Patienten gehen bei stabilem Erkrankungszustand in der Regel vierteljährlich zu einer
ärztlichen Routineuntersuchung. Dabei erfasst der Arzt den Gesundheitszustand des
Patienten punktuell an diesem Tag. Zwischen diesen Terminen kann der Zustand des Patienten
stark schwanken. Was dazu geführt hat, lässt sich zum Zeitpunkt des Arztbesuches jedoch
kaum ermitteln.
Eine telemedizinische Versorgung kann die Lücken zwischen isolierten Untersuchungen
überbrücken und so den beschriebenen Straßenlampeneffekt überwinden [1].
Verschiedene Mittel im Einsatz
Verschiedene Mittel im Einsatz
Telemedizin steht als Sammelbegriff für unterschiedliche Versorgungsleistungen, die
aus räumlicher Entfernung erfolgen. Dabei kommen digitale oder telemetrische Mittel
zum Einsatz. Eine telemedizinische Versorgung ist immer in Ergänzung zur Regelversorgung
zu verstehen und kann diese nicht ersetzen.
Tele-Coaching beispielsweise führt in der Regel medizinisches Fachpersonal wie Kranken-
und Pflegepersonen, Therapeuten oder Diätassistenten durch. Sie wurden zusätzlich
zu ihrer medizinischen Ausbildung auch in Kommunikationstrainings zu Patientenmotivation
oder Therapieadhärenz-Steigerung geschult. Ziel des Tele-Coachings ist es, die Person
über ihr Erkrankungsbild aufzuklären, sie in ihrer individuellen Erkrankungssituation
zu begleiten und in kleinen Schritten bei der Einhaltung ihrer Therapie zu unterstützen.
Eine Ergänzung zur Regelversorgung
Eine Ergänzung zur Regelversorgung
Die telemedizinische Versorgung erfolgt je nach Indikation und Bedarf des Patienten.
So wird ein individuelles Tele-Coaching bei Patienten mit Herzinsuffizienz etwa durch
eine Telewaage ergänzt. Hierbei werden gemessene Gewichtswerte automatisch an ein
Medizinisches Servicecenter übertragen und ausgewertet. Mithilfe einer Schwellwertüberprüfung
können nötige Interventionen frühzeitig eingeleitet und durchgeführt werden.
Bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen wird derzeit erprobt, inwiefern man ein
digital gestütztes Coaching als Ergänzung zur Regelversorgung einsetzen kann. So erhält
der Betroffene zusätzlich zum Beispiel eine App, die mit für ihn ausgewählten Übungen
bestückt ist. Mithilfe von Rückensensoren oder der Kamera des Smartphones soll überprüft
werden, ob der Patient die Rückenübung korrekt und in ausreichender Frequenz durchführt.
Therapeuten, Orthopäden oder andere medizinische Berufe können so ihre Patienten auch
zwischen den Praxisterminen begleiten.
WWW
Depression und Burn-out
Thieme unterstützt während der Corona-Krise mit kostenloser Online-Hilfe bei Depression
und Burn-out:
bit.ly/Thieme_TeleCare
.
Ein Angebot für psychisch Erkrankte
Ein Angebot für psychisch Erkrankte
Chronische Rückenschmerzen stehen häufig in Verbindung mit psychischen Belastungen
wie Stress, Burn-out oder Depressionen. In der Versorgung von Patienten mit Depressionen
haben sich zusätzlich zur Regelversorgung und zum Tele-Coaching digitale Programme
etabliert. Ergänzend zum vertrauten und vertraulichen Arzt- bzw. Therapeut-Patienten-Verhältnis
begleiten Angebote wie das kostenfreie ProPerspektive.online von Thieme TeleCare.
Adhärenz bedeutet, dass Patient und Behandler die gemeinsam gesetzten Therapieziele
im Rahmen des Behandlungsprozesses einhalten.
ProPerspektive.online wurde in Zusammenarbeit mit dem National Digital Research Centre,
der University Hospital Mater und dem Trinity College Dublin unter dem Namen SilverCloud
entwickelt [2]. Die Inhalte des Programms basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie und sind
modular in Form eines Curriculums aufgebaut. Neben Multimediainhalten gibt es persönliche
aus dem Alltag gegriffene Geschichten, die den Betroffenen durch Methoden, Strategien
sowie „Notfallwerkzeuge“ in Alltagssituationen helfen.
Das Programm unterstützt Patienten dabei, die in der ambulanten oder stationären Therapie
gelernten Ansätze beizubehalten und nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen.
Sie haben die Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben und mit einem
psychologischen Tele-Coach zu teilen.
Grenzen der digitalen Versorgung
Grenzen der digitalen Versorgung
Die Wirksamkeit insbesondere bei rein digitalen Angeboten ist begrenzt, wenn man diese
unbegleitet und ohne persönliche Unterstützung anbietet. Hybride Patientenprogramme,
also Programme, in denen Patienten ein digitales Angebot kombiniert mit einer persönlichen
Begleitung erhalten, zeigen eine deutlich höhere Wirksamkeit im Vergleich zu rein
digitalen Lösungen [3]–[5]. Vorteile der persönlichen Begleitung sind, dass sie bei Bedarf eine zusätzliche
Stütze und Motivation darstellt. Bei Blockaden oder Schwierigkeiten kann ein Gesundheitscoach
direkt einschreiten und das Selbstvertrauen des Teilnehmers stärken.
Ausblick
Um herauszufinden, welchen ökonomischen Zusatznutzen eine digitale Intervention stiftet,
wenn sie zusammen mit einem persönlichen Tele-Coaching angeboten wird, setzt Thieme
TeleCare aktuell eine Studie mit der Universität Hohenheim um. Das Forschungsprojekt
untersucht die Hypothese, dass sowohl die Wirkung als auch die Akzeptanz eines kombinierten
Patientenprogramms aus persönlicher und digitaler Intervention höher ist als bei einem
rein persönlichen Tele-Coaching. Es wird erforscht, wie sich die Lebensqualität und
das psychische Wohlbefinden der Teilnehmer im Studienverlauf verändern.
Ergotherapeuten, die mit Personen arbeiten, die depressiv erkrankt sind, können ihren
Klienten das Programm ProPerspektive.online weiterempfehlen. Es bietet die Möglichkeit,
die Therapieangebote zu erweitern und den Patienten auch außerhalb der normalen Therapietermine
zu unterstützen.
Herausgeber Kommentar
Noch vor ein paar Wochen hatte ich vor, für Teletherapie im ergotherapeutischen Kontext
zu werben und zu zeigen, welche Möglichkeiten wir damit besäßen. Das Coronavirus hat
uns alle überrollt, und so kam das Thema Teletherapie schon viel eher in unseren Alltag.
Natürlich ersetzt sie keine ergotherapeutische Behandlung. Allerdings lassen sich
damit unsere Fähigkeiten des Coachings, des Beratens und Anleitens in der persönlichen
Lebenswelt der Klienten zielgerichtet umsetzen. Wer es ausprobiert, wird vielleicht
verblüfft feststellen, wie einfach manches realisiert werden kann. So nah kamen wir
einigen Klienten bisher nie. Einem Kind war es zum Beispiel wichtig, seine Lieblingsspielsachen
im Kinderzimmer zu finden. Durch die Teletherapie konnte ich mir in der ergotherapeutischen
Diagnostik und während der ersten Interventionen einen tollen Überblick über das Lebensumfeld
des Kindes und seiner Familie verschaffen. So haben wir gemeinsam kleine Veränderungen
im Kinderzimmer vornehmen und gleich testen können. Dies hat die Intervention postiv
beeinflusst!
Michael Schiewack