Aktuelle Dermatologie 2020; 46(03): 76-78
DOI: 10.1055/a-1098-3281
Interview

Tradition und Zukunft

Frau Prof. I. Moll im Gespräch mit Prof. G. Stingl
 
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    Prof. Dr. Georg Stingl

    Warum hast Du die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

    Das Fach „Haut- und Geschlechtskrankheiten“ gehörte während des Medizinstudiums keinesfalls zu meinen Favoriten, auch die Vorlesungen fand ich nicht sehr inspirierend. Da aber die Dermatologie mein letztes Prüfungsfach war und ich meinen bislang ausgezeichneten Studienerfolg, der letztlich in einer „Promotio sub auspiciis praesidentis“ mündete, nicht gefährden wollte, habe ich überproportional für die Prüfung gebüffelt und fand die Haut und ihre Krankheiten zunehmend interessant und – wegen des damals noch vorherrschenden therapeutischen Nihilismus – erforschungswürdig.

    Welcher Fall ist Dir besonders im Gedächtnis geblieben?/Was war Dein außergewöhnlichster Fall?

    Da gab es nicht wenige, und manchen Patienten und Patientinnen konnte ich durch die Erstellung der richtigen Diagnose und die Einleitung einer wirksamen Therapie wirklich helfen. Besonders erinnerlich ist mir ein Kind mit – wie sich später herausstellte – einem Di-George-Syndrom, das am ersten Tag meiner Ausbildung in die Ambulanz der Klinik gebracht wurde. Die Tatsache, dass wir damals über keine zuverlässigen Testsysteme für die Bestimmung von Zahl und Funktion von Lymphozyten-Subpopulationen verfügten und heute das molekulare immunologische Profil einer Hautkrankheit auf Einzelzellebene bestimmen können, zeigt, welch rasanten Erkenntnisgewinn wir der grundlagenorientierten und dann auch angewandten Forschung der letzten Jahrzehnte verdanken.

    Von wem hast Du besonders viel gelernt?

    Von vielen Menschen, die aufzuzählen den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. An allererster Stelle natürlich von meinen Eltern, später von einigen hervorragenden Lehrern am Gymnasium und an der Universität und schließlich von Menschen, die meinen Lebensweg gekreuzt und aufgrund ihres Wesens und/oder ihrer starken und charismatischen Persönlichkeit beeinflusst haben, innerhalb und außerhalb meines Berufes. Wenn ich die Frage auf die Medizin beschränke, dann waren es meine klinischen und wissenschaftlichen Mentoren Klaus und Elisabeth Wolff, Karl Holubar, und Walter Knapp in Österreich sowie Stephen I. Katz, Ira Green und Ethan M. Shevach an den National Institutes of Health (NIH) der USA, die mich am stärksten geprägt haben. Noch mehr: In den Amerika-Jahren habe ich überhaupt erst korrekt wissenschaftlich denken gelernt und mir daher das Rüstzeug für eine eigenständige Forschertätigkeit erworben. Wichtig war und ist natürlich auch das, was ich von meinen vielen studentischen, ärztlichen und wissenschaftlichen Mitarbeitern und von den mir anvertrauten Patienten gelernt habe und lerne.

    Was ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

    Ich habe den Eindruck, dass sich in unserem Fach derzeit mehrere Paradigmenwechsel vollziehen. Einer davon ist die langsame Verschiebung des Aufgabenspektrums von Dermatovenerologen. Ging es früher vor allem um die Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten, so wird heute der Prävention derselben sowie auch der Erhaltung der Hautgesundheit ein vermehrtes Augenmerk geschenkt. Das immer besser werdende Verständnis der zellulären und molekularen Mechanismen der Hautalterung ist die Voraussetzung für das Gelingen dieses Vorhabens.Aufgrund enormer forscherischer Anstrengungen gelingt es uns bei verschiedenen Krankheiten, sehr selektiv krankmachende Prozesse zu unterbinden und gesunde Zellen, Gewebe und Organe zu verschonen. Der Bogen reicht hier vom Einsatz bestimmter Biologika in der Behandlung entzündlicher bzw. immun-mediierter Erkrankungen, über die Verwendung von Signaltransduktionshemmern bei bösartigen Tumoren bis hin zur Gentherapie von Genodermatosen wie bspw. der junktionalen Epidermolysis bullosa vom Herlitz-Typ. Nicht zu vergessen ist auch die zunehmende Bedeutung der Präzisionsmedizin, d. h. des Einsatzes von Medikamenten, die auf die Bedürfnisse eines bestimmten Patienten bzw. einer Patientengruppe zugeschnitten sind. Bis vor kurzem profitierten davon nur Krebspatienten, jetzt auch vermehrt solche mit entzündlichen Dermatosen. Noch ein paar Worte zum Thema „Künstliche Intelligenz“. Letztlich wird es dazu kommen, dass in bestimmten Situationen die Maschine, d. h. der Computer, den Menschen, d. h. den Dermatologen, ersetzen wird. Wir erleben das derzeit in der Diagnostik sowohl pigmentierter als auch nicht-pigmentierter Neoplasmen der Haut, mit der Möglichkeit der Umsetzung in der Teledermatologie. Ich sehe das aber nicht primär als Gefahr, sondern vor allem als große Chance und Herausforderung für uns alle, wird es doch unser Bemühen um wissenschaftsbasiertes Tun und Handeln deutlich erleichtern.

    Wo siehst Du die Zukunft der akademischen Dermatologie?

    Traditionsgemäß wurde der Aufgaben- bzw. Tätigkeitsbereich eines Hochschulmediziners als Trifolium definiert: der Mediziner als Arzt, Forscher und Lehrer. Die erfolgreiche Bewältigung all dieser Aktivitäten war nur durch maximalen Zeitaufwand möglich und in der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeit nicht realisierbar. Heute wird einer ausgewogeneren Work-Life-Balance das Wort geredet, und das hat negative Auswirkungen auf den forscherischen Output. Man darf auch nicht vergessen, dass sich – teilweise auch als Folge der Digitalisierung – der zeitliche Aufwand für das dem state-of-the-art entsprechende Ausüben des ärztlichen Berufes in den beiden letzten Jahrzehnten vervielfacht hat und dass dem forschenden Mediziner in manchen Wissenschaftszweigen (z. B. Molekularbiologie, Informatik) das nötige Knowhow fehlt. Als Folge davon streben immer weniger Mediziner eine forscherische Laufbahn an, und es besteht daher die große Gefahr, dass der forschende Mediziner (physician scientist) langsam ausstirbt und sich das akademische Personal an Universitätskliniken ausschließlich aus wissenschaftsunkundigen Ärzten und krankheitsunkundigen Naturwissenschaftlern zusammensetzt. Dies hätte katastrophale Folgen, sowohl was den Erkenntnisgewinn als auch die Qualität der Patientenbetreuung betrifft.

    Wie kann man das verhindern?

    Ich bin fest davon überzeugt, dass wir ein neues Curriculum für wissenschaftsinteressierte Mediziner brauchen. Das muss schon im Studium beginnen, und es gibt bereits Modelle, nach denen man in „normaler“ Studiendauer sowohl ein medizinisches als auch naturwissenschaftliches Doktorat erwerben kann. Während der postdoktoralen Fachausbildung muss dem/der Auszubildenden vermehrt Zeit für forscherisches Arbeiten gegeben und repetitive Routinetätigkeiten dafür reduziert werden. Ein stark wissenschaftsbetonter Ausbildungskatalog (inklusive Seminare, Journal Clubs, Forschungs-Resess etc.) muss fester Bestandteil eines solchen Curriculums sein. Wichtig sind auch finanzielle Anreize sowie die Sicherstellung eines Eintritts in das Berufs- bzw. Erwerbsleben zu einem vernünftigen Zeitpunkt.

    Was ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre in der Dermatologie?

    Die Haut beherbergt eine Reihe histogenetisch unterschiedlicher Zell- und Gewebsverbände, d. h. Epithelzellen, Pigmentzellen, Immunzellen, Nervenzellen, Fibroblasten und viele andere mehr. Aufgrund der guten Zugänglichkeit der Haut war es möglich, grundlegende Erkenntnisse über diese verschiedenen biologischen Systeme zu gewinnen, die auch auf andere Organe anwendbar sind. So hat uns die Untersuchung epidermaler Langerhanszellen, um ein Beispiel aus meiner eigenen Forschung heranzuziehen, wichtige Aufschlüsse über Phänotyp und Funktion dendritischer Zellen vermittelt. Es sei auch daran erinnert, dass eine Reihe von Mediatoren der Entzündungsantwort zuerst in der Haut identifiziert und charakterisiert wurden. Diese Forschung hat wesentliche Impulse für die Entwicklung neuer Medikamente geliefert, die dann eben nicht nur zur Therapie von Erkrankungen der Haut, sondern auch anderer Organe eingesetzt werden.

    Was machst Du mit Gästen, die nur kurz Zeit haben sich Wien anzusehen?

    Ich gehe oder fahre mit ihnen über den „Ring“ und erzähle ihnen die Geschichte dieser einzigartigen Prachtstraße und ihrer Baudenkmäler. Ich zeige ihnen aber auch die Sozialbauten des „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit und die Skyline des modernen Wien an und über der Donau. Wenn dann noch Zeit bleibt, gehen wir – je nach Jahreszeit – in ein traditionelles Wiener Kaffeehaus, in den Prater oder in eine Buschenschank (Heuriger) in den Weinbergen.

    Korrespondenzadresse

    Univ.-Prof. Dr. Georg Stingl
    Medizinische Universität Wien
    Dermatologie
    Währinger Gürtel 18–20
    1090 Wien, Österreich
    georg.stingl@meduniwien.ac.at


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    Publication History

    Article published online:
    04 March 2020

    © Georg Thieme Verlag KG
    Stuttgart · New York


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