Kernpunkte der Versorgungsverträge nach § 132i SGB V Die vom Hämophilie-Zentrum nach diesen Verträgen zu erbringenden Leistungen stellen
auf der Grundlage des § 132i SGB V einen zusätzlichen besonderen ärztlichen Aufwand
dar, die insbesondere weder im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) noch in der Gebührenordnung
für Ärzte (GOÄ) abgebildet werden. Die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen
(u.a. insbesondere EBM, GOÄ, ASV, Leistungen der Hochschulambulanz) bleibt daher unberührt.
Die Vergütung nach diesen Verträgen erfolgt somit ergänzend zur vertragsärztlichen
Vergütung.
Der Verband der PKV (Private Krankenversicherungen) ist aktuell nicht bereit zum Abschluss
von Verträgen nach § 132 i SGBV. Dies wird einfach formell begründet, da das Sozialgesetzbuch
V nicht für den PKV-Bereich gelten soll. Es wird versucht in einer neuen konzertierten
Aktion, den Gesetzgeber darauf hinzuweisen und dies prüfen zu lassen. Dies wird eine
langfristige Aktion bedeuten. Der Ausgang bleibt zunächst offen.
Wirtschaftlichkeitsaspekt der Versorgungsverträge nach § 132i SGB V Das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V ist stets die Grundlage auch für die
Therapie von hämophilen Gerinnungsstörungen (Auszug:
Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen
das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht
beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht
bewilligen).
Wenn das Zentrum eine besondere Wirtschaftlichkeit in der Verordnungsweise nachweisen
kann, erhöht sich die Basispauschale (für definierte ärztliche Grundleistungen, siehe
Vertragsinhalte) für alle Fälle mit Arzneimitteltherapie um eine Wirtschaftlichkeitspauschale.
Die Definition der Kriterien für die besondere Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise
sowie die Höhe der Wirtschaftlichkeitspauschale regeln die Krankenkassen auf Grundlage
u.a. Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V und die amtliche ATC-Klassifikation
(Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikation mit DDD) insbesondere für die
Gerinnungsfaktorenzubereitungen für Alle hämophilen Gerinnungsstörungen (
https://www.dimdi.de/dynamic/de/das-dimdi/aktuelles/meldung/amtliche-atc-klassifikation-mit-ddd-fuer-2020-veroeffentlicht/
). In dieser ATC-Klassifikation werden – kurz zusammengefasst - die Gerinnungsfaktorenzubereitungen
insbesondere für Hämophilie A (ca. 22 Präparate auf dem Markt) und Hämophilie B (ca.
11 Präparate auf dem Markt), als vergleichbar in den durchschnittlichen Tagesdosierungen
und die halbwertzeitverlängerten Gerinnungsfaktoren-zubereitungen als mindestens gleichwertig
angesehen. Um die wirtschaftliche Verordnungsweise von Arzneimitteln zur spezifischen
Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie zu erleichtern, stellen die Krankenkassen
dem Hämophilie-Zentrum eine Auflistung über die Wirtschaftlichkeit der betroffenen
Arzneimittel zur Verfügung. Dieses Prinzip wird u.a. auch in der Rheumatologie, z.B.
in den Versorgungsverträgen nach § 140 a SGB V, angewandt.
Vergütung der „Wirtschaftlichkeit“ in den Versorgungsverträgen nach § 132i SGB V in
den unterschiedlichen Verträgen Die Ersatzkassen (über VDEK), Betriebskrankenkassen (über GWQ Plus GmbH, spectrum-K
GmbH) und Knappschaft vergüten im Verhältnis ca. 2 Drittel für die Basispauschale
und 1 Drittel für eine mögliche Wirtschaftlichkeitspauschale. Hier sind die Betriebskrankenkassen
(über GWQ Plus GmbH, spectrum-K GmbH) und Knappschaft den Empfehlungen des BDDH (Berufsverband
der Deutschen Hämostaseologen) und der GTH (Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung)
vollständig gefolgt. Einzig die AOK's drehen dieses Verhältnis um und präferieren
die Wirtschaftlichkeit in besonderem Maß. Aber auch in diesem Vertrag gibt es eine
Grundpauschale unabhängig von der Wirtschaftlichkeitspauschale. Diese Möglichkeit
steht den Krankenkassen offen. Hier sind die AOK's den Empfehlungen des BDDH (Berufsverband
der Deutschen Hämostaseologen) und der GTH (Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung)
nicht vollständig gefolgt.
Arzneimittelversorgung nach den Versorgungsverträgen nach § 132i SGB V In den bisherigen Verträgen nach § 47.2 AMG war auch eine Wirtschaftlichkeitspauschale
vorhanden, vergleichbar mit den obigen Verteilungsverhältnissen. U.a. im VDEK-Vertrag
bzw. im GWQ-Vertrag waren circa 90% der aufgeführten Gerinnungsfaktorenzubereitungen
der pharmazeutischen Unternehmer (PU) mit Rabattverträgen ausgestattet. Damit erhielten
ALLE Behandlungszentren die Wirtschaftlichkeitspau-schalen und es entstand keine Eingrenzung
der Therapiewahlfreiheit. Alle PU sind aktuell sehr interessiert entsprechende Rabattverträge
u.a. nach § 130 SGB V abzuschließen – auch durch die Aufforderung des Gesetzgebers.
Dies wird auch in den neuen Verträgen nach §132 i der Fall sein. Auch neue Therapieformen
sollen so Eingang in die Behandlung finden.Die Krankenkassen können auch nur diesen
Weg gehen, um eine seriöse und legale Gegenfinanzierung für die Vergütungen an die
Behandlungszentren zu garantieren. Hiermit entfällt die Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfungen
gemäß § 106 ff. SGB V von Seiten der Krankenkassen, wenn ein Behandlungszentrum die
Kriterien der besonderen Wirtschaftlichkeit erfüllt (u.a. „..Überschreitung des Durchschnittswertes
über 140 % über der Fachgruppe leitet die Prüfungsstelle ab Ende 2020). Dies ist ein
Vorteil für das versorgende Behandlungszentrum, das als besonders „wirtschaftlich“
arbeitet. Eine Versorgungseinschränkung ergibt sich für die Patienten nicht. Dennoch
kann ein Behandlungszentrum auch nicht rabattierte Gerinnungsfaktoren-zubereitungen verordnen und auf eine mögliche Wirtschaftlichkeitspauschale
verzichten. Es besteht KEIN Zwang, eine Wirtschaftlichkeitspauschale zu generieren.
Weitere honorable Wirtschaftlichkeitsaspekte nach den Versorgungsverträgen nach §
132i SGB V
Nutzung alternativer indizierter Medikation Die Arzneimitteltherapie von Versicherten gem. § 3 muss sich stets am tatsächlichen
Bedarf und der Schwere der Erkrankung orientieren. Die jeweils individuell verfügbaren
wirtschaftlichen Verordnungsoptionen (z. B. Wirkstoff Desmopressin als Antihämorrhagikum
zur Steigerung der Faktor-VIII-Gerinnungsaktivität bei leichter bis mittelschwerer
Hämophilie A und von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) müssen ausgeschöpft sein bevor andere
Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen (z. B. Gerinnungsfaktorenkonzentrate)
zum Einsatz gelangen (Arzneimittelversorgung – Stufenmodell). Die Querschnitts-Leitlinien
der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten in der
jeweils aktuellen Fassung sind zu beachten. Dies ist ein weiterer Aspekt für die „Wirtschaftlichkeit“
und deren Vergütung. Verzicht auf Wiederholungsrezepte Aufgrund dieser Therapie-Besonderheiten sollen Wiederholungsrezepte gem. § 31 Abs.
1b SGB V nicht zur Anwendung gelangen (Stichwort: „Chronikerregelung“). Ansonsten
könnten Patienten, z.B. 4mal die identische Menge von einer Gerinnungsfaktorenzubereitung
wie z.B. 80.000 IE eines Faktor-VIII-Präparates auf dem Rezept – also dann insgesamt
320.000 IE -, ohne Zentrumsvisite mit den notwendigen ärztlichen Kontrollen bei einem
Apotheker abholen. Dies ist ein weiterer Aspekt zur Bewertung der „Wirtschaftlichkeit“
und deren Vergütung. Möglichkeit der Nutzung hochmoderner, in Einzelfällen indizierter Therapie (Gentherapie)
in Kooperation mit dem Leistungsträger Verfügbare Behandlungsalternativen (z. B. Gentherapie bei Hämophilie A oder Hämophilie
B), die nicht in der Auflistung enthalten sind oder dort über eine gesonderte Kennzeichnung
verfügen, dürfen nur veranlasst werden, wenn im Vorfeld eine Abstimmung zur Kostenübernahme
zwischen Hämophilie-Zentrum und der zuständigen Ersatzkasse stattgefunden hat. Die
weitere Abrechnung von Leistungen entsprechend § 7 (Vergütung) für betroffene Fälle
ist von dieser Abstimmung abhängig. Die vertragsschließenden Krankenkassen benennen
für diesen Abstimmungsprozess gegenüber dem Hämophilie-Zentrum die jeweiligen Ansprechpartner
und Kontaktinformationen. Darüber hinaus besteht Einigkeit zwischen den Vertragspartnern,
dass hochspezialisierte Leistungen (z. B. Gentherapien) nur in Hämophilie-Zentren
der Maximalversorgung (HCCC) durchgeführt werden sollen. Dies führt zu weiteren Einzelvereinbarungen
und auf Grund des hohen ärztlichen Aufwandes im „Follow Up“ zu einer separaten zusätzlichen
Vergütung.
Aktuelle Kritik zu Bestrebungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Stellungnahme
von Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, Beisitzer im Vorstand des BDDH
In einem offenen Brief vom 24.07.2020 haben die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
und der Kassenärztlichen Vereinigungen an den Bundesminister für Gesundheit, Herrn
Jens Spahn, gewandt und hierbei einerseits die Notwendigkeit einer Digitalisierung
des Deutschen Gesundheitssystems betont, andererseits aber Kritik am aktuellen Vorgehen
bei der Ausgestaltung der Digitalisierung geäußert.
In dem Schreiben wird dargelegt, dass niedergelassene Ärzte eine aktive Rolle bei
der Digitalisierung und ihrer praktischen Umsetzung spielen möchten, soweit diese
zu einer Verbesserung der medizinischen Versorgung der Patienten führt. Allerdings,
so die Ausführungen, sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere zur Ausgestaltung
der Telematik-Infrastruktur (TI), alles andere als optimal und lassen für die Ärzte
kaum einen Mehrwert der digitalen Anwendungen erkennen. Den Ärzten werden durch die
derzeitige Ausgestaltung wiederum mehr Dokumentationspflichten auferlegt, Nutznießer
sind dann die Krankenkassen und Andere, welche auf die erhobenen Daten zurückgreifen
können. Erschwerend wird der erhöhte Aufwand den Ärzten nicht erstattet, die auch
die Kosten für die Implementierung und Instandhaltung/ Wartung der aufgebürdeten Systeme,
die technisch nicht ausgereift sind, größtenteils zu tragen haben. Zudem werden die
Ärzte bei nicht fristgerechter Umsetzung der politisch vorgegebenen Implementierung
der Telematik- Infrastruktur und sonstiger Maßnahmen im Rahmen der Digitalisierung
im Gesundheitswesen mit Sanktionen bedroht. Verfügbare Anwendungen sind häufig technisch
nicht ausgereift und bedeuten für die Praxen keine Arbeitserleichterung, sondern führen
zu einer weiteren übermäßigen Bürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit.
Die Autoren des Schreibens haben an den Minister folgende Forderungen der Vertragsärzte
adressiert:
-
Der Mehrwert der Digitalisierung und insbesondere der Anbindung an die TI muss für
die Niedergelassenen klar erkennbar sein. Neue digitale Anwendungen müssen sich auf
die originären Aufgaben der Vertragsärzte beschränken.
-
Vor der Einführung von Systemen der Digitalisierung muss deren Funktionsfähigkeit
gewährleistet sein. Zudem ist sicherzustellen, dass es ein dauerhaftes Ersatzverfahren
gibt.
-
Die Zeiträume für die Einführung digitaler Anwendungen müssen angemessen im Hinblick
auf Plausibilität und Machbarkeit sein. Bestehende Fristen zur Umsetzung müssen erheblich
verlängert werden, um entsprechende Übergänge und Anpassungen bis zur Funktionsfähigkeit
sicher zu ermöglichen.
-
Die Androhung von Sanktionen bei nicht fristgemäßer Implementierung erzeugt unnötige
Widerstände und ist daher kontraproduktiv.
-
Die Kosten der Anbindung an die TI sowie alle Folgekosten müssen angemessen finanziert
werden. Dies betrifft auch die Kosten aufgrund der dringend notwendigen und längst
überfälligen Datenschutzfolgeabschätzung.
-
Dem KV-System muss die Möglichkeit gegeben werden, endlich industrieunabhängig eigene
Lösungen für den PVS/TI-Bereich in den Vertragsarztpraxen zu entwickeln und den Mitgliedern
der KVen zur Verfügung zu stellen.
-
Bei der Ausgestaltung der IT-Sicherheitsrichtlinie nach § 75 Absatz 5 SGB V muss sichergestellt
sein, dass die technischen Anforderungen sinnvoll und tragbar für die Praxen der Niedergelassenen
sind. Statt des „Einvernehmens“ muss nur noch das „Benehmen“ mit dem Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hergestellt werden. Die vollständige Finanzierung
der damit verbundenen Kosten für die Praxen muss vorab abschließend geklärt sein.
Der Vorstand des Berufsverbandes der Deutschen Hämostaseologen e.V. (BDDH) teilt und
steht hinter den Kritikpunkten und Forderungen der Vorstände der Kassenärztlichen
Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Digitalisierung in der Medizin
ist notwendig, darf aber kein Selbstzweck sein. Letztendlich muss ein klarer Mehrwert
für Ärzte und Patienten durch die Einrichtung der Telematik-Infrastruktur (TI) und
digitalen Anwendungen erkennbar sein, damit eine breite Akzeptanz in der Ärzteschaft
hergestellt werden kann; diese ist derzeit verständlicherweise nicht gegeben. Ärzte
müssen bei der Einrichtung der ihnen aufgebürdeten Maßnahmen im Rahmen der Digitalisierung
im Gesundheitssystem adäquat unterstützt und hierfür finanziell vollumfänglich entschädigt
werden. Eine zusätzliche Bürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit durch die zunehmende
Digitalisierung ist unbedingt zu vermeiden, schon im Interesse der unmittelbaren Patientenversorgung.
Die Digitalisierungs-Industrie als Nutznießer der Digitalisierungs-Bestrebungen ist
stärker zu kontrollieren, die vertriebenen EDV-Produkte sind vor einer Zulassung zur
Anwendung im Praxisbereich einer kritischen Prüfung zu unterziehen, da häufig praxisuntaugliche
Programme zur Verfügung gestellt werden. Die Entwicklung der Digitalisierung darf
nicht am Hauptanwender, der Ärzteschaft, vorbeigehen; um einen Mehrwert durch die
Digitalisierung zu erzielen, bedarf es unbedingt einer weitaus stärkeren Einbeziehung
der Ärzteschaft in die diesbezüglichen politischen Entscheidungen und die Entwicklung
und Zulassung von EDV-Produkten zur Anwendung in ärztlichen Einrichtungen.
Für den Vorstand des Berufsverbandes der Deutschen Hämostaseologen e.V. (BDDH):
-
Priv.-Doz. Dr. Jürgen Koscielny, Berlin, Vorsitzender
-
Dr. Günther Kappert, Duisburg, Stellvertretender Vorsitzender
-
Priv.-Doz. Dr. Christoph Sucker, Berlin, Beisitzer des Vorstands