Schlüsselwörter COVID-19 - Pandemie - SARS-CoV-2 - geburtshilfliche Anästhesie - Sectio
Key words COVID-19 - pandemic - SARS-CoV-2 - obstetric anesthesia - cesarean section
Die häufigsten menschlichen Coronaviren verursachen unkomplizierte Erkältungen. Drei
dieser Viren jedoch rufen schwerere, akute Krankheiten hervor: Das Middle East Respiratory
Syndrome (MERS) wird durch MERS-CoV, das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS)
durch SARS-CoV und COVID-19 durch SARS-CoV-2 ausgelöst.
Bestand anfänglich noch Hoffnung, die im Ausland beobachtete Wucht der Erkrankung
könne in Deutschland ausbleiben, so scheint diese nun der Erkenntnis gewichen zu sein,
dass der Verlauf ein ähnlicher sein wird und adäquate Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen
sind. Im Licht dieser Einsicht wurde der nationale Notstand ausgerufen, Ausgangsbeschränkungen
wurden verhängt und weitreichende Umstrukturierungen im Krankenhaussektor vorgenommen
mit einem Aufbau zusätzlicher Intensivkapazitäten – Veränderungen, die zuletzt wohl
im Zuge der Polioepidemie vorgenommen wurden. Seitens der WHO wurde der aktuell währende
Ausbruch als „global public health emergency“ eingestuft [1 ], [2 ].
Vor wenigen Wochen noch wurden die Überkapazitäten des Gesundheitswesens von Ministerien
angeprangert, und Medikamente, zumal auf dem Anästhesiesektor, konnten nicht billig
genug sein, um Narkose zu induzieren, den Blutdruck zu stabilisieren oder die postoperative
Analgesie zu bewerkstelligen. Nun scheint gegenwärtig jedes Mittel recht, der Knappheit
– zum Teil für banalste Produkte wie dem Mund-Nasen-Schutz – Herr zu werden.
Trotz aller Bestrebungen, das OP-Programm zu reduzieren und nicht zeitkritische operative
Eingriffe zunächst abzusagen bzw. zu verschieben (mitunter angesichts der Materialknappheit
auch alle Eingriffe jenseits der Notfallversorgung), sind weiter operative Eingriffe
und anästhesiologische Interventionen jenseits der Intensivversorgung notwendig. Dies
trifft im besonderen Maße für geburtshilfliche Eingriffe (Schnittentbindung und Nachkürettage)
und die neuraxiale Analgesie im Rahmen des Spontanpartus zu. So wird der Kreißsaal
mutmaßlich unverändert frequentiert werden und auch „elektive Sectiones“ werden weiterhin
stattfinden müssen, da sie sich nicht längerfristig verschieben lassen.
Erhöhtes Risiko für Schwangere?
Erhöhtes Risiko für Schwangere?
Anfänglich wurde die Schwangerschaft, da vielfach als partielle Immunsuppression angesehen,
mit einer erhöhten Empfindlichkeit für Virusinfektionen im Allgemeinen und einem erhöhten
Risiko für COVID-19 in Verbindung gebracht. So titulierte u. a. die WELT im Internet:
„Britische Regierung verabschiedet 360 Milliarden Euro-Paket – und warnt Schwangere“
und führte weiter aus „Die Regierung erklärte neben älteren Menschen auch Schwangere
zur Risikogruppe für COVID-19“ [3 ]. Diese Annahmen stützten sich möglicherweise auf den Umstand, dass die Morbidität
Schwangerer bei saisonaler Influenza höher ist als in einem Vergleichskollektiv [4 ], [5 ], [6 ] und im beschriebenen Kollektiv zu einer gegenüber einem Vergleichskollektiv überproportionalen
Frühgeburtlichkeit von 24 – 25% führte [7 ]. Daher stand zunächst die Vermutung im Raum, dass die SARS-CoV-2-Pandemie schwerwiegende
Folgen für schwangere Frauen habe, auch wenn sich diese üblicherweise nicht im typischen
„Risikoalter“ befinden [8 ].
Mittlerweile sind klinischer Verlauf und Outcome einiger COVID-19-Patientinnen mit
bestehender Schwangerschaft bzw. peripartale Verläufe berichtet worden. In den existierenden
Fallserien wurde bislang – anders als im Rahmen vorangegangener Influenza-Saisonen
– keine besondere Häufung schwerer ARDS-Verläufe berichtet [9 ]. So ist in der zitierten Fallserie bei keiner der Patientinnen ein respiratorisches
Versagen mit Beatmungspflichtigkeit aufgetreten. Alle Patientinnen zeigten röntgenologisch
(Thorax-CT) Zeichen der Pneumonie und bedurften einer Sauerstoffgabe.
In Anbetracht der Brisanz der Thematik gibt es gegenwärtig bereits zahlreiche Empfehlungen
zur Versorgung solcher Patienten von nationalen und internationalen Gremien wie des
Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) unter Mitarbeit des Royal
College of Anaesthetists (RCA) [10 ], der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) [11 ] und von Gesundheitsorganisationen [12 ], aber auch Empfehlungen im Rahmen von Consensus-Panels [13 ]. Erst kürzlich hat das National Institute for Health and Care Excellence (NICE)
erste Guidelines bezüglich der Intensivtherapie veröffentlicht [14 ] und reagierte damit auf die sich schnell entwickelnde Situation. Die Richtlinie
wurde unter Verwendung des vorläufigen Verfahrens und der Methoden zur Entwicklung
schneller Richtlinien für COVID-19 entwickelt.
Einige der in den oben erwähnten Empfehlungen und anderen Quellen adressierten Aspekte
sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – im Folgenden kursorisch dargelegt werden.
Dabei wird im Wesentlichen auf die in den o. g. Statements veröffentlichten Fakten
seitens internationaler Fachgesellschaften zurückgegriffen. Die Auswahl der Aspekte
soll keineswegs als eine Form der Priorisierung angesehen werden. Die allgemeinen
Behandlungsgrundsätze im Umgang mit COVID-19-Patientinnen und die Handlungsempfehlungen
zur intensivmedizinischen Therapie behalten dabei auch für schwangere Patientinnen
und postpartale Patientinnen vollumfänglich Gültigkeit. Insofern ergeben sich naturgemäß
erhebliche Redundanzen, und nur wenige Aspekte treffen streng bzw. ausschließlich
auf das Kollektiv geburtshilflicher Patientinnen zu.
Übertragung von Mutter auf Kind
Übertragung von Mutter auf Kind
In Bezug auf die vertikale Übertragung (Übertragung von der Mutter auf das Kind prä-
oder intrapartal) zeigen nahezu alle publizierten Fallberichte aus China keine Hinweise
für eine Übertragung auf den Fetus [9 ], [15 ], [16 ], [17 ].
Merke
Nach gegenwärtiger Expertenmeinung ist eine Exposition des Fetus während der Schwangerschaft
unwahrscheinlich.
Gleichwohl wurde in einem rezenten Fallbericht aus China eine vertikale Transmission
als wahrscheinlich erachtet [18 ]. Einschränkend sollte berücksichtigt werden, dass es sich bislang nur um einen einzigen
Fallbericht handelt und es im Rahmen der systemischen Inflammation möglicherweise
zu einem erhöhten Transfer von Antikörpern kommen könnte. So ist zumindest nicht auszuschließen,
dass auch IgM-Antikörper die Plazentabarriere passieren [19 ].
In einer von Chen et al. veröffentlichten Fallserie waren Fruchtwasser, Nabelschnurblut,
Rachenabstriche der Neugeborenen und Muttermilchproben von SARS-CoV-2-infizierten
Müttern allesamt negativ in Bezug auf einen Virusnachweis [9 ]. Die Autoren folgerten, dass derzeit keine Evidenz für eine intrauterine Infektion,
verursacht durch vertikale Virusübertragung bei SARS-CoV-2-positiven Müttern vorliegt.
Eine Analyse dreier Plazenten von infizierten Müttern durch Chen et al. erbrachte
ebenfalls keinen Virusnachweis bei Abstrichuntersuchungen [20 ]. Bei einem Fallbericht mit neonataler Infektion basierend auf einem positiven RT-PCR-Assay
(RT-PCR = reverse transcription polymerase chain reaction) 36 h nach Geburt ist bislang
unklar, ob eine vertikale oder postpartale Übertragung stattfand [21 ].
Erkrankungsverläufe bei der Mutter
Erkrankungsverläufe bei der Mutter
Veränderungen des Immunsystems in der Schwangerschaft bedingen mitunter schwerere
Verläufe bei Infektionskrankheiten wie z. B. bei der Influenza. Bei COVID-19 sind
bislang schwerere Erkrankungsverläufe bei älteren Menschen, Immunsupprimierten und
Patienten mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Malignomen und chronischen Lungenerkrankungen
beschrieben.
Merke
Bei Schwangeren ist derzeit insgesamt eher nicht von einem erhöhten Risiko auszugehen.
So war zum Zeitpunkt der Erstellung des Manuskripts nur ein publizierter Fall einer
31-jährigen Frau mit COVID-19 bekannt, die in der 34. Schwangerschaftswoche ins Krankenhaus
eingeliefert wurde. Die initialen Symptome waren Fieber und Heiserkeit. Nach einer
Totgeburt verschlechterte sich der Zustand der Patientin während des Krankenhausaufenthalts
rapide und führte zur Aufnahme auf die Intensivstation mit multiplen Organfunktionsstörungen,
einschließlich akutem Atemnotsyndrom, die eine Intubation und mechanische Beatmung
erforderlich machten. Verkompliziert wurde der Verlauf durch das Auftreten eines akuten
Leberversagens, Nierenversagens sowie septischen Schocks. Zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung
des zugrunde liegenden Berichts erfolgte bei der Patientin offenbar noch eine extrakorporale
Membranoxygenierung [22 ].
Auswirkungen auf den Fetus
Auswirkungen auf den Fetus
Derzeit liegen keine Daten vor, die auf ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten oder
einen Verlust der frühen Schwangerschaft in Bezug auf COVID-19 hinweisen [23 ]. Da es bislang auch keine Hinweise auf eine vertikale Übertragung gibt, sind Auswirkungen
auf die intrauterine Entwicklung unwahrscheinlich. Hinweise auf eine Teratogenität
des Virus fehlen bislang. Bei den anekdotischen Fallberichten über Frühgeburten bei
Frauen mit COVID-19 ist die Kausalität derzeit eher fraglich.
Empfehlungen für die Schwangere
Empfehlungen für die Schwangere
Bezüglich der Schwangerenbetreuung werden keine generelle Anpassung an die geänderte
Lage empfohlen, wobei die Empfehlung zum „Social Distancing“ ebenfalls für Schwangere
Gültigkeit besitzen sollte. Eine stärkere Individualisierung gemäß Verlauf und Beschwerden
wird in manchen Empfehlungen ebenfalls angeraten [10 ]. Aufgrund der geschätzten Inkubationszeit von 0 bis 14 Tagen (Mittelwert 5 – 6 Tage),
soll auf diese Weise eine Verbreitung der SARS-CoV-2-Infektion durch asymptomatische
Patienten minimiert werden.
Merke
Bei geplanter Vorstellung in der Geburtsklinik wird eine telefonische Vorabinformation
durch die werdende Mutter empfohlen, um dem Personal nach Möglichkeit Zeit zur Vorbereitung
zu geben [10 ].
Peripartale Betreuung
Für die Beurteilung der Schwangeren und des Fetus im Rahmen der peripartalen Betreuung
gelten zunächst die gleichen Prämissen wie für nicht betroffene Patientinnen. Die
Beurteilung der Schwere der COVID-19-Symptome sollte gleichwohl in einem multidisziplinären
Teamansatz erfolgen und die potenziell zur Geburt benötigten Disziplinen (OP-Team,
Kinderärzte, Anästhesisten und dazugehörige Pflegekräfte) informiert werden.
Merke
Essenziell zu erhebende Vitalzeichen sind Temperatur, Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung.
Mitunter wird angesichts der vergleichsweise hohen Rate auffälliger Kardiotokogramme
[9 ], [16 ] eine kontinuierliche elektronische Überwachung (CTG) des Fetus während der Geburt
empfohlen [10 ]. Die Anzahl der Mitarbeiter, die den Raum (Isolationsraum, nach Möglichkeit mit
Unterdruck) betreten, sollte minimiert werden.
Vergleichbar zu anderen Szenarien sollten auch im geburtshilflichen Kontext asymptomatische
Begleitpersonen als möglicherweise infiziert erachtet werden und sollten daher, wie
die Patientin, einen Mund-Nasen-Schutz tragen sowie die vorgeschriebene Händehygiene
einhalten. Bei bereits eingetretener Symptomatik wird vielfach empfohlen, dass der
betroffene Geburtspartner in Selbstisolation verbleibt und ggf. ein alternativer (symptomfreier)
Geburtspartner zugegen ist [10 ].
Geburtsmodus
Zwar gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Geburtsmodus einem anderen
vorgezogen werden sollte, und z. B. das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists
(RCOG) konstatiert, dass „[…] die Geburtsart mit der Frau unter Berücksichtigung ihrer
Präferenzen und geburtshilflicher Indikationen für eine Intervention besprochen werden
[sollte]“. Doch sämtliche bislang existierende Empfehlungen betonen, dass tunlichst
eine Schnittentbindung unter zeitlichem Druck vermieden werden sollte. Das RCOG führt
weiter aus: „Die Art der Geburt sollte nicht durch das Vorhandensein einer SARS-CoV-2-Infektion
bzw. von COVID-19 beeinflusst werden, es sei denn, der Atemzustand der Frau erfordert
eine dringende Entbindung“.
Einschränkend hierzu ist anzumerken, dass je nach betrachteter Kohorte eine Vielzahl
an Geburten aus dem chinesischen Erfahrungsbereich per Sectio erfolgt sind. Dies kann
kulturellen Unterschieden geschuldet sein. Möglicherweise ist es aber auch dadurch
bedingt, dass durch eine frühzeitige Indikationsstellung zur Sectio Notfallinterventionen
vermieden und durch die deshalb bessere Planbarkeit Manipulationen am Atemweg, als
mutmaßlich gefahrenträchtigste Tätigkeit, reduziert werden konnten. In einem rezenten
Editorial wird hierzu ausgeführt: „Mode of delivery is mainly determined by obstetric
indications. Careful consideration should be given in regards to choice of anesthesia.“
Zur vaginalen Entbindung wird geschlussfolgert: „As the of evidence for vaginal shedding
of virus and vertical transmission is lacking, vaginal delivery may be considered
in stable patients.“ [24 ].
Merke
Eine Schnittentbindung unter zeitlichem Druck bzw. in Allgemeinanästhesie sollte tunlichst
vermieden werden.
Peripartale Analgesie
Eine Infektion mit Coronaviren schließt eine epidurale oder spinale Analgesie oder
Anästhesie keinesfalls aus. Im Gegenteil:
Merke
Mehrere Statements kommen zu dem Schluss, dass eine epidurale Analgesie den Frauen
mit Verdacht auf bzw. bestätigter SARS-CoV-2-Infektion dezidiert frühzeitig empfohlen
werden sollte, um die Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie und somit einer gefährlichen
Aerosolbildung im Rahmen einer sekundären Sectio zu minimieren, wenn eine dringende
Entbindung erforderlich ist.
Auch wenn z. B. das RCOG verlautbaren lässt, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass
die Verwendung von Lachgas ein aerosolerzeugendes Verfahren ist: Basierend auf den
Überlegungen zur frühzeitigen Initiierung einer Epiduralanalgesie darf rückgeschlossen
werden, dass Maßnahmen, die eine Analgesieform herauszögern, die im Bedarfsfall auch
hin zu einer Anästhesie konvertiert werden kann, eher unterbleiben sollten. Das Festhalten
an der Möglichkeit der Lachgasanalgesie mag zuvorderst dem Umstand geschuldet sein,
dass z. B. in Großbritannien anderenfalls keine ausreichende Analgesie flächendeckend
zur Verfügung steht.
In vielen Foren wird darauf hingewiesen, dass spezielle Masken für eine gesicherte
Atmung bzw. Rückatmung notwendig sind. Die Verwendung von Lachgas zur geburtshilflichen
Analgesie geht nach Ansicht der Autoren unweigerlich mit einer vermehrten Aerosolbildung
einher. Auch wenn die Verwendung spezieller Rückatmungsmasken diese Gefahr minimieren
kann, sollte diese Analgesieform sehr zurückhaltend eingesetzt werden, um eine wirksame
Analgesie, die im Bedarfsfall eine Allgemeinanästhesie zu vermeiden hilft, nicht zu
verzögern.
Entscheidung zur Durchführung einer Schnittentbindung
Entscheidung zur Durchführung einer Schnittentbindung
Auch bei der Schnittentbindung einer SARS-CoV-2-positiven Patientin ist das Anlegen
einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) unabdingbar. Dies gilt uneingeschränkt auch
für die Notsectio (international: Kategorie-1-Sectio). Dieser Umstand trägt maßgeblich
zum Entscheidungs-Entbindungs-Intervall (E-E-Zeit) bei und muss bei der Entscheidung
zur Sectio berücksichtigt werden.
Merke
Der Schutz des Personals hat in jedem Fall Vorrang [10 ], und es ist durchaus möglich, dass im Einzelfall die vorgegebene Entscheidungs-Entbindungs-Zeit
unter diesen Umständen nicht eingehalten werden kann. Eine Vorabinformation der werdenden
Eltern zum erforderlichen Vorgehen scheint sinnvoll, um hierfür Verständnis hervorzurufen.
Risikobehaftete Prozeduren
Risikobehaftete Prozeduren
Als risikobehaftetes Verfahren für eine Aerosolbildung gelten insbesondere die Intubation
und Extubation im Rahmen einer Allgemeinanästhesie, z. B. für einen Kaiserschnitt
oder eine instrumentelle Nachräumung. Die Durchführung einer Regionalanästhesie (Spinal-,
Epidural- oder kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie [CSE]) gilt hingegen nicht als
aerosolerzeugendes Verfahren.
Merke
Die erhöhte Aerosolbildung im Rahmen von Intubation und Extubation erhöht das Risiko
einer Übertragung des Coronavirus auf das anwesende Personal nochmals.
Das Tragen einer PSA ist daher unabdingbar, um vor Tröpfcheninfektionen zu schützen.
Bei Tätigkeiten mit ausgeprägter Aerosolfreisetzung wird folgende Form der Schutzausrüstung
empfohlen [25 ]:
eine Haube
(lange) Handschuhe
flüssigkeitsdichte Schürze
eine flüssigkeitsbeständige Operationsmaske der Schutzklasse FFP3 (FFP = Filtering
Face Piece)
Vollsicht-Schutzbrille oder Face Shield
Atemschutzmasken der Schutzklasse FFP3 bieten den größtmöglichen Schutz vor Atemluftbelastung.
Mit einer Gesamtleckage von max. 5% und einem erforderlichen Schutz von mind. 99%
vor Partikeln bis zu einer Größe von 0,6 µm sind sie dazu in der Lage, giftige, krebserregende
und radioaktive Partikel zu filtern. Sie sind einsetzbar in Arbeitsumgebungen, in
denen der Arbeitsplatzgrenzwert bis zum 30-Fachen des branchenspezifischen Wertes
überschritten wird. Verfügbar sind FFP3-Masken mit Ventil. Sofern keine Filterung
der Ausatmungsluft erzielt wird, sind sie im OP ungeeignet. Ferner gibt es FFP3-Masken
mit Spezialfilter, die bezüglich Ausatmung im OP geeignet sind (der Spezialfilter
ist zusätzlich exspiratorisch geschützt).
Merke
Für die normale Tätigkeit im Kreißsaal wird eine situationsangepasste PSA empfohlen,
um vor Tröpfcheninfektion zu schützen (Handschuhe, Schürze, flüssigkeitsbeständige
Operationsmaske mit Visier zum Schutz der Augen), nicht jedoch ein spezieller Schutz
vor Aerosolinhalation per FFP3-Maske.
Um das Risiko einer erforderlichen Konversion von epiduraler Analgesie hin zu einer
Allgemeinanästhesie gering zu halten, gilt umso mehr, dass die geburtshilfliche Epiduralanalgesie
sicher funktionieren sollte. Daher ist eine konsequente regelmäßige Kontrolle, ggf.
eine Neuanlage, erforderlich. Besteht ein erhöhtes Risiko für die Konversion zur Allgemeinanästhesie,
wird mitunter empfohlen, dass das gesamte OP-Team eine vollständige PSA, einschließlich
einer FFP3-Maske, anlegt.
Merke
Die Betreuung einer Schnittentbindung mit Regionalanästhesie (Spinalanästhesie oder
andere neuraxiale Verfahren) gilt nicht als risikobehaftete Intervention – zumal die
Patientin während der Sectio weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz tragen kann und soll.
Insofern ist, insbesondere bei erhöhtem Risiko für eine verlängerte operative Prozedur,
eine kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie zu erwägen, um die Vorteile beider Verfahren
zu vereinen (schnelle Anschlagzeit durch die Spinalanästhesie und Möglichkeit des
Top-ups per Epiduralkatheter).
Die Empfehlungen zur Induktion, Durchführung bzw. Extubation im Rahmen einer Allgemeinanästhesie
unterscheiden sich grundsätzlich nicht von den Empfehlungen aus dem nicht geburtshilflichen
Kontext [26 ], [27 ], [28 ]. Sie umfassen u. a.:
das Anlegen einer persönlichen Schutzausrüstung
einen möglichst erfahrenen Anästhesisten zur Durchführung der Intubation
besondere Vorkehrungen bei der Präoxygenierung (Flussbegrenzung)
die Verwendung geschlossener Absaugsysteme
die primäre Verwendung videolaryngoskopischer Verfahren zur Erfolgssteigerung beim
ersten Versuch sowie zur Abstandsvergrößerung
In einer Infografik sind die wesentlichen Aspekte nochmals kursorisch zusammengefasst
([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Zusammenfassung wesentlicher Merkmale und Überlegungen vor Intubation SARS-CoV-2-positiver
Patienten.
Seitens der Obstetric Anaesthesia Association (OAA) wurden Infografiken zusammengestellt,
die für die mutmaßlich häufigsten Szenarien (Analgesie, Sectio in Regionalanästhesie,
Sectio in Allgemeinanästhesie) sowie in Bezug auf allgemeine Überlegungen Denkanstöße
bzw. Informationen in Hinblick auf ein Team-Briefing geben können [29 ]. Die darin enthaltenen Informationen sind in [Tab. 1 ] zusammengefasst.
Tab. 1 Allgemeine Erwägungen zur geburtshilflichen Analgesie und Anästhesie sowie zur Betreuung
von COVID-19-Patientinnen. Basierend auf Infografiken der Obstetric Anaesthesia Association
(OAA) [29 ].
Szenario
Überlegungen/Ratschläge
Analgesie
Es gibt keine Hinweise dafür, dass eine epidurale oder spinale Analgesie oder Anästhesie
bei Vorhandensein von Coronaviren kontraindiziert ist.
Es gelten die üblichen Kontraindikationen für eine rückenmarksnahe Anästhesie.
Frauen mit vermuteter/bestätigter SARS-CoV-2-Infektion sollte frühzeitig eine epidurale
Analgesie empfohlen werden, um die Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie zu minimieren,
sollte eine dringliche Entbindung erforderlich sein.
Etwa ein Drittel der Patientinnen in einer Fallstudie aus Wuhan entwickelte eine Thrombozytopenie
(Thrombozyten < 150 000/µl).
Daher scheint es ratsam, die Bestimmung der Thrombozytenzahl vor Anlage oder Entfernung
eines Epiduralkatheters bzw. die Durchführung einer Spinalanästhesie liberaler als
sonst zu handhaben (bei unauffälliger Gerinnungsanamnese wird derzeit die Bestimmung
der Thrombozytenzahl bzw. die Durchführung von Gerinnungstests nicht empfohlen).
Sectio allgemein
Führen Sie nach Möglichkeit eine Epidural- und Spinalanästhesie (bzw. eine kombinierte
Spinal-Epidural-Anästhesie [CSE]) durch.
Vermeiden Sie nach Möglichkeit eine Allgemeinanästhesie, es sei denn, diese ist zwingend
erforderlich.
Das Anlegen persönlicher Schutzausrüstung (PSA) ist obligat (Eigenschutz hat Priorität).
Ein Einfluss auf die Entschluss-Entbindung-Zeit bei Kategorie-1-Sectios, unabhängig
von der verwendeten Anästhesietechnik, ist sehr wahrscheinlich.
Die werdenden Mütter und deren Familien sollten über diese mögliche Verzögerung informiert
werden.
Sectio in Allgemeinanästhesie
Die noch umfangreichere PSA bei aerosolgenerierenden Maßnahmen (AGP) erschwert die
Kommunikation: Es sollte eine Intubationscheckliste zur Anwendung kommen und an eine
Closed-Loop-Kommunikation gedacht werden.
Durchführung der Rapid Sequence Induction (RSI), ggf. gemäß Modifikation zur Vermeidung
einer unnötigen Aerosolbildung.
Stellen Sie sicher, dass die Maske während der Präoxygenierung dicht sitzt, um Aerosolbildung
zu vermeiden. Verwenden Sie keinen High-Flow Nasal Oxygen (HFNO) für die Präoygenierung
bzw. apnoeische Oxygenierung.
Die Intubation sollte mittels Videolaryngoskopie vom erfahrensten Anästhesisten, der
in der Situation verfügbar ist, durchgeführt werden.
Bei schwierigem Atemweg sind als „Plan B“ supraglottische Atemwegshilfen der 2. Generation
zu wählen und ggf. als „Plan C“ der chirurgische Atemweg zu erwägen.
Eine Kontamination der Hände des intubierenden Anästhesisten durch Atemwegssekrete
ist wahrscheinlich.
Achten Sie deshalb darauf, ein zweites Paar Handschuhe zu tragen, und entfernen Sie
das zweite Paar, sobald der Endotrachealtubus gesichert ist.
Kontrollieren Sie die Lage des Tubus nicht mittels Auskultation, sondern ausschließlich
durch das Vorhandensein einer typischen CO2 -Kurve bzw. zusätzlich durch eine symmetrische Thoraxexkursion.
Bei der Extubation besteht ein hohes Risiko für Aerosolbildung. Vermeiden Sie Husten
und minimieren Sie die Anzahl der Personen im Raum.
allgemeine Vorbereitungen zur Patientenbetreuung
Prüfen Sie die Transportmöglichkeiten für verschiedene Szenarien im Fall einer erforderlichen
Notsectio, z. B. vom Kreißsaal zum OP.
Trainieren Sie das An- und Ausziehen der PSA.
Führen Sie Simulationstrainings durch.
Das Personal sollte sich mit hauseigenen Protokollen, basierend auf nationalen Empfehlungen,
vertraut machen.
Übung und Simulation
Neben entsprechenden schriftlichen Anweisungen und dem Ansehen von Videomaterial im
Rahmen der Schulung kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass auch eine
individuelle Schulung hilfreich ist. Nicht zuletzt besteht grundsätzlich im Rahmen
der In-situ-Simulation die Möglichkeit, auch komplexere Szenarien unter den erschwerten
Bedingungen der interprofessionellen und interdisziplinären Zusammenarbeit zu trainieren.
Hierbei ist jedoch die limitierte Verfügbarkeit von Schutzausrüstung zu beachten und
eine Nutzen-Risiko-Abwägung zu treffen.
Dokumentation
Aus Sicht der möglichen Nachverfolgung von Personen mit Kontakt zu SARS-CoV-2-positiven
Patienten wird mitunter angeregt, neben dem involvierten Personal, das bereits im
Rahmen der Anästhesiedokumentation notiert ist, auch jenen Personenkreis zu dokumentieren,
der im Raum anwesend ist bzw. war.
Diagnostik
Die Indikation zur Durchführung von Röntgenuntersuchungen oder CT (z. B. CT-Thorax)
sollte wie bei nicht schwangeren Erwachsenen gestellt werden. Dies gilt insbesondere
für CT-Thorax-Untersuchungen für den Fall einer bereits präpartal bestehenden respiratorischen
Insuffizienz und folgt dem Primat, dass das Wohlergehen der Mutter erste Priorität
genießt und indirekt ein Garant für das Wohlergehen des Fetus ist. Radiologische Untersuchungen
sollten nicht aufgrund fetaler Bedenken verzögert werden, so die überwiegende Meinung
im Rahmen bestehender Statements [2 ], [30 ], [31 ]. Naturgemäß kommt der Abschirmung des Fetus wie bei der Anwendung ionisierender
Strahlen bei anderen Schwangeren ein hoher Stellenwert zu. Gleichwohl sollten, wo
immer dies möglich ist, alternative diagnostische Maßnahmen genutzt werden, um die
Anwendung ionisierender Strahlung zu vermeiden.
Postpartale Analgesie
Für große Verunsicherung hatte ein WHO-Statement gesorgt, wonach Ibuprofen eine COVID-19-Erkrankung
komplizieren könnte [32 ]. Zunächst hatte die WHO geraten, in der Selbstmedikation eher Paracetamol als Ibuprofen
einzusetzen. Die WHO und die European Medicines Agency (EMA) waren sich dieser Tage
jedoch einig, dass es keine neuen Beweise für eine erhöhte Sterblichkeit unter Ibuprofen
gibt [32 ]. Die EMA annoncierte am 18.03.2020 auf ihrer Website: „There is currently no scientific
evidence establishing a link between ibuprofen and worsening of COVID 19“ [33 ].
Für die anderen typischerweise im Rahmen der postpartalen Analgesie eingesetzten Interventionen
gab es bislang keine Erkenntnisse, die der bisherigen Praxis entgegenstünden. Insofern
gelten die in anderem Kontext grundlegenden Prinzipien der Pharmakotherapie von Schwangeren
und Stillenden.
Weitere Informationsressourcen
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. [34 ]
Royal College of Obstetricians and Gynaecologists [35 ]
World Federation of Societies of Anesthesiologists [36 ]
Centers for Disease Control and Prevention [37 ]
Obstetric Anaesthetistsʼ Association [29 ], [38 ]
Zusammenfassung
In Bezug auf die geburtshilfliche Anästhesie gelten zunächst die allgemein gültigen
Kriterien, die in Leitlinien und unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Evidenz
auch für SARS-CoV-2-negative Patientinnen Gültigkeit besitzen. Das Primat einer an
der geburtshilflichen Problemkonstellation orientierten Therapie und die geburtshilflich-anästhesiologischen
Versorgungsprinzipien behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Gleichwohl ergeben sich
durch die besonderen Vorgaben seitens der Hygiene bzw. des Infektionsschutzes besondere
Umstände, die bei der Versorgung schwangerer Patientinnen unter anästhesiologischem
Blickwinkel berücksichtigt werden sollten. Diese betreffen sowohl medizinische Fragen
(z. B. Vorgehen bei Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie), in besonderem Maße aber
auch Fragen der Logistik im Hinblick auf eine räumliche Separierung, die Personalvorhaltung
und materielle Ressourcen. Angesichts der Dynamik in der Entwicklung zu COVID-19 sowie
der darauf bezogenen Publikationen und Stellungnahmen wird explizit darauf hingewiesen,
dass in Bezug auf die angegebenen Quellen stets der aktuelle Informationsstand zu
berücksichtigen ist.
Kernaussagen
Eine Infektion mit Coronaviren schließt eine epidurale oder spinale Analgesie oder
Anästhesie nicht aus.
Frauen mit Verdacht auf bzw. bestätigter SARS-CoV-2-Infektion sollte frühzeitig ein
Epiduralanalgesie empfohlen werden, um die Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie
im Falle einer sekundären Sectio zu minimieren.
Zur Sectio sind Epidural- und Spinalanästhesie (bzw. eine kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie
[CSE]) zu bevorzugen.
Das Anlegen einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) ist obligat. Eigenschutz hat
Priorität.
Das Anlegen der PSA hat unabhängig von der Anästhesietechnik Einfluss auf die Entschluss-Entbindungs-Zeit.
Über diese mögliche Verzögerung sollten die werdenden Mütter und deren Familie informiert
werden.
Intubation und Extubation im Rahmen einer Allgemeinanästhesie sind aufgrund der erhöhten
Aerosolbildung besonders risikobehaftete Verfahren.
Die Intubation sollte mittels Videolaryngoskopie vom erfahrensten Anästhesisten, der
in der Situation verfügbar ist, durchgeführt werden. Bei der Extubation sollte Husten
vermieden und die Anzahl an Personal im Raum minimiert werden.
Prüfen Sie die Transportmöglichkeiten für verschiedene Szenarien im Fall einer erforderlichen
Notsectio, z. B. vom Kreißsaal zum OP.
Simulationstrainings können helfen, verschiedene Szenarien unter den erschwerten Bedingungen
zu trainieren.