Zeitschrift für Phytotherapie 2020; 41(04): 201
DOI: 10.1055/a-1126-9276
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Aus der Forschung

Multisystematrophie: Studie mit EGCG zeigt lebertoxische Wirkung bei Dosen > 800 mg

 

Eine in „Lancet Neurology“ publizierte industrieunabhängige Studie zeigt, dass die in grünem Tee enthaltene Substanz Epigallocatechingallat (EGCG), ein sogenannter Oligomer-Modulator, – auch aufgrund von schweren Nebenwirkungen bei höheren Dosierungen – bei Patienten mit Multisystematrophie (MSA) keine ausreichende klinische Wirkung besitzt. Da sich jedoch eine signifikante Reduktion der Atrophie beteiligter Hirnregionen im MRT zeigte, sieht Studienautor Prof. Günter Höglinger das Therapieprinzip bestätigt. Nun sollen Studien mit verträglicheren Oligomer-Modulatoren folgen. Die MSA kann als Modellerkrankung für Synucleinopathien angesehen werden, zu denen auch Parkinson zählt.


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Levin J, Maaß S, Schuberth M et al. Safety and efficacy of epigallocatechin gallate in multiple system atrophy (PROMESA): a randomised, doubleblind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2019; 18: 724–735. doi:10.1016/S1474-4422(19) 30141–3

Die Multisystematrophie (MSA) ist eine sporadisch auftretende neurodegenerative Erkrankung des mittleren Erwachsenenalters, die klinisch durch die Kombination von autonomen Störungen mit Parkinsonsymptomatik oder zerebellärer Ataxie gekennzeichnet ist. Ähnlich wie die Parkinson-Krankheit ist die MSA in der Hirngewebeuntersuchung durch Ablagerungen von Aggregaten aus dem Eiweiß Alpha-Synuclein gekennzeichnet. Daher nennt man diese Krankheiten auch Synucleinopathien. Umfangreiche Daten legen nahe, dass eine toxische Wirkung dieser Aggregate eine wesentliche Rolle in der Krankheitsentstehung spielt. Da insbesondere kleine Proteinaggregate, sogenannte Oligomere, toxische Wirkung auf Nervenzellen haben, ergibt sich aus diesen Beobachtungen ein interessanter Ansatz zur Verlaufsmodifikation. Eine zumindest verlaufsmodifizierende Therapie wird dringend benötigt, da die genannten Krankheiten durch fortschreitenden Nervenzellverlust unweigerlich zur Pflegebedürftigkeit führen.

Epidemiologische Beobachtungen deuten auf eine mögliche präventive Wirkung von Teekonsum bezüglich des Risikos, an MSA zu erkranken. EGCG hemmt die Oligomerbildung von Alpha-Synuclein in vitro, was u. a. an der Ludwig-Maximilians Universität München in einer Kollaboration zwischen der Neuropathologie und der Neurologie untersucht wurde. In diesem Arbeitsprogramm wurden weitere speziell als Medikament geeignete Oligomer-Modulatoren entwickelt, z. B. die Substanz anle138b, welche eine exzellente Bioverfügbarkeit im Hirngewebe zeigt. Andere Wissenschaftler konnten zeigen, dass EGCG in verschiedenen Tiermodellen der Parkinson-Krankheit wirksam ist. Da EGCG in Europa als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen ist, war mit dieser Substanz die direkte Weiterentwicklung in Form einer translationalen industrieunabhängigen Studie zur Prüfung der Wirksamkeit am Menschen möglich.

12 Zentren involviert

Da die MSA eine sehr seltene Erkrankung ist, war die Studie nur mit einem Rekrutierungsnetzwerk aus 12 Zentren in ganz Deutschland durchführbar. Insgesamt 92 Patienten konnten so im Rahmen der Studie behandelt werden. In der Verumgruppe erhielten die Teilnehmer über 4 Wochen 400 mg / d EGCG, für weitere 4 Wochen 2 x 400 mg / d und dann für 40 Wochen 3 x 400 mg / d. Die Analyse der Studiendaten hat gezeigt, dass die Qualität der erhobenen Daten sehr gut ist und daher valide Schlussfolgerungen erlaubt, trotz hoher Drop-out-Rate.


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Ergebnisse

Eine signifikante Wirksamkeit von EGCG als verlaufsmodifizierendes Medikament bei MSA konnte die Studie nicht belegen. Daher kann auch die Einnahme der Wirksubstanz nicht pauschal empfohlen werden. Dies gilt insbesondere, da EGCG in den eingesetzten (hohen) Dosen bei 2 von initial 47 Patienten zu einer deutlichen Leberschädigung geführt hat. Dieses Ergebnis unterstreicht die vorher schon angenommene dosisabhängige hepatotoxische Wirkung von EGCG, in dem PROMESA-Datensatz bei Dosen > 800 mg / Tag.

INFO

Auch die EFSA bewertet eine EGCG-Dosis von 800 mg/Tag als Grenzwert. Er kann mit Nahrungsergänzungsmitteln erreicht werden, mit Grüntee-Aufgüssen über den Tag jedoch praktisch nicht. Geschätzt wird hieraus eine Aufnahmemenge an Gesamtcatechinen von 90–300 mg/Tag.

Trotz des negativen klinischen Endpunktes zeigte sich in einer Subgruppe der Patienten, die systematisch mittels Bildgebung untersucht wurde, eine signifikante Reduktion der Atrophie beteiligter Hirnregionen im MRT. Dieser Biomarker sollte also in zukünftigen Studien berücksichtigt werden.

MSA eignet sich gut, um möglicherweise verlaufsmodifizierende Medikamente auf ihre Wirksamkeit beim Menschen zu untersuchen. Daher kann die MSA als Modellerkrankung angesehen werden. Diese Studie hat wichtige Verlaufsdaten geliefert, um in Zukunft noch bessere Studien bei Patienten mit MSA durchführen zu können.

Laut Studienautor Günter Höglinger, TU München, erlauben die Daten der PROMESA-Studie trotz des formal negativen Studienergebnisses interessante Beobachtungen aus Subgruppen- und Biomarker-Analysen. „Diese Daten deuten darauf hin, dass der Wirkmechanismus von EGCG prinzipiell Erfolg versprechend ist, wenn Oligomer-Modulatoren eingesetzt werden, die ein günstigeres Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkung haben und höhere Wirkspiegel im Gehirn erreichen. Solche Substanzen gibt es bereits.

Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. 


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Publication History

Article published online:
01 September 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York