Aktuelle Dermatologie 2020; 46(05): 220-222
DOI: 10.1055/a-1139-6351
Kasuistik

Erfolgreiche Therapie einer Alopecia areata partim universalis mit Tofacitinib

Successful Treatment of an Alopecia areata partim universalis Case with Tofacitinib
M. Chapsa
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
,
M. Kuske
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
,
R. Aschoff
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Alopecia areata ist eine T-Zell-vermittelte, nicht vernarbende Alopezie, die einen großen Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hat. Derzeit gibt es keine zugelassene Therapie, die eine dauerhafte Remission induziert. Kürzlich hat sich der JAK-STAT-Signalweg als mögliches therapeutisches Ziel herausgestellt, und die Ergebnisse der klinischen Studien mit oralen JAK-Inhibitoren (JAKis) zeigten sich vielversprechend. Wir berichten über einen 29-jährigen Patienten mit Alopecia areata partim universalis, der nach Versagen bisheriger Therapien probatorisch mit dem JAKi Tofacitinib behandelt wurde, worunter es zu einer anhaltenden Remission kam.


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Abstract

Alopecia areata is a T-cell-mediated, non-scarring alopecia that has a major impact on patients' quality of life. There is currently no approved therapy that induces permanent remission of the disease. Recently, the JAK-STAT signaling pathway has emerged as a potential therapeutic target and the results of clinical studies with oral JAK inhibitors have shown promising results. We report on a 29-year-old patient with alopecia areata partim universalis who was treated with the JAKi tofacitinib after failure of other treatments, leading to remission of the disease.


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Einleitung

Alopecia areata (AA) ist eine chronische, immunvermittelte Krankheit, die durch kreisrunde Areale von nicht vernarbender Alopezie am Kapillitium und/oder am Körper gekennzeichnet ist. Der Beginn der Erkrankung ist häufig abrupt und verursacht erhebliche psychische Belastungen [1]. Das Lebenszeitrisiko für das Auftreten der AA liegt bei etwa 2 %, ohne signifikante Inzidenzunterschiede zwischen den Geschlechtern oder ethnische Hintergründe [2].

Die Prognose der AA ist unvorhersehbar. I. d. R. ist die Erkrankung nach Wochen bis Monaten spontan reversibel. Häufig sind nachwachsende Haare depigmentiert. Der zeitliche Verlauf der AA ist jedoch zumeist chronisch und geht mit Schüben und Remissionen einher. Schübe können innerhalb weniger Tage zu großflächigem Befall bis hin zum vollständigen Verlust der Kopfhaare (Alopecia totalis) oder aller Körperhaare (Alopecia universalis) führen [1] [3].

Obwohl die genaue Ätiologie der AA nicht bekannt ist, scheinen Immunmechanismen und genetische Veranlagung eine wichtige Rolle in der Pathogenese zu spielen.

Derzeit gibt es keine Therapien für AA, die ein konsistentes und dauerhaftes Ansprechen zeigen [4]. Kürzlich erwies sich der JAK-STAT-Signalweg als Haupttreiber der Krankheitspathogenese, was die Rationale für klinische Studien mit JAK-Inhibitoren (JAKis) zur Behandlung von AA darstellte.


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Kasuistik

Anamnese und Ausgangsbefund

Wir berichten über einen 29-jährigen Patienten mit bekannter Alopecia partim universalis seit 11 Jahren. Therapeutisch erhielt er in den ersten Jahren neben einer Lokaltherapie mit topischen Steroiden mehrere Prednisolon-Puls-Therapien, intraläsionale Steroidinjektionen sowie eine Immuntherapie mit dem Kontaktallergen Diphenylcyclopropenon (DCP). Trotz dieser Therapieversuche kam es nach etwa 6-jähriger Behandlungszeit zu einem allmählichen Progress des Haarverlustes mit haarlosen Arealen am nahezu gesamten Kapillitium, Ausfall der gesamten Augenbrauen-Haare und Wimpern sowie teilweise der Behaarung an den Armen ([Abb. 1 a]). Aufgrund des sehr stigmatisierenden Befundes bestand bei dem Patienten ein hoher Leidensdruck.

Zoom Image
Abb. 1a Ausgangsbefund vor Beginn der Therapie. b Hautbefund 4 Monate nach Therapiebeginn mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib. c Hautbefund 5 Monate nach Therapiebeginn.

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Therapie und Verlauf

Nach weiteren 5 Jahren wurde nach ausführlicher Aufklärung und Ausschluss absoluter Kontraindikationen die probatorische Therapie mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib mit 5 mg 2-mal täglich begonnen. Bei der Verlaufskontrolle nach 2 Monaten zeigte sich bereits ein beginnendes Wiederwachstum der Haare an den Wimpern, Kapillitium, Augenbrauen sowie oberen und unteren Extremitäten. Klinisch und laborchemisch zeigten sich keine Nebenwirkungen im Rahmen der Tofacitinib-Therapie. Das Wiederwachstum war bei der nächsten Kontrolle 2 Monate später ([Abb. 1 b], [Abb. 1 c]) weiterhin zunehmend. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Antrag auf Kostenübernahme von der Krankenkasse abgelehnt, sodass der Patient die Therapie absetzen musste. Bei der Verlaufskontrolle nach 5 Wochen zeigte sich ein stabiler Befund und kein weiterer Haarausfall.


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Diskussion

AA ist eine häufige Autoimmunerkrankung, deren Ätiologie ungenügend charakterisiert ist. Aktuelle medizinische Therapien für AA sind nicht zuverlässig wirksam, insbesondere bei schweren Fällen [5]. Neue Fortschritte beim Verständnis der Pathogenese der Erkrankung ergaben die JAK-Inhibitoren als vielversprechende Therapie [6].

Pathogenetisch verlieren die betroffenen Haarfollikel ihr „Immunprivileg“ und exprimieren im Gegensatz zu den gesunden Haarfollikeln vermehrt Oberflächenmoleküle der MHC- und ICAM-Klasse. Hierdurch wird die Präsentation von Haarfollikelantigenen möglich. Der Nachweis dieser Autoantigene und der Nachweis von CD4- und CD8-Lymphozyten spricht für eine T-Zell-vermittelte Autoimmunpathogenese [7]. Bei einem Mausmodell von AA zeigte sich, dass die natural killer gene 2D-exprimierenden (NKG2D+) CD8+-T-Zellen eine zentrale Rolle in der AA-Pathogenese spielen, indem sie die Hochregulation von Interleukin-15 in den Haarfollikeln und letztendlich die Produktion von Interferon-γ verursachen, das auf den Haarfollikel zum Angriff abzielt [7]. Als bekannte nachgeschaltete Regulatoren von Interferon-γ und Interleukin-15 kommen daraufhin die JAKis als AA-Therapieansätze infrage.

Mehrere veröffentlichte Fallberichte haben außergewöhnliche Ergebnisse der oralen JAKis Tofacitinib und Ruxolitinib gezeigt. In Bezug auf Tofacitinib handelt es sich um einen JAK1-, JAK2- und JAK3-Inhibitor mit einer stärkeren Wirkung gegen JAK3. Es ist das erste zugelassene Medikament in der JAKi-Familie. In einer einarmigen Label-Studie mit 66 AA-Patienten lag die Ansprechrate auf Tofacitinib bei 64 % nach 3 Monaten [8] und in einer retrospektiven Studie mit 90 Patienten bei 77 % [9]. Kleinere Studien mit Ruxolitinib hatten auch ähnliche zufriedenstellende Ergebnisse [10]. Im Gegensatz zu der oralen Anwendung zeigte sich die Lokaltherapie mit JAKis nicht vergleichsweise erfolgreich [11]. Die JAKis werden i. d. R. gut vertragen und sind mit milden Nebenwirkungen verbunden (Infektionen, Dyslipidämie und Blutbild-Veränderungen) [11] [12]. Schwere Nebenwirkungen der JAKis wie thromboembolische Episoden sind in Studien mit Rheuma-Patienten beschrieben, diese könnten jedoch auf die Grunderkrankung selbst und ihre Komorbiditäten zurückzuführen sein [13].

Es ist jedoch zu beachten, dass die o. g. Ergebnisse auf Fallberichten oder unkontrollierten klinischen Studien basieren und daraufhin erheblich verzerrt sein können. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass es bei den meisten Patienten, die auf die JAKis angesprochen haben, zu einem Rezidiv nach dem Absetzten der Therapie kam [11]. Die Medianzeit bis zum Rezidiv betrug 8,5 Wochen nach Beendigung der Therapie [8]. Weitere Arzneimittelentwicklungen sind erforderlich, um die Wirksamkeit und die langfristige Sicherheit zu verbessern.

Bis weitere Beweise vorliegen, sollte die Off-Label-Therapie mit JAKis nur bei AA-Patienten mit schwer eingeschränkter Lebensqualität, die kein Ansprechen auf die bisherigen Therapien zeigten, in Betracht gezogen werden.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Pratt CH, King LE, Messenger AG. et al. Alopecia areata. Nat Rev Dis Primers 2017; 3: 17011
  • 2 Mirzoyev SA, Schrum AG, Davis MDP. et al. Lifetime incidence risk of alopecia areata estimated at 2.1 % by Rochester Epidemiology Project, 1990-2009. J Invest Dermatol 2014; 134: 1141-1142
  • 3 Simakou T, Butcher JP, Reid S. et al. Alopecia areata: A multifactorial autoimmune condition. J Autoimmun 2019; 98: 74-85
  • 4 Messenger AG, McKillop J, Farrant P. et al. British Association of Dermatologists’ guidelines for the management of alopecia areata 2012. Br J Dermatol 2012; 166: 916-926
  • 5 Delamere FM, Sladden MM, Dobbins HM. et al. Interventions for alopecia areata. Cochrane Database Syst Rev 2008; 16: CD004413
  • 6 Xing L, Dai Z, Jabbari A. et al. Alopecia areata is driven by cytotoxic T lymphocytes and is reversed by JAK inhibition. Nat Med 2014; 20: 1043-1049
  • 7 Guo H, Cheng Y, Shapiro J. et al. The Role of Lymphocytes in the Development and Treatment of Alopecia Areata. Expert Rev Clin Immunol 2015; 11: 1335-1351
  • 8 Kennedy Crispin M, Ko JM, Craiglow BG. et al. Safety and efficacy of the JAK inhibitor tofacitinib citrate in patients with alopecia areata. JCI Insight 2016; 1: e89776
  • 9 Liu LY, Craiglow BG, Dai F. et al. Tofacitinib for the treatment of severe alopecia areata and variants: A study of 90 patients. J Am Acad Dermatol 2017; 76: 22-28
  • 10 Mackay-Wiggan J, Jabbari A, Nguyen N. et al. Oral ruxolitinib induces hair regrowth in patients with moderate-to-severe alopecia areata. JCI Insight 2016; 1: e89790
  • 11 de Oliveira AB, Alpalhão M, Filipe P. et al. The role of Janus kinase inhibitors in the treatment of alopecia areata: A systematic review. Dermatologic Therapy 2019; 32: e13053
  • 12 Pérez-Jeldres T, Tyler CJ, Boyer JD. et al. Targeting Cytokine Signaling and Lymphocyte Traffic via Small Molecules in Inflammatory Bowel Disease: JAK Inhibitors and S1PR Agonists. Front Pharmacol 2019; 10: 212 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphar.2019.00212/full#B52
  • 13 Scott IC, Hider SL, Scott DL. Thromboembolism with Janus Kinase (JAK) Inhibitors for Rheumatoid Arthritis: How Real is the Risk?. Drug Saf 2018; 41: 645-653

Korrespondenzadresse

Maria Chapsa
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
Fetscherstr. 74
01309 Dresden

Publication History

Article published online:
11 May 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

  • Literatur

  • 1 Pratt CH, King LE, Messenger AG. et al. Alopecia areata. Nat Rev Dis Primers 2017; 3: 17011
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  • 13 Scott IC, Hider SL, Scott DL. Thromboembolism with Janus Kinase (JAK) Inhibitors for Rheumatoid Arthritis: How Real is the Risk?. Drug Saf 2018; 41: 645-653

Zoom Image
Abb. 1a Ausgangsbefund vor Beginn der Therapie. b Hautbefund 4 Monate nach Therapiebeginn mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib. c Hautbefund 5 Monate nach Therapiebeginn.