelsfall sollte zum Schutz von Arzt und Patient
immer ein physischer Kontakt eingefordert werden, um gesundheitliche Einbußen beim
Patienten und eine Haftung des Arztes zu vermeiden. Schließlich sollte beachtet werden,
dass die ärztlichen Dokumentationspflichten auch im Rahmen der Fernbehandlung fortbestehen.
Anforderungen an die Durchführung der Videosprechstunde
Anforderungen an die Durchführung der Videosprechstunde
Um Videosprechstunden durchführen zu können, benötigt der behandelnde Arzt zunächst
nur eine Internetverbindung, einen Bildschirm mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher.
Da der Arzt aber auch hier seiner ärztlichen Schweigepflicht und den im Hinblick auf
die Sensibilität von Gesundheitsdaten erhöhten Datenschutzanforderungen nachkommen
muss, sind technische, funktionale und datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten.
So muss beispielsweise vorab eine Einwilligung des Patienten in die Verarbeitung der
bei der Videosprechstunde erfassten Daten eingeholt werden. Außerdem muss der behandelnde
Arzt einen Videodienstanbieter wählen, der die Einhaltung der technischen Sicherheit
und der datenschutzrechtlichen Anforderungen gewährleistet.
Weitere Details regelt für die Vertragsärzte Anlage 31b des Bundesmantelvertrags Ärzte (BMV-Ä). Vertragsärzte müssen insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) den von ihnen
gewählten und entsprechend zertifizierten Videodienstanbieter mitteilen, um Videosprechstunden
abrechnen zu können.
Vorübergehend abweichende Regelungen für die Dauer der Corona-Krise
Vorübergehend abweichende Regelungen für die Dauer der Corona-Krise
Um den aktuellen Herausforderungen in der ärztlichen Versorgung für die Dauer der
Corona-Krise zu begegnen, wurden bereits einige abweichende Regelungen für die Fernbehandlung
von Patienten getroffen. Hervorzuheben sind insbesondere folgende Ausnahmeregelungen:
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Es ist Vertragsärzten derzeit möglich, bei bestehendem Verdacht auf eine Infektion
mit dem Coronavirus, Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
für bis zu 14 Tage ohne persönliche Vorstellung des Patienten in der Praxis – also
telefonisch oder auch in einer Videosprechstunde – auszustellen.
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Auch für die psychotherapeutische Versorgung wurde vorübergehend eine Anpassung vorgenommen:
bis zum 30. Juni 2020 wird die Videosprechstunde übergangsweise umfassend, d. h. auch
für die sonst ausgenommenen Behandlungsabschnitte, erlaubt, wenn dem Patienten ein
Aufsuchen der Praxis nicht zuzumuten ist.
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Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben vorerst
für das zweite Quartal 2020 die Begrenzung der Fallzahlen und Leistungsmengen für
die Videosprechstunden ausgesetzt.
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Auch einige KVen haben auf die Ausnahmesituation reagiert und übergangsweise die Regelung,
nach der die Nutzung eines zertifizierten Videodienstanbieters für die Videosprechstunde
durch den Vertragsarzt vorab anzuzeigen ist, ausgesetzt. Diesbezüglich sollten sich
Praxen bei ihrer zuständigen KV informieren.
Ob die KVen und zuständigen Behörden weitere Ausnahme- oder Übergangsregelungen für
erforderlich halten und erlassen werden, bleibt abzuwarten.
Abrechnung der Videosprechstunde
Abrechnung der Videosprechstunde
Vertragsärzte, die eine Videosprechstunde nach den Vorgaben der Anlage 31b des BMV-Ä
durchführen, können diese über die jeweilige Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale
abrechnen. Wird der Patient im selben Quartal nicht mehr persönlich vorstellig, werden
die Pauschalen entsprechend gekürzt. Zu den Details der Abrechnung, insbesondere auch
zur Technikpauschale und weiteren Zuschlägen vgl. die Übersicht der KBV zur Vergütung
unter https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php
Die Abrechnung der Videosprechstunde für Privatärzte muss über einen Rückgriff auf
die Ziffer 1 (Beratung auch mittels Fernsprecher), die Ziffer 3 (Eingehende, das gewöhnliche
Maß übersteigende Beratung auch mittels Fernsprecher) und Ziffer 4 (Erhebung einer
Fremdanamnese) der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erfolgen.
Fazit
Die Corona-Krise stellt das Gesundheitswesen und die Belastbarkeit des pflegerischen
und ärztlichen Personals auf eine harte Probe. Doch sie bringt gleichzeitig auch neuen
Schwung in die in den letzten Jahren bereits angestoßene Debatte um einen verstärkten
Einsatz von Telemedizin. Wer aktuell nicht zwingend notwendigen physischen Kontakt
zu seinen Patienten reduzieren möchte oder aufgrund der Vorsicht seiner Patienten
rückläufige Praxisbesuche verzeichnet, findet in der Videosprechstunde mögliche Lösungswege.
Wer sich bisher noch nicht mit den Möglichkeiten und Anforderungen der ärztlichen
Fernbehandlung beschäftigt haben sollte, kann jetzt aufholen. Der Gesetzgeber hat
die rechtlichen Weichen dafür jedenfalls bereits gestellt und versucht, mit Übergangsregelungen
auf die speziellen Herausforderungen der Corona-Krise adäquat zu reagieren. Angesichts
der dynamischen Situation sollten die aktuellen Entwicklungen stets im Auge behalten
werden.
Köln im März 2020
Rechtsanwältin Lisa Hübner
Rechtsanwalt Dr. Albrecht Wienke
Fachanwalt für Medizinrecht
Verantwortlich für diese Rubrik: Prof. Dr. T. Brusis und Dr. A. Wienke.