Schlüsselwörter
Manuelle Therapie - Schmerzedukation - Patientenedukation
Key words
manual therapy - pain education - patient education
Einleitung
Edukation (lat. educare: aufziehen, erziehen) als Intervention findet sich schon seit
längerem als wichtiger und anspruchsvoller Bereich in allen Gesundheitsberufen
[1]. Dies ist vor allem auch auf die Verlagerung des Schwerpunkts von einer Krankheits-
zu einer Gesundheitsorientierung und
die immer komplexeren Patientenprobleme zurückzuführen [2].
Patientenedukation beinhaltet mehr als nur die reine Vermittlung von Information,
sondern ist als eine geplante Lernerfahrung definiert [3]. Sie kombiniert verschiedene Methoden wie Lehre, Beratung, Coaching und Verhaltensänderung,
die das Wissen und Gesundheitsverhalten der Patienten und
deren Angehörigen beeinflussen. In der Physiotherapie findet die Patientenedukation
meist spontan, ungeplant und eingebettet in die Behandlung statt. Im
Durchschnitt wird 12,5 % der physiotherapeutischen Behandlungszeit für Edukation verwendet
[3].
Schmerzedukation
Das Hauptproblem von Patienten mit muskuloskelettalen Beschwerden sind oftmals Schmerzen.
Da sie sich unklare muskuloskelettale Schmerzen oft nicht erklären können,
suchen die Patienten dementsprechend nach möglichen Ursachen.
Schmerz umfasst eine komplexe und facettenreiche Wahrnehmungserfahrung, die einer
Erklärung bedarf. Die Schmerzerfahrung vereint folgende 3 Dimensionen: eine
sensorische (Intensität, Lokalisation), eine affektive (unangenehm) und eine kognitive
(evaluierende). Schmerzen sind mit motorischen, autonomen,
neuroimmunologischen und endokrinen Reaktionen gekoppelt und führen zu Verhaltensveränderungen.
Die meist sehr unangenehme Schmerzwahrnehmung hat eine wichtige
Warnfunktion. Sie ist der Grund, warum Patienten Hilfe suchen und ein schützendes
Verhalten einnehmen (affektiv-motiviertes Verhalten). Die besorgniserregenden
Schmerzen lösen oftmals Unsicherheit aus und veranlassen die Betroffenen, ihr Leben
zu verändern. Sie ziehen sich aus beruflichen und sozialen Aktivitäten und
Lebensfreuden zurück. Aus diesem Grund ist Schmerz als biopsychosoziales Phänomen
zu betrachten.
Fehlendes Wissen oder falsche Vorstellungen von Schmerzen können negative Überzeugungen
hervorrufen. Oft reduzieren sich die Vorstellungen darüber, warum etwas
schmerzt ausschließlich auf strukturelle Veränderungen (z. B. Diskusdegeneration).
Wie Patienten über ihre Schmerzen denken, stellt einen wichtigen vorhersagenden
Faktor für die empfundene Schmerzintensität und Chronifizierungstendenz dar [4]. Das Modell des Angst-Vermeidungs-Verhaltens
(Fear-Avoidance Model) von Vlaeyen und Linton [5], [6] bzw. Vlaeyen et al. [7] verdeutlicht die Zusammenhänge von Verletzung, Schmerzerfahrung, negativem Affekt
(negative Gefühle, Stimmung, Emotion) und der
damit einhergehenden Schmerzkatastrophisierung ([
Abb. 1
]). Funktioneller Nichtgebrauch, Depression und Behinderung können
Folgen des Angst-Vermeidungs-Verhaltens sein.
Abb. 1 Angst-Vermeidungs-Modell von Vlaeyen et al. [7]. (Quelle: J. Traxler; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe)
Schmerzedukation kann das Angst-Vermeidungs-Verhalten positiv beeinflussen [8]. Das Ziel der Schmerzedukation besteht darin, den
Patienten ein Verständnis über Schmerz, seine Funktion und seine biopsychosozialen
Zusammenhänge zu vermitteln. Aber Patienten benötigen nicht alle im gleichen
Ausmaß eine Aufklärung über das Phänomen Schmerz.
Lim et al. [9] kamen in ihrem systematischen Review mit 41 Studien zu dem Schluss, dass Patienten
mit lumbalen Rückenschmerzen (Low
back pain, LBP) individualisierte, klare und konsistente Informationen über ihre Diagnose,
Prognose und Behandlungsoptionen erwarten. Als wichtig empfanden die
Patienten auch die Aufklärungen über Selbstmanagement-Strategien für Alltagsaktivitäten
(Beruf, Freizeit) und zur Gesundheitsförderung. Schmerzedukation führt
jedoch nicht automatisch zu einer Verhaltensveränderung. Ob sie den Empfehlungen folgen
oder nicht, hängt vor allem von ihrem Selbstengagement und ihrem Verhältnis
zum Gesundheitsprovider ab [9].
Mangelhaftes Wissen und individuelle Glaubensansätze stellen wichtige beitragende
Faktoren des Angst-Vermeidungs-Verhaltens dar [10]. Gerade Patienten mit chronischen lumbalen Rückenschmerzen zeigen oftmals eine maladaptive
Ausprägung in diesem Bereich [11], [12]. Da nur wenige Patienten Schmerz als biopsychosoziale Empfindung erkennen, können
sie ihn nicht beeinflussen
und weisen daher eine schlechte Prognose auf.
Setchel et al. [13] analysierten in einer qualitativen Studie mit 130 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
deren
Glaubensansätze und unterteilten ihre Resultate in folgende 4 Hauptbereiche:
Der Körper als eine Maschine: Der Körper wird aus einer biomechanischen oder anatomischen
Sicht betrachtet. Wie eine Maschine kann er kaputt gehen und manchmal
repariert werden.
LBP tritt permanent auf und ist nicht veränderbar: Er wird als eine fixe Gegebenheit
konzeptualisiert. Wenn der Rücken einmal „kaputt“ ist, kann man ihn nicht mehr
„flicken“.
LBP ist komplex: Im Gegensatz zu den ersten beiden Punkten werden auch beitragende
psychosoziale und kulturelle Faktoren in Betracht gezogen. Für chronische
Schmerzen gibt es keine einfache Erklärung.
LBP ist negativ belegt: Er wird als abnormal, katastrophal konzeptualisiert oder als
sehr negative Erfahrung beschrieben. LBP sollte vermieden werden und/oder hat
einen großen Einfluss auf das Leben.
Internationale Leitlinien empfehlen Edukation als wichtigen Behandlungsansatz bei
persistierenden Rückenschmerzen, um eine Chronifizierung im Vorfeld zu verhindern
[14], [15]. Schmerzedukation im Rahmen der Manuellen Therapie wird bereits seit mehr als
15 Jahren angewendet. Den Grundstein dafür legten David Butler und Lorimer Moseley
mit ihrem Buch „Explain Pain“[16]. Dieses
Aufklärungskonzept hat sich seitdem ständig weiterentwickelt.
Viele unterschiedliche Aspekte der Schmerzedukation wurden mithilfe einer kritischen
klinischen Analyse und durch wissenschaftliche Ergebnisse relativiert bzw. neu
konzipiert und angepasst [17]. Neben den Patienten hat oftmals auch das im Gesundheitssystem arbeitende Fachpersonal
Mühe, die
komplexen Zusammenhänge von Schmerzen zu verstehen. Von den Ärzten bis zu den Physiotherapeuten
profitieren alle gleichermaßen von Edukationsmaßnahmen zum Thema
Schmerz und Schmerzmanagement.
Die International Association for the Study of Pain (IASP) unterstützt eine evidenzbasierte-individuell
zentrierte Schmerzedukation und entwickelte ein eigenes
Curriculum für die Physiotherapie in Bezug auf Schmerz [18]. Bislang findet dieses Curriculum noch zu wenig Beachtung in den
physiotherapeutischen Ausbildungen, sodass hier auch in Zukunft weiter Handlungsbedarf
besteht.
Evidenz zur Schmerzedukation
Die derzeit beste Evidenz für Behandlung von muskuloskelettalen Problemen unterstützt
die Schmerzedukation als einen Teil des biopsychosozialen Managements [15]. Schmerzedukation beeinflusst positiv die Schmerzintensität, Behinderung, Angst-Vermeidungs-Verhalten,
Katastrophisierung,
Funktionseinschränkungen und Schmerzverständnis sowie die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens
[19], [20].
Außerdem konnte gezeigt werden, dass Schmerzedukation einen positiven Beitrag zum
Management verschiedener, oftmals komplexer Schmerzprobleme wie Fibromyalgie [20], chronischem Rückenschmerz [21], chronischem Fatigue-Syndrom [22] und LWS-Operationen [23] leistet. Der systematische Review mit Metaanalyse von Watson et al. [8] über Pain Neuroscience Education (PNE) bestätigte, dass diese Intervention vor allem
die Kinesiophobie und Katastrophisierung
beeinflusst.
Schlussfolgerungen
Manualtherapeuten sind Spezialisten im Management von Patienten mit muskuloskelettalen
Problemen. Ein fundiertes Clinical Reasoning lenkt die bewusste Verwendung der
Schmerzedukation während der Behandlung. Dabei werden individuelle Lernbedürfnisse
und Lernfähigkeiten der Patienten berücksichtigt (patientenzentrierte
Schmerzedukation).
Wie bei manualtherapeutischen Techniken erfolgt eine Evaluierung der Edukation: Macht
der Patient die gewünschte Lernerfahrung und wenn nicht, warum? Diese Phase
wird oftmals vergessen oder zu wenig bewusst in den Edukationsprozess miteinbezogen.
Die Teach-Back-Methode hilft Erinnerungsfehler oder Gesundheitsüberzeugungen
aufzudecken und die gewünschten Gesundheitsbotschaften im Dialog anzupassen.
Die Patientenedukation hat den größten Effekt, wenn sie patientenzentriert stattfindet
[24]. So konnten Forbes et al. [25] mit ihrer RCT-Studie zeigen, dass sich durch Training die Edukationsskills, die
Selbstsicherheit und die Ausführung der
Patientenedukationen verbessern.