Aktuelle Rheumatologie 2020; 45(03): 227-231
DOI: 10.1055/a-1112-6962
Kasuistik

Hyperostosis corticalis generalisata: Worth-Syndrom

Endosteal hyperostosis: Worth syndrome
Uwe Lange
1   Rheumatologie, Klinische Immunologie, Physikalische Medizin und Osteologie, Campus Kerckhoff, Universität Gießen, Bad Nauheim
,
Gabriel Dischereit
2   Rheumazentrum Mittelhessen, Bad Endbach
,
Philipp Klemm
1   Rheumatologie, Klinische Immunologie, Physikalische Medizin und Osteologie, Campus Kerckhoff, Universität Gießen, Bad Nauheim
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Sklerosierende Knochenerkrankungen zählen zu den seltenen osteologischen Erkrankungen und insgesamt zu den sog. „orphan diseases“. Alle sklerosierenden Knochenerkrankungen gehen mit einer Störung der Knochenhomöostase i.S. einer pathologischen Zunahme des Knochenaufbaus und damit konsekutiver Zunahme der Knochendichte, also des Verhältnisses von Knochenmasse und -volumen, einher. Durch verschiedene spezifische genetische Ursachen mit nachfolgend unterschiedlichen Manifestationen können die einzelnen Erkrankungen unterschieden werden. Geschildert wir der Fall einer Hyperostosis corticalis generalisata, dem sog. Worth-Syndrom, gefolgt von einem Überblick über die vorliegende Krankheitsentität.


Abstract

Hereditary sclerosing bone dysplasias are orphan diseases. All sclerosing bone diseases present a disorder of bone homeostasis with pathologic increase in bone structure and thus increase in bone denisty as the ratio of bone mass and bone volume. By different specific genetic analysis with following different clinical manifestations the individual illnesses can be differentiated. We present a case of endosteal hyperostosis, the so-called Worth-syndrome, followed by a concluding overview of the disease.


Kasuistik

Die damals 49-jährige Patientin schilderte erstmalig seit kurzem bestehende Knochenschmerzen im Kopf- und Wirbelsäulenbereich, begleitet von einem subjektiv spürbaren Knochenwachstum. Die Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule zeigten eine diffus fleckige Dichtevermehrung des Knochens, insbesondere im Deckplattenbereich und eine vermehrte Sklerosierung ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Röntgenbild der seitlichen Halswirbelsäule. Sichtbar sind diffus fleckige Dichtevermehrung und Sklerosierungen und eine deutlich verdickte Kortikalis der unteren Schädelkalotte.

In der cranialen Computertomografie (CCT) war eine ausgeprägte Verdickung der gesamten Kortikalis ([Abb. 2]) objektivierbar bei kaum noch vorhandener Spongiosa zwischen Lamina interna und externa, sowie deutliche Hyperostosen im Bereich der Felsenbeine ([Abb. 3]).

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Abb. 2 kraniale CT im Knochenfenster der Erkrankten a im Vergleich zu einem Gesunden b A: deutliche Zunahme der gesamten Kortikalis mit kaum noch vorhandener Spongiosa zwischen Lamina interna und externa (schwarze Pfeile). B: Normale Breite der Kortikalis sowie gut abgrenzbare Spongiosa (schwarze Pfeile).
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Abb. 3 CT der Felsenbeine im Knochenfenster der Erkrankten a im Vergleich zu einem Gesunden b. A: Deutliche Hyperostosen im Bereich der Felsenbeine mit kaum noch vorhandener Pneumatisierung (schwarze Pfeile). B: Unauffällige Darstellung der filigranen Knochenstruktur der Felsenbeine, welche regelrecht pneumatisiert sind (weiße Pfeile).

Histologisch konnte in der Knochenbiopsie eine endostale Hyperostose i.S. eines Worth-Syndroms klassifiziert werden ([Abb. 4] [5]).

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Abb. 4 Histologie Bild 1. Die Knochenbiopsie zeigt sklerosiertes Knochengewebe mit breiten Trabekeln, die abschnittsweise Osteoidsäume (grüner Pfeil) aufweisen [v. Kossa-Färbung; 12,5x Objektivvergrößerung].
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Abb. 5 Histologie Bild 2. Die Nahaufnahme zeigt eine erhaltende Umbauaktivität an der Trabekeloberfläche mit Osteoidsäumen (grüne Pfeile) und Osteoklasten in Resorptionslakunen (blauer Pfeil) [v. Kossa-Färbung; 20x Objektivvergrößerung].

Unter der Zielvorstellung das weitere Knochenwachstum zu hemmen wurde in einem auswärtigen osteologischen Schwerpunktzentrum eine Bisphosphonattherapie mit zunächst Alendronat (70 mg/Woche) und später Ibandronat (150 mg/Monat) für 6 Jahre durchgeführt. Hierunter zeigte sich erwartungsgemäß eine Abnahme der Knochenumbauparameter. In der quantitativen Computertomografie (QCT) ließ sich im 2-jährigen Intervall eine progrediente Abnahme vom spongiösen Hydroxylapatitgehalt [HA] (202,5 mg/ml HA, 172,7 mg/ml HA, 149,5 mg/ml) und eine deutliche Zunahme des kortikalen Knochens (335, 4 mg/ml HA, 364,3 mg/ml, 379 mg/ml HA) objektivieren ([Abb. 6]).

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Abb. 6 Verlauf der Knochendichte im QCT. Abnahme der Spongiosadicke [mg/ml HA] und Zunahme der Kortikalisdicke [mg/ml HA] unter Therapie mit Ibrandonat über 6 Jahre.

Bei der Erstvorstellung in unserem universitären osteologischen Schwerpunktzentrum imponierten klinisch eine beidseitige Brachialgie, eine Taubheit von Digitus III-V bds. und eine Abduktionsparese des linken Armes. In der Schnittbildgebung konnte eine zervikale Foraminal- und Spinalkanalstenose in Höhe C4–6 detektiert werden, die kurze Zeit später neurochirurgisch operiert wurde. Eine postoperativ aufgetretene Parese des M. deltoideus und M. biceps brachii links bildete sich unter physikalischen Maßnahmen innerhalb von 6 Monaten zurück. Im weiteren Verlauf manifestierten sich ein chronisches Kopfschmerzsyndrom sowie eine Einschränkung des Gesichtsfeldes. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) konnte als Ursache der konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung eine osteoproliferativ bedingte Einengung des Canalis opticus bds. diagnostiziert werden, ferner eine Einengung des Canalis acusticus internus. Zudem zeigte die elektrophysiologische Untersuchung eine Schädigung des N. opticus bds. ohne Optikusatrophie. Nach 1,5 Jahren Therapiepause erfolgte daher eine erneute BP-Gabe (Ibandronat 2 mg alle 4 Monate) sowie für etwa 1/2 Jahr Dexamethason 4mg täglich. Unter der Kortisongabe resultierte zunächst eine Besserung der ophthalmologischen Symptomatik. Aufgrund eines sekundären cushingoiden Habitus und der Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 2 wurde die Kortisongabe im weiteren Verlauf beendet. Weitere Erkrankungen, die sich in der Zwischenzeit manifestierten waren eine arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, chronische Niereninsuffizienz (KDIGO CKD-Stadien Grad 3b), koronare Herzerkrankung und eine Angststörung. Durch zunehmende Knochenneubildung resultierte eine weitere Einengung des Canalis opticus mit Optikusatrophie und Erblindung. Die Patientin verstarb kurze Zeit später aufgrund eines Myokardinfarktes nach etwa 12-jährigem Krankheitsverlauf.


Hyperostosis corticalis generalisata – Worth-Syndrom

Hierbei handelt es sich um eine seltene, autosomal-dominant vererbte sklerosierende monogenetische Knochenerkrankung mit einer spezifischen Punktmutation im Low-Density-Lipoprotein-Receptor-related-Protein5 [LRP5]-Korezeptor [1]. Die erhöhte LRP5-Signalaktivität bewirkt eine Zunahme der osteoblastengetriggerten Knochenformation (Hyperostosis corticalis generalisata) [2].

Der Wnt/ß-Catenin-Signalweg (kanonischer Wnt-Signalweg) ist ein zentraler Regulator der osteoblastären Formation und osteoklastären Resorption [3] [4]. Das Signalprotein „Wnt“ setzt sich aus 2 Genbezeichungen zusammen: Wg für Wingless, ein Gen der Taufliege Drosophila melanogaster und Int-1, ein Gen der Maus. Nach aktuellem Wissenstand bindet das Wnt-Signalprotein an den Zellrezeptorkomplex Frizzled zusammen mit dem Korezeptor Low-Density-Lipoprotein-Receptor-related-Protein [LRP]5/6, mit der Folge der Aktivierung des Proteins Dsh (Dishevelled) und anschließender Aktivierung des Transkriptionsfaktors ß-Catenin, der im Zellkern Zielgene aktiviert. In Folge dessen kommt es zur Proliferation und Differenzierung von Osteoprogenitorzellen zu Osteoblasten. Die Wnt-Inhibitoren Sklerostin und dessen Interaktionspartner LRP4 sowie das intrazelluläre WTX-Protein sorgen für eine kontrollierte Wnt-Signalaktivität und somit Knochenhomöostase. Erkenntnisse über die zentralen Funktionen des Wnt/ß-Catenin-Signalwegs, die anhand tierexperimenteller Studien gewonnen wurden, sind in ([Tab. 1]) aufgeführt [5].

Tab. 1 zentrale Funktionen des Wnt/ß-Catenin-Signalwegs [Übersicht in 5].

  • Regulierung der Neubildung und Differenzierung der Osteoblasten

  • Erhöhung der Osteoblastenformation und Mineralisierung, Hemmung der Osteoblasten-Apoptose

  • Regulation der Knochenhomöostase in den Osteozyten

  • Steuerung der Expression von Osteoprotegerin in Osteozyten und Osteoblasten und damit Beeinflussung der osteoklastären Aktivität

Eine unkontrollierte Wnt-Signalaktivität durch Mutationen kann somit dazu führen, dass Wnt-Inhibitoren wie Sklerostin, LRP4 oder WTX gehemmt oder der LRP5-Wnt-Korezeptor aktiviert werden, mit konsekutiver Zunahme der osteoblastären Formation und gleichbleibender oder allenfalls leicht minimierter osteoklastärer Resorption [5] [6] [7]. Mutationen die eine Erhöhung der Wnt-Signalaktivität induzieren münden somit in sklerosierenden Knochenerkrankungen.

Der Phänotyp des Worth-Syndroms imponiert durch eine relativ milde kortikale Hyperostose vom Schädel-, Gesichts-, Kiefer-, Becken- und Langknochen und eine erhöhte Frakturinzidenz. Auch ein Torus palatinus (Exostose des harten Gaumens) ist beschrieben [5] [8]. Die Erkrankung beginnt i.d.R. im Kindesalter. Dass die Patientin erst im Erwachsenenalter ein klinisch manifestes Erscheinungsbild des Worth-Syndroms zeigte, mag daran liegen, dass die sklerosierende Knochenerkrankung in der Regel relativ milde verläuft. Je nach Manifestationsort der Hyperostose (Gesichtsbereich/Schädel, Wirbelsäule) kann es zu sog. „Engpasssyndromen“ kommen [9] [10] [11]. In der Diagnostik spielt somit neben der Biopsie die Bildgebung der betroffenen Körperregionen eine besondere Rolle. Eine schöne Übersicht über die radiologischen Veränderungen sklerosierender Knochenerkrankungen und ihrer Differenzialdiagnosen gibt Ihde et al [12]. Im geschilderten Fall ist es nach Manifestation der Erstsymptome im Erwachsenenalter zu einem rasch progredienten Krankheitsverlauf gekommen, der neben neurologischen Komplikationen, tragischerweise zur Erblindung führte. Eine kurative Therapie mit dem Ziel einer Wiederherstellung der Knochenhomöostase ist bislang nicht verfügbar. Medikamentöse Therapieoptionen vermögen allenfalls eine Verlangsamung des Krankheitsprozesses zu erbringen oder dienen, wie im geschilderten Fall, der Behandlung definierter Symptome.

Fazit für die Praxis
  • Sklerosierende Knochenerkrankungen sind seltene, meist monogenetisch bedingte Erkrankungen mit unterschiedlichem Krankheitsverlauf.

  • Beim Worth-Syndrom (Hyperostosis corticalis generalisata) handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Punktmutation im LRP5-Korezeptor.

  • Die unkontrolliert erhöhte Wnt-Signalaktivität induziert eine Zunahme der Knochenformation mit vermehrter Sklerosierung.

  • Der Phänotyp imponiert durch eine kortikale Hyperostose der Schädel-, Gesichts-, Kiefer-, Becken- und Langknochen sowie einem Torus palatinus.

  • Die klinische Ausprägung ist abhängig vom betroffen hyperostotisch befallenen Bereich (u. a. Engpasssyndrome, erhöhte Frakturneigung).

  • Therapeutische Optionen sind sehr begrenzt, kurative Mittel existieren nicht.




Korrespondenzadresse

Prof. Uwe Lange
Rheumatologie, Klinische Immunologie, Physikalische Medizin und Osteologie
Kerckhoff Campus
Universität Gießen
Benekestraße 2–8
61231 Bad Nauheim   
Phone: 06032–996–2101   
Fax: 06032–996–2185   

Publication History

Article published online:
04 March 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Röntgenbild der seitlichen Halswirbelsäule. Sichtbar sind diffus fleckige Dichtevermehrung und Sklerosierungen und eine deutlich verdickte Kortikalis der unteren Schädelkalotte.
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Abb. 2 kraniale CT im Knochenfenster der Erkrankten a im Vergleich zu einem Gesunden b A: deutliche Zunahme der gesamten Kortikalis mit kaum noch vorhandener Spongiosa zwischen Lamina interna und externa (schwarze Pfeile). B: Normale Breite der Kortikalis sowie gut abgrenzbare Spongiosa (schwarze Pfeile).
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Abb. 3 CT der Felsenbeine im Knochenfenster der Erkrankten a im Vergleich zu einem Gesunden b. A: Deutliche Hyperostosen im Bereich der Felsenbeine mit kaum noch vorhandener Pneumatisierung (schwarze Pfeile). B: Unauffällige Darstellung der filigranen Knochenstruktur der Felsenbeine, welche regelrecht pneumatisiert sind (weiße Pfeile).
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Abb. 4 Histologie Bild 1. Die Knochenbiopsie zeigt sklerosiertes Knochengewebe mit breiten Trabekeln, die abschnittsweise Osteoidsäume (grüner Pfeil) aufweisen [v. Kossa-Färbung; 12,5x Objektivvergrößerung].
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Abb. 5 Histologie Bild 2. Die Nahaufnahme zeigt eine erhaltende Umbauaktivität an der Trabekeloberfläche mit Osteoidsäumen (grüne Pfeile) und Osteoklasten in Resorptionslakunen (blauer Pfeil) [v. Kossa-Färbung; 20x Objektivvergrößerung].
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Abb. 6 Verlauf der Knochendichte im QCT. Abnahme der Spongiosadicke [mg/ml HA] und Zunahme der Kortikalisdicke [mg/ml HA] unter Therapie mit Ibrandonat über 6 Jahre.