Phlebologie 2020; 49(02): 70
DOI: 10.1055/a-1084-5405
Literatur weltweit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

ICU: Hohes Thromboserisiko trotz Prophylaxe?

Beitland S. et al.
Venous thromboembolism in the critically ill: A prospective observational study of occurrence, risk factors and outcome.

Acta Anaesthesiol Scand 2019;
DOI: 10.1111/aas.13316.
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Publication Date:
14 April 2020 (online)

 

Intensivpatienten haben ein hohes Risiko für venöse Thromboembolien, viele erhalten daher eine entsprechende Prophylaxe mit Antikoagulanzien oder Kompressionsstrümpfen. Für eine Bestandsaufnahme von Auftreten, Risikofaktoren und Outcome von Gefäßverschlüssen unter Behandlung mit Dalteparin und teilweise Kompression haben Beitland und Kollegen 70 Schwerstkranke in einer prospektiven Studie beobachtet.


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Kritisch kranke Patienten auf Intensivstationen haben durch ihre Grunderkrankung und teils lange Immobilisation ein hohes Risiko für thromboembolische Ereignisse. Aus diesem Grund empfehlen aktuelle Leitlinien eine entsprechende pharmakologische und gegebenenfalls mechanische Prophylaxe, um Patienten vor zusätzlichen Komplikationen durch Gefäßverschlüsse und negative Effekte auf das klinische Outcome zu schützen. Um nun Auftreten, mögliche Risikofaktoren und Einfluss auf das Behandlungsergebnis bei schwerstkranken Intensivpatienten unter bestehender Thromboseprophylaxe mit Dalteparin und teilweise zusätzlicher Kompressionstherapie einmal genauer analysieren zu können, haben Beitland und ihre Kollegen eine prospektive Beobachtungsstudie durchgeführt.

Die sogenannte „Norwegian Intensive Care Unit Dalteparin Effect Study“ (NORIDES) fand zwischen Dezember 2012 und März 2016 auf der internistischen und chirurgischen Intensivstation des Universitätsklinikums Oslo, Norwegen, statt.

Für die Rekrutierung legten die Forscher folgende Ausschlusskriterien fest:

  • Alter unter 18 Jahren,

  • intraokuläre oder intrakranielle Blutung,

  • akute Rückenmarksverletzung,

  • Koagulopathie,

  • unkontrollierte Blutung,

  • therapeutische Antikoagulation,

  • Schwangerschaft oder Stillzeit,

  • chronische Niereninsuffizienz sowie

  • Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation unter 48 Stunden.

Alle Patienten wurden von Beginn der intensivmedizinischen Behandlung an mit Dalteparin subkutan in der Dosierung von 5000 Einheiten pro Tag behandelt. Chirurgische Intensivpatienten erhielten zudem Kompressionsstrümpfe.

Um die Krankheitsschwere der Patienten beurteilen zu können, griffen die Studienautoren auf den Simplified Acute Physiology Score II (SAPS II) und den Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score zurück. Die Diagnostik bei Verdacht auf ein thromboembolisches Ereignis erfolgte mittels Dopplersonografie und gegebenenfalls CT-Angiografie.

Fast jeder dritte Patient betroffen

70 Patienten erfüllten die Kriterien. Sie waren durchschnittlich 62 Jahre alt (Standardabweichung 12,1), 79 % von ihnen männlich. Mit 71 % mussten die meisten Patienten mit chirurgischer Indikation intensivmedizinisch betreut werden.

Die Häufigkeit einer venösen Thromboembolie lag bei 27 %. 15 Patienten erlitten eine tiefe Beinvenenthrombose (21 %) und 4 (6 %) mussten aufgrund einer Lungenembolie behandelt werden. Die thromboembolischen Ereignisse traten bei 11 Patienten (16 %) innerhalb der ersten 48 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivstation auf.

Als unabhängige Risikofaktoren identifizierten die Studienautoren maligne Erkrankungen, Z. n. einem abdominal-chirurgischen Eingriff sowie einen SAPS-II-Score von unter 41. In Hinblick auf das klinische Behandlungsergebnis einschließlich Mortalitätsrate und ICU-Verweildauer konnten die Forscher keinen signifikanten Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Thromboembolie feststellen. In ihrem Diskussionsteil betonen sie die hohe Inzidenz von Thromboembolien trotz laufender Prophylaxe mit Dalteparin und Kompressionsbehandlung.

Fazit

In dieser Beobachtungsstudie erlitten 27 % der Intensivpatienten trotz Dalteparin-Prophylaxe ein thromboembolisches Ereignis, die meisten von ihnen innerhalb der ersten 48 Stunden nach ICU-Aufnahme. Als Risikofaktoren stellten die Forscher maligne Erkrankungen, Z. n. Operation sowie einen SAPS-II-Score < 41 fest. Obgleich eine Thromboembolie in dieser Studie keinen Einfluss auf das Outcome zeigte, vermuten die Autoren negative Effekte auf das Behandlungsergebnis.

Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover


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