Psychiatr Prax 2020; 47(04): 176-177
DOI: 10.1055/a-1107-1877
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sind Menschen, die sich das Leben nehmen, psychisch krank? – Pro

Are People who Commit Suicide Mentally Ill? – Pro
Manfred Wolfersdorf
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. April 2020 (online)

„Der Selbstmord bietet alle Merkmale von Geisteskrankheit“ hat der französische Reformpsychiater Esquirol (1838) geschrieben und damit wesentlich zur Beendigung des jahrhundertelangen religiösen Paradigmas von Suizidalität und zu einer zunehmend psychiatrisch-psychosozialen Betrachtung suizidalen Verhaltens beigetragen. Griesinger (1845) widersprach, nicht die gesamte Geschichte des Suizides gehöre der Psychiatrie an, wenngleich er dann die Depression als Hauptrisikogruppe nannte, aber es liege kein Grund vor, einen solchen (Suizidenten) für geisteskrank zu halten … Damit formulierte er eine bis heute gültige Position, die einerseits auf die Rolle einer psychischen Ausnahmesituation in der suizidalen Entwicklung, andererseits auf die Bedeutung des subjektiven Erlebens und Bewertens der Lebens-, Beziehungs- und Arbeitssituation im präsuizidalen Geschehen eines suizidalen Patienten hinweist. Die Diskussion über Suizidalität als Ausdruck von Krankheit oder Krise hat die 1960er- bis 1980er-Jahre geprägt, als Gesellschaften wie DGS, Arbeitskreise Leben, AG Suizidalität und Psychiatrisches Krankenhaus, AGUS u. Ä. entstanden.